36th Conference of the European Group for the Study of Deviance and Social Control: Conflict, Penal Policies and Prison Systems

36th Conference of the European Group for the Study of Deviance and Social Control: Conflict, Penal Policies and Prison Systems

Organizer(s)
European Group for the Study of Deviance and Social Control
Location
Padua
Country
Italy
From - Until
04.09.2008 - 07.09.2008
Conf. Website
By
Andrea Kretschmann, Institut für Rechts- & Kriminalsoziologie Wien

Etwa fünfzig WissenschaftlerInnen hielten vom 4.-7. September die 36igste Konferenz der “European Group for the Study of Deviance and Social Control” in Padua, Italien, ab. Daran nahmen einige Gründungsmitglieder des seit 1973 bestehenden Zusammenschlusses, aber auch eine nicht geringe Anzahl von NachwuchswissenschaftlerInnen aus den Bereichen Soziologie, Rechtswissenschaft, Politische Wissenschaften und Kriminologie teil. PraktikerInnen, AktivistInnen oder ehemalige Gefangene waren – entgegen dem Anspruch der European Group, alle Beteiligten mit einzubeziehen – nicht dabei. Im Zentrum der Tagung ‘Conflict, Penal Policies and Prison Systems’ stand die kritische Betrachtung der Entwicklung institutioneller sozialer Kontrolle in einem Europa der wachsenden sicherheitsorientierten Rhetorik und der Zunahme autoritärer Gesetze.

Den Auftakt der Tagung gaben am Donnerstagabend GUISEPPE MOSCONI und PHIL SCRATON. Der von ihnen eingenommene Blick wies dabei die zwei wesentlichen thematischen Rahmungen der Konferenz auf: der Betrachtung von Tendenzen der Entwicklung von Gefängnissystemen in Europa einerseits und der Analyse der Regulierungsversuche von Migrationsbewegungen andererseits.
Mosconi bezog gegenwärtige sicherheitspolitische Prozesse in Italien auf den Wandel der Gefängnissysteme. Einerseits werde Sicherheit zunehmend – sowohl von der Linken als auch von der Rechten – politisch instrumentalisiert. Die in den letzten Jahren verabschiedeten Sicherheitspakete organisierten sich dabei maßgeblich um das ‚Problem’ der Migration herum. Andererseits herrsche in der italienischen Gesellschaft eine gewisse passive Haltung gegenüber der Politik vor: das gesellschaftlich vorhandene Streben nach Sicherheit sei weniger Bestandteil politischer Forderungen, als dass es eine geteilte Kultur darstelle. Neue sicherheitspolitische Interventionen hätten deshalb kaum noch eine Alarmwirkung. Vielmehr ermöglichte diese Entpolitisierung der Thematik das Kappen bestimmter Stränge demokratischer Partizipation. Die Entwicklung des Gefängnissystems stünde ebenfalls in dieser Tradition entdemokratisierter, populistischer Entscheidungen. Phil Scraton bezog sich in seinem Vortrag auf gegenwärtige Fälle von Folter, der Inhaftierung ohne Verurteilung und andere Praktiken struktureller Gewalt in Gefängnissen von Seiten Großbritanniens und der USA. Institutionalisierte Gewalt, so Scratons These, sei die logische, unausweichliche Folge von Bestrafungspolitiken und -praktiken. Gewalt, so versuchte er unter Bezugnahme auf Goffmans „totale Institutionen“ (1973) nachzuweisen, sei in ‚entwickelten’ demokratischen Staaten vielmehr als zentrales Element von Inhaftierung zu betrachten (siehe auch Scraton/McCulloch 2008). Auch wenn es ihm gelang, seine ihn letztlich zu einem abolitionistischen Standpunkt führende These sehr schlüssig darzustellen, wurde die historische Spezifik seines Analysegegenstandes nicht ausreichend deutlich. So blieb beispielsweise unklar, was die Folter im 21. Jahrhundert von der Folter im 16. Jahrhundert unterscheidet, und demnach auch, welche Gegenstrategien zu entwerfen seien. Mit seinem Vortrag schloss Scraton dennoch direkt an das bis heute getragene Anliegen der European Group an, die in den 60er Jahren in Europa – zunächst in den skandinavischen Ländern – entstandenen Anti-Gefängnis und Anti–Heim-Bewegungen als abolitionistische Perspektive in den Sozialwissenschaften stark zu machen. Eine Verringerung der Kriminalität sei nicht durch verbesserte Behandlungsmethoden oder verschärfte Gesetze zu ereichen. Vielmehr würden solche institutionelle Maßnahmen zur Marginalisierung und Kriminalisierung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen beitragen. Die European Group geht davon aus, dass Gesellschaften auch ohne derartige Strafmaßnahmen auskommen. Sie plädiert deshalb für die Abschaffung solcher Einrichtungen und die Bereitstellung von Alternativen zur Reduzierung der Gefangenenzahlen.

