Sklaverei und Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen in historisch vergleichender Perspektive: Rechtliche Grundlagen – Soziale Praxis – Symbolische Repräsentation

Sklaverei und Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen in historisch vergleichender Perspektive: Rechtliche Grundlagen – Soziale Praxis – Symbolische Repräsentation

Organizer(s)
DFG-Graduiertenkolleg 846 Sklaverei – Knechtschaft und Frondienst – Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, Universität Trier
Location
Trier
Country
Germany
From - Until
18.12.2008 - 20.12.2008
Conf. Website
By
Alexander Trefz / Agnes Thomas, DFG-Graduiertenkolleg 846, Universität Trier

ELISABETH HERRMANN-OTTO (Trier), Sprecherin des Kollegs, führte in die Zielsetzung der Konferenz ein. Durch die sach- und methodenbezogene Anlage der insgesamt sechs Panels, innerhalb derer die Vorträge in chronologischer Reihenfolge angeordnet waren, sollte eine historisch vergleichende Betrachtung der Phänomene Sklaverei und Zwangsarbeit ermöglicht sowie ihr globaler Charakter deutlich gemacht werden. Für ihre weitere Erforschung im internationalen Rahmen seien gemeinsame Definitionen von Sklaverei und Zwangsarbeit notwendig, ohne dabei die beiden Erscheinungen gleichzusetzen bzw. ihre jeweils unterschiedlichen Ausprägungen zu nivellieren (letzteres gerade auch im Hinblick auf heutige sklavereiähnliche Verhältnisse nach dem offiziellen Verbot der Sklaverei durch die UN-Charta der Menschenrechte). Zur Diskussion stellte Herrmann-Otto deshalb als kleinsten gemeinsamen Nenner folgende Bestimmung: „Sklaverei ist ein Gewaltverhältnis eines Subjekts (Herr, Händler, Halter) über ein Objekt (einen seiner Freiheit und/oder Freizügigkeit beraubten Menschen), das sich temporär oder zeitlich unbegrenzt auf den ganzen Menschen oder allein seine Arbeitskraft (auch den Körper als Lustobjekt) bezieht.“1

Anwesend waren Vertreter/innen folgender für die Thematik relevanten Forschungsverbünde: Institute for the Study of Slavery, Nottingham (ISOS); Groupe International de Recherche sur l’Esclavage dans l’Antiquité, Besançon (GIREA); Forschungen zur Antiken Sklaverei, Mainz; Transformation Studies, Hannover; International Institute of Social History, Amsterdam. Im Tagungsprogramm war zugleich die Präsentation von Ergebnissen aus Arbeiten des Trierer Graduiertenkollegs nach sechs Jahren Forschungstätigkeit von April 2003 bis April 2009 enthalten.

In seinem Einführungsvortrag legte EGON FLAIG (Rostock) eine Theorie über den Zusammenhang zwischen der Abolition und der französisch-britischen Kolonialisierung Afrikas im 19. Jahrhundert vor, auf die im weiteren Verlauf der Tagung immer wieder von den Teilnehmern eingegangen wurde. Demnach sei der damalige Imperialismus im Unterschied zu den übrigen Formen ursprünglich vom Abolitionsgedanken motiviert gewesen. Umgekehrt sei der Gedanke der Abolition, nämlich die Forderung nach der grundsätzlichen Abschaffung der Sklaverei, in keiner anderen Tradition als in den geistigen Strömungen Europas zustande gekommen. Hierbei bildete vor allem Flaigs These eines humanitären Imperialismus die Grundlage einer angeregten Diskussion zahlreicher Konferenzteilnehmer, von denen besonders Ulrike Schmieder, Claus Füllberg-Stolberg und Andreas Eckert hervortraten.

Das erste Panel widmete sich dem Themenbereich „Staats-, privat- und gewohnheitsrechtliche Grundlagen – Soziale Praxis“. Ausgangspunkt war die Frage nach der Bedeutung von Gewohnheitsrecht und sozialer Praxis im Rahmen der extremen Asymmetrie der Macht zwischen Freien und Unfreien. Sind in diesem Zusammenhang historische oder räumliche Kontinuitäten festzustellen? Als erster Redner entwarf KOSTAS VLASSOPOULOS (Nottingham) in Anlehnung an den Begriff der koinonia bei Aristoteles2 ein theoretisches Modell, das die Lebensbedingungen der Sklaven/innen der griechischen Antike in ihren unterschiedlichen Ausprägungen erfassen soll. Der Begriff des lebenden Werkzeugs3, der von großen Teilen der Forschung übernommen wurde und die Behandlung der Unfreien als bloße Objekte und die Sklaverei als eine Form des sozialen Tods thematisiert, reiche nicht aus, um das Phänomen der antiken Sklaverei in seiner Gesamtheit zu beschreiben. Die Kombination mit dem Begriff der koinonia erlaube es dagegen, Sklaven/innen als aktiv handelnde Subjekte zu erkennen.

