Imperien und Reiche in der Weltgeschichte. Epochenübergreifende und globalhistorische Vergleiche

Imperien und Reiche in der Weltgeschichte. Epochenübergreifende und globalhistorische Vergleiche

Organizer(s)
Michael Gehler, Hildesheim), Robert Rollinger, Innsbruck
Location
Hildesheim
Country
Germany
From - Until
25.04.2010 - 01.05.2010
Conf. Website
By
Felix Hinz, Institut für Geschichte, Stiftung Universität Hildesheim

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit einzelnen Großreichen und „Imperien“ hat in den letzten Jahren einen deutlich wahrnehmbaren Aufschwung erfahren. Dabei verlor der Begriff „Imperium“ durch einen inflationären Gebrauch allerdings zusehends an analytischer Schärfe. Bei bisherigen Gegenüberstellungen „imperialer Staatsbildungen“ blieb die Auswahl meist selektiv, wobei die einzelnen Untersuchungen größtenteils den Bezug aufeinander vermissen ließen. Ein interdisziplinärer, epochenübergreifender und räumlich umfassender Zugang zu diesem Themenfeld wird daher in den verschiedenen mit der Materie befassten Wissenschaften als immer dringlicherer Wunsch empfunden.

Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten des Weltkulturerbes „1000 Jahre St. Michaelis“ in Hildesheim versuchte das Symposium durch ein Kooperationsprojekt des Instituts für Geschichte der Universität Hildesheim und des Instituts für Alte Geschichte und Altorientalistik der Universität Innsbruck die genannten Desiderata zu erfüllen.

Im Rahmen der international und interdisziplinär angelegten Großveranstaltung wurde der Imperiumsbegriff (ausgehend von der Begriffsbildung Herfried Münklers, Überlegungen HANS-HEINRICH NOLTEs sowie ULRICH MENZELs, der auch den Abschlusskommentar bot) in einer universalhistorischen Perspektive ausgeleuchtet. In diesem Zusammenhang analysierten mehr als 40 ausgewiesenen Experten imperiale Ordnungen und hegemoniale Reichsbildungen nach einheitlichen Untersuchungskriterien der Real- und Rezeptionsgeschichte und unterzogen sie einer vergleichenden Betrachtung. Die betreffenden Reichsbildungen spannten zeitlich einen Bogen, der vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis in die Gegenwart reichte. Sie umfassten geographisch mit den Kontinenten Europa, Asien, Afrika und Amerika nahezu den gesamten Globus.

Die Beiträge einzeln zu würdigen, würde den zu Gebote stehenden Rahmen sprengen, so dass an dieser Stelle nur versucht wird, die Ergebnisse der Tagung in groben Linien nachzuzeichnen. Hinsichtlich der Einzelbeiträge sei auf die Homepage der Tagung verwiesen, auf der die Abstracts aller Beiträger einsehbar sind.1 Im Folgenden werden die Erkenntnisse aus den Diskussionen zusammengefasst.

Im Verlauf der Tagung ging es immer wieder darum, einerseits ein „Ideal-Imperium“ zu definieren, andererseits jedoch auch den historischen Vorlagen gerecht zu werden. So wurde es natürlich auch problematisiert, auf vorrömische Staaten einen lateinischen Begriff anzuwenden, der heutzutage von Historikern (von Politologen ganz zu schweigen) wiederum anders aufgefasst wird als in Zeiten des römischen Principats. Selbst hinsichtlich des „Römischen Imperiums“ wurde reflektiert, dass der auf der Tagung verwendete Begriff ein von außen herangetragener sei. Nicht vergessen werden darf auch, dass sich bestimmte Staaten durchaus als wie auch immer verstandenes „Weltreich“ begriffen (zu nennen wäre zum Beispiel das von ROBERT ROLLINGER vorgestellte Perserreich), ohne aber dabei auf den Imperiumsbegriff zurückzugreifen bzw. auch nur zurückgreifen zu können. Es wäre also wichtig, noch deutlicher die einzelnen historischen „Imperien“-/ „Weltreichs“- Verständnisse herauszuarbeiten. Die Differenzen machten sich auch sprachlich auf der englisch und deutsch geführten Tagung deutlich bemerkbar, ist doch das lateinische „imperium“ nur ungenügend mit dem englischen „empire“ zu übersetzen. PETER WENDE bemerkte hierzu scharfsinnig, dass Großbritannien nie ein Imperium war, aber ein empire besaß.

