Transnationale Kommunikation. 2. Vernetzungstreffen themenverwandter Graduiertenkollegs aus Bielefeld, Gießen, Leipzig und Rostock

Transnationale Kommunikation. 2. Vernetzungstreffen themenverwandter Graduiertenkollegs aus Bielefeld, Gießen, Leipzig und Rostock

Organizer(s)
Graduiertenkolleg 891 „Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“, Justus-Liebig Universität Gießen
Location
Ebsdorfergrund-Rauischholzhausen
Country
Germany
From - Until
27.11.2009 - 29.11.2009
Conf. Website
By
Andreas Braune / Hehn-Chu Ahn, GK Transnationale Medienereignisse, Justus-Liebig-Universität Gießen;

Im Anschluss an das erste Vernetzungstreffen themenverwandter DFG-Graduiertenkollegs1 kamen vom 27. bis 29. November 2008 erneut Vertreter der Kollegs 844 „Weltbegriffe und globale Strukturmuster/ Institut für Weltgesellschaft“ (Bielefeld), 891 „Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ (Gießen), 1261 „Bruchzonen der Globalisierung“ (Leipzig) sowie 1261 „Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs“ (Rostock) zusammen.

Nachdem das erste Treffen in Leipzig stattgefunden hatte, wurde nun das Gießener Kolleg mit der Konzeption der zweiten Konferenz betraut. In organisatorischer Hinsicht wurde ein modifiziertes Tagungskonzept erprobt, welches sowohl dem wissenschaftlichen Austausch als auch dem informellen Kennenlernen unter den Doktorand/innen dienen sollte. Das Tagungszentrum der Universität Gießen, Schloss Rauischholzhausen, erwies sich für dieses Format als bestens geeignet. Gleich am Anreisetag erfolgten eine kurze Vorstellung der jeweiligen Graduiertenkollegs sowie eine Diskussion im Kreise der Doktorand/innen und Postdoktorand/innen über formelle Aspekte des Promovierens in den jeweiligen Graduiertenkollegs. Der zweite Tag der Klausurtagung war dem Kreis der Doktorand/innen und Post-Doktorand/innen für Projektvorstellungen und Diskussionen vorbehalten. Am letzten Tag stellten jeweils ein/e Professor/in das Forschungsprogramm des eigenen Kollegs vor, welche durch die Präsentation eines entsprechenden Dissertationsprojektes ergänzt wurde.

Mit dem Tagungstitel „Transnationale Kommunikation“ griffen die Gießener Organisatoren in inhaltlicher Hinsicht das ihrem Graduiertenkolleg zugrunde liegende Konzept auf, öffneten es aber anlässlich des Treffens auch für Anwendungen in alternativen Forschungskontexten. Alle beteiligten Graduiertenkollegs beschäftigen sich mit Kommunikation über größere Distanzen, die jeweils als Transnationalität, als Kulturkontakt oder als Globalisierung konzipiert wird. Dabei geht es allen Kollegs um die räumliche Ausbreitung von Ideen und Praktiken, um das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Weltbilder, sozialer, politischer oder ökonomischer Traditionen, sowie um Konzeptionalisierungen weiträumiger, globaler Ereignisse und Strukturen. Die Verwendung des Rahmenthemas „Transnationale Kommunikation“ bedeutete entsprechend den Versuch, Überlegungen über die Anwendbarkeit des Transnationalisierungsbegriffs in den unterschiedlichen Forschungskontexten der Kollegs anzustellen. Dieser Versuch lag den acht Themenpräsentationen des zweiten Konferenztages zugrunde, welche sich auf vier Panels verteilten.

