International Security, Political Crime, and Resistance: The Transnationalisation of Normative Orders and the Formation of Criminal Law Regimes in the 19th and 20th Century

International Security, Political Crime, and Resistance: The Transnationalisation of Normative Orders and the Formation of Criminal Law Regimes in the 19th and 20th Century

Organizer(s)
Forschungsprojekte „Wandel normativer Ordnungen: Die Transnationalisierung von Herrschaft und Widerstand“ / „Die Formierung transnationaler Strafrechtsregime in der Moderne“ des Forschungsfelds 3, EXC „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt am Main
Location
Frankfurt am Main
Country
Germany
From - Until
16.10.2014 - 17.10.2014
Conf. Website
By
Tina Hannapel / Conrad Tyrichter, Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main

Der am 16. und 17. Oktober 2014 am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte durchgeführte Workshop „International Security, Political Crime, and Resistance: The Transnationalisation of Normative Orders and the Formation of Criminal Law Regimes in the 19th and 20th Century“ basierte auf einer Kooperation der Forschungsprojekte „Wandel normativer Ordnungen: Die Transnationalisierung von Herrschaft und Widerstand“ (Nicole Deitelhoff / Christopher Daase) und „Die Formierung transnationaler Strafrechtsregime in der Moderne“ (Thomas Duve / Karl Härter) des Forschungsfelds 3 des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Er war als interdisziplinäres und internationales Forum für Forschungen zu Themen wie Sicherheit, Strafrechtsgeschichte und politischer Kriminalität konzipiert und richtete sich insbesondere an Nachwuchswissenschaftler, Doktoranden und Stipendiaten des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte und des Exzellenzclusters, welche die Möglichkeit bekommen sollten, aktuelle Projekte vorzustellen und mit einer Gruppe von ausgewählten und profilierten Wissenschaftlern zu diskutieren. Weiterhin zielte der Workshop auf die Vernetzung nationaler und internationaler Forschungsprojekte in den entsprechenden Themenbereichen ab.

Inhaltliches Ziel des Workshops war es, grundlegende und verbinden Fragestellungen des Exzellenzclusters und des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte anhand einschlägiger Fallstudien zu staatlichen und gesellschaftlichen Reaktionen auf Sicherheitsbedrohungen, politische Gewalt und Dissidenz im 19. und 20. Jahrhundert zu diskutieren. Zentral waren die Fragen nach der Analyse pluraler Akteurskonstellationen in Form von Regimen und ihrer Konzeptualisierung als „Normative Ordnungen“, der Formierung und Wirkung solcher Regime, besonders in transnationalen Kontexten, ihren Legitimationsgrößen und Rechtfertigungsnarrativen und dem Zusammenhang zwischen Normen, Diskursen und Praxis.

Der Workshop wurde durch Einführungsvorträge von NICOLE DEITTELHOFF (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main) und KARL HÄRTER (Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main) eingeleitet. Die Präsentation der Fallstudien verteilte sich auf vier thematisch gebildete Panels; das fünfte, abschließende Panel diente der allgemeinen Präsentation größerer Forschungsprojekte und -verbünde. Die Fallstudien des ersten Panels beschäftigten sich mit politischer, insbesondere anarchistischer Gewalt und entsprechenden staatlichen Reaktionen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Eingeleitet wurde das Panel durch einen „Key-Note“ Vortrag von RICHARD BACH JENSEN (Northwestern State University, Natchitoches), der auf seiner aktuellen Veröffentlichung „The International Battle against Anarchist Terrorism“ basierte, in der er internationale Reaktionen auf den Anarchismus als eine historische Form des Terrorismus untersucht. Ein zentrales Thema seines Vortrags war der Vergleich von Strategien unterschiedlicher nationaler Strafrechts- und Sicherheitsregime bei der Bekämpfung des Anarchismus. Dabei beobachtete er, dass besonders repressive Maßnahmen einen eher eskalierenden Effekt hatten und letztendlich wenig erfolgreich waren. Weiterhin widmete er sich zeitgenössischen Diskursen um die Etikettierung des Anarchismus als soziales oder politisches Verbrechen und verwies in diesem Zusammenhang auf die Problematik der Formierung einer kohärenten normativen Ordnung transnationaler Strafrechtsregime. Den zweiten Vortrag hielt RACHEL G. HOFFMAN (University of Cambridge), die über Strategien zur Bekämpfung politischer Gewalt im Deutschen Kaiserreich referierte und dabei besonders auf die symbolische Bedeutung und mediale Inszenierung politischer Attentate einging. Sie verwies darauf, dass zwar kein bedeutender Repräsentant des Deutschen Reichs politischen Attentaten zum Opfer gefallen sei, dass die transnationale Rezeption entsprechender Ereignisse sich jedoch erheblich auf den Ausbau der innerdeutschen Sicherheitsapparate auswirkte. Im dritten Vortrag unternahm HOLGER MARCKS (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main) eine diskursgeschichtliche Annäherung an den Anarchismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Er verwies darauf, dass es sich bei der Rezeption des Anarchismus um eine "history of misunderstandings" handele und zeigte, dass es eine äußerst heterogene Bewegung gewesen sei, deren Wahrnehmung als kohärentes Terrornetzwerk besonders auf öffentliche und sicherheitspolitische Diskurse zurückzuführen ist. Er machte darauf aufmerksam, dass diese Interpretationsmuster nicht immer mit den anarchistischen Quellentexten vereinbar sind. Im vierten Vortrag untersuchte TINA HANNAPPEL (Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main) am Beispiel zeitgenössischer Auseinandersetzungen mit dem Anarchismus, Auslieferung und Ausweisung als Instrumente gegen politische Kriminalität in Recht und Praxis des späten 19. Jahrhunderts. Aufgrund des unterschiedlichen Grades der Verrechtlichung wies sie ihnen unterschiedliche Funktionen innerhalb transnationaler Strafrechtsregime zu. Während die Auslieferung von völkerrechtlichen Normen stark beeinflusst war, interpretierte sie die polizeiliche Ausweisung als flexibles Instrumentarium gegen politische Kriminalität.

