Globalgeschichte lehren

Globalgeschichte lehren

Organizer(s)
NWG „Dynamik transnationalen Handelns“, Universität Konstanz
Location
Konstanz
Country
Germany
From - Until
25.02.2011 - 26.02.2011
Conf. Website
By
Jonas Kranzer / Daniel Schumacher, Fachbereich Neuere und Neueste Geschichte, Universität Konstanz

Trotz steigender Beliebtheit der Globalgeschichte in der universitären Forschung, wurde die Einbindung globalhistorischer Inhalte und Ansätze in die Lehre noch kaum diskutiert. Diese Zurückhaltung erscheint umso erstaunlicher, betrachtet man die bereits angestoßene Institutionalisierung von Globalgeschichte in Form neu geschaffener Studiengänge und entsprechend ausgerichteter Professuren. Dies nahm sich die Nachwuchsgruppe „Dynamik transnationalen Handelns“ zum Anlass, um damit zusammenhängende Fragen gezielt zu diskutieren.

Der Workshop wurde mit einem Vortrag von JÜRGEN OSTERHAMMEL (Konstanz) zu „Fremdheit und Affinität“ eröffnet. Er schlug vor, der Diskussion einen weiten Sammelbegriff von Globalgeschichte zugrunde zu legen, welcher diese als eine Erkenntnishaltung definiere, die erlernt werden könne. Querverbindungen und Vergleiche stünden im Mittelpunkt und eurozentrische Selbstverständlichkeiten würden kritisch befragt, ohne Europa aber ganz zu dezentralisieren. Um globalgeschichtliche Programme etablieren zu können, müssten bestehende universitäre Strukturen nutzbar gemacht und globale Fragen und Aspekte mit den etablierten Themenfeldern verbunden werden. Dabei bedürfe es in erster Linie der Vertrauensbildung innerhalb des Faches. Globalgeschichte müsse noch gründlicher durchdacht und intellektuell stabilisiert werden. Auch müsse demonstriert werden, dass sie tatsächlich lehrbar sei. Dazu gelte es unter anderem folgenden Bedenken aktiv entgegenzutreten, wie sie von Skeptikern welthistorischer Lehre vorgebracht werden:

1) Verkürzte Studienzeiten lassen keinen Platz für globale Exkurse. 2) Die thematische Auswahl kann nur mit großer Willkür erfolgen. 3) Breit gefasste welthistorische Themen laden zur Oberflächlichkeit ein. 4) Lehrende sind häufig gezwungen ihre eigene Fachkompetenz zu überschreiten, wodurch der Grundsatz deutscher Universitätsbildung, „Lehre aus Forschung“, verflacht wird. 5) Globalgeschichte kann kaum quellennah unterrichtet werden. 6) Studierenden zu suggerieren, die gesamte Weltgeschichte sei ihnen allein aus deutsch- und englischsprachigem Material zugänglich, übergeht die Leistungen der Philologie. 7) Die Verständnisschwelle ist hoch und der Einarbeitungsaufwand groß. 8) Besonders tiefgründige theoretische Vorüberlegungen sind notwendig. 9) In Deutschland lässt sich nur schwer kritisch an eine eigene koloniale und imperiale Vergangenheit anknüpfen.

Das erste Panel zur ‚Institutionalisierung’ fragte danach, innerhalb welcher Strukturen Globalgeschichte an deutschsprachigen Universitäten gelehrt wird und welche Herausforderungen und Chancen diese mit sich bringen.

DIETMAR ROTHERMUND (Heidelberg) stellte am Beispiel des kürzlich eingerichteten Masterstudiengangs „Global History“ vor, wie durch enge Kooperation zwischen der Geschichtswissenschaft und unterschiedlichen Regionalwissenschaften eine eigene Form von Globalgeschichte „à la carte“ institutionalisiert werden konnte. Der geschichtswissenschaftliche Methodenerwerb wird dabei mit der Förderung entsprechender Sprachfähigkeiten verschränkt.

KATJA NAUMANN (Leipzig) präsentierte ein anderes Modell globalgeschichtlicher universitärer Lehre, den seit 2005 erprobten Masterstudiengang „Global Studies – a European Perspective“. Dieser war von Beginn an dezidiert international ausgerichtet. Ein globales Netzwerk an Partnerhochschulen übernimmt einen wichtigen Teil der Ausbildung und ermöglicht durch das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen Globalisierungsprozesse in den Studiengang einzubringen. Bezüglich der Unterrichtsmaterialien regte sie ein gemeinsames Nachdenken über frei zugängliche Quelleneditionen an, was wahrscheinlich praktikabler sei als das Einwerben neuer Universitätsstellen.

