Homogenizing Southeastern Europe: Balkan Wars, Ethnic Cleansing and Postwar Ethnic Engineering since 1912

Homogenizing Southeastern Europe: Balkan Wars, Ethnic Cleansing and Postwar Ethnic Engineering since 1912

Organizer(s)
Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien; Stanley Burton Centre for Holocaust and Genocide Studies, University of Leicester
Location
Wien
Country
Austria
From - Until
08.11.2012 - 10.11.2012
Conf. Website
By
Adamantios Skordos, Universität Wien

Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Ausbruchs der Balkankriege von 1912-1913 organisierten das Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien und das Stanley Burton Centre for Holocaust and Genocide Studies der University of Leicester gemeinsam eine internationale Konferenz zur Geschichte von ethnischen Homogenisierungsprozessen im Südosteuropa des 20. Jahrhunderts. Diese von der Robert Bosch Stiftung geförderte Tagung unterschied sich in konzeptioneller Hinsicht deutlich von anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen, die ebenso 2012 zum besagten Balkankriegsjubiläum organisiert wurden.1 Die von ethnischen Säuberungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen gekennzeichneten Balkankriege der frühen 1910er Jahre wurden von den Tagungsorganisatoren PHILIPP THER (Wien), ALEXANDER KORB (Leicester) und SARAH LEMMEN (Wien) in einer innovativen Herangehensweise als Ausgangspunkt genommen, um die Vorgänge der ethnischen Homogenisierung Südosteuropas im ganzen 20. Jahrhundert aus einer ebenso vergleichenden wie interdisziplinären Perspektive zu untersuchen.

Zur Eröffnung erläuterte PHILIPP THER (Wien) den Grundgedanken hinter dem Tagungskonzept, indem er auf ein zweites wichtiges Jubiläum neben dem der Balkankriege verwies, nämlich auf das des Beginns des jüngsten großen Krieges auf europäischem Boden in Bosnien-Herzegowina vor zwanzig Jahren. Begleitet wurden diese beiden nicht nur für den Donau-Balkan-Raum, sondern für den ganzen europäischen Kontinent prägenden Ereignisse von großangelegten ethnischen Säuberungsaktionen, die darauf abzielten, die demographischen Daten mit der Vergrößerung nationalstaatlichen Territoriums in Einklang zu bringen. Ähnliche Vorgänge spielten sich in Südosteuropa auch während des Zweiten Weltkriegs ab, sodass man wohl berechtigt von einem regionalen Muster der Instrumentalisierung von Kriegssituationen zur Verfolgung langfristiger, über den Zeitraum der Kriegshandlungen erstreckender ethnopolitischer Zielsetzungen ausgehen darf. Allerdings sind die „friedlichen“ Jahrzehnte zwischen den Balkankriegen, dem Zweiten Weltkrieg und den Jugoslawien-Kriegen in Hinsicht auf das Streben nach ethnisch homogenen Nationalstaaten in Südosteuropa keineswegs als ein Intermezzo, sondern als eine Fortsetzung der gleichen Politik „mit anderen Mitteln“ zu betrachten. Demzufolge hob Ther die Bedeutung von staatlich initiierten Bevölkerungstransfers hervor, die in Südosteuropa entweder unmittelbar nach dem Ende von Kriegshandlungen oder auch in Zeiten eines lang anhaltenden Friedens erfolgten. Unter Verweis darauf bestimmte er die Untersuchung der kausalen Verknüpfung zwischen ethnischen Homogenisierungsvorgängen im Laufe von Kriegshandlungen und solchen in Nachkriegszeiten zu einem der zentralen Themen der Konferenz. In diesem Zusammenhang plädierte Ther auch für eine langfristigere Perspektive, aus der das südosteuropäische Konfliktgeschehen und die ethnischen Homogenisierungspolitiken und –praktiken in der Region zu betrachten und zu analysieren seien. Schließlich schlug Ther den diachronen und synchronen Vergleich als vielversprechende Herangehensweise für die drei großen Kriegsperioden (1910er und frühe 1920er Jahre/1940er Jahre/1990er Jahre) im Südosteuropa des 20. Jahrhunderts vor. Im Anschluss führte ALEXANDER KORB (Leicester) in die Struktur der Tagung ein, indem er über die thematischen und zeitlichen Schwerpunkte der einzelnen Panels informierte – ein aus Sicht der Konferenzteilnehmer hilfreiches, die „innere Logik“ der Tagung aufzeigendes Vorgehen, das man leider allzu oft bei wissenschaftlichen Großveranstaltungen vermisst.

