Power, Institutions and Global Markets. Actors, Mechanisms and Foundations of World-Wide Economic Integration, 1850-1930

Power, Institutions and Global Markets. Actors, Mechanisms and Foundations of World-Wide Economic Integration, 1850-1930

Organizer(s)
Christof Dejung und Niels P. Petersson mit der Unterstützung des Exzellenzclusters “Cultural Foundations of Integration” an der Universität Konstanz
Location
Konstanz
Country
Germany
From - Until
26.06.2008 - 28.06.2008
Conf. Website
By
Maria Hidvegi, GWZO, Universität Leipzig

Die Frage nach dem Ursprung der heutigen global vernetzten Welt nimmt in mehr und mehr Subdisziplinen der Geschichtsschreibung einen immer wichtigeren Platz ein. 1 Einen besonders starken Hintergrund liefert dazu die Wirtschaftsgeschichtsschreibung, die die Herausbildung und Funktionsweise zunehmender globalen Verflechtungen seit mehreren Jahrzehnten thematisiert. Die Tagung wandte sich zwei, bisher unzureichend beleuchteten Schlüsselfragen dieser Entwicklung zu, indem sie das Zusammenspiel staatlicher und privater Akteure und die Entstehung der Institutionen der Weltwirtschaft in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt hat. Ein Schwerpunkt wurde dabei auf die kritische Betrachtung der De-Globalisierungsthese über die Zwischenkriegszeit gesetzt.

Der Hauptredner, HAROLD JAMES (Princeton), gab eine geistesgeschichtliche Einführung zur Interpretation der internationalen Ordnung. Er verglich, wie die imperiale, die naturrechtliche und die Globalisierungstradition den Ursprung und Funktionsweise, die Chancen und Herausforderungen der globalen Integration gedeutet haben und in wie weit sich diese drei Gedankenstränge zur Analyse des heutigen internationalen politischen und wirtschaftlichen Systems eignen.

Die Reihe der Tagungsvorträge wurde von JÉRÔME SGARD (Paris) eröffnet mit einer Analyse des internationalen Insolvenzrechts, eine der Kerninstitutionen des globalen Marktes. Untersucht wurden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der nationalen Gesetze im Europa des 19. Jahrhunderts und die Ursachen der bis heute ausgebliebenen Vereinheitlichung nationaler Gesetze sogar miteinander eng verknüpfter Staaten wie z. B. innerhalb der EU. Ein zentrales Forschungsergebnis von Sgard ist, dass die europaweite Konvergenz nationaler Regelungen während des 19. Jahrhunderts nicht von den Wirtschaftsakteuren betrieben wurde. Vielmehr kann diese durch einen reinen intellektuellen Transfer unter den Berufsständen der Juristen unterschiedlicher Nationen und die pragmatischen Entscheidungen nationaler Gesetzgeber bei der Lösung ähnlicher Probleme erklärt werden. NIELS P. PETERSSONS (Konstanz) Vortrag besprach die Rolle nationaler, internationaler und transnationaler rechtlichen Institutionen in der Regulierung wirtschaftlicher Transaktionen zwischen 1880 und 1930. Dabei wurde aufgezeigt, dass trotz ziemlich effektiver transnationaler Regelproduktion und –Durchsetzung ein idealer „mercantile internationalism“ weder vor nach dem Krieg verwirklicht werden konnte: der Staat blieb ein unsichtbarer Partner in jeder Transaktion. Die Tatsache also, dass im Zeitalter unabhängiger interventionistischer Staaten das Regelwerk privater Akteure von öffentlicher Erlaubnis und Sanktionierung abhängt, schaffe einen Raum für Kompromisse und einen größeren Einfluss demokratischer Institutionen auf die Regulierung internationaler wirtschaftlichen Transaktionen, als das in kritischen Darstellungen der wirtschaftlichen Globalisierung anerkannt wird. Jan-Ottmar Hesse wies darauf hin, dass die Neue Institutionenökonomie ein hilfreiches Instrumentarium darbieten kann, um zu erklären, warum in den einzelnen Vorgängen ökonomische oder politische Macht zur Durchsetzung lokaler Rechtsordnungen benutzt wurde.

