Diasporas as Translocal Societies

Diasporas as Translocal Societies

Organizer(s)
Dagmar Freist, Universität Oldenburg; Susanne Lachenicht, Universität Bayreuth; Klas Nyberg, Universität Uppsala; Forschungsverbund „Networks, Economic and Social Interaction and Cultural Transfer in Northern Europe“ (NESICT)
Location
Oldenburg
Country
Germany
From - Until
01.09.2011 - 03.09.2011
Conf. Website
By
Constantin Rieske, Institut für Geschichte, Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg; Jan Sommer, Universität Bayreuth; Maximilian Krogoll, Universität Bayreuth

“Diasporas as Translocal Societies” – Diasporas als translokale Gesellschaften – lautete das Thema einer internationalen Konferenz, die unter der Leitung von Dagmar Freist, Susanne Lachenicht und Klas Nyberg vom 1. bis 3. September an der Universität Oldenburg durchgeführt wurde. Veranstalter waren das Institut für Geschichte und der Forschungsverbund NESICT (Networks, Economic and Social Interaction and Cultural Transfer in Northern Europe) unter finanzieller Beteiligung der Handelsbanken Research Foundation und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Ausgehend von neueren Forschungserkenntnissen, die den hohen Stellenwert von religiösen Minderheiten für ökonomische, soziale, politische und kulturelle Transformationsprozesse in der Frühen Neuzeit betonen, widmete sich die Konferenz der Frage, ob beziehungsweise inwieweit Studien zu religiösen Minderheiten zu einer Geschichtsschreibung jenseits nationaler Paradigmen beitragen könnten. Das Ziel der Konferenz war es, die internen und externen Netzwerke von einer Reihe von religiösen Diasporen sowie ihre Verflechtungen in einer komparativen Perspektive zu analysieren. WissenschaftlerInnen aus Deutschland, den USA, Schweden und Spanien thematisierten Diaspora-Gemeinden und Netzwerke von Herrnhutern, Hugenotten, Pietisten, Quäkern, sephardischen Juden, Muslimen, Mennoniten und niederländischen Calvinisten. Diaspora-Gemeinden waren durch vielfältige Netzwerke mit anderen „nationes“ und Regionen verbunden. Als translokale Gesellschaften wurden sie damit zu kulturellen Mittlern.

Nach der Begrüßung der Konferenzteilnehmer durch die Veranstalter widmete sich die erste Sektion ökonomischen, kulturellen und sozialen Netzwerken frühneuzeitlicher Täufer und Mennoniten. DAGMAR FREIST (Oldenburg) betrachtete dabei mennonitische Netzwerke und ihren interkulturellen Handel im frühneuzeitlichen Nordeuropa. Dieser verband ländliche Gebiete im Nordwesten Deutschlands, wie zum Beispiel Leer, ein Zentrum des Leinenhandels in der Frühen Neuzeit, mit den wachsenden globalen Märkten in Amsterdam und London. Entscheidend für die Aufrechterhaltung und den Ausbau des Handels war das Vertrauen zwischen den Mennoniten und ihren Geschäftspartnern innerhalb und außerhalb der Diaspora-Gemeinde. Diese ökonomischen Netzwerke beruhten dabei auf „uneasy trust relations“. Prozesse sozialen Wandels sowohl innerhalb der mennonitischen Gemeinden als auch der Region, in der sie ansässig waren, können dabei als Voraussetzungen und als Ergebnisse einer Translokalisierung verstanden werden. Diaspora-Gemeinden wären nach diesem Verständnis lokal und in sich geschlossen, aber auch lokal und „nach außen“, das bedeutet über ihre interne Gemeindestruktur hinaus geöffnet.

Im Anschluss stellte MARY SPRUNGER (Harrisonburg, Virginia) mennonitische Gemeinden im Amsterdam des sogenannten Goldenen Zeitalters in den Mittelpunkt ihres Vortrages. Anhand der Studie einer spezifischen mennonitischen Gemeinde zeigte sie, wie die führenden Familien ihre weitreichenden religiösen und verwandtschaftlichen Netzwerke geschickt für die Konsolidierung des innerfamiliären Kapitals und damit ihres Einflusses nutzten. Sprunger warf jedoch auch die Frage auf, ob beziehungsweise inwieweit überhaupt von einem oder mehreren „Netzwerken“ gesprochen werden könnte, oder ob die unterschiedlichen Tätigkeiten der mennonitischen Gemeindemitglieder nicht vielmehr als eine bloße Kumulation von wirtschaftlichen, religiösen und familiären Kontakten verstanden werden müssten.