Das erste Panel („Ethnicized Warfare“) setzte sich mit der ethnischen Motivationsgrundlage von Akteuren auseinander, die in verschiedenen Zeitabschnitten des 20. Jahrhunderts am südosteuropäischen Konfliktgeschehen beteiligt waren. TAMARA SCHEER (Wien) konzentrierte sich in ihrem Beitrag auf die Veränderung des österreichischen Südslawenbildes nach dem Ersten Balkankrieg. Während Wien bis zu diesem Zeitpunkt das südslawische Element Österreich-Ungarns für einen Verbündeten in seinen Expansionsbestrebungen in Richtung Südosteuropa hielt, betrachteten von nun an die deutschsprachige Presse sowie die politische Führung der Doppelmonarchie „ihre“ südslawische Bevölkerung als einen „inneren Feind“, der den Zusammenhalt des Vielvölkerreichs untergrabe. Folge dieser Veränderung in der österreichischen Wahrnehmung der Südslawen war, dass während des Ersten Weltkriegs hauptsächlich die Habsburger Serben Opfer diskriminierender Maßnahmen, darunter auch von Zwangsumsiedlungen, wurden. JOHN PAUL NEWMAN (Maynooth) präsentierte in seinem Vortrag die interessante These einer Kausalitätsbeziehung zwischen der unvollständigen „Abrüstung“ – sowohl in militärischer als auch psychologischer Sicht – der südslawischen Habsburger Offiziere nach 1918 und ihrem gewalttätigen Vorgehen gegen Angehörige ethnischer Minderheiten in Kroatien, Kosovo und Vardar-Makedonien nach Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen. Die Ustaša und ihre ethnische Säuberungspolitik ab 1941 war das Thema des Beitrags von ALEXANDER KORB (Leicester). Er bot einen spannenden Überblick über zahlreiche Umsiedlungs- und Vertreibungspläne, die seitens des Regimes von Ante Pavelić teils umgesetzt wurden, teils aber auch unrealisiert blieben. In diesem Zusammenhang unterstrich und demonstrierte Korb den utopischen Charakter vieler dieser Konzepte. Das erste Panel schloss TOMISLAV DULIĆ (Uppsala) mit einem politikwissenschaftlich angelegten Konzeptualisierungs- und Erklärungsversuch der Anfang der 1990er Jahre in Bosnien und Herzegowina gegen Zivilisten verübten Gewalt ab. Er konnte anhand von statistischen Daten überzeugend darlegen, dass auf einer Makroebene die Urheber ethnischer Säuberungen vorwiegend von militärischen und geopolitischen Überlegungen und weniger von einem ungebändigten ethnischen Hass getrieben wurden. In seinem Kommentar stellte PHILIPP THER (Wien) u.a. die Frage nach der Politisierung ethnischer Kategorien in Kriegszeiten und nach den Methoden der Erfassung und Untersuchung der politischen Instrumentalisierung von Ethnizität.

