Gender History in a Transnational Perspective

Gender History in a Transnational Perspective

Organizer(s)
Oliver Janz; Daniel Schönpflug
Location
Berlin
Country
Germany
From - Until
05.10.2007 - 06.10.2007
Conf. Website
By
Nele Albrecht, Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin

Geschlechtergeschichte macht längst nicht mehr an nationalen Grenzen halt. Seit den 1980er Jahren ist die Geschichte der internationalen Frauenbewegungen ebenso zum Thema der Forschung geworden wie europäische und transatlantische Vergleiche historischer Geschlechterordnungen. In jüngerer Zeit werden darüber hinaus die Gender-Dimensionen der kolonialen Expansion entdeckt. Die von Oliver Janz und Daniel Schönpflug am 5. und 6. Oktober im Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas durchgeführte Tagung „Gender History in a Transnational Perspective“ verstand sich als Forum für diese dynamischen Forschungsfelder und widmete sich insbesondere der Frage, ob die Perspektiven und Methoden der transnationalen Geschichte hier fruchtbar gemacht werden können. Die von der Thyssen Stiftung und der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur finanzierte Veranstaltung brachte – wie es dem Thema angemessen ist – einen internationalen Kreis von Forscherinnen aus Europa und den USA zusammen. Die Tagung fand zu Ehren von Gisela Bock statt, die wie kaum eine andere zur Verbreitung komparativer Ansätze in der Geschlechtergeschichte beigetragen hat und im Oktober 2007 aus dem aktiven Dienst als Professorin der Freien Universität ausgeschieden ist.

In ihren einleitenden Bemerkungen reflektierten die Veranstalter zunächst darüber, welche Gegenstände und Methoden einer Geschlechtergeschichte in transnationaler Perspektive eigen sind. Anknüpfend an die gängigen Definitionsversuche leiteten sie den Begriff „transnational“ von den Termini „national“ und „international“ ab. Er bezeichne historische Gegenstände, welche nationale Grenzen überschritten und beschränke sich dabei nicht auf die politischen Interaktionen staatlicher Akteure. Mehr als durch ihre Gegenstände sei die transnationale Geschichte jedoch durch ihre Methoden charakterisiert. Es handle sich dabei um eine Weiterentwicklung des klassischen Instrumentariums des historischen Vergleichs in Verbindung mit den auf Wahrnehmung und Aneignung gerichteten Ansätzen der Transferanalyse; damit ähnele die transnationale Geschichte verwandten, aber offeneren Zugriffen wie der „histoire croisée“ oder der „entangled history“. Insbesondere diese Ausweitung und Verfeinerung des komparativen Instrumentariums verspreche Anregungen für die Geschlechtergeschichte. Es scheine sinnvoll, grenzüberschreitende Netzwerke von Feministinnen und internationale Frauenorganisationen als „transnationale Räume“ neu zu vermessen und den Lebenswegen von Frauen zwischen verschiedenen Kulturen nachzuspüren. Schließlich eröffne sich die Chance, die gegenseitigen Einflüsse zwischen nationalen Geschlechterordnungen offenzulegen, welche für die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen denselben konstitutiv seien; dies gelte in gesteigertem Maße für die von extremen Hierarchien gekennzeichneten Wechselwirkungen zwischen Mutterländern und Kolonien.

In kritischer Auseinandersetzung mit dem Begriff der „transnationalen Geschichte“ wies KAREN OFFEN (Stanford) in ihrem Vortrag „Understanding Feminisms as „Transnational“– an Anachronism?“ auf die kaum von der Hand zu weisenden Probleme hin, die der verhältnismäßig junge Ausdruck „transnational“, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal belegt und erst seit den späten 1980er Jahren regelmäßig im akademischen Diskurs Einzug gebräuchlich geworden ist, mit sich bringt. Sie plädierte dafür, auf die Begrifflichkeit der zu untersuchenden Epoche („international“, „kosmopolitisch“) zurückzugreifen, ohne deshalb auf die methodischen Innovationen einer erweiterten Komparatistik zu verzichten.