Daran anknüpfend beschäftigten sich die Vorträge des zweiten Panels mit der Formierung transnationaler Strafrechtsregime mit einem Schwerpunkt auf den Themenfeldern Auslieferung und Asyl. Der Vortrag von DIEGO NUNES (Universidade Federal de Uberlândia) beschäftigte sich mit Auslieferung und dem ‘International Fight against Crime’ im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei erweiterte er die Fragestellung des Workshops auf Phänomene der Rechtsgeschichte Lateinamerikas. BRADLEY MILLER (University of British Columbia, Vancouver) sprach über die Entwicklung der Auslieferungs- und Asylpolitik im britischen Empire im langen 19. Jahrhundert. Zentrale Themen waren dabei zum einen die transnationale Zirkulation und Implementierung kriminalpolitischer Modelle wie dem politischen Asyl und ihr Einfluss auf die sich im 19. Jahrhundert ausbildenden nationalstaatlichen Identitäten der britischen Kronkolonien und Dominions. Dabei ging er besonders auf die Rolle des Zivilisationsbegriffes in der Auslieferungs- und Asylpolitik ein. In Kanada bildeten sich dabei vom britischen Mutterland abweichende Normen und Praktiken heraus, so dass selbst innerhalb des politischen Gefüges des Empires keine kohärente normative Ordnung bestand. CONRAD TYRICHTER (Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main) beschäftigte sich mit Normen, Institutionen und Verfahren grenzübergreifender Strafverfolgung im Deutschen Bund mit einem Schwerpunkt auf der Verfolgung von politischer Kriminalität. Er versuchte dabei die Formierung einer Normativen Ordnung transnationaler Strafrechtsregime in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Deutschen Staatenwelt zu beschreiben, die sowohl von der Tradition des Ius Commune, als auch von neueren Entwicklungen des französischen Rechts beeinflusst war, deren Ergebnis jedoch kein konsistentes Rechtssystem war. Institutionalisierte Kooperationen waren selbst zwischen den stark verwobenen Deutschen Staaten überwiegend gegenstandsbezogen, fragil und kurzlebig und von Versicherheitlichungsprozessen und Entsicherheitlichungsprozessen geprägt, worin er ein Charakteristikum transnationaler Strafrechtsregime sah.

Die beiden Beiträge des dritten Panels beschäftigten sich mit den Themenfeldern Polizei und transstaatliche Polizeikooperation: GEIR HEIVOLL (Norwegian Police University College, Oslo) gab anhand der skandinavischen Straf- und Polizeigesetzgebung des späten 19. Jahrhunderts ein Beispiel für das interdependente und ambivalente Verhältnis von Normen, Diskursen und Praktiken innerhalb von Sicherheitsregimen. Charakteristisch für das skandinavische Beispiel sei dabei das Nebeneinander verschiedener normativer Sphären, wobei insbesondere „Polizei“, verstanden als umfassendes gesellschaftliches Sicherheits- und Ordnungskonzept, eine eigene, parallel zum positiven Recht bestehende Form von Rationalität und Legitimität bildete. Im Blick auf grenzübergreifende Kooperationen verwies er darauf, dass besonders einzelne, außergewöhnlich Ereignisse als Auslöser und Bezugspunkte grenzübergreifender Kooperationen zu betrachten seien. JANNIK PFISTER (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main) beschäftigte sich anhand von Fallbeispielen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Wechselspiel von Normen, Diskursen und Praktiken bei grenzübergreifenden Polizeikooperationen. Dabei ging er auf die Rolle grenzübergreifend vernetzter „Epistemic Communities“ bei der Verbreitung von Sicherheitsdiskursen und –praktiken ein und beschrieb hieran den normativen Gehalt informeller Kooperationen und Kontakte. Die Legitimationsbasis der sich formierenden transnationalen Regime seien dabei weniger in Recht und Politik, als vielmehr in einer Effizienzsteigerung der administrativen und polizeilichen Praxis zu verorten.

