Perspektiven für die internationale Geschichtswissenschaft. Die Deutschen Historischen Institute im Ausland

Perspektiven für die internationale Geschichtswissenschaft. Die Deutschen Historischen Institute im Ausland

Organizer(s)
Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands (VHD)
Location
Berlin
Country
Germany
From - Until
12.09.2011 -
Conf. Website
By
Christiane Reinecke, Sonderforschungsbereich 640, „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“, Humboldt-Universität Berlin

Dass die historische Forschung in Deutschland sich öffnen und sich ebenso globalgeschichtlichen Fragestellungen widmen wie in ihren Strukturen internationalisieren sollte – das ist, so scheint es, derzeit Konsens. In jedem Fall suggerierte das eine Tagung, die der Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands (VHD) gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA) unter dem Titel „Perspektiven für die internationale Geschichtswissenschaft. Die Deutschen Historischen Institute im Ausland“ am 12. September 2011 in Berlin veranstaltete. Im Zentrum der Beiträge und Diskussionen standen die von der Stiftung betreuten historischen Auslandsinstitute sowie die Frage, welche Funktion ihnen für die transnationale Vernetzung des Fachs zukommt bzw. zukommen sollte. Auffallend war dabei – neben der großen Resonanz, auf die diese Thematik bei den knapp 150 Teilnehmenden stieß –, wie einhellig die Forderung nach einer weiteren Internationalisierung der Geschichtswissenschaften vertreten und wie übereinstimmend die Öffnung hin zur Globalgeschichte als dominierender Forschungstrend identifiziert wurde. Dem entsprach die grundsätzlich wohlwollende Haltung, mit der die Anwesenden den Deutschen Historischen Instituten begegneten, in deren Arbeit sie in erster Linie einen Beitrag zur transnationalen Organisation des Fachs sahen.

Die Tätigkeit der sechs historischen Institute in London, Moskau, Paris, Rom, Warschau und Washington wurde im Rahmen von drei Panels in den Blick genommen, die sich mit den Forschungsschwerpunkten der einzelnen Institute, den Karrierewegen des dort tätigen wissenschaftlichen Nachwuchses sowie schließlich den durch die Institute zur Verfügung gestellten Infrastrukturen befassten. Dem vorangestellt waren einleitende Worte von Heinz Duchhardt als Vorsitzendem des Stiftungsrats der DGIA, von Werner Plumpe als Vorsitzendem des VHD und Michael Matheus als Sprecher der Direktorinnen und Direktoren der Auslandsinstitute, gefolgt von einem Grußwort durch Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und einem Impulsreferat durch Jürgen Kocka (Berlin).

Die Auseinandersetzung mit den Instituten konzentrierte sich in diesem Rahmen auf fünf Aufgabenbereiche: auf ihre Rolle als (internationale) Forschungsinstitutionen, als Knotenpunkte, die der Vernetzung von Forschenden dienen, als Orte der Nachwuchsförderung, als Mittler zwischen den akademischen Debatten des Gastlandes und der deutschen Wissenschaft sowie als Serviceeinrichtungen, die den Zugang zu Archiven, Bibliotheken und Quellen ermöglichen. Kritik und Vorschläge beschränkten sich dagegen auf wenige Aspekte: 1.) auf die immer wieder – wenngleich eher diffus als konkret – angemahnte Rückwirkung auf und Kooperation mit den deutschen Universitäten, die von verschiedenen Seiten als ausbaufähig betrachtet wurden, 2.) auf Reibungspunkte, die sich aus der Position der Institute zwischen verschiedenen akademischen Kulturen und Arbeitsmärkten ergaben, sowie 3.) auf deren konkrete Standorte, indem diskutiert wurde, inwieweit die Öffnung für globalgeschichtliche Themen unter Umständen die Neueröffnung oder Verlagerung von Instituten in andere Regionen wünschenswert oder erforderlich machen könnte. Darüber hinaus zeichnete sich als Trend eine gegenüber der früher (auch kulturpolitisch begründeten) rein bilateralen Ausrichtung zunehmend internationalisierte Struktur der Auslandsinstitute ab.