Am Beispiel des International Council of Women (ICW), 1888 in Washington D.C. gegründet, und der Amerikanerin May Wright Sewall, zweite Präsidentin des ICW, untersuchte Offen in welchem Maße Organisationen und Bewegungen – vor allem von Frauen- den nationalen Rahmen zugunsten eines transnationalen Betätigungsfeldes verließen, und welche Rolle Gender spezifische Fragen in diesen transnationalen Kommunikations- netzwerken einnahmen. Der persönliche Einsatz May Wright Sewalls habe die Schaffung eines internationalen Netzwerkes zur Vertretung weiblicher Interessen maßgeblich gefördert. Sewall habe das Ziel des ICW dennoch nicht in der Abspaltung von Frauen gegenüber Männern gesehen, sondern vielmehr in der Schaffung einer „Frauen-freundlichen“ Gesellschaft, in der Frauen und Männer in einer einzigen, gemeinsamen Versammlung über soziale und politische Fragen diskutieren können. Dieser Wunsch nach einer gleichberechtigten anti-patriarchalischen Gesellschaft habe Frauen weltweit verbunden auch wenn nationale Verstrickungen sie in anderen Themen auseinandergetrieben haben. Trotz der Beschränktheit der zu verhandelnden Themen auf den Kongressen der ICW glaubte Sewall an einen Internationalismus und kämpfte für seine Durchsetzung.

In den ersten beiden Sektionen der Konferenz wurden mit „transnational networks and organisations “ und „transnational lives “ zwei eng miteinander verbundene Themenkreise verhandelt; die Vorträge zeigten, dass Institutionen und die in ihnen agierenden Personen sinnvoll nur im Zusammenhang miteinander zu betrachten sind. Dies gilt umso mehr, wenn Biographien nicht zur Akzentuierung des Individuellen, sondern gleichsam als Prisma zur Analyse weiterer Lebenskontexte genutzt werden. In diesem Sinne zeichnete JANE RENDALL (York) in ihrem Vortrag die Biographie der Francis Wright (1795-1852) nach, die als radikal-sozialistische Denkerin und Aktivistin und als Gründungsfigur der Frauenbildungsbewegung bekannt geworden ist. Ihre begeisterten Schriften über die Vereinigten Staaten, die sie als Verwirklichung egalitärer Utopien ansah, sind ein gutes Beispiel dafür, wie stark die Wahrnehmung fremder Kulturen an präfigurierte Deutungsmuster gebunden ist. In Nashoba/Tennessee gründete Wright 1825 eine Gemeinschaft, in der Rassen- und Geschlechterdiskriminierung keine Rolle mehr spielen sollte. Frances Wright sah sich selber als „Welt-Bürgerin“ und bekräftigte dies durch ihre Reisen nach Amerika, Haiti und Frankreich. Ihre Mobilität eröffnete ihr Handlungsspielräume, die sie im heimischen Glasgow nicht gehabt hätte; gleichzeitig musste sich jedoch ihr utopisches Denken an der Wirklichkeit messen lassen. Die durch Francis Wright verkörperte Variante des Kosmopolitismus, so schloss Jane Rendall, sei jedoch stark von eurozentristischen Prämissen im Denken des 19. Jahrhunderts geprägt gewesen.

In ähnlicher Weise fragte FRANÇOISE THÉBAUD (Avignon) in ihrem Vortrag über Marguerite Thibert (1886-1982) danach, was ein transnationales Leben sei. Thibert war als Mitarbeiterin der International Labour Organisation (ILO) in Genf und auch weltweit tätig. Die Darstellung ihres Lebens machte deutlich, dass auch das Wirken in einer internationalen Institution, das von der Anbindung an internationale Netzwerke, von Freundschaften mit Männern und Frauen aus unterschiedlichen Kulturen, durch geographische Mobilität und internationale politische Fragen geprägt war, nicht zwangsläufig zu einer transnationalen Identität führen musste. Bei Thibert schienen bestenfalls feine Risse in der nationalen Selbstkonzeption aufgetreten zu sein. Sie blieb trotz ihres globalen Engagements und trotz ihres festen und praktisch eingelösten Glaubens an internationale Kooperation eine Französin, die an ihren internationalen Arbeitsplätzen häufig Paris vermisste und letztlich auch zum Maß ihres Urteils machte.

Nach diesen Reflexionen auf biographischer Grundlage wandte sich IRIS SCHRÖDER in ihrem Vortrag einer Gruppe von deutschen Sozialreformerinnen zu, die um 1900 auf ihren Reisen über den Kanal Theorie und Praxis der englischen Sozialarbeit studierten. Jeanette Schwerin, Alice Salomon, Elisabeth Altmann-Gottheiner oder Adele Schreiber orientierten sich am Stand der britischen Sozialwissenschaften und an einzelnen Projekten, und sie versuchten, die deutschen Debatte auf ein ähnliches Niveau zu heben. Nationale Konkurrenz und der Glaube an die universelle Anwendbarkeit erfolgreicher sozialreformerischer Modelle prägten die Diskussion. Gleichzeitig zeigt der Blick auf Reformdiskurse und -praxis, dass lokale und nationale Kontexte ihren bestimmenden Charakter bewahrten und dass Prozesse der Aneignung – trotz der Begeisterung einzelner – zögerlich verliefen und selektiv blieben.