Mit seinem Beitrag zu zivilrechtlichen Folgen der Sklavenmisshandlung widmete sich SVEN KORZILIUS (Trier) dem Einfluss des römischen Rechts in Statusprozessen aus Portugal und Brasilien vor allem im 18. Jahrhundert. Das römische Rechtsinstitut des Zwangsverkaufs misshandelter Sklaven/innen sei im neuzeitlichen Portugal in innovativer Weise eingesetzt worden, um in Statusprozessen eine Freilassung zu erzwingen.

FRANZ IRSIGLER (Trier) wies in seinem Vortrag anhand frühmittelalterlicher Quellen eine Bedeutungsverschiebung des Begriffs servus von Sklave (juristisch eine Sache (res)) zu Knecht (ausgestattet mit Persönlichkeitsrechten) im 7. und 8. Jahrhundert v.Chr. nach. Entgegen bisheriger Forschungsmeinungen4 sei somit ein Wandel in der Art der Unfreiheit zumindest im Kernland des fränkischen Reiches um 800 abgeschlossen gewesen. Die Ursache für den Wandel sieht Irsigler weniger im Aufkommen der mittelalterlichen Städte als vielmehr in der Ausbreitung des grundherrschaftlichen Systems seit dem 7. Jahrhundert, für das wichtige Impulse von der Kirche ausgingen.

Im anschließenden Vortrag beschäftigte sich FRANZ DORN (Trier) mit dem Problem der Selbstverknechtung. Unter der Leitfrage Kann man sich selbst zum Sklaven machen? wies Dorn auf den Zusammenhang von servus und dem Eigentumsbegriff hin. Während einige Natur- und Vernunftrechtler (Grotius, Pufendorf) die Frage nach der Selbstversklavung als Ausdruck ihrer eigenen Freiheit für möglich hielten, erklärten andere die Freiheit als unveräußerliches Recht und Wesensmerkmal des Menschen (Rousseau).

Im Mittelpunkt von Panel II „Religion, Philosophie, Ideologie als (De-) Legitimation von Sklaverei“ standen die Rechtfertigung von Unterwerfung und Widersetzlichkeit in Systemen unfreier Arbeit sowie deren Strategien. Als erster Redner wies THOMAS GUARD (Besançon) auf die menschlichen Gefühle Ciceros gegenüber bestimmten Freigelassenen oder Sklaven hin, wie sie im Briefwechsel mit Atticus zum Ausdruck kommen. Aus dem Lob über die intellektuellen Fähigkeiten bestimmter Sklaven oder der Verwendung des Begriffs amicitia schließt Guard auf eine menschliche Haltung Ciceros gegenüber den ihm nahe stehenden Sklaven.

CLAUS FÜLLBERG-STOLBERG (Hannover) ging in seinem Beitrag zur Sklavenemanzipation in der Karibik auf die Rolle der Brüdergemeinde der Herrnhuter ein. Durch den Erhalt des Status Quo trug die protestantische Glaubensgemeinschaft im britischen, dänischen und holländischen Teil Westindiens zur Stabilisierung des Sklavensystems bei. Durch die Bekehrung der Sklaven/innen zum Christentum wurden sie zwar als Menschen behandelt, gleichzeitig jedoch auch ausgebeutet. Zum Konflikt kam es vor allem mit der Abolitionsbewegung in England, wo wenig bekannt war, dass die Brüdergemeinde auch Sklavenhalter war.

