Dealing with the Past, reaching the Future. Historische Erinnerung und gesellschaftlicher Wandel in (Süd)Afrika und Deutschland nach 1989

Dealing with the Past, reaching the Future. Historische Erinnerung und gesellschaftlicher Wandel in (Süd)Afrika und Deutschland nach 1989

Organizer(s)
Haus der Kulturen der Welt
Location
Berlin
Country
Germany
From - Until
29.10.2009 - 31.10.2009
By
Stefanie Müller, Research Academy Leipzig

Welche Rolle spielen Geschichte und Erinnerung für die Zukunft? Und wie kann die Erinnerung für die Gestaltung einer Gesellschaft der Zukunft genutzt werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Konferenz „Dealing with the past, reaching the future“ – einer weiteren Konferenz, die das Jahr 1989, die weltweiten politischen Umbrüche und die daraus resultierenden tief greifenden Transitionen erinnerte 1; im vorliegenden Fall mit Fokus auf Deutschland und Südafrika.

Angeregt von Bundesbildungsministerin Annette Schavan infolge eines Aufenthaltes in Südafrika im Februar 2008 und finanziell unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, lud das Haus der Kulturen der Welt in Kooperation mit dem Stellenbosch Institute for Advanced Study (STIAS) ein, um gesellschaftlichen Wandel und Erinnerungsprozesse in Deutschland und Südafrika in ihrem Verhältnis zu analysieren.

Angestrebt wurde dabei weniger ein direkter Vergleich der beiden Erinnerungsräume, sondern vielmehr die Suche nach gemeinsamen Herausforderungen und Herangehensweisen. So hieß es im Programmheft: „Die Rollen der historischen Erinnerung, des kulturellen Gedächtnisses in Gesellschaften, die mit tief greifendem Wandel und teils traumatischen Vergangenheiten umzugehen haben, sind vielfältig. Mit Blick auf die Post-Apartheid-Gesellschaft Südafrikas wie auch auf das wiedervereinigte Deutschland nach 1989 sondiert die Konferenz Selbstverständnis und konkrete Instrumente, Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Gestus der Befragung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Im afrikanisch-deutschen Dialog geht es um Fragen der Erinnerungspolitik und gegenwärtigen Praxis des historischen Erinnerns: Wie wird erinnert und aufgearbeitet? Welche Lesarten der Vergangenheit werden angeboten, welche gesellschaftlich und politisch verhandelt? Welche Rolle spielt die Frage nach der zukünftigen Form, der gemeinsamen Vision der Gesellschaft bei der Formulierung der heutigen Erinnerungspolitik?“ Vertreter aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Medien und Kultur diskutierten das Integrations- und Versöhnungspotential der gegenwärtigen Erinnerungskulturen in Südafrika und Deutschland. Betont subjektiv-individuelle Perspektiven von Protagonisten und Zeitzeugen auf das Jahr 1989 standen dabei im Mittelpunkt.

Der Einladung der Bundesministerin nach Berlin waren aus Südafrika vor allem die Vertreter des am STIAS unter der Leitung von BERNARD LATEGAN bereits abgeschlossenen Forschungsprojektes „Historical memory needs a future“ gefolgt. Lategan unterstrich in einer einleitenden Präsentation der Forschungsergebnisse des Projektes vornehmlich die Bedeutung der Zukunftsdimension im Erinnerungsprozess. Die Fähigkeit, dynamisch zu erinnern und die Zukunft als Element des Erinnerns zu begreifen, gilt ihm als Wegbereiter, die Gegenwart besser zu verstehen, die Zukunft zu antizipieren und zu gestalten.

Die gegenwärtige Bedeutung von Vergangenheitsbewältigung wurde durch NEVILLE ALEXANDER (University of Capetown) und MARTIN SABROW (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) als Auftakt zum ersten Panel problematisiert. Sie konfrontierten die einstmalige Hoffnung auf einen Modellcharakter der ‚Truth and Reconciliation Commission‘ (TRC) in Südafrika mit den begrenzten Erfolgen der Wahrheitsfindung durch die Kommission. Die TRC, so Alexander, habe nicht zu Versöhnung beigetragen. Was ihr gelang, war, die Stimmlosen zu Wort kommen zu lassen und die südafrikanische Elite mit 45 Jahren Apartheid zu konfrontieren. Eine Regenbogennation mit gemeinsamer Identität entstehe daraus jedoch nicht. Mit Blick auf die Situation in Deutschland ging es um die umstrittenen Begriffe ‚Wende’ und ‚Revolution’ und die Entstehung einer nostalgischen Ostidentität und damit ebenfalls um Fragen danach, wer erinnert und was erinnert wird. Diese Impulsreferate mündeten in eine Podiumsdiskussion, moderiert von Bernard Lategan. Die zentrale Erkenntnis des STIAS-Projektes – die Zukunftsgerichtetheit der Erinnerung als Schlüssel für Versöhnung und Vergebung – wurde durch MAMADOU DIAWARA (Goethe Universität Frankfurt a.M.) mit zahlreichen empirischen Belegen gefüttert. Die Entwicklung zukunftsgerichteter Strategien im Umgang mit der Vergangenheit bedürfe genau dieser qualitativen Studien an der Basis, sekundierte JÖRN RÜSEN (Kulturwissenschaftliches Institut Essen).