Im Beitrag von ANNE COVA (Lissabon) verschob sich der Fokus von den Individuen und Netzwerken auf die Institutionen. Sie spannte den Bogen vom Vergleich von drei nationalen Frauenverbänden in Frankreich, Italien und Portugal bis hin zu den Verflechtungen zwischen ihren drei Beispielfällen. Sie zeigte, wie entscheidend der Einfluss des amerikanischen International Council of Women (ICW) für die Gründung und Entwicklung dieser drei nationalen Verbände in Europa war. Die Bedeutung des transnationalen Moments verdeutlichte sie ferner, indem sie das Verhältnis zwischen den Kongressen des ICW in Europa, die 1904 und 1908 stattgefunden haben, und der daraus resultierenden Beschleunigung der Gründung nationaler Verbände beschrieb. Darüber hinaus betonte sie die Wichtigkeit persönlicher Kontakte, die in allen drei Fällen für die Gründung der einzelnen Verbände mitverantwortlich waren und darüber hinaus den aktiven internationalen Austausch garantierten. In diesem Zusammenhang nannte Anne Cova die Amerikanerin May Wright Sewall, auf die schon Karen Offen in ihrem Vortrag eingegangen war, und die maßgeblich an der Gründung des Französischen Conseil national des femmes beteiligt gewesen sei. Aus der engen Vernetzung sei schließlich die ähnliche Ausrichtung der drei Verbände zu erklären; alle drei seien „reformistisch, unpolitisch und neutral“ gewesen.

Zwei weitere Vorträge zeigten schließlich, dass eine transnationale Perspektive nicht nur für die Betrachtung weiblicher Aktivistinnen fruchtbringend ist. Ilaria Porciani (Bologna) präsentierte ein von ihr und Lutz Raphael koordiniertes Forschungsprojekt, aus dem ein europäischer Atlas der historischen Wissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert hervorgehen wird. Darin wird auch quantitatives Material über den Zugang von Frauen zur historischen Profession enthalten sein.

GUNILLA BUDDE (Oldenburg) untersuchte weibliche Opernsängerinnen in Deutschland und England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere die Widersprüche zwischen ihren grenzüberschreitenden Karrieren und ihrer gleichzeitigen Verhaftung in nationalen Kontexten. Gunilla Budde betonte, wie stark die Opernszene nationalisiert war und wie die Diven zu Hüterinnen der jeweiligen nationalen Kultur auf der großen „internationalen Bühne“ stilisiert wurden. So seien der schwedischen Sängerin Jenny Lind in der deutschen und englischen Presse Attribute wie „Bescheidenheit“, „Sensibilität“ und „Reinheit“ verliehen worden, die sie in eine Reihe mit den perfekten Damen der bürgerlichen Gesellschaft stellte und sie zur „moralischen Hüterin des Theaters“ werden ließen. Dem gegenüber wurde das Bild der verdorbenen, lasterhaften Operndiva stilisiert, vertreten in Gestalt der italienischen Sängerin Giulia Grisi, Prima Donna an der Italienischen Oper. Während Linds Gesang als natürlich und unangestrengt galt, wurde der ihrer Zeitgenossin Grisi als künstlich, aufschneiderisch und angestrengt klassifiziert. Und auch wenn Grisi mehr den öffentlichen Vorstellungen von einer Operndiva entsprach war es Lind, die Queen Victoria für sich hat einnehmen können. Doch nicht nur die Leben der Diven wurden zu einem Politikum, sondern auch ihr immer stärker nationalisiertes Repertoire.