EDUARDO FRANÇA PAIVA (Belo Horizonte, Brasilien) befasste sich mit dem bisher nur wenig erforschten Thema der afrikanischen Sklaven/innen islamischen Glaubens in den kolonialen Amerikas. Der Vortrag bestand aus zwei Teilen: Im ersten Teil wies der Redner auf den schon seit dem 9. Jahrhundert bestehenden kulturellen Austausch zwischen den aus Nordafrika und Mauretanien stammenden Sklaven/innen hin. Das Quellenproblem, zu erkennen, wie viele der afrikanischen Sklaven, die über den Atlantik nach Brasilien gebracht wurden muslimischen Glaubens waren und inwieweit sie diesen Glauben ausübten, bildete den zweiten Teil des Vortrags.

CHRISTIAN GRIESHABER (Trier) analysierte in seinem Beitrag die Antikenforschung zur Zeit der schottischen Aufklärung zwischen 1750 und 1800. Entgegen der Auffassung M. I. Finleys5 war es demzufolge das Ziel, anhand der Quellen und unter Berücksichtigung des historischen Kontextes ein realistisches und differenziertes Bild zu rekonstruieren, wobei der einzelne Mensch als ein Teil der Gesellschaft im Mittelpunkt der Betrachtungen stand. So entstand, gerade im Bezug auf die Sklaverei, ein eher negatives Bild der antiken Gesellschaften. Der daraus mit Hilfe der conjectural history entwickelte Standpunkt, dass die Sklaverei nicht nur dem Naturrecht widerspreche, sondern auch schädlich für die Entwicklung einer Gesellschaft sei, hatte direkten Einfluss sowohl auf Freilassungsprozesse als auch auf die britische Abolitionsbewegung des späten 18. Jahrhunderts.

Der zweite Konferenztag wurde mit der Einführung in das Panel III „Handlungsspielräume unter unfreien Arbeits- und Lebensbedingungen“ begangen. Der thematische Schwerpunkt lag in den Möglichkeiten, welche handlungsoffenen Beziehungen Unfreien zur Verfügung gestanden haben und wie diese genutzt wurden. BASSIR AMIRI (Besançon) stellte eine Untersuchung zu den Aufgaben und Berufsgruppen von Sklaven/innen in den beiden germanischen Provinzen vor, soweit sie sich aus dem epigraphischen Material erschließen lassen. Dabei interessierten besonders die aktive Rolle, die Sklaven/innen in den verschiedenen Wirtschafts- und Sozialbereichen spielen konnten, sowie der Einfluss der Sklaventätigkeit auf den sozialen und wirtschaftlichen Wandel.

Die Überlebensstrategien brasilianischer Sklaven/innen von 1780 bis 1850 waren das Thema des Vortrags von DICK GEARY (Nottingham). So wie die Situationen der Sklaven/innen recht verschieden gewesen seien, seien auch die Überlebensstrategien unterschiedlich gewesen und reichten von Anpassung über Flucht bis zum bewaffneten Widerstand. In Brasilien verschwammen zunehmend die Grenzen zwischen Sklaven/innen, Freigelassenen und Freien, was sich beispielsweise in Gewohnheitsrechten, wie dem Verkauf von Überschüssen landwirtschaftlicher Produkte (peasent breach) widerspiegelt. Neben Diebstahl, Vergiftung oder Flucht haben sich den Sklaven/innen, die aktiv am Widerstand teilnahmen, Kommunikationsmöglichkeiten unter Mitwirkung von Sklaven/innen mit höherer Stellung geboten.

In ihrem Beitrag widmete sich CORNELIA ANDERSON (Trier) dem Thema der Fremdwahrnehmung von Sklavenarbeit im 19. Jahrhundert anhand von Berichten deutscher Einwanderer in den USA. Die Beurteilungen der Sklavenarbeit zeichneten sich durch stark polarisierende Wertungen aus; die Urteile reichten von maßloser Härte und brutaler Ausbeutung der Arbeitskraft der Sklaven bis zu deren Untertreibung, bzw. kompletten Leugnung und hätten den deutschen Immigranten als Strategie zur Erklärung ihrer Auswanderung sowie zur Anpassung und Positionierung in der US-Gesellschaft gedient.

Im nächsten Vortrag beschäftigte sich ANDREAS ECKERT (Berlin) mit unfreier Arbeit und Kolonialismus in Afrika im 20. Jahrhundert. Um Abolition und Freihandel durchzusetzen sei die starke Hand des Kolonialismus als notwendig erschienen; die Angst vor einem wirtschaftlichen und politischen Chaos im Falle einer abrupten Abschaffung der Sklaverei hätte über lange Zeit die Einführung alternativer Formen freier Arbeit verzögert.