Zu den Höhepunkten der Konferenz gehörte der darauffolgende Abendvortrag von THEODORA DRAGOSTINOVA (Ohio) zum Thema „Politics and Limits of Nationalization: A View from Below“. Am Beispiel der griechischen bzw. hellenophonen Emigranten aus Bulgarien Anfang des 20. Jahrhunderts konnte Dragostinova erhellende Einblicke in die Entscheidungsfindung und Gefühlswelt einzelner Individuen gewähren, die sich infolge zwischenstaatlicher Vereinbarungen oder lokaler Gewaltanwendung mit der Erfahrung der Entwurzelung aus den Heimatorten und der Umsiedlung in einen zwar auf dem Papier „eigenen“, dennoch in der Praxis „fremden“ Nationalstaat konfrontiert wurden. Sofern sie die Wahl hatte und der Druck seitens der bulgarischen Titularnation nicht allzu erdrückend war, entschied sich laut Dragostinova die Mehrheit der griechischsprachigen Bevölkerung Bulgariens für einen Verbleib in Varna, Plovdiv bzw. den Siedlungsgebieten am Schwarzen Meer.

Panel II („Unmixing Peoples: National Policies and International Context“) behandelte Pläne zur Aus- und Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen, die unter internationaler Aufsicht und auf der Basis bilateraler völkerrechtlicher Vereinbarungen erfolgen sollte. HAKEM RUSTOM (Ann Arbor) gab einen spannenden Einblick in die während der ersten Hälfte von 1923 durchgeführte Korrespondenz der türkischen Regierung mit ihrer unter der Führung Ismet Inönüs sich in Lausanne befindenden Vertretung, in der die Möglichkeit der Einbeziehung der armenischen Bevölkerung in das Lausanner griechisch-türkische Bevölkerungsaustauschabkommen untersucht wurde. Der Beitrag von VIOREL ACHIM (Bukarest/Jena) thematisierte ebenso staatliche Bevölkerungsaustauschpläne in Südosteuropa, insbesondere die rumänischen der Regierung Ion Antonescus in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Lausanner Konvention von 1923 zum obligatorischen Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei hatte einen Präzedenzfall im Völkerrecht und in den internationalen Beziehungen geschaffen, den Bukarest nun bemühte, um mit Bulgarien und Jugoslawien ähnliche Abkommen zu schließen. Die Abschiebung der serbischen und bulgarischen Minderheiten bei gleichzeitiger Ansiedlung der außerhalb des rumänischen Staatsterritoriums lebenden Aromunen sollte aus Bukarester Sicht das ethnische Homogenisierungsprojekt Rumäniens vorantreiben. CATHIE CARMICHAEL (Norwich) besprach schließlich die Ursachen für die Radikalisierung der serbischen Bosnien- und Kroatienpolitik Anfang der 1990er Jahre. Sie gelang zur Schlussfolgerung, dass einem sich vor allem von der Četnik-Tradition stark inspirierten serbischen Nationalismus eine muslimische Bevölkerung in Bosnien entgegenstand, die auf die Eskalation der ethnischen Frage völlig unvorbereitet war. CONSTANTIN IORDACHI (Budapest/Jena) stellte im Kommentar die Frage nach den Aspekten, die die Natur „nationaler Fragen“ in Südosteuropa, wie etwa die der armenischen oder der kroatischen, ausmachen, sowie nach deren historiographischen Konstruktionscharakter.