ROWENA OLEGARIO (Vanderbilt University) erörterte in ihrem Beitrag die unterschiedlichen Lösungen, die nordamerikanische, britische und deutsche Wirtschaftsakteure in Hinblick auf eines der fundamentalen Probleme grenzüberschreitender Handelsbeziehungen, der Informationsasymmetrie,hier der Information über die Kreditwürdigkeit des potenziellen Geschäftspartners, gefunden haben. Warum die zwei Institutionstypen in den drei Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind und wie sie an Legitimation gewonnen haben, stand im Vordergrund der Analyse, die außer „hard facts“ wie unterschiedlichen Markt- und Handelsstrukturen bzw. gesetzlichem Umfeld auch kulturelle Faktoren zur Klärung der Fragen einbezog. CHRISTOF DEJUNG (Konstanz) zeigte anhand des Beispiels der schweizerischen Firma Volkart Bros, wie europäische, amerikanische und japanische Handelshäuser zwischen den Produktions- und den verarbeitenden Regionen von Baumwolle eine unentbehrliche Vermittlerrolle eingenommen haben, indem sie Techniken der Rohmaterialbeschaffung, Standardisierung und des Vertriebs des Produkts entsprechend den Bedürfnissen der europäischen Baumwollbörsen ausgearbeitet haben. Damit hätten – statt der britischen Kolonialregierung – privatwirtschaftliche Akteure zum Aufbau und zur Stabilisierung eines globalen Baumwollmarktes und letztendlich zur Ausbildung der modernen Konsumgesellschaft beigetragen. In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass die Fallstudie hilfreich sein kann zur Beantwortung genereller Fragen wie z. B. wie eine kleine Firma aus der Schweiz solch eine Position erlangen und jahrzehntelang behaupten konnte und welche Funktionen das von Volkart großgeschriebene „Vertrauen“ in den globalen Transaktionen genau eingenommen hat.

Die zwei folgenden Vorträge beschäftigten sich mit nationalen Institutionen, die die Weltwirtschaft weitestgehend beeinflussten. BERNARD ATTARD (Leicester) beschrieb die Funktionsweise der Londoner Börse mit Fokus auf ihre Rolle in der Platzierung, Notierung und Vermarktung von Krediten der australischen Regierung. Anhand dieses Beispiels kamen Grundzüge der Machtstrukturen der Weltwirtschaft deutlich zum Vorschein: Wirtschaftlich und/oder politisch Schwächeren hatten sich an die von den etablierten Mächten festgesetzten Regeln anzupassen. Gleichzeitig reagierten aber die etablierten Institutionen flexibel auf die Herausforderungen der Zeit. BERND-STEFAN GREWE (Konstanz) beleuchtete die politischen und ökonomischen Bedingungen und die speziellen Maßnahmen, die London zur Vermittlerposition zwischen südafrikanischem bzw. australischem Gold und den Käufern, in erster Linie Indien, verhalfen. Mit der Erschütterung der imperialen Struktur kamen nach dem Krieg die strukturellen Schwächen der Position von London auf dem Goldmarkt zum Vorschein. Nach dem gescheiterten Versuch einer Rückkehr zum Goldstandard hatte London seine Führungsrolle im Goldhandel endgültig zugunsten der neuen Zentren um den Pazifik abzutreten. Ein interessanter Punkt in der nachfolgenden Diskussion war die Rückfrage nach dem Zusammenhang der Londoner Position als finanzielles Zentrum und ihrer Rolle als Zentrum des globalen Goldmarkts. Grewe deutete in diesem Zusammenhang auf die enorme Macht des Glaubens hin. Zeitgenossen haben nämlich an den Zusammenhang der beiden Positionen geglaubt und genau das habe zur Wiedereinführung des Goldstandards geführt, zusätzlich gefördert durch kostspielige Regeln für Großbritannien, die London dazu verhelfen sollten, seine hegemoniale Position auf dem Goldmarkt wieder einzunehmen.

Ausgehend von der Hypothese, dass die zweite industrielle Revolution und die erste Globalisierungswelle gerade wegen der globalen Verbreitung von Wissen zusammenfielen, ging DAVID GILGEN (Bielefeld) der Frage nach, ob sich ein internationaler Markt für Innovationen tatsächlich entstand und wie er sich charakterisieren lässt. Neben dem relativ gut erforschten Gebiet internatonaler Verträge zum Eigentumsrecht sollten dafür auch die nationalen Gesetze und die bilateralen Verträge unter die Lupe genommen werden, um die dem internationalen Technologietransfer unterliegenden Interessen und Machtstrukturen genau erklären zu können. Diese Überlegungen wurden passend ergänzt vom PIERRE-YVES DONZÉs (Kyoto) Vortrag. Anhand des ‚late-comer’ Japan wurde veranschaulicht, dass die infolge der Pariser Union zum wahrhaft globalen Machtmittel gewordenen Patente in erster Linie von den multinationalen Unternehmen und (ihren) Kartellen profitabel genutzt werden konnten: Aus Interesse am Zugang zu den neuesten Technologien musste Japan mit Hinblick auf die mit komplexen Produktionsprozessen arbeitenden neuen Industrien die Schutzrechte der multinationalen Unternehmen anerkennen. In vielen traditionellen Industrien ohne richtigen global player fand jedoch weiterhin ein lebendiger Transfer durch die staatlich unterstützte Ausspielung des internationalen Patentsystems statt. Beide Vorträge zeigten den Spielraum des nationalen Protektionismus auf, unterstrichen aber auch, dass obwohl das internationale Patentsystem die Position der Pioniere gegenüber den late-comers stärkte, auch die letzteren durchaus imstande waren, vom internationalen Regelwerk zu profitieren. Die Vorträge wiesen auch deutlich darauf hin, dass die in den heutigen Debatten oft auftauchende ‚Erklärung’ der unterschiedlichen Einstellungen zu Eigentumsrechten durch ‚kulturelle Unterschiede’, also die Praxis und die Art und Weise der Thematisierung des Problems, keineswegs neu ist.