MAJA SUDERLAND (Darmstadt) stellte am Beispiel der geschlechtlichen Identität Strategien von KZ-Häftlingen vor, mit denen sie der von den SS-Aufsehern systematisch betriebenen Anonymisierung in den Lagern entgegen wirkten, um sich so ihre menschliche Würde zu bewahren. Suderland legte dabei ihrer Analyse den von P. M. Neurath geprägten soziologischen Begriff der basic concepts zu Grunde6, also jene Vorstellungen vom Menschen und von Gesellschaft, von denen die Häftlinge durch ihre Herkunftsgesellschaft geprägt sind und die sie als soziale Akteure auch in der Extremsituation der Lager erhalten bzw. neu beleben.

Im ersten Vortrag des Panels IV „Widersetzlichkeit und Widerstand“, in dem Ausdrucksweisen sowie Konsequenzen von Widerstand in vergleichender Perspektive beleuchtet werden sollten, widmete sich PIOTR WOZNICZKA (Trier) den Schriften des antiken Geschichtsschreibers Diodor. Wozniczka unterstrich die Bedeutung der Werke Diodors für die Überlieferung und Beschreibungen von Sklavenaufständen auf Sizilien. Allein in seinen Werken fänden sich Hinweise für die Ursachen der Rebellionen, namentlich Berichte von Misshandlungen oder mangelnder Versorgung der Sklaven/innen (Alimentation, Kleidung usw.), was den Philanthropiegedanken im gesamten Werk Diodors unterstreicht.

ALEXANDRA HASSE-UNGEHEUER (Frankfurt am Main) beleuchtete die Reaktionen von Staat und Kirche auf das in der Spätantike offensichtlich gängige Phänomen der Klosterflucht von Sklaven/innen. Diese wurde erstmals auch ohne vorherige Freilassung durch Justinian 535 n.Chr. erlaubt, wohingegen die Kirche darin eine Missachtung der von Gott gewollten Ordnung gesehen habe.

Als nächste Vortragende hob ULRIKE SCHMIEDER (Hannover) am Beispiel Kubas den fließenden Übergang von adaptivem zu widerständischem Verhalten von Sklavinnen und Sklaven hervor. Da Justizquellen dominierten, sei es schwierig, Widerstandsformen im Alltag zu definieren. Schmieder betonte die Wichtigkeit der Geschlechterverhältnisse sowie den Ansatz, eine Geschichte von unten7 zu schreiben, also aus der Sichtweise der Unterdrückten.

DANIEL BRUCKNER (Trier) richtete seinen Fokus auf die Nachbarinsel Kubas, Hispaniola. Dort war es im spanischen Teil der Insel, in Boca de Nígua zum einzig bedeutsamen Sklavenaufstand in Santo Domingo gekommen. Dabei sei vor allem die Möglichkeit eines Informationsaustausches zum französischen Teil der Insel, in dem die Sklaverei schon vorher gewaltsam von den Sklaven/innen selbst abgeschafft worden war, grundlegend gewesen und hätte zur Bildung sozialer Netzwerke geführt.

Anhand der zeitlich befristeten Leibeigenschaft auf Teeplantagen in Assam zeigte RANA BEHAL (Delhi, Indien) Grenzen und veränderliche Formen des Widerstandes zur Zeit der Kolonialherrschaft auf. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten kam es zu Protesten gegen die Herrschaft, wobei Desertation und Sabotage die gängigsten Formen darstellten.

Mit Widersinn in der Bedeutung von Widerwillen oder Widersetzlichkeit bei der NS Arbeitsbeschaffung befasste sich DETLEV HUMANN (Trier). Der Redner zeigte die mannigfaltigen Vermeidungsstrategien von Erwerbslosen auf, die versuchten, den Notstandsarbeiten, dem Arbeitsdienst oder der Landhilfe zu entgehen. Er systematisierte die Umgehungsmöglichkeiten – etwa via ärztlichem Attest, Bummelei oder Flucht – nach den Kriterien Organisation und Öffentlichkeit. Außerdem skizzierte er die typischen Reaktionen des NS-Regimes auf die Umgehungsversuche der Erwerbslosen.