Die erste Sektion von Panel III („Postwar Ethnic Engineering“) setzte sich mit Politiken und Praktiken der ethnischen Homogenisierung nationalstaatlichen Territoriums in Nachkriegszeiten auseinander, wobei der zeitliche Schwerpunkt auf der Zwischenkriegszeit lag. THOMAS SCHAD (Berlin) beschrieb die Versuche des nach dem ersten Weltkrieg gegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen bzw. Jugoslawiens, seine kosovarischen und vardar-makedonischen Gebiete von der starken Präsenz einer albanischsprachigen Bevölkerung zu „entlasten“. Diese Versuche kulminierten 1938 in einem jugoslawisch-türkischen Abkommen zur Emigration der „Türken Südserbiens“, das allerdings aufgrund des Todes Kemal Atatürks und des kurzfristig danach erfolgten Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs nie in die Praxis umgesetzt wurde. ULF BRUNNBAUER (Regensburg) zeigte am jugoslawischen Beispiel, wie im Südosteuropa der Zwischenkriegszeit die Ziele der Homogenisierung nationalstaatlichen Territoriums und der Forderung des Nationsbildungsprozesses nicht nur mittels ethnischer Säuberungen und völkerrechtlich geregelter Bevölkerungstransfers, sondern auch anhand einer gezielten Migrations- und Diasporapolitik vorangetrieben wurden. Der Vortrag von NADA BOŠKOVSKA (Zürich) skizzierte wiederum die großen Probleme Serbiens in den 1920er Jahren, das in den Balkankriegen von 1912-1913 dazu gewonnene Vardar-Makedonien zu „serbisieren“. Die Projekte der Kolonisierung „Südserbiens“ und die Stiftung einer serbischen Nationalidentität bei der einheimischen Bevölkerung scheiterten an einer Reihe von Hindernissen, wie etwa den begrenzt zur Verfügung stehenden Finanzmitteln oder der sehr hohen Analphabetismusrate in der Region. Im letzten Beitrag dieser Panelsektion ging es erneut um das Makedonien der Zwischenkriegszeit. ELISABETH KONTOGIORGI (Athen) beschrieb, wie der griechische Staat Anfang der 1920er Jahre die aus Kleinasien geflüchteten bzw. vertriebenen Griechen gezielt in Ägäis-Makedonien ansiedelte. Wie Belgrad im makedonischen „Südserbien“ verfolgte auch Athen in den kurz zuvor in Griechenland inkorporierten „neuen Ländern“ das Ziel der Veränderung der ethnischen Verhältnisse. UĞUR ÜMIT ÜNGÖR (Utrecht) hinterfragte in seinem Kommentar die Möglichkeit, ob nur auf das theoretische und methodologische Konzept des „Demographic Engineering“ zurückgreifend alle Aspekte und Vorgänge des in sich sehr dynamischen Prozesses der Veränderung des nationalen Charakters eines Gebietes erfasst werden können.

Die zweite Sektion von Panel III stellte sowohl in inhaltlicher als auch zeitlicher Hinsicht eine Fortsetzung der vorhergegangen vier Beiträge zum Thema „Postwar Ethnic Engineering“ dar. VLADAN JOVANOVIĆ (Belgrad) zog einen Vergleich zwischen den Versuchen des monarchistischen Jugoslawiens, seine albanischsprachigen Muslime zur Auswanderung in Richtung Türkei zu bewegen, und denen gleicher Zielsetzung, die das kommunistische Regime Tito nach dem Zweiten Weltkrieg unternahm. Die Motive, die hinter der Titoschen Politik gegenüber der albanischen Bevölkerung steckten, waren im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit weit weniger nationaler als vielmehr ideologischer Natur. Desgleichen galt auch für die Deutschen und Ungarn der Vojvodina, die, wie MICHAEL PORTMANN (Wien) im anschließenden Vortrag aufzeigte, ebenso von Belgrader Seite als „unerwünscht“ betrachtet wurden. Die Säuberung der Vojvodina von den „feindlichen“ Elementen wurde von einem gleichzeitigen Kolonisierungsunternehmen der Region mit regimetreuen Serben begleitet. Schließlich besprach CAROLIN LEUTLOFF-GRANDITS (Graz) die in Kroatien und Bosnien aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Bestimmungen des Dayton-Abkommens zur Rückgängigmachung der ethnischen Säuberungen, die im Laufe der Jugoslawien-Kriege stattgefunden hatten. In seinem Kommentar hinterfragte u.a. JOSIP GLAURDIĆ (Cambridge) die „humanen“ Motive „westlicher“ Politiker in Bezug auf ihre Entscheidung zur Rückgängigmachung der ethnischen Säuberungen in Jugoslawien ab 1995. In seiner Sicht waren sie in ihrer Herangehensweise viel „zynischer“ und sie operierten viel „klinischer“ als in der Regel angenommen.
Sehr positiv hervorzuheben ist die Idee der Tagungsorganisatoren, jungen, vorwiegend an südosteuropäischen, schwedischen und österreichischen Universitäten tätigen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, ihre Promotionsvorhaben vor einem ausgewiesenem Publikum zu präsentieren. Es würde leider den Rahmen dieses Berichts sprengen, wenn hier auf die insgesamt zwölf Forschungsvorhaben, die im Laufe eines Nachmittags vorgestellt wurden, näher eingegangen würde. An dieser Stelle kann lediglich die Quintessenz aus der überaus positiven Aufnahme dieser Arbeiten wiedergegeben werden: Die zeithistorische Forschungsarbeit, die an südosteuropäischen Universitäten mittlerweile stattfindet, ist von dem hohen Politisierungsgrad und den nationalistischen Perspektivverzerrungen früherer Zeiten weitgehend befreit.