Am zweiten Tag der Konferenz wurde mit „Gender Orders in Colonial and Imperial Contexts“ ein zwar verwandter, doch thematisch und methodisch spezifischer Aspekt einer transnationalen Geschlechtergeschichte angesprochen. Die Sektion wurde von IDA BLOM (Bergen) mit ihrem Vortrag über transnationale Aspekte der Gesetzgebung über Geschlechtskrankheiten zwischen 1880 und 1940 eröffnet, der als eine exzellente Analyse dieser spannenden Problematik besonders hervorgehoben werden muss. Ida Blom wählte Gisela Bocks Beitrag zum Band „Wir sind Frauen wie andre auch!“ als Ausgangspunkt, in der diese das Leben und die Arbeit von Prostituierten in Deutschland untersucht und gezeigt hatte, dass Prostituierte im 19. und 20. Jahrhundert als gefährliche Träger oder sogar Verursacher von Geschlechtskrankheiten galten, die zum Schutze der Männer (vor allem von Soldaten und Matrosen) kontrolliert werden mussten. Dieses Phänomen beschränkte sich jedoch nicht auf Deutschland, sondern war in der gesamten westlichen Welt wiederzufinden. In Großbritannien wurde 1917 eine freiwillige und kostenlose Behandlung von Geschlechtskrankheiten eingeführt, in der indischen Kolonie hingegen hielt man deutlich länger an der älteren Praxis der Registrierung und medizinischen Kontrolle von Prostituierten fest. In Deutschland wurde 1927 ein Gesetz verabschiedet, das die verpflichtende Behandlung für alle Infizierten vorsah, wissentliche Übertragung wurde unter Strafe gestellt. In den skandinavischen Ländern wurden parallel vergleichbare Programme ins Leben gerufen. Anhand von Deutschland, England und der skandinavischen Länder demonstrierte Ida Blom, dass ähnliche Vorgehensweisen keineswegs auf den gleichen Vorstellungen von Demokratie oder Gesetzgebung beruhen mussten. Die Unterschiede in den europäischen Gesetzgebungen sah Ida Blom vor allem in den unterschiedlichen Auffassungen der Beziehung zwischen Staat und Individuum begründet: In Skandinavien sei der Staat traditionell als „Freund“ verstanden worden, in Deutschland dagegen, aufgrund der schwächeren demokratischen Tradition, als respektierte Autorität während in England die Ansicht dominiert habe, dass der Staat sich aus allen privaten Angelegenheiten herauszuhalten habe.

PAT THANE (London) untersuchte in ihrem Vortrag die Entwicklung der feministischen Bewegung in Großbritannien und dem Britischen Empire im 19. und 20. Jahrhundert und stellte fest, dass in den verschiedenen Teilen des Weltreiches die politischen Aktivitäten von Frauen in unterschiedlichen Formen und Chronologien verlaufen sind. Sie konzentrierte sich dabei hauptsächlich auf die Frage nach der Aufwertung der Bedeutung von Frauen in der Politik nach Erlangung des Wahlrechts und nach den einschneidenden Zäsuren, welche die Frauenbewegung in Form der zwei Weltkriege erlitten hat. Auf der Ebene der internationalen oder transnationalen Kooperation konstatierte Pat Thane, dass die nationalen Bewegungen durch die internationalen Kontakte an Stärke gewonnen haben. Im britischen Fall seien die Frauen in Neuseeland und Australien, deren Länder als erste das Frauenstimmrecht eingeführt haben, sehr viel kontaktfreudiger und internationaler gewesen, als die englischen, die vornehmlich im nationalen Kontext aktiv gehandelt haben. Die Gründung der British Commonwealth Organization 1925 habe dagegen neue weltweite Kontakte geschaffen – nicht nur zwischen weißen Frauen. In diesem Zusammenhang haben englische Frauen versucht, die indische Frauenrechtsbewegung zu unterstützen, indem sie Einfluss auf englische Politiker nahmen, und das nationale Interesse auf die Situation in den Kolonien lenkten.

DANIEL SCHÖNPFLUG hatte einleitend bereits darauf hingewiesen, dass Gender Ordnungen in einem imperialen und kolonialen Kontext von extremen Hierarchien geprägt waren und so eine sehr eigene Dynamik entwickelten. In diesem Sinne argumentierte auch SHERYL KROEN (Gainesville, Florida) in ihrem Beitrag über Männer- und Frauenbilder in der Marshallplan-Propaganda. Die Propaganda sei Ausdruck einer imperialen Attitüde der USA gewesen und habe gleichermaßen deren politisches und ökonomisches Suprematiestreben, wie ihre Hierarchisierung globaler Räume, sozialer Strukturen und Geschlechterverhältnisse zum Ausdruck gebracht. Wie Kroen in ihrem Vortrag am deutschen und britischen Beispiel zeigte, habe sich die Form der Propaganda an die jeweiligen nationalen Besonderheiten angepasst, doch sei die Ideologie des Marshall-Plans transnational gewesen. Im deutschen Fall sei die Botschaft gewesen, verbreitet durch Filme (“Two Cities“, 1949 und “The Air of Freedom“, 1950) Radiosendungen und Plakate, dass die west-deutsche Zukunft auf einem Vergessen der Vergangenheit basieren müsse und eher im Ökonomischen denn im Politischen liege. Für das britische Beispiel zog Sheryl Kroen den Film “Charley Robinson“ heran, der als Äquivalent zu “The Air of Freedom“ gesehen werden könne. In diesem Film würde die kapitalistische Vergangenheit als eine rein positive dargestellt, in der der Kapitalismus für die Gesellschaft ebenso selbstverständlich und zuträglich sei „wie die Luft zum Atmen“ und in der Männer und Frauen ihren Platz und ihre Aufgaben haben. Im Gegensatz zum deutschen Fall, wo nach dem „kapitalistischen Wunder“ das Vergessen der Vergangenheit zu einer Gesellschaft von Konsumenten führen sollte, sei in Großbritannien 1949 (durch den Einfluss der Socialist Labour Party) das Bild einer kontinuierlichen Sparsamkeit gepflegt worden, die im Interesse des nationalen Gemeinwohls stehe. Die Konzentration auf den Export und das „Nicht-Konsumieren“ in England markiere den größten Unterschied zu der Situation in Deutschland.