Irritierend wirkte bisweilen, dass Staaten und Reiche, die man landläufig zu „Imperien“ gezählt hätte, im Sinne der oben genannten Konzepte keine waren: Ägypten falle aufgrund seines geringen Herrschaftsraumes durch das Raster (KARL JANSEN-WINKELN und ORELL WITTHUHN), das Alexanderreich (REINHOLD BICHLER), das Reich Napoleons I. (MICHAEL BROERS) oder das „Dritte Reich“ (HANS-ULRICH THAMER) deswegen, weil sie lediglich wenige Jahre lang bestanden. Selbst im Fall „Rom“ (KAI RUFFING, Ostrom/ Byzanz: WOLFGANG CHRISTIAN SCHNEIDER und EVANGELOS CHRYSOS) passten die angelegten Maßstäbe nicht, denn Ostroms Kräfte waren abgesehen von der Ära Justinians I. so begrenzt, dass es eher als Regionalmacht anzusehen sei. Besonders augenfällig wurde das Problem am von CHRISTOPH KAMPMANN und THOMAS VOGTHERR vorgestellten „Heiligen Römischen Reich“, das aus angelsächsischer Perspektive (und vielleicht nicht nur aus dieser) „neither Roman nor holy nor an empire“ war und ist.

Als anregend erwies sich die von ULRICH MENZEL bereits im Vorfeld der Tagung vorgeschlagene Unterscheidung in (eher friedliche) Hegemonialmächte und (aggressive, auf direkte Herrschaft abzielende) Imperien. Bei denjenigen Staaten, die nach dieser Unterscheidung noch in letztere Kategorie fielen, bemühten sich die Tagungsteilnehmer und besonders die Organisatoren, den Kriterienkatalog einerseits zu ergänzen, andererseits obligatorische Kriterien von fakultativen zu unterscheiden. Weitere mögliche Kategorien könnten nach MICHAEL GEHLER und ROBERT ROLLINGER sein: bestimmte kulturelle Kenntnisse und Fähigkeiten (die zum Beispiel Ägypten über seine Nachbarn heraushoben), eine integrative Idee (die zum Beispiel wie im Falle Roms eine stabile Herrschaftsakzeptanz als Basis schuf), ein politisch-sakrales „gebautes“ Zentrum oder auch ein leistungsfähiges Kommunikationssystem.

Als problematische Kategorie erwies sich hingegen zum Beispiel das Alleinstellungsmerkmal. Neben Rom, das man trotz aller Bedenken doch in gewissem Sinne als das paradigmatische Imperium verstehen sollte, gab es nicht nur China, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft das Partherreich wie auch das Sasanidische Reich, wie JOSEF WIESEHÖFER betonte. Als ebenfalls problematisch wurde die Unterscheidung in Zentrum und Peripherie festgehalten, wie vor allem JOHANNES GIEßAUF an den Mongolenreichen aufzeigte: War hier Karakorum das Zentrum oder der reitende Großkhan? Und war dann alles andere Peripherie? – Die Unterscheidung, so das Fazit, ist zwar in einigen Fällen nützlich, auf andere „Imperien“ passt sie jedoch schlichtweg nicht. Auch Schriftlichkeit scheint zwar praktisch für die Ausbildung eines „Imperiums“ – aber nicht zwingend notwendig. Stattdessen sollte man hier den Fokus eher allgemein auf Kommunikation setzen. Schon am neuassyrischen Reich betonte KAREN RADNER, dass hier ein gewisses Straßensystem eine Rolle gespielt hatte. Als letzter Zweifelsfall sei hier der von Michael Doyle geprägte Begriff der „augusteischen Schwelle“ genannt, der sich, wie PETER KEHNE in der Abschlussdiskussion zu Recht hervorhob, nur in sehr wenigen Fällen – dann allerdings durchaus gewinnbringend, würde ich sagen – auf „Imperien“ anwenden lasse. Ihn als obligatorisch zu nehmen, würde aber vielen Groß- oder Weltreichen, die andere Entwicklungen durchliefen, nicht gerecht werden.