Schon in seinem Impulsreferat, in dem JÜRGEN KOCKA (Berlin) sich mit der Entwicklung der transnationalen historischen Forschung befasste, stellte er eine Verbindung zwischen der weiteren Entprovinzialisierung des Fachs und der Rolle der Deutschen Historischen Institute her. Er nahm die historische Allianz zwischen den Geschichtswissenschaften und entstehenden Nationalstaaten zum Ausgangspunkt für die Bemerkung, dass der Aufstieg der historischen Disziplin eng mit Prozessen der kulturellen Nationsbildung verbunden gewesen sei. Noch immer sei eine historische Forschung, die zur Selbstaufklärung von Gesellschaft beitragen wolle, mit primär national strukturierten Öffentlichkeiten konfrontiert; auch gebe es methodisch weiterhin gute Gründe dafür, sich bei der historischen Analyse auf „Phänomene mit begrenzter Erstreckung“ zu beschränken. Doch ungeachtet einer solchen Persistenz des Nationalen hätten, konzedierte Kocka, gerade transnationale Studien und insbesondere die komparative Forschung die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten zu deren Vorteil umgestaltet. Aktuell bedeutsam erschien ihm vor allem die Öffnung hin zur Globalgeschichte, die dazu beitrage, die Geschichte näher an Probleme der Gegenwart heranzuführen. Für diese transnationale Öffnung der historischen Forschung schrieb Kocka wiederum gerade den Auslandsinstituten eine wichtige Rolle zu. Es handele sich dabei um Orte, die eine enge Kommunikation zwischen deutschen und nicht-deutschen Forschenden erlaubten und die es vor allem ermöglichten, Entwicklungen im Gastland in die deutsche Profession hinein zu vermitteln und einer breiteren Forschungsöffentlichkeit zugänglich zu machen.

Diese Einschätzung wurde im Folgenden ergänzt, indem zunächst HEINZ DUCHHARDT (Mainz) feststellte, dass die Auslandsinstitute als eigenständige Forschungsinstitutionen gut aufgestellt seien, erfolgreiche Nachwuchsarbeit leisteten und über eine „gute bis herausragende“ Ausstattung verfügten, so dass sie sich als „ideale Ideengeber“ für die Internationalisierung der Geschichtswissenschaften erwiesen. WERNER PLUMPE (Frankfurt am Main) der in seinem Beitrag von der Frage ausging, inwieweit die Auslandsinstitute zu den „Bedingungen der Möglichkeiten gelingender historischer Forschung“ beitragen können, zeichnete zunächst die Entstehungsbedingungen der Institute nach, um dann auf die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben einzugehen, von der Informationsbeschaffung vor Ort über die Nachwuchsförderung bis hin zur Vernetzung in- und ausländischer Forschender. Insbesondere unterstrich er die Notwendigkeit einer engen Bindung der Institute an die deutschen Universitäten. Gleichwohl warnte er vor der möglichen Schlussfolgerung, die DHIs hätten die ihnen ursprünglich zugedachte Aufgabe erfolgreich erfüllt und würden damit obsolet. Die Institute trügen vielmehr entscheidend dazu bei, international vernetztes Forschen zu ermöglichen und langfristig aufrecht zu erhalten. Plumpe spielte allerdings mit dem Gedanken, dass in Anbetracht einer zunehmend global gewendeten Forschung die Eröffnung neuer Institute in anderen Weltregionen reizvoll sein könnte; ein Gedanke, der im Folgenden mehrfach aufgegriffen wurde.

Im Anschluss stellten in einem von SIMONE LÄSSIG (Braunschweig) moderierten Panel MARCUS GRÄSER (Washington, D.C.), STEPHAN GEIFES (Paris), ANDREAS GESTRICH (London), NIKOLAUS KATZER (Moskau), MICHAEL MATHEUS (Rom) und EDUARD MÜHLE (Warschau) die Forschungsschwerpunkte der einzelnen Deutschen Historischen Institute knapp vor. Ihre Präsentationen wurden ergänzt durch die Beiträge von Wissenschaftlern aus den Gast- und angrenzenden Ländern, RICHARD BESSEL (York), MICHAIL BOJCOV (Moskau), FILIPPO FOCARDI (Padua) und JIŘI PEŠEK (Prag), die über eigene Erfahrungen mit den einzelnen DHIs berichteten. Sie hoben deren Bedeutung als Bindeglieder zwischen der deutschen Wissenschaftslandschaft und der des Gastlandes hervor und sahen darin wichtige Foren – wie gerade Focardi unterstrich – nicht nur der bi- sondern auch der internationalen Forschungskooperation. Der derart vermittelte Eindruck inhaltlicher Vielfalt wurde später ergänzt durch eine Vorstellung der Serviceleistungen der Institute. MARCUS GRÄSER (Washington, D.C.), LORENZ ERREN(Moskau), MICHAEL MATHEUS (Rom) und MATTHIAS UHL (Moskau) gingen in diesem Zusammenhang auf die DHI-Bibliotheken und deren Ausstattung, auf laufende Editionsprojekte, die Verwaltung von Nachlässen und Onlineangebote ein, sowie auf die Unterstützung bei Archivbesuchen, die an einem Standort wie Moskau weiterhin wichtig sei, während sie in anderen Städten angesichts der Erschließung der dortigen Archive an Bedeutung verliere. Überhaupt wurde die unterschiedlich strukturierte akademische Landschaft deutlich, in der die Institute angesiedelt sind. Gerade Markus Gräser und Andreas Gestrich als Vertreter der Häuser in Washington und London wiesen darauf hin, dass die beiden DHIs im Gastland, zumal angesichts der an britischen und amerikanischen Universitäten breit vertretenen Deutschen Geschichte, in erster Linie als Einrichtungen für Deutsche Geschichte wahrgenommen würden. In Deutschland werde hingegen eher erwartet, dass dort zu nordamerikanischer oder britischer Geschichte geforscht werde.

