Zwischen De- und Re-Nationalisierung. Soziale Sicherung in Zeiten europäischer Krisen

Zwischen De- und Re-Nationalisierung. Soziale Sicherung in Zeiten europäischer Krisen

Organizer
Sektion Sozialpolitik und Sektion Europasoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Institut für Soziologie der Universität Leipzig
Venue
Universität Leipzig
Location
Leipzig
Country
Germany
From - Until
01.10.2015 - 02.10.2015
Deadline
15.02.2015
Website
By
Fehmel, Thilo

Die Durchsetzung der Grundfreiheiten im Rahmen der europäischen Integration und des europäischen Binnenmarkt-Projektes hat zahlreiche sozialpolitikrelevante Folgeprobleme hervorgebracht. In einer kaum noch überschaubaren Abfolge haben daraufhin in den letzten Jahren Rechtsetzung und Rechtsprechung auf supranationaler Ebene einen mittlerweile unübersehbaren und politisch hoch umstrittenen Einfluss auf die Gestaltung – und die Gestalt – nationaler Sozialpolitiken ausgeübt. Dieser Einfluss erschöpft sich keineswegs in Maßnahmen der Marktdurchsetzung zu Lasten etablierter nationaler Systeme sozialer Sicherung (negative Integration). Er ergibt sich auch aus Marktinterventionen zur unmittelbaren Durchsetzung und Ausdehnung sozialer Rechte in den EU-Mitgliedsländern (positive Integration). Beide Mechanismen aber schwächen, insbesondere durch ihre starke Betonung des Gleichstellungsgedankens und der Unionsbürgerschaft, die räumlichen Grenzen wie auch die strukturellen Abgrenzungen der europäischen Wohlfahrtsstaaten und erschüttern deren traditionelle Umverteilungsprinzipien und Legitimationsmuster. Der nationalen Schließung von Regulations- und Protektionsräumen (v.a. Arbeitsmärkten, Sozialsystemen, Währungsräumen) steht als Intention oder Effekt die Öffnung, Offenheit und Europäisierung nationaler Sozialpolitiken gegenüber. Das ist die postnationale Konstellation sozialer Sicherung.

Das Verhältnis der Zug- und Gegenkräfte hin zur Schließung oder Öffnung nationaler Wohlfahrtssysteme und Umverteilungsarrangements ist seit jeher neuralgisch. Einerseits zieht die EU zunehmend Kompetenzen mit zumindest implizit sozialpolitischer Relevanz an sich, andererseits ist sie für die Implementierung ihrer Maßnahmen unabdingbar auf die nationalen Exekutiven angewiesen, die im Implementationsprozess auch ihren eigenen Interessen folgen und dabei auch auf bestehende Institutionensysteme Rücksicht nehmen (müssen). Im Ergebnis führt europäische sozialpolitische Regulierung zu einer Vielzahl unterschiedlicher nationaler Umsetzungsformen – und in der Folge auch zu unterschiedlichen Formen sozialpolitisch bewirkten sozialstrukturellen Wandels.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass auch die europäischen Krisen der letzten Jahre einen erheblichen Einfluss auf das Verhältnis von Schließung oder Öffnung nationaler Wohlfahrtssysteme hatten und haben. Zum einen verändert(e) die Finanz- und Staatsschuldenkrise nicht nur in den von ihr unmittelbar betroffenen Mitgliedsländern die Wahrnehmung von Handlungsspielräumen: knapper werdende Budgets, stärker werdender Einfluss europäischer Instanzen und erleichterte Durchsetzung von Austeritätspolitiken führten zu sozialpolitischen Anpassungen ungekannten Ausmaßes. Zum anderen werden durch die Legitimitätskrise der EU selbst deren Kompetenzen zunehmend in Frage gestellt und nationale politische Entscheidungen aufgewertet. Durch diese Krisen hervorgerufen sind nunmehr Fragen zum Zusammenhang von Europäisierung und sozialer Sicherung deutlich stärker politisiert als noch vor wenigen Jahren. Zugleich ist davon auszugehen, dass – analog zur Unterschiedlichkeit nationaler Umsetzungsformen europäischer sozialpolitischer Regulierung – auch der Umgang mit den Krisen in den Ländern sehr unterschiedlich ausfällt.

Die Tagung will untersuchen, wie sich der Einfluss dieser Krisen auf das Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit von Systemen sozialer Sicherung bemerkbar macht und welchen Anteil dieser Einfluss am generellen sozialstaatlichen und sozialstrukturellen Wandel in Europa hat. Willkommen sind Beitragsvorschläge in der ganzen Bandbreite der Thematik, zur theoretischen Einordnung ebenso wie empirische Fallstudien (Akteurs- und Institutionen-, Konflikt- und Diskursanalysen). Fluchtpunkt der Beschäftigung mit diesen Themen soll die Frage sein, ob und in welcher Weise die Krisen Europas Prozesse der Öffnung oder Schließung, also Prozesse der De- oder aber Re-Nationalisierung sozialer Sicherung vorantreiben.

Programm

Contact (announcement)

Thilo Fehmel

Universität Leipzig
Institut für Soziologie
0341 / 9735661

fehmel@sozio.uni-leipzig.de


Editors Information
Published on
11.01.2015
Author(s)
Contributor
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Additional Informations
Country Event
Language(s) of event
German
Language of announcement