Der nächste Morgen war in drei Paralellsessions aufgegliedert. CLAUDIA MANTOVAN sah die nationale Rahmung von Staatsbürgerschaft im Zuge der Globalisierung und der Zunahme von Migrationsbewegungen nach Europa in die Krise geraten. Die italienische Gesellschaft habe hingegen bisher keine Anstrengungen unternommen, die Kriterien für eine gesellschaftliche Inklusion zu verändern. In ihrer Untersuchung migrantischer Mobilisierungen am Beispiel des Veneto kam sie zu dem Schluss, dass diese die Thematik in ihrer Krisenhaftigkeit zwar sichtbar werden ließen, aufgrund ihrer marginalen gesellschaftlichen Position Bürgerschaft hingegen nicht zu einer ihrer Forderungen machten. MARY CORCORAN richtete in ihrem Beitrag den Fokus auf mögliche Konsequenzen des derzeitigen britischen Trends, zunehmend NGOs direkter in den Bereich des Strafvollzugs zu integrieren. Nicht nur würde diese Transformation genutzt, um eine Ausweitung des Strafvollzugsnetzwerkes zu legitimieren. Auch trage sie zu einer stärkeren Marktorientierung der NGOs bei. Deren Umstrukturierung hin zu gewöhnlichen Dienstleistungsunternehmen habe notwendig die Ablösung der NGOs von ihren sozialkritischen Vorstellungen zur Folge.

Die nächste Parallelsession hatte zunächst die Kriminalisierung der Fußballfangruppe „Ultras“ zum Thema. Diese würden als gewalttätig und gefährlich dargestellt, so der Referent VINCENZO SCALIA, um eine repressivere Gangart gegenüber dieser Fangruppe zu legitimieren. Nicht nur werde durch diese Marginalisierungsbestrebungen versucht, eine stärkere Kommerzialisierung von Fußballevents zu ermöglichen. Auch sei mit der Einführung neuer polizeilicher Praktiken die spätere Übertragbarkeit auch auf andere gesellschaftliche Gruppen schon angedacht. Der folgende Beitrag von ALEXIA VENOUIL bezog sich hingegen auf das „Programm 13200“, welches als eine Lösung für die Überbelegung französischer Gefängnisse dargestellt wurde. Ihre These war, dass mit den 13.200 neuen Gefängnisplätzen, die durch Umstrukturierungsmaßnahmen in Gefängnissen und dem Bau neuer Einrichtungen gewonnen wurden, weniger die Überbelegung behoben, sondern drastische Veränderungen im Gefängnissystem ermöglicht werden sollten. Neue Praktiken der Überwachung und Disziplinierung sowie die verstärkte Möglichkeit der Kurzzeitinhaftierung von immer mehr Menschen würden nicht nur durch eine neue räumliche Organisation ermöglicht, sondern auch durch die Verringerung der Kosten durch Teilprivatisierungen. Venouil bezeichnete dies als Trend hin zu einem neuen „Iron Cage“.

Die darauf folgende Plenarsitzung hatte die Dringlichkeitsrhetorik des Sicherheitsdiskurses und seine Effekte auf Rechtsstaatlichkeit zum Thema. Diese manifestierte sich für SALVATORE PALIDDA in der zunehmenden Rahmung außen- und innenpolitischer Probleme in der Grammatik des Krieges. Vor diesem Hintergrund würden soziale Probleme immer öfter mit gewaltsamen Mitteln zu lösen versucht, polizeiliche und militärische Aufgaben verschmölzen. Die Zunahme sozialer Ungleichheit und die Erosion des Rechtsstaates seien die Folge. Auch ANDREA KRETSCHMANN sah in der Frage der Sicherheit einen Leitgedanken innen- und außenpolitischen Regierens. Besonders das Feld der Asylpolitik stehe unmittelbar in Zusammenhang mit einem sicherheitspolitischen Pragmatismus. Dabei würden Asylsuchende, so zeigte sie anhand der Einrichtung des Asylgerichtshofes in Österreich, nicht nur mittels eines Einschlusses in Gefängnissen und Lagern gesellschaftlich ausgeschlossen, sondern es finde ein solcher Prozess auch mittels eines einschließenden Ausschlusses vor dem Recht statt. Die Managerialisierung der Asylpolitik erhalte im Rahmen der aktuellen politischen Strategien proaktiver Kontrolle seine Rationalität und Notwendigkeit und sei insofern Indikator eines veränderten Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit.