Derartige Widersprüche wurden auch bei dem Panel angesprochen, das sich – moderiert von ULRIKE LINDNER – mit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses befasste. Mit Martina Steber, Martin Kohlrausch und Mark Spoerer sprachen eine derzeitige Mitarbeiterin und zwei ehemalige Angehörige der Häuser in London, Warschau und Paris über ihre Erfahrungen und zogen eine überwiegend positive Bilanz. MARK SPOERER (Regensburg) begrüßte die Kooperationsmöglichkeiten, die das am DHI Paris übliche Modell der Forschergruppen eröffnete, verwies aber auf das Problem kurzfristiger Arbeitsverträge, während MARTINA STEBER (London) die Vielzahl der Aufgaben anführte, die wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Instituten übernehmen. Neben den zahlreichen Privilegien solcher Stellen sprach sie die Schwierigkeiten an, die daraus erwüchsen, dass Forschende sich zwischen zwei Universitäts- und damit auch Qualifikationssystemen bewegten. Im anglo-amerikanischen Kontext sähen sie sich mit widerstreitenden Anforderungen konfrontiert, die an Habilitation einerseits und second book andererseits gestellt würden. MARTIN KOHLRAUSCH (Bochum) wies in seinem Beitrag auf ein paralleles Risiko der Beschäftigung an einem Auslandsinstitut hin. In Polen gebe es keinen Arbeitsmarkt für ausländische Historikerinnen und Historiker, zugleich sähen die Betreffenden sich in Deutschland schnell auf den Bereich der „osteuropäischen Geschichte“ festgelegt. Die damit angesprochenen Fragen der Vermittelbarkeit in unterschiedliche akademische Arbeitsmärkte sowie der sich möglicherweise abzeichnenden Flexibilisierung von Karrierewegen wurden in der anschließenden Diskussion wieder aufgegriffen. Vor allem wurde eine engere Anbindung der Auslandsinstitute an die universitäre Arbeit angemahnt; unter anderem mit dem Vorschlag, feste Austauschprogramme zwischen deutschen Universitäten und DHIs zu etablieren.

Bei der Abschlussdiskussion zog vor allem die lakonische Ausgangsfrage von JÜRGEN KAUBE (FAZ), ob die Auslandsinstitute sich nicht als „Projekte“ verstehen ließen, die für einen begrenzten Zeitraum mit einer spezifischen Aufgabe betraut seien, eine längere Debatte nach sich. Gerade die Option, bestehende Institute zu schließen, um Neueröffnungen an anderen Ort zu ermöglichen, rief Widerspruch hervor. HANS-GERHARD HUSUNG riet als Generalsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, ein derart effektives Instrument wie das der DHIs nicht leichtfertig zur Disposition zu stellen und schlug vor, dass bestehende Institute einen Teil ihrer Mittel anderen Regionen widmen könnten – ein Vorschlag, den besonders ULRIKE LINDNER (Bielefeld) begrüßte, die unterstrich, dass die DHIs für die individuelle Forschungsarbeit eine wichtige Hilfestellung leisteten. JÖRG BABEROWSKI (Berlin) gestand hingegen zu, dass angesichts der fortgeschrittenen Internationalisierung des Fachs Forschungsprojekte auch jenseits der DHIs realisiert werden könnten, hob aber die Brückenfunktion der Institute in andere Wissenschaftskulturen hervor und unterstrich insgesamt deren Bindung an spezifische Orte, während UWE ISRAEL (Dresden) auf die Bedeutung einging, die Vertrauen, das eben nur dauerhaft aufgebaut werden könne, für die Arbeit und das Eigengewicht derartiger Institute habe. Dass diese Häuser sich zugleich stets im Wandel befinden, indem sie durch Direktoren geprägt werden, deren Verträge befristet sind, führte ANDREAS BEYER (Paris) an, während RICHARD WITTMANN (Istanbul) anhand des Orient-Instituts Istanbul auf dessen Bedeutung für den wissenschaftlichen Austausch – hier zwischen Deutschland und der Türkei – verwies.