Der Abendvortrag von KEITH BRADLEY (Notre Dame, Indiana, USA) stand unter dem Motto Resisting Slavery at Rome. Neben Formen der Anpassung sind es vier Formen der Widersetzlichkeit, die von Sklaven/innen in der römischen Gesellschaft (wie auch in anderen Sklavenhaltergesellschaften) als Lebens- und Überlebensstrategien ausgeübt werden können: Revolten, Flucht, Selbstmord und alltäglicher Widerstand (Sabotage, Arbeitsverweigerung, Vortäuschen von Krankheit, kleine Diebstähle). Dass es sich auch bei letzterem um bewusste Aktionen handelt, zeigen vergleichbare Fälle aus der Sklaverei der Neuzeit in den beiden Amerikas. Die Sklaven/innen selbst erscheinen durch die so aufgezeigte Sichtweise entgegen der negativen Darstellung in den schriftlichen Quellen römischer Zeit als aktive und in dem ihnen möglichen Rahmen selbstbestimmt handelnde Individuen.

CLAUDE BRUNET (Besançon) befasste sich in Panel V „Identität und Würde“ mit der Funktion der Eigennamen von Sklaven bei Petronius. Er konnte aufzeigen, dass in den wenigen Fällen, in denen Sklavenfiguren nicht anonym bleiben, der Name ihnen dennoch keine Unterscheidung und damit Würde verleiht; vielmehr kennzeichneten die Namen die Sklaven/innen in ihrer Funktion und in ihrem Abhängigkeitsverhältnis in einer Art Typisierung, wodurch die von den Freien ausgeübte Herrschaft umso deutlicher würde.

ALF LÜDTKE (Erfurt) ging dem Problem identitätsstiftender Definitionen nach. Westliche Definitionen von Selbst, Subjekt, und Identität seien schwer zu fassende Begrifflichkeiten bei historischen Akteuren, deren Anwendung daher kritisch zu hinterfragen sei. Der Begriff Eigensinn könnte hierbei als Alternative dienen.

CHRISTOPH THONFELD (Trier) präsentierte in seinem Vortrag Ergebnisse von Befragungen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter. Im Mittelpunkt stand der Aspekt der Schaffung einer narrativen Identität im Interview, was als biographische Integrationsleistung, als Ausdruck von Zugehörigkeit und als Streben nach Anerkennung gedeutet werden kann.

TAMARA ENHUBER (Trier) widmete sich in ihrem Beitrag den Dynamiken zwischen Schuldarbeit, Würde/Identität(en) und kollektivem Handeln. Deren Analyse ermögliche, die bislang in der Forschung vernachlässigten nachhaltigen psychischen und sozialen Auswirkungen von Schuldarbeit sowie deren Konsequenzen für kollektiven Widerstand angemessen zu berücksichtigen.

Im letzten Panel VI „Bilder von Sklaverei“ stellte zunächst IVANO LOFFREDO (Trier) das philosophische Konzept von Freiheit und Sklaverei Dions von Prusa vor. Im Umfeld des Neostoizismus und in Anlehnung an Epiktet entwarf Dion in den Reden 14 und 15 eine Definition der inneren Freiheit bzw. der inneren Sklaverei, derzufolge nur derjenige frei sei, der wisse, was erlaubt und was verboten sei, und zwar durch philosophische Ausbildung.

BERNHARD ZIMMERMANN (Freiburg im Breisgau) analysierte anhand der Sklavenrollen in den elf erhaltenen Komödien des Aristophanes die Sklavenbilder der Alten Komödie. Die Rollen seien offensichtlich weder auf eine Intimität zwischen Sklave/Sklavin und Herr/Herrin konzipiert noch – im Gegensatz zur Neuen Komödie – so ausgelegt, dass sie als Motor der Handlung erscheinen.

Die vita des Lucullus von Plutarch stand im Mittelpunkt des Vortrags von GUY LABARRE (Besançon). Er analysierte die Art und Weise, in der hier das Dienstpersonal des Hauses vorgestellt wird (Beziehung zum Hausherrn, genaue Funktion). Im Vergleich zur Darstellung der Verhältnisse in der Vita des Crassus durch Plutarch ging es Labarre besonders darum festzustellen, wie die römische Elite in die Produktionskraft des Sklavenpersonals investierte und wie sie dieses leitete.

CLAUDIA VON BEHREN (Trier) stellte als archäologische Quellengattung Grabreliefs mit Darstellungen berittener Krieger aus dem nördlichen Schwarzmeergebiet des 2./1. Jahrhunderts v.Chr. und der römischen Kaiserzeit vor. Als Nebenfiguren der Reliefs treten waffentragende Diener auf, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Darstellungen von Sklaven gedeutet werden könnten.