In einem weiteren Panel standen die Vermittler von Vergangenheit und Erinnerung im Mittelpunkt ebenso wie ihre Interpretationsangebote von Vergangenheit und Wahrheit. Es diskutierten unter der Moderation von JOACHIM NETTELBECK (Wissenschaftskolleg zu Berlin): PUMLA GOBODO-MADIKIZELA (University of Cape Town, ANTJIE KROG (University of the Western Cape), ANNEKIE JOUBERT (Humboldt-Universität zu Berlin), ELISIO MACAMO (Universität Basel) und JÖRN RÜSEN. Einer der zentralen Diskussionsaspekte war die Rolle der intergenerationalen Transmission von Erinnerung, Schuld und Opferrollen. Es wurde die These formuliert, dass Transmission in erster Linie innerfamiliär erfolge und dass familiäre Moralvorstellungen ein Beschweigen der Vergangenheit beförderten und damit Austausch verhindert würde. Wie bedeutsam jedoch gerade die verbale Auseinandersetzung mit Vergangenheit, die Übersetzung von traumatischen Ereignissen in Sprache und die Fähigkeit zur Empathie für ein Ende von Gewaltzyklen und die Möglichkeit der Vergebung sind, betonten die Diskutanten immer wieder.

Der letzte Teil der Konferenz widmete sich den Akteuren von Erinnerungsdiskursen; denjenigen, die nachfragen, aber auch denjenigen, die darüber befinden, was neben dem individuellen Erinnern in das kollektive und kulturelle Gedächtnis einer sozialen Gruppierung gelangt und wie es im öffentlichen Raum überliefert wird. ULRIKE POPPE (Evangelische Akademie zu Berlin, DDR-Bürgerrechtlerin) konzentrierte sich in ihrem Impulsreferat zum einen auf die Motive von Akteuren, gegen Vergessen und Verleugnung anzugehen. Zum anderen appellierte sie über das Aufzeigen von fünf Streitlinien im Umgang mit DDR-Geschichte und Erinnerung an ein Zusammenbringen der großen Verbrechensgeschichte des DDR-Systems mit der kleinen alltäglichen normalen Lebensgeschichte. Nur über diese Kombination könne Glaubwürdigkeit hergestellt und das Funktionieren einer Diktatur auch im Kleinen nachvollzogen werden. Denn, so Poppe, es sei dieser vermeintliche Widerspruch zwischen öffentlicher Erinnerung und individueller Erfahrung, der Zeitzeugen und Folgegenerationen irritiert zurück lässt und dem Einigungsprozess entgegenwirke. Im Folgenden wurde über die Rolle der Zivilgesellschaft im sozialen Transformationsprozess sowie in der Geschichtsaufarbeitung in Deutschland und Südafrika diskutiert. Auf dem Podium vertreten waren die Publizistin, Professorin und ehemalige Leistungssportlerin INES GEIPEL, BISCHOF WOLFGANG HUBER (ehem. Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland), ILKO-SASCHA KOWALCZUK (Historiker, Projektleiter der Abteilung Bildung und Forschung bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitdienstes der ehemaligen DDR) sowie NEVILLE ALEXANDER (University of Cape Town). Die sehr individuellen Statements thematisierten die Rollen von Einzelpersonen und Oppositionsgruppen, von Bürgerrechtlern und Kirchen, den Umgang von Opfern und Tätern miteinander, aber auch den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit als Voraussetzung für Aufarbeitung und Versöhnung.

Die Konferenz bot facettenreiche und zum Teil sehr persönliche und emotionale Einblicke in das, was Erinnerung für den Einzelnen, für die soziale Gruppe, aber auch für eine ganze Gesellschaft bedeuten kann, wie getrennte Geschichte erinnert wird und auf welche Weise Auseinandersetzung erfolgt. Sie offerierte verschiedene Interpretationsansätze dafür, warum das kulturelle Gedächtnis mancher Gesellschaften in der Vergangenheit verhaftet bleibt, während sich die negativen Rückbindungen anderer Gesellschaften zunehmend auflösen und welche Institutionen dafür eine Rolle spielen. Sie versuchte, die Akteure und ihre Motivationen im Erinnerungsdiskurs zu beleuchten, Mechanismen, Symbole und Argumente in der Weitergabe von Erinnerung zu analysieren.