Abschlussdiskussion und Schlussworte mündeten schließlich in dem Appell, sich innerhalb der Disziplin mehr über zentrale Schlüsselkonzepte und Strategien zu verständigen. Was „Internationalisierung“ in den Geschichtswissenschaften eigentlich heißen soll – darauf wurde ebenso mit der Forderung reagiert, dass die Geschichte dem Vorbild anderer Fächer folgen und klarere Internationalisierungsstrategien entwickeln müsse, wie erklärt wurde, die deutsche Geschichtswissenschaft sei bereits „vollständig internationalisiert“. Dass Werner Plumpe abschließend anmahnte, sich mehr damit auseinanderzusetzen, was für Erwartungen und Ziele konkret mit Begriffen wie „Nachwuchsförderung“ oder „Internationalisierung“ verbunden werden, erscheint insofern als konsequenter Abschluss einer Tagung, bei der „Internationalisierung“ das zentrale und fraglos positiv besetzte Stichwort bildete. Dass die Deutschen Historischen Institute für die Organisation und Durchführung transnationaler Forschungsprojekte eine wichtige Rolle spielen, wurde in diesem Kontext deutlich. Inwieweit die vielbeschworene Internationalisierung des Fachs sich aber ebenso auf den Arbeitsmarkt und gängige Qualifikationsstrukturen in Deutschland auswirken könnte oder sollte, wie offen der deutsche akademische Arbeitsmarkt für ausländische Historikerinnen und Historiker ist oder inwiefern bestehende Qualifikationsstrukturen tatsächlich mit denen in anderen Ländern kompatibel sind – derartige Fragen blieben bei der Tagung zu sehr außen vor. Sie bedürfen aber einer ausführlichen Diskussion, zumal, wenn Internationalisierung über das reine Forschen im und über das Ausland hinausgehen soll.

Konferenzübersicht:

Begrüßung:

Heinz Duchhardt (Stiftung DGIA )
Werner Plumpe (VHD)
Michael Matheus (DHI Rom)
Grußwort:

Sts. Cornelia Quennet-Thielen (BMBF)
Jürgen Kocka (Berlin): Impulsreferat
Heinz Duchhardt (DGIA): Aufgabenstellung und Zielsetzung der Deutschen Historischen Institute
Werner Plumpe (VHD): Die Bedeutung der DHIs als außeruniversitäre Forschungsinstitute aus Sicht der Historikerinnen und Historiker in Deutschland

Panel I: Jahresthemen – Forschungsschwerpunkte: Die wissenschaftlichen Profile der DHIs
Moderation: Simone Lässig (Braunschweig)

Marcus Gräser (DHI Washington)
Stephan Geifes (DHI Paris)
Andreas Gestrich (DHI London)
Nikolaus Katzer (DHI Moskau)
Michael Matheus (DHI Rom)
Eduard Mühle (DHI Warschau)

Internationale Stimmen:

Filippo Focardi (Padua)
Michail Bojcov (Moskau)
Richard Bessel (York)
Jiři Pešek (Prag )

Panel II: Karrieresprungbrett oder Endstation? – Die Rolle der DHIs bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
Moderation: Ulrike Lindner (Bielefeld)

Martina Steber (DHI London)
Martin Kohlrausch (Bochum)
Mark Spoerer (Regensburg)

Panel III: Türöffner und Schaufenster – Die Bedeutung der DHIs als Serviceeinrichtung
Moderation: Ulrike Lindner (Bielefeld)

Marcus Gräser (DHI Washington)
Lorenz Erren (DHI Moskau)
Michael Matheus (DHI Rom)
Matthias Uhl (DHI Moskau)

Abschlussdiskussion: Nationale, bilaterale oder internationale Geschichtswissenschaft? Die DHIs und die Internationalisierung der historischen Wissenschaften
Moderation: Jürgen Kaube (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Andreas Beyer (DFK Paris)
Richard Wittmann (OI Istanbul)
Hans-Gerhard Husung (Gemeinsame Wissenschaftskonferenz)
Ulrike Lindner (Bielefeld )
Jörg Baberowski (Berlin)
Uwe Israel (Dresden)

Zusammenfassung und Perspektiven

Heinz Duchhardt (DGIA)
Werner Plumpe (VHD)