Des Weiteren wurde erarbeitet, dass gewisse Aspekte für ein „Imperium“ als conditio sine qua non gelten müssten. Zu diesen zählt, da waren sich die Tagungsgäste einig, die militärische Macht. In diesem Sinne könnte man die USA (HANS-JÜRGEN SCHRÖDER) durchaus als „Imperium“ sehen (wenn auch als Grenzfall zur Hegemonialmacht – abhängig vielleicht vom Führungsstil des jeweiligen Präsidenten), die Europäische Union (MICHAEL GEHLER) jedoch weit weniger. War die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG noch eine „Regionalmacht mit hegemonialen Zügen“, so sei die EU von heute schon mit Einschränkungen eine Weltmacht mit imperialen Dimensionen. Auch eine gewisse Dauer wurde als unverzichtbar angesehen – wenn man auch die Nachwirkungen in der Rezeption hier mit einberechnen muss. Schwieriger zu definieren war der Raumaspekt. Die Teilnehmer stimmten darin überein, dass man den „Horizont“ der jeweiligen Staaten und Kulturen berücksichtigen müsse. So umspannte das Alexanderreich im Wesentlichen die ganze aus makedonischer Sicht bekannte „Welt“, was für das Reich Tschingis Khans und seiner Nachfolger oder den aztekischen Bund in Mesoamerika ebenfalls gegolten haben mag, für die meisten Kandidaten auf das Prädikat „Imperium“ aber sicherlich nicht zutraf.

Dass das Thema „Imperien“ bisher weder hinreichend bearbeitet ist noch der Aktualität entbehrt, zeigten die angeregten Diskussionen, die auch immer wieder Gegenwartsbezüge herstellten. Handlungsbedarf besteht dabei offensichtlich nicht nur auf fachlichem Gebiet, wie RAIMUND SCHULZ in seinem Beitrag über die stiefmütterliche Behandlung des Themas im Schulfach Geschichte darlegte. Hier wird weder auf die epochenprägende Bedeutung noch auf die Funktionsweise von Imperien eingegangen. Die Organisatoren beabsichtigen daher auch, die Ergebnisse des Symposiums mittelfristig in geschichtsdidaktische Materialien einfließen zu lassen, die hierzu erarbeitet werden sollen.

Der vorliegende Bericht kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine ausgereifte Synthese bieten.2 Diese soll in der Folgezeit durch einen erweiterten Kriterienkatalog der Organisatoren, die daraufhin erarbeiteten schriftlichen Beiträge der Redner und weiterer Fachleute sowie dann durch ein erneutes Resümee der Organisatoren geleistet werden. Diese Ergebnisse werden in einer wissenschaftlichen Publikation dokumentiert und damit auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Auf diese Weise wird vermutlich zwar noch keine definitive Imperiums-Definition erfolgen können, sicherlich aber eine historisch fest fundierte neue Diskussionsgrundlage.

Konferenzübersicht:

Eröffnung des Symposiums und Eröffnungsvortrag zur Tagung

Martin Schreiner (Hildesheim, Dekan des Fachbereichs I): Eröffnungsworte

Michael Gehler (Hildesheim) und Robert Rollinger (Innsbruck): Eröffnungsworte

Paul Naredi-Rainer (Innsbruck): St. Michaelis, die romanische Kathedrale und die Idee des göttlichen Imperiums

I. ALTVORDERASIATISCHE IMPERIEN

Hans Neumann (Münster): Altorientalische "Imperien des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr.

Karen Radner (London): Das neuassyrische Imperium: das erste Imperium der Weltgeschichte?

Michael Jursa (Wien) – Paper verlesen durch Karen Radner: Das neubabylonisch-chaldäische Imperium

Kai Ruffing (Marburg): Rom - Das paradigmatische Imperium

Monika Schuol (Berlin): Das Reich der Hethiter - ein Imperium?
Karl Jansen-Winkeln (Berlin): Ägypten im 3. und in der 1. Hälfte des 2. Jahrtausends – ein Imperium?