In ihren abschließenden Bemerkungen fassten PHILIPP THER (Wien) und ALEXANDER KORB (Leicester) die wichtigsten Erkenntnisse zusammen, die aus den Konferenzbeiträgen und den darauf bezogenen Diskussionen gewonnen werden konnten. Insbesondere unterstrich Ther die Notwendigkeit, dass zukünftige Forschungsarbeiten die staatlich organisierten Ansiedlungsprojekte stärker berücksichtigen sollten statt sich ausschließlich auf die Vorgänge von Vertreibung und Aussiedlung zu konzentrieren. Im Weiteren verwies er darauf, dass in mehreren Fällen ethnischer Gewalt die Täter in früherer Zeit selbst Opfer von ethnischen Säuberungen gewesen seien. Bezeichnend dafür ist das Beispiel makedonischer Flüchtlinge, die nach dem erfolglosen Ilinden-Aufstand von 1903 gegen die Osmanen und vor der zunehmenden Aktivität griechischer Banden nach Bulgarien flüchteten. Einige Jahre später führten diese Vertriebenen die antigriechischen Pogrome in bulgarischen Städten der Schwarzmeerküste an und zwangen ca. 20.000 Griechen, Bulgarien zu verlassen. Korb plädierte schließlich dafür, die Perspektive über den regionalen Tellerrand hinweg zu öffnen und ethnische Homogenisierungsprozesse in Südosteuropa mit ähnlichen Entwicklungen in anderen Teilen der Welt zu vergleichen.

Die Frage nach einer Spezifität des Donau-Balkan-Raumes in Hinsicht auf ethnopolitische Gewalt als Motor nationaler Homogenisierungsprozesse gehört zu den umstrittensten Themen überhaupt innerhalb der Südosteuropaforschung. Sehr schnell können sich Autoren von Studien und Organisatoren von Tagungen, die sich mit diesem oder ähnlichen Phänomenen beschäftigen, dem Vorwurf der Wiederbelebung eines anachronistischen „Balkanismus“ ausgesetzt sehen. Tatsächlich gab es nicht nur in Südosteuropa ethnisch motivierte und staatlich initiierte Gewalt während des 19. und 20. Jahrhunderts und die Ausmaße gewaltbedingter humanitärer Katastrophen auf anderen Teilen des europäischen Kontinents sind mindestens mit denen in seinem südöstlichen Teil vergleichbar, gemessen in absoluten Zahlen sogar weit größer als jene, die etwa durch die Balkankriege von 1912/13 oder während des Zerfalls Jugoslawiens in den 1990er Jahren verursacht wurden. Das Phänomen ethnopolitisch begründeter Gewalt ist keinesfalls ein negatives Alleinstellungsmerkmal Südosteuropas. Was allerdings Südosteuropa in dieser Hinsicht wesentlich vom übrigen Europa unterscheidet ist, dass in dieser „peripheren“ Region ethnopolitische Gewalt in einer ausgeprägten Form früher in Erscheinung trat, was wiederum mit der Durchsetzung im spät- und postosmanischen Donau-Balkan-Raum eines auf sprachlich-kulturellen Kriterien basierenden, in seinem Verständnis von Nation ethnisch eingeengten „Volksnationalismus“ in enger Verbindung steht. Das Ziel der Eliten der neuen südosteuropäischen Nationalstaaten, ihr Territorium ethnisch zu homogenisieren und innerhalb dessen Grenzen die Gesamtheit der Angehörigen der eigenen ethnischen Gruppe einzuschließen, kollidierte mit der multiethnischen Realität in der Region. Es war in der Tat Südosteuropa, insbesondere sein balkanisches Kerngebiet, auf dem in der anbrechenden Ära der Nationalstaaten das Ziel ethnisch homogener Territorien mit größtem Nachdruck verfolgt wurde. Timothy Snyder hält in einem unlängst geäußerten Plädoyer für eine europäische Geschichtsschreibung aus balkanischer Perspektive diesbezüglich Folgendes fest: „[D]uring the long nineteenth century the nation-state in fact emerged in the Balkans. Many of the classic questions of membership in the state and the definition of nation were posed earlier and perhaps even more articulately in the Balkan cases than they were in Germany or even in France.“2