Die Vorträge des vierten Panels beschäftigten sich der Formierung und Wirkung transnationaler Regime mit einem Schwerpunkt auf Diskursen. CAROLA DIETZE (Justus-Liebig-Universität, Gießen) sprach über die staatlichen und gesellschaftlichen Reaktionen auf das Attentat von Felice Orsini auf Napoleon III 1858. Dieses verstand sie wegen seiner auf öffentliche Reaktionen ausgelegten Zielsetzung und symbolischen Inszenierung als erstes modernes politisches Attentat. SYLVIA KESPER-BIERMANN (Universität zu Köln) thematisierte die Formierung eines transnationalen Anti-Folter Regimes zwischen dem späten 18. Jahrhunderts und der UN-Antifolterkonvention 1984. Dabei verwies sie besonders auf Emotionen, die besonders populäre Diskurse dominierten, und untersuchte ihren Einfluss auf die Formierung dieses Regimes. DANIEL KAISER (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main) referierte über transnationale Kooperationsstrukturen antikolonialer Befreiungsbewegungen in Mosambik. Dabei beschäftigte er sich insbesondere mit dem Konzept der Diffusion von Normen anhand von Diskursen über gewaltsamen Widerstand.

Abschließend stellte MASSIMO MECCARELLI (Università di Macerata) das Projekt „Thinking Transnationalisation of Criminal Law: The Juridical Thought on Political Crime and International Defence against the Crime between 19th and 20th Century“ und WOUTER KLEM (Universiteit Utrecht) das Projekt „Securing Europe, Fighting its Enemies 1815-1914: The Making of a Security Culture in Europe and Beyond“ vor.

Trotz der verschiedenen disziplinären und methodischen Zugänge lieferten die Präsentationen eine vielversprechende Basis für weiterführende Diskussionen und Forschungsansätze zum Zusammenhang zwischen transnationalen Strafrechts- und Sicherheitsregimen und der Ausformung internationaler normativer Ordnungen. Die Beiträge zeigten, dass es seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert immer wieder Initiativen für eine Verrechtlichung des Umgangs mit grenzübergreifenden Sicherheitsbedrohungen gab. Kohärente normative Ordnungen formierten sich jedoch kaum. Stattdessen bildeten sich zeitlich, räumlich und thematisch begrenzte Bündel von Normen, Institutionen und Verfahren aus, die sich als „Regime“ beschreiben lassen. Für diese ist das Nebeneinander formeller und informeller Verfahren charakteristisch, das von ambivalent wirkenden sicherheits- und kriminalpolitischen Konzepten und Rationalitäten geprägt ist. Diese „Regime“ stehen dabei in erheblicher Wechselwirkung mit öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen. Eine Publikation ausgewählter Beiträge ist geplant.

Konferenzübersicht:

Introduction

Karl Härter (Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main): The Formation of Transnational Criminal Law Regimes

Nicole Deitelhoff (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main): Transformation of Normative Orders: The Transnationalization of Rule and Resistance

Panel I: Reactions to Anarchism and Political Violence in the 19th and 20th Centuries

Richard Bach Jensen (Northwestern State Universit, Natchitoches): The International Battle against Anarchist Terrorism, 1878–1934

Rachel G. Hoffman (University of Cambridge): Preventing Assassination in Nineteenth-Century Germany

Holger Marcks (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main): „Who’s the Criminal?“ Anarchist Violence and the Conflict of Law Regimes

Tina Hannappel (Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main): Exradition and Expulsion as a Means to Fight Anarchism in the Late 19th Century

Panel II: Asylum and Extradition in the 19th and 20th Centuries

Diego Nunes (Federal University of Uberlândia): Extradition and the „International Fight against Crime“ in the 19th and 20th Century

Bradley Miller (University of British Columbia, Vancouver): Law Formation: Ideas of Civilization and Asylum in the Common Law World. Jurisprudence of Extradition, 1819-1914

Jean Conrad Tyrichter (Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main): Cross-border prosecution of political crime within the German Federation in the “Vormärz” period, 1830-1848

Panel III: Transnational Police and Policing

Geir Heivoll (Norwegian Police University College, Oslo): Continuity and change in the distinction between policing criminal law and police law in Scandinavia, 1880-1914

Jannik Pfister (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main): Protest Policing and Countering Violent Radicalization as Transnational Bureaucratic Rule

Panel IV: Construction of Terrorism and Transnational Normativity

Carola Dietze (Justus-Liebig-Universität, Gießen): The Reactions of France to the Attempted Assasination of Napoleon III by Felice Orsini

Sylvia Kesper-Biermann (Universität zu Köln): Emotions and Transnational Criminal Law Regimes: The United Nations Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CAT) 1984

Daniel Kaiser (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main): Terrorists or Freedom Fighters? International Norms on Terrorism and their Meaning for the Use of Violence by Mozambique’s Liberation Movement

Presentation of Current Research Projects

Massimo Meccarelli (University of Macerata): Thinking Transnationalisation of Criminal Law: The Juridical Thought on Political Crime and International Defence against the Crime between 19th and 20th Century

Wouter Klem (Utrecht University): Securing Europe, Fighting its Enemies, 1815-1914


Editors Information
Published on
21.05.2015
Classification
Regional Classification
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Conf. Language(s)
German
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