HIROYUKI ISOBE (Konstanz) komplettierte das erste Panel mit einem Blick auf die Institutionalisierungsprozesse globalhistorischer Forschung und Lehre an japanischen Hochschulen. Insbesondere hob er hervor, dass die Geschichtswissenschaft in Japan nicht ohne ausländische Einflüsse rekonstruierbar sei. So vertiefte er den Beitrag von Ludwig Rieß zur Etablierung von Textexegese und Quellenkritik, den Einfluss marxistischer Geschichtsforschung sowie die Einführung des Fachs Weltgeschichte durch die amerikanische Besatzungsmacht nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

In der anschließenden Diskussion schlug Katja Naumann einen generell pragmatischen Umgang mit vorhandenen Ressourcen vor und verwies darauf, dass in Leipzig durch das Einbinden von Nachwuchswissenschaftlern der Übergang von der anfänglich verfolgten „à la carte“-Lehre zu einer Lehre nach „Menü“ gelang. Sabine Dabringhaus gab zu Bedenken, dass allein schon aufgrund fehlender Fremdsprachenkenntnisse Globalgeschichte in ihrer Gesamtheit keinesfalls von einer Person unterrichtet werden könne. Dietmar Rothermund regte daraufhin an, über eine spezielle Professur nachzudenken, die katalysierend als Schnittstelle zwischen den Disziplinen wirken könnte. Katja Naumann fügte hinzu, dass es schwierig und wenig zielführend sei, Globalgeschichte nur an Universitäten mit entsprechenden Regionalwissenschaften anzubieten. Dies würde auch das reduzieren, was Globalgeschichte potentiell sein könnte.

Das Panel ‚Curriculum’ diskutierte die Inhalte globalgeschichtlicher Lehre und wurde von GESINE KRÜGER (Zürich) eröffnet. Sie machte deutlich, dass trotz großen Interesses der Studierenden an globalen Themen die Integration entsprechender Inhalte in Geschichtsveranstaltungen nicht den Normalfall darstellt. Um dies zu optimieren, könnte man versuchen, mehr interdisziplinäre Anknüpfungspunkte auszumachen. In der Praxis eigneten sich hierfür Lehrveranstaltungen, die Aspekte globaler Vernetzung und Interdependenz behandeln, die nach Akteuren und Machtverhältnissen fragen. Diese ermöglichten auch, Mikro- und Globalgeschichte zu vernetzen. Gesine Krüger betonte, dass es im Wesentlichen nicht um Themen, sondern um Perspektiven gehe.

MARLENE KURZ (Wien) berichtete, dass die größten Probleme in der Praxis in fehlenden Fremdsprachenkenntnissen und dem erheblichen Mangel an Hintergrundwissen seitens der Studierenden begründet lägen. Um diesem Problem zu begegnen, habe sich das Instrument des Vergleichs als besonders nützlich erwiesen. Sie gab dennoch zu bedenken, dass mit dem Rückgang des Quellenstudiums Theorie und Methode zum reinen Selbstzweck würden und fundierte Schlussfolgerungen nicht mehr zuließen.

Auch SABINE DABRINGHAUS (Freiburg) verwies auf die Unumgänglichkeit fundierter Sprachkenntnisse sowie die Problematik, dass tendenziell Hintergrundwissen nicht vorausgesetzt werden könne. Im Unterrichten außereuropäischer Geschichte haben sich in Freiburg drei Zugänge als praktikabel erwiesen: das Eröffnen von Innenansichten, Beziehungsanalysen sowie systematische Gegenüberstellungen. Es sei jedoch unbedingt nötig, dass sich Studierende und Lehrende gleichermaßen auf das jeweils Unbekannte einließen. Den großen Vorteil einer kontextualisierten Lehre der Geschichte Ostasiens sah sie darin, eigenständige und transnationale Phänomene herausstellen zu können.

In der das Panel abschließenden Diskussion unterstrich Marlene Kurz, dass es zum einen wichtig sei, das Bewusstsein der Studierenden für signifikant andere Herangehens- und Sichtweisen zu schärfen. Zum anderen ginge es neben dem Wissenszugewinn ebenso um die Erkenntnis, dass man von einem Themenbereich noch nicht alles erfasst habe. Sabine Dabringhaus merkte an, dass globalhistorische Lehre derzeit innerhalb des Fachs Geschichte eben nur exemplarisch „à la carte“ aufgebaut werden könne. Es sei jedoch eine Sensibilisierung für ‚das Andere’ möglich, wodurch eine zu eurozentrische Lehre überwunden werden könne. Einen gewissen Eurozentrismus betrachtete Gesine Krüger wiederum nicht als Problem. So ließen sich beispielsweise auch außereuropäische Komponenten in der eigenen Geschichte herausarbeiten.

Das letzte Panel des Workshops widmete sich dem Thema der Didaktik. Dabei ging es ganz konkret um die Umsetzung globalgeschichtlicher Inhalte in der Lehre.