PHILLIP DEHNE (St. Joseph College) legte den Schwerpunkt seines Vortrags auf die Haltbarkeit der Interpretation des Ersten Weltkrieges als Ende der ersten Globalisierungswelle. Anhand des Handelshauses Bunge & Born wurde vorgeführt, dass trotz konsequenter Bemühungen der britischen Regierung britische Firmen die herausragende Position von Unternehmen im argentinischen Getreidehandel, die von deutschen Emigranten geleitet wurden, nicht übernehmen konnten. Die unternehmerischen Netzwerke wurden daher als tief liegende Strukturen der Weltwirtschaft identifiziert, die nicht einmal durch weitgehende staatliche Eingriffe zerrissen werden können. Solche mikro- und makrowirtschaftlichen politischen und kulturellen Faktoren gleichermaßen einbeziehenden Fallstudien mögen zur Erläuterung des Zusammenhangs zwischen globaler Geschäftstätigkeit und Patriotismus und auch der blühenden Geschäftstätigkeit von den Kommunikations- und Transportmöglichkeiten scheinbar gänzlich abgeschnittener Firmen und Banken beitragen.

MICHELE D’ALESSANDRO (Mailand) wies darauf hin, dass die Charakteristika der heutigen Globalisierungswelle sowie die Diskurse über sie in der Zwischenkriegszeit in erstaunlicher Ähnlichkeit vorzufinden und die damals verwendeten Strategien lehrreich für heute sind. Da die Politisierung die Entscheidungsfindung oft behinderte, band der Völkerbund, gemäß seiner eigenen Interpretation über seine Mission, neben staatlichen Repräsentanten nationale Industrieverbände, Vertreter der Arbeiter u. a. in die Ausarbeitung internationaler Regelsysteme ein. Dieser neue Typus globaler governance scheiterte jedoch an den unterschiedlichen kulturellen, intellektuellen und sozialen Interessen – nicht allein der aufkommende Nationalismus könne dafür verantwortlich gemacht werden. Der Vortrag von PETER E. FÄSSLER (Dresden) war der Auftakt eines größeren Forschungsprojektes, das Kartelle konsequent aus der Perspektive der Globalisierung betrachten wird. Einige Anhaltspunkte zum Potential dieser Perspektive deuteten Fragen an wie z. B. die Frage nach dem Beitrag der Kartelle zum Aufkommen neuer Wirtschaftsmächte bzw. nach ihren Möglichkeiten, dies zu verhindern, die Frage nach dem Einfluss staatlicher Regelungen und politischer Orientierung auf die privatwirtschaftliche Abmachungen oder die Frage nach der Macht der Kartelle, die staatliche Souveränität untergraben können usw. Im Einklang mit Dehne wurde hervorgehoben, dass die globale wirtschaftliche Desintegration nach 1918 eine nur oberflächliche und daher einfach korrigierbare Tendenz war, da das vom 19. Jh. an gespannte soziale und wirtschaftliche Netzwerk weiter funktionierte. In der nachfolgenden Diskussion wurden die unterschiedlichen Standpunkte hinsichtlich der Beschreibung von Kartellen als Institutionen erkennbar. Der Auffassung von Kartellen als Organisationen im North’schen Sinne bzw. als Ausdruck vorübergehender Kräfteverhältnisse wurde das Konzept der Kartelle als Institutionen der Weltwirtschaft entgegengehalten, indem ihre Funktion als Normstifter betont wurde.