In der Keynote Lecture widmete sich HERMANN WELLENREUTHER (Göttingen) Korrespondenzen bzw. lutherischen Netzwerken der Frühen Neuzeit. Dabei beschrieb Wellenreuther zunächst die Ausgangslage der 95 lutherischen Kongregationen in Nordamerika, so wie sie der deutsche lutherische Pastor und Missionar Henry Melchior Mühlenberg (1711-1787) bei seiner Ankunft in Philadelphia 1742 vorfand. Unorganisiert, weit verteilt und bis zu diesem Zeitpunkt kaum mit Pastoren versorgt, beanspruchten Hallesche und orthodoxe Pietisten sowie Herrnhuter den Führungsanspruch in den Kolonien. Mühlenberg geriet dabei in einen Konflikt mit Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, der die deutschen Protestanten in einem Rat der Kirchen einigen wollte. Mühlenberg behauptete sich, und mit der Durchsetzung des lutherischen Konfessionalismus waren nach 1760 die verschiedenen lutherischen Kongregationen voneinander abgetrennt. Wellenreuther machte deutlich, dass bei der Analyse der orthodoxen lutherischen Gemeinden keine Anzeichen für eine Netzwerkbildung gefunden werden könnten. Als translokale Gesellschaft könnte von den drei lutherischen Gemeinschaften in Britisch-Nordamerika insgesamt nur die Herrnhuter betrachtet werden, aber keineswegs die Halleschen Pietisten. Wellenreuther unterstrich daher in seinem Vortrag, dass das Konzept der translokalen Gesellschaften nicht überbetont werden dürfte.

PIA LUNDQVIST (Göteborg) eröffnete den zweiten Tag der Konferenz. Sie stellte jüdische Netzwerke und ihre ökonomischen Innovationen in Schweden im 18. und frühen 19. Jahrhundert vor und beleuchtete ihren Einfluss auf den Import, die Produktion und die Verteilung von Konsumgütern. Netzwerke bestanden sowohl innerhalb der jüdischen Gemeinde im multikulturell geprägten Göteborg als auch in Form transnationaler Handelsnetzwerke beispielsweise in Hamburg, Kopenhagen und London. Lundqvist betonte den hohen Stellenwert von „Vertrauen“ zwischen Mitgliedern der Netzwerke, das durch jüdische Mischehen und gemeinsames Unternehmenseigentum gefestigt werden sollte. Aufrechterhalten wurden die jüdischen Netzwerke in Schweden jedoch insbesondere durch die Tätigkeiten frühneuzeitlicher Hausierer, die neben der Verbreitung von Konsumgütern auch Prozesse des Kulturtransfers und vor allem eine Stabilisierung der Diasporagemeinde ermöglichten.

MANUEL F. FERNANDEZ CHAVES (Sevilla) stellte im Anschluss Genese und Schwächen der Netzwerke spanischer Moriscos zwischen 1568 und 1614 in den Mittelpunkt seines Vortrags. Prozesse der individuellen religiösen und nationalen Identitätsbildung und -bewahrung unter den Herausforderungen eines monarchischen Staates sowie die kulturelle Transformation der Netzwerke waren nach Chaves und Perez die Folgen der frühneuzeitlichen muslimischen Diaspora auf der iberischen Halbinsel. Während wachsende Mobilität, eine geschickte Heiratspolitik und (trans-)regionale Handelsnetzwerke zur Stärkung der Netzwerke führen konnten, waren sozioökonomische Kämpfe innerhalb der Gemeinschaft sowie kultureller Verlust, wie zum Beispiel das Verschwinden der arabischen Sprache, Gründe für die Schwächung einzelner Netzwerke der Diaspora-Gemeinschaft. Ebenso stellte sich die Frage, ob man im Kontext der granadischen Morisken überhaupt von einer Diaspora sprechen kann.