Das erste Panel widmete sich dem Thema „Koloniale Kommunikation“. Zunächst sprach RAPHAEL HÖRMANN (Rostock) über die Haitische Sklaven-Revolte als ein transnationales Medienereignis und nahm dabei vor allem die unterschiedlichen europäischen Rezeptionsformen dieses folgenreichen Ereignisses in den Blick. DEBORA GERSTENBERGERs (Leipzig) semantische Annäherungsversuche an den Begriff der „Transnationalen Kommunikation“ erwiesen sich in ihrem Vortrag über „Die Wirkung von transnationaler Kommunikation auf den Raum des portugiesischen Imperiums (1808-1821)“ als gewinnbringend. In Abgrenzung zum umstrittenen und oftmals „teleologisch“ verstandenen Begriff der Globalisierung legte sie dem Konzept der transnationalen Kommunikation die These der Hybridisierung unter und veranschaulichte an Ihrem Projekt, auf welche Weise die Verlegung der Hauptstadt Portugals von Lissabon nach Rio de Janeiro Transnationalisierungsprozesse hervorrief. Allerdings zeigte sich in diesem Panel auch, dass gerade im Kontext der Kolonialgeschichte der Begriff der Transnationalisierung an seine Grenzen stößt. Denn wo im imperialen Erschließungsraum keine Nationen existieren oder zumindest gemäß der Agenten der Imperienbildung nicht existieren sollen, wie in den damaligen Kolonien Haiti und Brasilien, wirkt der Begriff des Transnationalen zuweilen deplatziert.

Das zweite Panel widmete sich der „Religion in transnationaler Perspektive“. In seinem Vortrag über die „Medialisierung eines Rituals – Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878“ zeigte RENÉ SCHLOTT (Gießen), wie das Ritual Papsttod selbst zu einer Ritualisierung der transnationalen Medienberichterstattung führte und zeichnete dabei die Konjunkturen der Mediengeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nach. Im Anschluss daran referierte ADRIAN HERMANN (Bielefeld) über „die Verflechtung globaler Religionsgeschichte und die Weltgesellschaft“. Auf Grundlage systemtheoretischer Annahmen und am Beispiel der ‚Modernisierung’ bzw. Reformierung des Thai-Buddhismus zeigte er auf, wie diese Transformation eines vormals abgeschlossenen Religionssystems durch transnationale Kommunikation erfolgte, wenngleich er die Begrifflichkeit vermied.

Das dritte Panel firmierte unter dem Titel „Medien der Migration – Migration der Medien“. Es wurde von NICOLE K. KONOPKAS (Rostock) Vortrag „Epistolary Shapeshifters – Narrative Strategies in the Correspondence between Mecklenburg and North America in the 19th century“ eingeleitet. Auf der Grundlage diverser Briefwechsel und Korrespondenzen mecklenburgischer Emigranten zeigte sie Mechanismen des transatlantischen Kulturkontaktes auf. Da Sender und Empfänger gleichermaßen Mecklenburger waren – auch wenn die Auswanderer schnell begannen, sich als Amerikaner zu fühlen – ist der Begriff der transnationalen Kommunikation nur bedingt anwendbar, besonders jedoch dann, wenn er sich auf den Transport von (schriftlich formulierten) Bildern der Fremde bezieht. Im Anschluss daran referierte MAREN RÖGER (Gießen) über „Transnationale Verlagshäuser – Nationalistische Debatten“ und legte dabei den Fokus auf das spannungsgeladene Wechselspiel des unternehmerischen Engagements deutscher Verlagshäuser in Polen und der beiderseitigen Verwendung von Stereotypen und nationalistischen Topoi in den jeweiligen Printmedien. Gerade in diesem Thema wirkte das Konzept der transnationalen Kommunikation als fruchtbar, da die Rückbindung an den nationalen Deutungsrahmen offenkundig ist.

Das letzte Panel des zweiten Konferenztages trug den Titel „Globale Neuordnung der Gegenwart“ und widmete sich mit beiden Vorträgen Aspekten der Kommunikations- und Informationstechnologie. Zunächst wies HANNAH MOORMANN (Bielefeld) mit ihrem Vortrag „Zur Globalität von Organisationstechnologie“ auf das Potential und die Grenzen zur Herstellung von Globalität im Prozessmanagement und der unternehmerischen Organisation durch die Standard-Software SAP ERP hin. Daran schloss sich OLIVER KUHNS (Leipzig) Vortrag „Raumbezüge transnationaler Internetkommunikation“ an. Anhand des Beispiels von Internet-Diskussionsforen und mit einem ausführlichen Rekurs auf die ‚Digital Gap’ plädierte er im Kontext seines Projekts für den Begriff der Translokalität, da die Aufhebung der Ortsgebundenheit für die Internetkommunikation ausschlaggebender sei als die Aufhebung des Nationenbezugs.