Zu den großen Verdiensten der internationalen Konferenz „Homogenizing Southeastern Europe“ zählt zweifelsohne, dass sie zahlreiche Aspekte dieser Problematik nicht nur aufzeigen, sondern auch aus verschiedenen und vor allem neuen Perspektiven belichten konnte. Eine Einbeziehung des 19. Jahrhunderts hätte allerdings zum besseren Verständnis der Ursprünge, „Logik“ und Mechanismen der ethnischen Homogenisierungsprozesse, die in Südosteuropa im „Zeitalter der Extreme“ stattfanden, wesentlich beigetragen. Die von Ther vorgeschlagene longue-durée-Perspektive sollte auf jeden Fall bei der Konzeption der nächsten Tagung zu einem ähnlichen Thema weiter nach hinten ausgedehnt werden.

Programm
Welcome and Opening Remarks: Alexander Korb (University of Leicester), Philipp Ther (Universität Wien)

Panel I: Ethnicised Warfare
Chair: Cathie Carmichael (University of East Anglia)
Tamara Scheer (Universität Wien): Why can the Conflicts in the Balkans (1912-1918) be called an Ethnicized Warfare?
John Paul Newman (NUI Maynooth): Nationalizing Wars and Paramilitarism in the Balkans 1914-1939
Alexander Korb (University of Leicester/Imre Kertész Kolleg Jena): Peculiarities of the Southeastern European Warzone During WWII and Beyond (1941-1948)
Tomislav Dulić (University of Uppsala): Ethnic Violence in Bosnia and Herzegovina: Control, Security and Civilian Deaths in the 1990s
Comment Philipp Ther (Universität Wien)

Key Note Lecture: Theodora Dragostinova (Ohio State University): Politics and Limits of Nationalization: A View From Below

Panel II: Unmixing Peoples: National Policies and International Context
Chair: Ulf Brunnbauer (Universität Regensburg)
Hakem Rustom (University of Michigan): Balkan Wars, Anatolian Echoes: The Lausanne Treaty and the Armenian Population
Viorel Achim (Nicolae Iorga Institute of History in Bucharest/Imre Kertész Kolleg Jena): International Aspects of Romanian Population Policies, 1940-1944
Cathie Carmichael (University of East Anglia): The International Community, Local Actors and Ethnic Homogenization in the Western Balkans in the 1990s
Comment Constantin Iordachi (CEU/Imre Kertész Kolleg Jena)

Panel III/1: Postwar Ethnic Engineering
Chair: Carolin Leutloff Grandits (HU Berlin/Universität Graz)
Section 1: Interwar Yugoslavia and Turkey
Thomas Schad (FU Berlin): Demographic Engineering in Interwar Yugoslavia and Turkey
Ulf Brunnbauer (Universität Regensburg): Excluding 'Alien Elements', including 'our Emigrants': Migration Policies and National Homogenization in Interwar Yugoslavia
Elisabeth Kontogiorgi (Academy of Athens): The Policies of Ethnic Homogenization and Settlement of Greek Orthodox Refugees in Northern Greece, 1912-1940
Nada Boskovska (Universität Zürich): Ethnic Homogenization of Yugoslav Macedonia in the 1920s
Comment Uğur Ümit Üngör (Utrecht University)