SÜNNE JUTERCZENKA (Rostock) betrachtete in der dritten Sektion der Konferenz die transatlantischen Kontakte von Quäkern im 17. und 18. Jahrhundert. Sie verwies darauf, dass nach wissenschaftlichem Konsens Quäker keine Diaspora seien, jedoch über einzelne Merkmale einer Diaspora, wie zum Beispiel einem kollektiven Gedächtnis und der Befürchtung um die Stabilität der Gemeinschaft, verfügen würden. Quäker würden ihre ökonomischen und sozialen Netzwerke gezielt nutzen, da ihr Minderheitenstatus ständig bedroht gewesen sei. Aufgrund dieser multifunktionalen Netzwerke, aber auch der Bildung einer kollektiven Identität als Diaspora-Gemeinschaft über ihre Schriften würden Quäker eine translokale Gesellschaft bilden.

Im sich anschließenden Vortrag von ROSALIND J. BEILER (Orlando, Florida), der die Korrespondenzen zwischen Quäkern und Pietisten im frühneuzeitlichen Europa in den Fokus nahm, wurde deutlich, wie beide Glaubensgemeinschaften über ihre Korrespondenzen die Rekrutierung von religiösen „Verbündeten“ und die Herausbildung funktionaler Netzwerke anstrebten. Beiler stellte auf der Basis einer mikrohistorischen Untersuchung der Korrespondenzen des Quäkers William Penn (1644-1718) und des Pietisten Heinrich Wilhelm Ludolf (1655-1712) dar, wie unterschiedliche religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit Korrespondenzen nutzten, um bestehenden Netzwerke zu festigen und zu erweitern.

SUSANNE LACHENICHT (Bayreuth) beschrieb in ihrem Beitrag zunächst die kosmopolitischen Handelsnetzwerke von Hugenotten und ihre Bedeutung für die Wirtschaft des atlantischen Raumes. Sie stellte heraus, dass diese Netzwerke nicht mit den Netzwerken der religiösen Diaspora der Hugenotten gleich zu setzen seien. Hugenottische Kaufleute bewegten sich in einem Spannungsfeld von wirtschaftlichen Interessen und konfessionellen Grenzen. Lachenicht betonte, dass diese Handelsnetzwerke zur Sicherung ökonomischer Vorteile auch durch Mischehen mit Anglikanern oder niederländischen Calvinisten und durch Konversionen gefestigt worden seien.

Im Anschluss daran stellte KLAS NYBERG (Uppsala) anhand des Beispiels von Stockholm im 18. Jahrhundert die Transformation der schwedischen Kaufmannselite dar. Die Migration gut ausgebildeter Arbeiter aus Europa nach Schweden aufgrund der Unterstützung durch die schwedischen Autoritäten führte nach Nyberg zu einem ökonomischen Aufschwung und einem rasanten Anstieg der transnationalen Handelsnetzwerke. Diese Netzwerke breiteten sich zwischen 1740 und 1765 von Schweden ausgehend über Nordeuropa aus und transformierten die traditionellen, auf Familienverhältnissen beruhenden Handelsnetzwerke. Am Beispiel der Kreditvergabe zeigte Nyberg, dass Vertrauen, neben der Ethnizität und Verwandtschaft, der entscheidende Faktor für die Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen frühneuzeitlichen Handelspartnern war.

Inwieweit Diaspora-Gemeinschaften auch von außen definiert und hergestellt werden konnten, betrachtete ALEXANDER PYRGES (Washington D.C.) anhand des Beispiels der sich in Georgia, USA um 1730 niedergelassenen Salzburger Exulanten und der transatlantischen Kommunikation ihrer protestantischen Förderer. Als Quelle dienten ihm dabei Tagebücher aus dem Zeitraum 1733 bis 1759, die allerdings nicht von den Exulanten selber gedruckt und veröffentlicht wurden, sondern von einer losen Fraktion verschiedener protestantischer Akteure, wie zum Beispiel Samuel Urlsperger, die die ihnen übermittelten Aufzeichnungen noch veränderten. Pyrges stellte klar, dass die Salzburger Exulanten keine Diaspora, sondern vielmehr eine weit verstreute, durch verwandtschaftliche Bindungen zusammen gehaltene Gemeinschaft gewesen seien.