Orell Witthuhn (Heidelberg): Ägypten im Neuen Reich: ein Imperium?

Miroslavo Salvini (Rom): Urartu - ein Imperium?

Wouter Henkelman (Paris): Elam – ein Imperium?

II. ANTIKE IMPERIEN

Peter Kehne (Hannover): Das attische Seereich – ein Imperium?

Christoph Schäfer (Trier): Die Diadochenstaaten: „Imperien“ oder konkurrierende Territorialstaaten?

Josef Wiesehöfer (Kiel): Parther und Sasaniden: Imperien zwischen Rom und China

Wolfgang Christian Schneider (Hildesheim): Das oströmische Imperium im 5. Jh. und 6. Jh. – Das Imperium Justinians I.

Robert Rollinger (Innsbruck): Das teispidisch-achaimenidische Imperium

III. MITTELALTERLICHE UND FRÜHNEUZEITLICHE IMPERIEN

Felix Hinz (Hildesheim): Der aztekische Bund – ein Imperium?

Heinz Halm (Tübingen): Die Reiche der Fatimiden, Ajjubiden und Mamluken – Imperien?

Hans van Ess (München): China von der Antike bis in die Neuzeit: ein Abfolge von Imperien?

Hermann Kulke (Kiel): Das gesamtindische Großreich der Mauryas im 4.-2. Jh. v. Chr.

Dietmar Rothermund (Heidelberg): Imperien in Indien vom Mittelalter bis zur Neuzeit

Johannes Gießauf (Graz): Die Mongolen und ihre „Imperien“

Bert G. Fragner (Wien): Iran in Mittelalter und Neuzeit: ein Imperium?

Evangelos Chrysos (Athen): Byzanz: ein Imperium der „langen Dauer“

Kenan Ínan (Trabzon): Das Osmanische Reich

Roland Steinacher (Wien): Merowinger und Karolinger - Imperien zwischen Antike und Mittelalter

Christoph Kampmann (Marburg): Das Heilige Römische Reich deutscher Nation – ein Imperium?

Thomas Vogtherr (Osnabrück): Die europäische Staatenwelt im hohen und späten Mittelalter. Imperien oder konkurrierende Territorialstaaten?

Jens E. Olesen (Greifswald): Ein Ostseeimperium? Das schwedische Reich

IV. NEUZEITLICHE UND ZEITGESCHICHTLICHE IMPERIEN

Walther L. Bernecker (Erlangen): Das Spanische Reich

Alfred Kohler (Wien): Das Universalreich Karls V.

Michael Broers (Oxford): The Napoléon Empire

Robert Aldrich (Sydney): The French Overseas Empire 1830-1962

Arnold Suppan (Wien): Die Habsburger Monarchie - ein Imperium?

Hans-Heinrich Nolte (Hannover): Das russländische Imperium (1721-1917)

Hans-Ulrich Thamer (Münster): Das Dritte Reich

Gerhard Simon (Bonn): Die Sowjetunion

Peter Wende (Frankfurt am Main): Das British Empire

Hans-Jürgen Schröder (Gießen): Die USA – ein Imperium?

Michael Gehler (Hildesheim): Die Europäische Union – ein Imperium?

V. WAHRNEHMUNG UND VERMITTLUNG VON IMPERIEN

Reinhold Bichler (Innsbruck): Die Wahrnehmung antiker Imperien am Beispiel Alexander des Großen: Ein Imperium der Imagination

Christian Lekon (Lefke): Die Wahrnehmung moderner Imperien

Raimund Schulz (Bielefeld): "Ungeliebte Kinder"? - Imperien in der Geschichte und die Geschichtsdidaktik

Abschlussbeitrag und –kommentar Ulrich Menzel (Braunschweig): Imperien versus Hegemonialmächte: Vergleichende Befunde

Anmerkung:
1 Vgl. <http://www.uni-hildesheim.de/de/41086.htm> (11.06.2010).
2 Ein weiterer Bericht zur Tagung liegt vor von Hans Heinrich Nolte: Tagungsbericht Imperien und Reiche in der Weltgeschichte. 25.04.2010-01.05.2010, Hildesheim, in: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3157>.


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25.06.2010
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