Im Fokus der ersten Paralellsession des Samstags standen Effekte des Rechts in Zusammenhang mit internationalem Terrorismus. Wie am Vortag Salvatore Palidda, so ging auch GABRIELA PETTI in ihrer Untersuchung von einem „war frame“ aus. Diese Rahmung, so die Ausgangsfrage, könnte Effekte auf diejenigen Institutionen haben, die für die Interpretation gesellschaftlicher Normen im Rahmen der Gesetze zuständig sind: Die Gerichte. Die von Petti nachfolgend dargestellten exkludierenden Praktiken in solchen italienischen Prozessen, welche die neu eingeführte Kategorie des internationalen Terrorismus verwenden, wiesen jedoch kaum Unterschiede zu früheren Terrorismusverfahren auf. Zwar würde die Kategorie „Terrorismus“ wie ein Gummibegriff auf verschiedenste Sachverhalte angewendet. Dennoch könne hier weniger von rechtlichen Ausnahmen gesprochen werden. Vielmehr stelle sich hier die Normalität alltäglicher, von Effizienzlogiken und systemischen Eigendynamiken durchdrungener Prozessabläufe dar, in welchen sich eine juridische Variante von Staatsrassismus zu erkennen gebe. ANTONIO MUNOZ AUNIÓN sprach sich in seinem Beitrag für eine reflexive Vorgehensweise von Staaten im „Kampf gegen den Terror“ aus, um die Destruktion von Freiheitsrechten in verfassungsrechtlicher Hinsicht als auch im internationalem Recht zu verhindern, welche staatliche Interventionen in der Vergangenheit mit sich gebracht hätten. Das bisherige Vorgehen von Staaten hätte in der Vergangenheit des öfteren vielmehr selbst zu Staatsterrorismus geführt. Doch auch wenn es der Staat selbst sei, der definiere was als Verbrechen gelte und was nicht, so seien solche Gesetze zu stärken, die ein solches Vorgehen verurteilten.

GIOVANNI TORRENTE reflektierte in der letzten Parallelsession des Tages die Effekte der Diskursivierung des Amnestiegesetzes „Collective Pardon“ (gratiere colectiva) von 2006, eines der meistkritisierten Gesetze unter Prodis Regierung in Italien. Es ist gängige Meinung, dass dieses Gesetz eine Zunahme der Kriminalität von Seiten der Entlassenen zur Folge hatte. Torrentes Studie der Rückfallzahlen gibt jedoch zu gegenteiliger Annahme Anlass. Die Problematisierung der staatlichen Intervention stellten, so Torrente, vielmehr einen Fall der sozialen Konstruktion von Angst dar. Die gleiche Regierung, welche einstmals das Gesetz veranlasst habe, übernehme nun die Rolle des Moralunternehmers, um sich der notwendigen Konsequenz, auch strukturell alternative Maßnahmen anzubieten, zu entziehen. Zuletzt las Phil Scraton ein Papier von CRAIG W.J. MINOUGE vor, welcher seit 1986 in einem australischen Gefängnis inhaftiert ist. In seinem Beitrag argumentierte er für eine Ausweitung des Begriffs des politischen Gefangenen. Es greife zu kurz, nur Gefangene als politische Gefangene zu begreifen, die wegen einer politischen Tat einsitzen würden. Nicht nur mache die Inhaftierung von Individuen vor dem Hintergrund ihrer sozialen Benachteiligung auch diese Gefangenen zu politischen Gefangenen. Auch sei der Kampf gegen zugefügtes Unrecht in der „totalen Institution“ selbst ein politischer Akt, dem mit dem Status „politischer Gefangener“ Rechnung getragen werden müsse.

Auch wenn der gemeinsame Fokus die Frage nach Tendenzen im Bereich der sozialen Kontrolle sowie nach Möglichkeiten einer Trendwende beinhaltete, sei es im Bereich der Gefängnissysteme, der Migration oder etwa der Kriminalisierung von Fußballfans, so wurden die vielen unterschiedlichen Themen auf der Tagung nicht zusammengeführt. Auf diese Weise hatte es den Anschein, als würden neben den altbekannten Disziplinartechniken des Gefängnissystems lediglich neue nationale Trends nebeneinander gestellt. In Zukunft soll deshalb der europäische Charakter der Gruppe dafür genutzt werden, europäische Prozesse stärker mit einzubeziehen, so dass eine Vergleichbarkeit der Entwicklungen in den verschiedenen Ländern erleichtert wird. Die nächste Konferenz in Preston (England) vom 27.-30.8. 2009 steht deshalb unter dem Vorzeichen von Tendenzen der Europäisierung sozialer Kontrolle. Zudem könnte auch die Rückkehr der European Group zu ihrer alten Form die Einbettung der abolitionistischen Perspektive in einen geteilten gesellschaftspolitischen Rahmen erleichtern: Die nächste Tagung soll neben den Vorträgen auch Workshops beinhalten, zudem sollen politische AktivistInnen wieder stärker integriert werden.
len politische AktivistInnen wieder stärker integriert werden.

Contact (announcement)

Mag.a Soz. MA Krim. Andrea Kretschmann
Institut für Rechts- & Kriminalsoziologie
Museumsstr. 5/12
A-1070 Wien
Email: andrea.kretschmann@irks.at
Tel: +43[0]1-526 15 16 20


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Published on
19.12.2008
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