Die fünfte und letzte Sektion der Konferenz wurde von GISELA METTELE (Jena) eingeleitet, die in ihrem Vortrag über die globalen Netzwerke der Herrnhuter Brüdergemeine im 18. und frühen 19. Jahrhundert berichtete. Mettele vermied bei der Beschreibung der Brüdergemeine den Begriff der Diaspora. Gleichwohl hätte die Zirkulation von Informationen im Rahmen der Gemeinnachrichten die global verstreuten Mitglieder der Herrnhuter verbunden. Über die Praktiken des Verfassens und Lesens der Nachrichten konnte ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt und damit die Basis für eine translokale Gemeinschaft ausgebildet werden.

ULRIKE GLEIXNER (Wolfenbüttel) widmete sich im Anschluss dem Halleschen Missionsnetzwerk mit einer topologischen Betrachtungsweise. Dabei dienten ihr Briefe innerhalb des Missionsnetzwerkes, insbesondere zwischen europäischen Unterstützern des Netzwerkes, als Quellengrundlage. Gleixner kam zu dem Schluss, dass durch die Aktivitäten der Pietisten aus Halle Europa und Indien in einem christlich-protestantischen Raum vereinigt werden sollten. Eine große Bedeutung käme dabei der Verbreitung von schriftlichen Medien des (Missions-)netzwerkes zu, die den europäischen und asiatischen Raum verbunden und somit Auswirkungen auf einen angestrebten gemeinsamen eschatologischen Raum gehabt hätten. Gleichzeitig wirkten die Aktivitäten der Hallenser Pietisten auch auf die Binnenstruktur des Netzwerkes zurück, indem neben Klerikalen und Adeligen zunehmend Bürger zu Unterstützer der missionarischen Aktivitäten wurden.

Konferenzübersicht:

Welcome: Dagmar Freist, Susanne Lachenicht, Klas Nyberg

Anabaptist and Mennonite networks
Chair: Susanne Lachenicht

Dagmar Freist (Oldenburg), Uneasy trust relations: Mennonite networks and cross-cultural trade in early modern northern Europe

Mary Sprunger (Harrisonburg, Virginia), The Allochthonous and Autochtonous Mennonite Community of Golden Age Amsterdam: Internal and Translocal Networks as a Factor in Prosperity

Keynote
Chair: Susanne Lachenicht (Bayreuth)

Hermann Wellenreuther (Göttingen), Lutheran Correspondence Networks

Jewish and Muslim Networks
Chair: Dagmar Freist

Pia Lundqvist (Göteborg), Jewish networks in 18th and early 19th century Sweden and economic innovation

Manuel F. Fernández Chaves (Sevilla), Cohesion and weaknesses of morisco comunitary networks between two exiles: 1568-1614

Quaker Networks
Chair: Dagmar Freist

Sünne Juterczenka (Rostock), The challenge of linking two worlds: Transatlantic Quaker connections during the seventeenth and eighteenth centuries

Rosalind J. Beiler (Orlando/FL), Catalogues of Friends: Correspondence Networks among Quakers and Pietists in Early Modern Europe

Lutheran and Calvinist Atlantic Networks
Chair: Rosalind J. Beiler

Susanne Lachenicht (Bayreuth), The Protestant International, commerce and the Huguenot network in an Atlantic perspective

Klas Nyberg (Uppsala/Stockholm), Financial Networks, Migration and the Transformation of the Merchant Elite in 18th Century Stockholm

Alexander Pyrges (Trier), Manufacturing Diaspora? The Salzburg Emigrants in the Transatlantic Communication of their Protestant Sponsors

The Moravians’ and Halle Pietists’ Networks
Chair: Hermann Wellenreuther (Göttingen)

Gisela Mettele (Jena), The global network of the Moravian Brethren in the eighteenth and early nineteenth century

Ulrike Gleixner (Wolfenbüttel/Berlin), Creating Space in Europe and India: The Halle Mission Network

Wrap up