Themenportal „Europäische Geschichte“ (18.-21. Jh.): Newsletter 09/2015

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Siegrist, Hannes - Universität Leipzig

Themenportal Europäische Geschichte

Liebe Leserinnen und Leser von H-Soz-Kult,

nachfolgend finden Sie eine Aufstellung der im August 2015 neu ins Themenportal Europäische Geschichte eingestellten Artikel, Essays, Materialen und Quellenauszüge.

Essays und Artikel:

Greiner, Florian: Europäisiert und modern. Wahrnehmungen der "neuen Türkei" in Europa-Bewegungen der Zwischenkriegszeit.
Abstract:
Seit dem Mittelalter dient die Türkei als ein negatives Definitionsmerkmal Europas. Spätestens mit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch Sultan Mehmed II. entwickelte sich die türkische Frage zu einem „Wetzstein europäischer Identität.“ In den folgenden Jahrhunderten intensivierten sich konstitutiv wirkende Abgrenzungen zwischen einem christlich-abendländisch konnotierten Europa und der islamisch-orientalischen Türkei etwa im Rahmen der frühneuzeitlichen Türkenkriege und der beiden Belagerungen Wiens durch osmanische Truppen 1529 und 1683. Stereotype Fremdbilder, die unter Schlagworten wie der „Türkengefahr“ firmierten und im Zeitalter des Imperialismus noch rassistisch aufgeladen wurden, erwiesen sich in Europa als ebenso langlebige wie wirkmächtige Alteritätskonstruktionen. Nicht zufällig wird das Land, dies unterstreicht die emotionale Debatte um einen türkischen EU-Beitritt, bis in die Gegenwart als das „externe Andere“ zur Demarkation Europas benutzt. Und dies nicht nur von politischer Seite: Auch Historiker wie Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler postulierten im Zuge dieser Auseinandersetzungen die Unvereinbarkeit von islamischer Türkei und christlichem Europa.
Angesichts dessen stellt sich die Frage nach der historischen Entwicklung der europäisch-türkischen Beziehungen und nach Einschätzungen hinsichtlich der Europäizität des Landes in früheren Zeiten. Denn das Verhältnis der Türkei zu Europa war nie statisch. Beispielsweise hat Matthias Pohlig für die Frühe Neuzeit nachgewiesen, dass sich die europäische Bedrohungsidentität in Form der Angst vor einer osmanischen Eroberung seit Ende des 17. Jahrhunderts schrittweise in ein Überlegenheitsbewusstsein verwandelte, das zunehmend ohne religiöse Konnotationen auskam. Für die Zeitgeschichte kommt dem Zeitraum der Entstehung des modernen türkischen Staates in den 1920er- und 1930er-Jahren eine zentrale Bedeutung zu. In diesen Dekaden wurden nicht nur innenpolitisch die Strukturen des Nationsbildungsprozesses in der neuen Republik bestimmt, sondern auch die Grundlagen der heutigen türkischen Europapolitik gelegt.
In: Themenportal Europäische Geschichte (2015), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2015/Article=732>.

Dominguez Andersen, Pablo: Ahmet Gündüz. Migration, Männlichkeit und die diasporischen Ursprünge von HipHop in Deutschland und Europa.
Abstract:
Die ersten Zeilen eines Songs Ahmet Gündüz markieren die Geburtsstunde des deutschsprachigen Rap. Vorgetragen in gebrochenem Gastarbeiterdeutsch und untermalt von einer türkischen Saz-Melodie, erzählt der Arbeiter Ahmet die Geschichte seiner Auswanderung in die Bundesrepublik. Gerappt wurden die Zeilen von Tahir Cevik alias Tachi, einem von drei MCs der Gruppe Fresh Familee. 1989 gegründet, spielte die Crew 1991 die Hauptrolle in der ersten deutschen HipHop-Dokumentation Fresh Familee – Comin’ from Ratinga. Den Gewinn eines städtischen Nachwuchspreises nutzte die Band im selben Jahr zur Finanzierung ihres gleichnamigen Debütalbums Coming from Ratinga, das sie kurz darauf im Eigenvertrieb veröffentlichte. Der Song Ahmet Gündüz war sowohl auf dieser Platte als auch auf dem 1993 von Phonogramm veröffentlichten Album Falsche Politik enthalten und gilt damit vielen als erste deutschsprachige Rapveröffentlichung. Angeführt von den drei MCs Tachi mit türkischen, Suli mit mazedonischen und Higgi mit marokkanischen Wurzeln, entstammte die Band der migrantischen Jugendkultur der postindustriellen Trabantensiedlung Ratingen West, welche den damaligen Medien vor allem aufgrund des hohen Anteils „ausländischer“ Bewohner als Problembezirk und sozialer Brennpunkt galt.
Während der Hit Die Da?! der aus dem bürgerlichen Stuttgart stammenden Die Fantastischen Vier den deutschsprachigen HipHop 1992 in den medialen und musikalischen Mainstream katapultierte, waren Die Fantastischen Vier keineswegs wie oft behauptet die Erfinder des deutschen Rap. Diese verbreitete Entstehungsgeschichte des Genres entspringt einer nationalen Erfolgs- und Reinheitsphantasie, welche den engen Zusammenhang zwischen HipHop und migrantischer Jugendkultur unsichtbar macht. So fasste ein typischer Artikel in Die Zeit im Jahr 2000 zusammen: „Seit Smudo alias Michael Schmidt und die Fantastischen Vier den HipHop der amerikanischen, schwarzen Gettos in die mittelständischen Vororte deutscher Städte transformierten, hat die deutsche Sprache endlich zu ihrer Musik gefunden.“ Als erster deutschsprachiger Rap-Song offenbart Ahmet Gündüz dagegen die migrantischen und transnationalen Ursprünge des wenig später in den nationalen Musik-Kanon inkorporierten Genres.
In: Themenportal Europäische Geschichte (2015), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2015/Article=734>.

Materialien und Quellenauszüge:

Die Türkei und wir / Die Moderne Türkei (1931/1936). In: Themenportal Europäische Geschichte (2015), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2015/Article=733>.

Das Themenportal Europäische Geschichte veröffentlicht seit 2006 unter der Adresse <http://www.europa.clio-online.de> Materialien (Textdokumente, Statistiken, Bilder und Karten), Darstellungen und Debatten zur Geschichte Europas und der Europäer/innen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Nutzerinnen und Nutzer, die gerne mit eigenen Beiträgen mitwirken möchten, werden um Vorschläge gebeten. Schreiben Sie bitte an die Redaktion <clio.europa-redaktion@geschichte.hu-berlin.de>. Über die Auswahl und Annahme von Beiträgen entscheidet das Herausgeberkollegium aufgrund eines unkomplizierten Evaluationsverfahrens. Weitere Informationen zur Zielstellung und Konzeption des Projektes finden Sie auf den Webseiten des Projektes.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Hannes Siegrist (Leipzig), Sprecher des Herausgeberkollegiums

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