Was leider keinen direkten Eingang in die Diskussionen um die Erinnerungskulturen in Deutschland und Südafrika fand, waren Fragen nach transnationalen Formen des Erinnerns. Die Beiträge der Gäste blieben vielfach in den jeweils nationalen Kontexten und nationalen Geschichten verhaftet. Dabei hätte gerade die grenzüberschreitende Verständigung über historische Ereignisse und Strukturen das Potential, traumatisierte Gesellschaften über eine Verschiebung der Erinnerungsschwerpunkte aus ihren nationalen Fesseln zu befreien. Südafrika verhandelt seine Vergangenheit heute immer stärker im Kontext einer Verantwortung für die Entwicklung des südlichen Afrika, wofür nicht zuletzt Strategien der Universität Stellenbosch stehen, zu einer Ausbildungsstätte für Talente aus den Nachbarstaaten zu werden und damit aktiv die Last der Apartheid-Geschichte abzutragen. Die deutschen geschichtspolitischen Kämpfe vollziehen sich erkennbar immer mehr in einem europäischen Kontext und zugleich angesichts einer wachsenden globalen Rolle der Bundesrepublik auf internationaler Ebene. Dies ruft andere Vergangenheiten als nur die geteilten und asymmetrisch verflochtenen der Ost- und Westdeutschen nach 1945 auf. Von alledem war auf dieser Konferenz bemerkenswert wenig die Rede, aber vielleicht war die Konferenz ein erster Schritt in diese Richtung. Zweifelsohne stellte sie für das Haus der Kulturen der Welt in Berlin im Jahr seines 20jährigen Bestehens einen der interkulturellen und intellektuellen Höhepunkte dar.

Anmerkung:
1 U.a.: „1989-2009: Erinnern für die Zukunft“ (19./20. Februar 2009, Forum Berlin. Politik und Wissenschaft im Dialog); „Freiheit im Blick: Europa 1989/2009. Geschichte einer Hoffnung – Ende einer Illusion?“ (18./19. März 2009, Goethe-Institut; Polnisches Institut Berlin; Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde Berlin); „1989-2009 – Gesellschaft, Geschichte, Politik" (16.-18. September 2009, Prager Institut für Zeitgeschichte) Internationale Konferenz „1989 in a global perspective“ (16. bis 18. Oktober 2009, Global and European Studies Institute, Universität Leipzig).

Konferenzübersicht

Begrüßung durch Bernd Scherer, Haus der Kulturen der Welt
Grußwort: Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
Einführung: Susanne Stemmler, Haus der Kulturen der Welt
Einführung in das STIAS-Forschungsprojekt: Bernard Lategan, Stellenbosch Institute for Advanced Study
Eröffnungsrede: Prof. Breyten Breytenbach, New York University
Musik: Hans Huyssen und Madosini

"Post-Apartheid und deutsch-deutsche Wiedervereinigung – Wege der Auseinandersetzung mit getrennter Geschichte"
Neville Alexander, University of Capetown
Martin Sabrow, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Panel 1: "Historisches Gedächtnis braucht Zukunft - Zentrale Forschungsergebnisse des Stellenbosch Institute for Advanced Study"
Kurze Zusammenfassung: Bernard Lategan
Projektvorstellung: Mamadou Diawara, Goethe Universität Frankfurt am Main
Diskussion: Neville Alexander, Bernard Lategan, Mamadou Diawara und Jörn Rüsen (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)

Panel 2: How to tell – Vision, Fiktion, Manipulation? Die Rolle der Vermittlung in Wissenschaft, Literatur und Medien“
Einführung: Antjie Krog, University for the Western Cape
Diskussion: Antjie Krog, Pumla Gobodo-Madikizela (University of Cape Town), Annekie Joubert (Humboldt Universität zu Berlin), Elisio Macamo (Universität Bayreuth)
Moderator: Joachim Nettelbeck, Wissenschaftskolleg zu Berlin

Panel 3: "Wer fragt? Erinnerung machen, Vergessen verhindern - Die Rolle der Zivilgesellschaft"
Einführung: Ulrike Poppe, Evangelische Akademie zu Berlin, DDR-Bürgerrechtlerin
Diskussion: Ilko-Sascha-Kowalczuk (Historiker, Projektleiter Abteilung und Forschung bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR), Bischof Wolfgang Huber (Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland), Neville Alexander und Ines Geipel (Schriftstellerin, ehemalige DDR-Spitzensportlerin)
Moderator: Susanne Stemmler

Contact (announcement)

Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin

http://www.hkw.de/de/top/kontakt/kontakt.php
Editors Information
Published on
12.02.2010
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German
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