Young Scholars Forum: Roundtable and Project presentation
Chair: Alexander Korb (University of Leicester/Imre Kertész Kolleg Jena)
Eva Frantz (Universität Wien): Muslims and Christians in late Ottoman Kosovo. Life-worlds and Social Communication in the beginnings of an Ethnopolitical Conflict, 1870-1913
Selim Bezeraj (University of Prishtina): Political, Social and Cultural History of the Austro-Hungarian presence in Albanian territories 1912-1914
Deniver Vukelić (University of Zagreb): Censorship in Yugoslavia between 1945 and 1952
Jelena Lilić (Belgrade University / Stockholm University): Post-War Transitional Justice in Bosnia and Herzegovina, 1944-47/1995 (M.A.)
Goran Miljan (University of Zagreb/ CEU Budapest): A Resurrected State: Poglavnik, Ustasha, and the Croatian Nation
Dragan Cvetković (Belgrade): War Victims in Yugoslavia 1941–1945, Genocide and Holocaust, Ethnic Cleansing and Forced Migration – an Attempt of Quantification by Personal Identification
Idrit Idrizi (Universität Wien): The Totalitarian Project of Homogenizing the Society and „Eigen-Sinn“ in late-Socialist Albania
Hans Lempert (Universität Wien): The Balkan Wars as a Pivot Point of Albanian Nationalism
Odeta Barbullushi (European University of Tirana): Of Celebrations and National Forgetting: ‘1912’ in Albanian Political Discourse
Iva Lučić (Uppsala University): From Religion To Nation. Ambiguous Nation-Building Process Of Muslims In Socialist Yugoslavia, 1960-1981
Marina Ilić (University Of Belgrade / University Of Lille): Theoretical Synthesis Between Realism And Constructivism In International Relations, With Particular Emphasis On The Origins Of War In Croatia 1991-1995
Dario Brentin (Universität Graz/University College London): Sport And Narratives Of National Identity In Post-Socialist Croatia
Panel Iii/2 Postwar Ethnic Engineering
Chair: Adamantios Skordos (Universität Wien)
Section 2: Fascism, National Communism And Beyond, 1945-50
Vladan Jovanović (Institute For Modern History Of Serbia, Belgrade): Comparative Perspectives On Muslim Emigration From Monarchist And Socialist Yugoslavia (1938/1953)
Michael Portmann (Austrian Academy Of Sciences, Wien): Flight, Internment, And Colonization: Migrations And Migration Policy In The Yugoslav Vojvodina 1944-1950
Carolin Leutloff Grandits (Hu Berlin/Universität Graz): Post-Dayton Ethnic Engineering
Comment: Josip Glaurdić (University Of Cambridge)

Final Discussion

Anmerkungen:
1 Vgl. Die Balkankriege 1912/13: Eine europäische Krise im Rückblick nach 100 Jahren, 30. und 31.10.2012, Landesverteidigungsakademie Wien, http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=HABSBURG&month=1210&week=b&msg=St3tp2XHhGM7Ui1eBisLIgXHhGM7Ui1eBisLIg (10.12.2012). The Balkan Wars 1912/13. Experience, Perception, Remembrance, Center for Balkan and Black Sea Studies/Yildiz Technical University, Istanbul; Department of History, University of Regensburg; Institute for East and Southeast European Studies (IOS), Regensburg, 11.10.2012-13.10.2012, Istanbul, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=20183 (10.12.2012).
2 Timothy Snyder, The Birth of Nations, in: IWMpost (2011), 107, S. 11.

Contact (announcement)

Adamantios Skordos
Institut für Byzantinistik und Neogräzistik
Universität Wien
Email: adamantios.skordos@univie.ac.at


Editors Information
Published on
14.12.2012
Classification
Temporal Classification
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Conf. Language(s)
German
Language