Den Abschluss der Tagung bildete eine Podiumsdiskussion, die ausgehend von der Leitfrage Gehört Sklaverei der Vergangenheit an? methodische und definitorische Fragen wieder aufnehmen und weiterführende Fragestellungen nennen sollte. Durch die Brisanz der Thematik, die während der gesamten Tagung zu spüren war, und angestoßen durch den Eröffnungsvortrag Egon Flaigs entstand dann zunehmend auch eine politische Diskussion, die die teilweise konträren Einschätzungen zur Abolition, zu modernen sklavereiähnlichen Formen sowie zu den Möglichkeiten, diese zu bekämpfen, zum Gegenstand hatte. Die Umsetzung der aus der Geschichte gewonnenen Erkenntnissen in einer aktuell bedingten Diskussion kann als Erfolg der Tagung gewertet werden; Diskussion und Forschung um Sklaverei und Zwangsarbeit als Phänomen der Menschheitsgeschichte in Vergangenheit und Gegenwart sind bei weitem noch nicht abgeschlossen. Dies wurde im Laufe der Konferenz durch kontroverse Debatten immer deutlicher.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass durch den diachronen Vergleich Phänomene von Sklaverei und Zwangsarbeit in ihren unterschiedlichen Ausprägungen differenziert dargestellt sowie konstante Erscheinungen sichtbar wurden. Letzteres trifft gerade auch auf die innerhalb der engen Handlungsspielräume ausgeübten Akte von Widersetzlichkeit und Widerstand zu. Diese ähneln einander trotz unterschiedlicher historischer Kontexte und trotz der unterschiedlichen Zwangssituationen häufig und zeigen deutlich, dass Menschen, auch wenn sie in Unfreiheit geraten und zu unmündigen Objekten degradiert werden, niemals aufhören, bewusst denkende und handelnde Subjekte zu bleiben. Damit erscheinen die Sklaven/innen selbst als aktive und in dem ihnen möglichen Rahmen selbstbestimmt handelnde Individuen.

Ein Tagungsband innerhalb der Publikationsreihe Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit des Graduiertenkollegs 846 in Trier ist in Vorbereitung.

Konferenzübersicht:

Eröffnung:
Elisabeth Herrmann-Otto, Trier: Begrüßung und thematische Einleitung

Egon Flaig, Rostock: Was ist das welthistorisch Besondere am Abolitionismus und an der Abolition?

Panel I: Staats-, privat- und gewohnheitsrechtliche Grundlagen – Soziale Praxis (Moderation: Thomas Rüfner, Trier)

Kostas Vlassopoulos, Nottingham: Two Images of Ancient Slavery: the ‘LivingTool’ and the koinônia

Antonio Gonzales (vorgetragen von Marguerite Garrido-Hory) Besançon: Flux d’esclaves et dynamiques économiques dans l’empire romain. Une première globalisation?

Sven Korzilius, Trier: "...Ob saevitiam cogi dominum servum vendere ut hic resolvitur" – römisches Recht in Statusprozessen aus Portugal und Brasilien am Beispiel der zivilrechtlichen Folge der Sklavenmisshandlung

Franz Irsigler, Trier: Wann wird aus „servus“ = Sklave „servus“ = Knecht?

Franz Dorn, Trier: Selbstverknechtung – Selbstversklavung durch Vertrag?

Panel II: Religion, Philosophie, Ideologie als (De-) Legitimation von Sklaverei (Moderation: Ulrike Roth, Edinburgh)

Thomas Guard, Besançon: Affection et humanitas dans les relations maître-esclaves d’après la correspondance de Cicéron

Claus Füllberg-Stolberg, Hannover: Herrnhuter Missionare und Sklavenemanzipation in der Karibik

Eduardo França Paiva, Belo Horizonte (Brasilien): Allahs Servants, Slaves in Christendom - Africans of Muslim Faith in the Two Americas in the Colonial Age (Focus on Minas Gerais)

Christian Grieshaber, Trier: Forschung zur antiken Sklaverei im Zeitalter der schottischen Aufklärung – Wurzeln des britischen Abolitionismus?