Bei der anschließenden Abschlussdiskussion des zweiten Konferenztages standen zwei zentrale Fragen im Mittelpunkt. Erstens wurde diskutiert, wie man sich dem Begriff der Transnationalisierung bzw. transnationalen Kommunikation nähern kann, vor allem aber, in welchem Verhältnis er zu anderen relevanten Begriffen wie Globalisierung, Weltgesellschaft, Translokalität oder transkultureller Kommunikation steht. Neben dieser semantischen Annäherung stand als zweites die forschungspraktische Frage zur Diskussion, wie man diese Begriffe und besonders jenen der transnationalen Kommunikation für die individuellen Forschungsprojekte fruchtbar machen kann.

Bezüglich der ersten Fragestellung wurde ausgiebig diskutiert, aber nur bedingt Konsens hergestellt. Hierbei kristallisierten sich zwei zentrale Einwände gegen den Begriff der Transnationalisierung heraus. Demnach beinhalte er einen latenten Widerspruch, indem er die kommunikativen Prozesse jenseits des Nationalstaates in den Fokus nimmt, den Nationalstaat begrifflich aber als zentralen Referenzrahmen beibehalte. Zweitens wurde die These formuliert, dass grenzüberschreitende soziale Interdependenzen und kommunikative Praktiken per se existierten und die Verarbeitung im nationalen Referenzrahmen vielmehr die abhängige als die unabhängige Variabel darstelle (im Sinne von „Glokalisierung“).
Demgegenüber wurde angeführt, dass der Begriff der Transnationalisierung bzw. transnationalen Kommunikation gerade bei solchen Fragestellungen gewinnbringend sein kann, die einen deutlichen Bezug zum nationalen Referenzrahmen besitzen, sei es in historischer oder gegenwartssoziologischer Perspektive. Gerade eine Reihe von medienhistorischen Untersuchungen zeige, dass das Nationale eine relevante Größe darstelle, die sowohl Ursprung als auch Verarbeitungssubstanz transnationaler Kommunikation sein kann.

Bezüglich der zweiten Fragestellung kristallisierte sich im Laufe der Diskussion ein stärkerer Konsens heraus. Denn die Passfähigkeit bestimmter Begriffe erwies sich in besonderem Maße als abhängig von den individuellen Forschungsvorhaben. Der forschungspragmatische Werkzeugcharakter der einzelnen Begriffe wurde vielfach betont. Ein dogmatischer Begriffs- oder Theoriestreit sollte hierbei vermieden werden, vielmehr rücke die Frage ins Zentrum, ob, warum und wie ein bestimmter Begriff – oder vielmehr: der ihm zugrunde liegende Erklärungsgegenstand – für ein individuelles Forschungsvorhaben nutzbar zu machen ist. In diesem Sinne stellte der Versuch, das eigene Projekt einmal mit einem ‚fremden’ Begriff in Verbindung zu bringen, für die meisten Diskussionsteilnehmer einen Gewinn dar.

Am dritten und letzten Konferenztag wurden die Forschungsprogramme durch die Professor/innen vorgestellt, die den entsprechenden Internetpräsentationen der Kollegs entnommen werden können. Als exemplarisches Promotionprojekt hielt für das Gießener Kolleg EVA MODREY ihren Vortrag „’Olympia-Echo im Ausland’ – Olympische Spiele als transnationales Medienereignis“. Anhand der Olympischen Sommerspiele in München 1972 und auf Grundlage eines vielseitigen Quellenmaterials zeigte sie die Wechselwirkung von Ereignissen und transnationaler Medienresonanz auf. Darauf folgte die Vorstellung des Leipziger Kollegs und die Präsentation SIGRID KANNEGIEßERS „Transkulturelle Geschlechterkonstrukte in den Medien“. Sie vertrat auf Grundlage der gendertheoretischen Annahme, Geschlecht sei das Resultat soziokultureller Prozesse, die These, dass durch kulturelle Globalisierungsprozesse transkulturelle Geschlechterkonstrukte in afrikanischen Massenmedien entstehen. Im Anschluss daran zeigte TAO LIU (Bielefeld) den Anwendungsrahmen des Weltgesellschafts-Konzepts für „Globale Wissensdiffusion“ auf. In emphatischer Weise referierte er über „nationale Adaption im Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung am Beispiel der Unfallversicherung in China“ und zeigte auf, wie ‚westliche’ Normen und Standards hinsichtlich sozialer Absicherung in das Reich der Mitte ‚diffundierten’. Das letzte Vortragspanel der Tagung bildete die Präsentation des Rostocker Graduiertenkollegs und die Vorstellung des Promotionsprojektes ANNE BLAUDZUNS. In ihrem Vortrag „Germanophilie eines britischen Gelehrten“ nährte sie sich an das Wirken des liberalen britischen Historikers George Peabody Gooch an und stellte die Frage zur Diskussion, ob „Briten die besseren deutschen Historiker“ seien.