In der Einleitung zur Abschlussdiskussion unterstrich SVEN BECKERT (Harvard), dass die historische Kontingenz der wirtschaftlichen Globalisierung und die Entstehung ihrer Institutionen durch ein Zusammenspiel der täglichen Geschäftspraxis der Wirtschaftsakteure eingebunden in die Staatspolitik und in einen rechtlichen Rahmen durchaus vielseitig und überzeugend bewiesen wurde. Insbesondere die Beiträge, die sich mit den kolonialen Wirtschaftsbeziehungen auseinandergesetzt haben, veranschaulichten, dass der Weltmarkt politisch konstituiert wurde.
Der Zäsurcharakter des Ersten Weltkriegs wurde in mehreren Vorträgen hinterfragt und in der Abschlussdiskussion erneut von einem anderen Gesichtspunkt thematisiert, indem eine starke Tendenz zur Politisierung weltwirtschaftlicher Beziehungen in die Vorkriegszeit datiert und der potentielle Mehrwert einer kontrafaktischen Analyse der globalen Wirtschaft ohne den Weltkrieg hervorgehoben wurde. An der Neuartigkeit der Zwischenkriegszeit wurde jedoch mit dem Hinweis auf die ’unsichtbare Klausel’ jedes Vertrages (‚Politik vorbehalten’), auf die fundamentale Veränderung der Mentalität der Wirtschaftsakteure, auf die Ressourcenknappheit etc. festgehalten, die eine Problemlösung wie vor dem Krieg nicht ermöglichten. Hinsichtlich des Einflusses von Politik auf die Steuerung und Beeinflussung der Weltwirtschaft blieben noch viele Fragen offen und es wurde für die stärkere Einbeziehung anderer als die in der Wirtschaftsgeschichtsschreibung bevorzugten sozialen Gruppen, Regionen, Produktionsregime und Warentypen plädiert, was zu einem komplexeren Bild der Ausbildung des Weltmarktes verhelfen könnte. Insbesondere informelle Institutionen und kulturelle Gegebenheiten sollten stärker in Betracht gezogen werden, um beispielsweise das Funktionieren von Märkten ohne wirksame formelle Institutionen oder die unterschiedliche Adaptierung und Nutzung formeller Institutionen wie Patentrecht besser erklären zu können.Der Konferenz ist es insgesamt bestens gelungen, neue Forschungsmethoden und –perspektiven in die internationale Diskussion einzubringen. Ein Tagungsband in englischer Sprache ist geplant.

Anmerkung:
1 Siehe nur die steigende Anzahl der Publikationen über die Geschichte der Globalisierung, über die allein in dieser Zeitschrift berichtet wird, oder die Konferenzen für Welt- und Globalgeschichtsschreibung 2005 in Leipzig, 2008 in Dresden.

Programm:

Thursday, 26th June
Keynote Speech: Harold James (Princeton): Globalization, Empire, and Natural Law

Friday, 27th June
Opening Remarks: Christof Dejung und Niels P. Petersson (Konstanz)
Panel 1: Legal Institutions
Jérôme Sgard (Paris): Against International Governance: Bankruptcy Laws and Globalisation, 1850-1930
Niels P. Petersson (Konstanz): Arbitration and the Emergence of Private Transnational Orders in the World Economy
Comments: Jan-Otmar Hesse (Göttingen)

Panel 2: Information, Trust and Trade
Rowena Olegario (Vanderbilt University): Credit Information, Institutions, and International Trade
Christof Dejung (Konstanz): The Role of Merchant Houses in the Indian Cotton Trade
Comments: Harold James (Princeton)

Panel 3: Intellectual Property
David Gilgen (Bielefeld): Creation of an International Market for Innovations: International Patent Agreements and the Innovation Politics of the United States and Germany
Pierre-Yves Donzé (Kyoto): The International Patent System, a Path to the Globalization of Technology Markets? The Case of Japan (1880-1930)
Comments: Monika Dommann (Zurich)

Panel 4: Financial Markets
Bernard Attard (Leicester): Globalisation and the London Stock Exchange: A Case Study, 1855-1930
Bernd-Stefan Grewe (Konstanz): The London Gold Market 1910-1935
Comments: Youssef Cassis (Geneva)

Saturday, 28th June
Panel 5: World War I
Philip Dehne (New York): The Surprising Resilience of Transnational Networks During the First World War: The Case of Bunge & Born in Argentina
Comments: Boris Barth (Konstanz)

Panel 6: Non-State Actors and Organisations
Michele D’Alessandro (Milan): Between Governments and Private Actors: League of Nations’ Attempts at Stabilizing World Markets 1925-1931
Peter Fäßler (Dresden): International Cartels and Globalisation 1919-1939
Comments: Jürgen Osterhammel (Konstanz)

Concluding discussion
Opening Remarks: Sven Beckert (Harvard)

Contact (announcement)

Maria Hidvegi
GWZO, Universität Leipzig
Email: hidvegi@uni-leipzig.de


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Published on
12.12.2008
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English, German
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