Panel III: Handlungsspielräume unter unfreien Arbeits- und Lebensbedingungen (Moderation: Marcel van der Linden, Amsterdam)

Bassir Amiri, Besançon: De l’organisation du travail servile dans les Germanies d’après les sources épigraphiques

Dick Geary, Nottingham: Anpassung und Widerstand: Die Überlebensstrategien brasilianischer Sklaven,1780-1880

Cornelia Anderson, Trier: Fremdwahrnehmung der Sklaverei in den USA. Deutsche Einwanderer und die Sklavenarbeit

Andreas Eckert, Berlin: Der langsame Tod der Sklaverei. Unfreie Arbeit und Kolonialismus in Afrika im 20.Jahrhundert

Maja Suderland, Darmstadt: „Es bestand nicht die geringste Aussicht, jemals wirklich für alle ein Niemand zu werden“. Soziologische Überlegungen zur Häftlingsgesellschaft in nationalsozialistischen Konzentrationslagern

Panel IV: Widersetzlichkeit und Widerstand (Moderation: Michael Zeuske, Köln und Heinz Heinen, Trier)

Piotr Wozniczka, Trier: Ein humanistischer Blick auf die Sklavenaufstände bei Diodor

Alexandra Hasse-Ungeheuer, Frankfurt am Main: „... weil die göttliche Gnade alle gleich aufnimmt (Nov. Iust. 5,2)“: Sklaven werden zu Mönchen. Der Umgang von Kirche und Staat mit der Kloster„flucht“ von Sklaven in der Spätantike

Ulrike Schmieder, Hannover: Sklavenwiderstand auf Kuba

Daniel Bruckner, Trier: Vernetzter Widerstand? Die Rebellion von Boca de Nigua und „Haiti“

Rana Behal, Delhi (Indien): Boundaries and Shifting Forms of Resistance. Indentured Labour in Assam Tea Plantations during Colonial Rule

Detlev Humann, Trier: Widersinn und Protest bei der NS-Arbeitsbeschaffung

Keith Bradley, Notre Dame (Indiana, USA): Resisting Slavery at Rome

Panel V: Identität und Würde (Moderation: Ulrike Roth, Edinburgh)

Claude Brunet, Besançon: Les noms d’esclaves dans le Satyricon: identité acquise ou dignité perdue?

Alf Lüdtke, Erfurt: „Eigensinn“ – oder Reiz und Mehrwert eines Wortwechsels

Christoph Thonfeld, Trier: Identitäten zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung in den lebensgeschichtlichen Erzählungen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter/innen

Tamara Enhuber, Trier: Identitäten und ihre Dynamiken – Indische Arbeiter/innen in der Auseinandersetzung um das System der bonded labour

Panel VI: Bilder von Sklaverei (Moderation: Georg Wöhrle, Trier)

Ivano Loffredo, Trier: Sklaverei und Freiheit in den Reden des Dion von Prusa (Reden 14 und 15)

Bernhard Zimmermann, Freiburg im Breisgau: Sklaven und Sklaverei bei Aristophanes

Guy Labarre, Besançon: Quand Lucullus dînait chez Lucullus

Claudia von Behren, Trier: Bildliche Repräsentation von Unfreien

Teilnehmer der Podiumsdiskussion:
Franz Dorn, Andreas Eckert, Egon Flaig, Dick Geary, Georg Wöhrle und Michael Zeuske sowie Moderationsleiterin Elisabeth Herrmann-Otto

Anmerkungen:
1 Elisabeth Herrmann-Otto, Einführung, in: Dies. (Hrsg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, Hildesheim 2005, S. I-XVIII, hier S. XI.
2 Aristot. eth. Nic. 8, 1160a 4-6.
3 Aristot. pol. 1, 253b 31-33.
4 Guy Bois, Umbruch im Jahr 1000. Lournand bei Cluny ‒ ein Dorf in Frankreich zwischen Spätantike und Feudalherrschaft, München 1999; Hermann Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter. Germanisches und römisches Recht in den germanischen Rechtsaufzeichnungen I, Göttingen 1972.
5 Moses I. Finley, Ancient Slavery and Modern Ideolgy, London 1980, S. 25.
6 P. M. Neurath, The Society of Terror. Inside the Dachau and Buchenwald Concentration Camp, Boulder/Colorado 2005 (Diss. 1943), S. 261.
7 Wie z.B. Gloria García, La Esclavitud desde la Esclavitud, Habana 2003.


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Published on
10.03.2009
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