Als erster berichtete BORIS BARTH (Konstanz) über seine Erfahrungen im Studiengang „Modern Global History“, einer Kooperation zwischen der Jacobs University Bremen und der Universität Bremen. Die Studierenden dieses Studienganges kommen aus der ganzen Welt, die Unterrichtssprache ist daher Englisch. Auf der einen Seite erleichtere dies zwar die Kommunikation, andererseits beschränke es die Literaturauswahl. In der Seminarpraxis habe es sich bewährt, einzelne Themen wie Migration oder Rasse global zu behandeln.

Als nächstes gab DANIEL HEDINGER (Berlin) Einblicke in ein Proseminar zum Russisch-japanischen Krieg, das er im Wintersemester 2006/07 zusammen mit einem Osteuropahistoriker als interdisziplinäre Veranstaltung angeboten hatte. Globalgeschichtliche Aspekte kamen in der Veranstaltung eher implizit zum Tragen. Während einige Sitzungen regional ausgerichtet waren, waren andere globalhistorisch ausgerichtet. Bei der Zusammensetzung von Arbeitsgruppen für Referate wurde darauf geachtet, dass diese aus Studierenden verschiedener Fachrichtungen bestanden, um jedes Thema aus beiden Perspektiven zu betrachten und um die Verflechtungen einzelner Themen intensiv zu diskutieren.

Abschließend unterrichtete BERND-STEFAN GREWE (Freiburg) über seine Erfahrungen an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Als Grundproblem identifizierte er die Tatsache, dass Globales in den Lehr- und Bildungsplänen der Schulen von Baden-Württemberg nicht vorkomme und Studierende Lehrveranstaltungen oft nach einer späteren Verwendung für den Unterricht auswählten. Daneben sei der Lehralltag an einer Pädagogischen Hochschule stark von der Vermittlung didaktischer Kompetenzen allgemeiner Natur geprägt. Trotzdem würde es sich lohnen, an einem Kerncurriculum für Globalgeschichte zu arbeiten. Dabei gehe es besonders um die Vermittlung geeigneter Narrative für Studierende, mit denen sich globalgeschichtliche Themen im Unterricht vermitteln lassen, um eine Bündelung von Theorien zur Globalgeschichte sowie die Auswahl von geeigneten Quellen für den Unterricht.

In der sich anschließenden Diskussion wurde besonders das Thema der Quellenauswahl aufgegriffen. Während sich für manche Themen über das Internet Quellen finden ließen, gestalte sich die Auswahl bei anderen Themen wesentlich schwerer. Allerdings wies Gesine Krüger darauf hin, dass sich im Internet eher zu viele Quellen fänden und die Aufarbeitung ein Problem darstelle. Daniel Hedinger führte aus, dass sich die Sprachkenntnisse von Studierenden gezielt nutzen ließen, um geeignete Quellen für alle zu übersetzen. Auch der Komplex der Lehrerfortbildung kam zur Sprache. Hier war man sich einig, dass dies einer der Ansatzpunkte sei, um globalgeschichtliche Inhalte in die Curricula einzubauen.

In der Abschlussdiskussion wurde die Quellenthematik des letzten Panels noch einmal aufgegriffen und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens von Schulen und Universitäten bei dem Problem der Aufbereitung von Quellen, die sich für eine globalgeschichtliche Wissensvermittlung in Unterricht und Lehre eignen, betont.

Was die möglichen institutionellen Verankerungen von Globalgeschichte betrifft, sollte man sich nicht nur auf die Schaffung neuer Studiengänge oder Zentren konzentrieren, sondern über Mittelwege nachdenken. Damit verbunden wurde die Frage diskutiert, wo man globalgeschichtliche Inhalte in Schulen und Hochschulen ansiedelt, um so das Interesse für derartige Themen zu wecken. Zweckmäßig würde hier eine globalgeschichtliche Öffnung der bisherigen Themen erscheinen.

Das Wichtigste sei die Frage danach, wie sich Interesse und Aufmerksamkeit für globalgeschichtliche Themen schaffen ließen. Die Antwort auf diese Frage kann nur in der Praxis von Forschung und Lehre gegeben werden. Gerade über die Praxis der Lehre ließen sich auch am besten die eingangs skizzierten Einwände gegen Globalgeschichte widerlegen.

Workshop-Übersicht:

Einführung der Organisatoren

Jürgen Osterhammel (Konstanz)
„Fremdheit und Affinität“

Anschließend Diskussion

Panel „Institutionalisierung“
Impulsreferate von
Hiroyuki Isobe (Konstanz)
Katja Naumann (Leipzig)
Dietmar Rothermund (Heidelberg)

Panel „Curriculum“
Impulsreferate von
Sabine Dabringhaus (Freiburg)
Gesine Krüger (Zürich)
Marlene Kurz (Wien)

Panel „Didaktik“
Impulsreferate von
Boris Barth (Konstanz)
Bernd-Stefan Grewe (PH Freiburg)
Daniel Hedinger (HU Berlin)


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Published on
30.04.2011
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German
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