Weite Zustimmung fand bei allen Beteiligten das Grundprinzip des Vernetzungstreffens. Die Möglichkeit des Perspektivwechsels und des systematischen wie informellen Austauschs mit und über ‚andere’ Forschungskonzepte wurde als bereichernd gewertet. Aus diesem Grund wurde für eine Fortsetzung des Treffens themenverwandter Graduiertenkollegs im Mai 2009 plädiert. Das Rostocker Kolleg hat sich hierbei bereit erklärt, die Organisation der nächsten Tagung zu übernehmen.

Konferenzübersicht:

Koloniale Kommunikation

Raphael Hörmann (Rostock)
Spectres of Barbarism: The Haitian Slave Revolution (1791-1804) as a Trans-National Media Event

Deborah Gerstenberger (Leipzig)
Die Wirkung von transnationaler Kommunikation auf den Raum des portugiesischen Imperiums (1808-1821)

Religion in transnationaler Perspektive

René Schlott (Giessen)
Die Medialisierung eines Rituals – Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878

Adrian Hermann (Bielefeld)
Die Verflechtung globaler Religionsgeschichte und die Weltgesellschaft

Medien der Migration – Migration der Medien

Nicole K. Konopka (Rostock)
Epistolary Shapeshifting – Narrative Strategies in the Correspondence between Mecklenburg and North America in the 19th Century

Maren Röger (Giessen)
Transnationale Verlagshäuser – Nationalistische Debatten? Deutsche Verlagshäuser auf dem polnischen Printmedienmarkt: Gesellschaftliche Debatten und Berichterstattungsmuster

Globale Neuordnungen der Gegenwart

Hannah Moormann (Bielefeld)
Zur Globalität von Organisationstechnologie. Das Beispiel SAP ERP Standardsoftware

Oliver Kuhn (Leipzig)
Raumbezüge transnationaler Internetkommunikation – am Beispiel von Diskussionsforen

Präsentationen der Graduiertenkollegs
Medienereignisse und die Entwicklung transnationaler Kommunikation (Giessen)
Frank Bösch
Friedrich Lenger

Eva Modrey: „Olympia-Echo im Ausland“– Olympische Spiele als transnationales Medienereignis

Transnationale Kommunikation und Bruchzonen der Globalisierung (Leipzig)
Matthias Middell
Ulf Engel

Sigrid Kannengiesser: Transkulturelle Geschlechterkonstrukte in den Medien

Transnationale Kommunikation und globale Strukturmuster (Bielefeld)
Jörg Bergmann

Tao Liu: Globale Wissensdiffusion und nationale Adaption im Bereich der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung am Beispiel der Unfallversicherung in China

Kulturkontakte und transnationale Kommunikation (Rostock)
Peter Burschel

Anne Blaudzun: Germanophilie eines britischen Gelehrten: George Peabody Gooch (1873-1968) oder: Sind Briten die besseren deutschen Historiker?

Anmerkung:
1 Tagungsbericht DFG-Vernetzungstreffen “Encountering the Global: Concepts and Practices”. 30.05.2008-31.05.2008, Leipzig. In: H-Soz-u-Kult, 07.10.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2282>.