Noch schärfere Ungleichheiten prägten in der Regel das Verhältnis zwischen Mutterländern und Kolonien, welches BIRTHE KUNDRUS (Hamburg) in ihrem Vortrag über „Rassenmischung“ thematisierte. Sie analysierte Diskurse über „Mischehen“ und Sexualität zwischen Kolonialisten und Kolonisierten, sowie die rechtlichen Normen und Praxis unter anderem in Australien, Südafrika und Indien. Auch wenn die Frage der „Rassenmischung“ ab 1900 gleichzeitig in verschiedenen Kolonialreichen nicht nur zum Diskussionsthema, sondern auch zum Anlass für rechtliche Regulierungen wurde, betonte Birthe Kundrus die Spezifik der Entwicklungen, die jede einzelne Kolonie – selbst solche unter der gleichen Kolonialmacht – durchlief. Trotz gegenseitiger Wahrnehmung und trotz transnationaler Debatten zum Thema scheint die Praxis stärker von lokalen Gegebenheiten bestimmt und geprägt worden zu sein.

Die Frage nach der Spezifik von kolonialen Geschlechterordnungen stellte auch ULRIKE SCHAPER (Berlin) anhand einer Fallstudie über die deutschen Kolonien des Kaiserreichs. Im Mittelpunkt ihres Interesses standen hier jedoch nicht die sexuellen und ehelichen Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanern, sondern der Umgang der Kolonisatoren mit ihnen fremden Ehepraktiken, zu denen Polygamie, Brautkauf und die Akzeptanz aussereheliche Sexualität gehörte. Am Beispiel der deutschen Kolonie Kamerun zeichnete sie den Zwiespalt zwischen den „zivilisatorischen“ Absichten der deutschen Kolonialverwaltung, die auf eine Anpassung an europäische Ehekonzepte abzielten, und der nicht zuletzt durch ökonomische Interesse diktierten Notwendigkeit, die indigene Bevölkerung vorerst in ihrer kulturellen Eigenheit bestehen zu lassen. Dementsprechend stellte auch die Rechtsprechung in Kamerun eine hybride Mischform zwischen deutschen und indigenen Rechtsvorstellungen dar. Die Zivilisierung durch das Gesetz wurde zurückgestellt; stattdessen vertraute man auf die langfristige Wirkung westlicher Einflüsse.

Auch wenn die Beiträge zur Tagung „Gender History in a Transnational Perspective“ nur einen Ausschnitt aus einem gewaltigen Forschungsfeld zeigen konnte, wurden zentrale Themen und Fragen präsentiert und auf hohem Niveau diskutiert. Die Vorträge haben zu fruchtbaren Diskussionen über den Begriff des „Transnationalen“ geführt. Insgesamt scheint, wie SUSAN ZIMMERMANN in der Schlussdiskussion erneut betonte, Skepsis gegenüber seiner Rückübertragung in Zeiten angebracht, als er noch ungebräuchlich war. Die ihm inhärente Fokussierung auf die Nation als analytische Einheit engt seinen Bedeutungskreis darüber hinaus ein. JULIE CARLIER (Ghent) betonte jedoch die fruchtbaren methodischen Implikationen des Konzeptes und schlug vor, auf die offeneren Konzepte von „histoire croisée“ und „entangled history“ auszuweichen.

Tatsächlich scheint der Gewinn einer transnationalen Perspektive auf die Geschlechtergeschichte vor allem in der Ausweitung und Verfeinerung des komparativen Instrumentariums zu liegen: Der Blick richtet sich auf neue Räume und Themenfelder. Europäische, transatlantische und globale Zusammenhänge treten so ins Bewusstsein der westlichen Geschichtsschreibung . Die klassische Komparatistik wird durch den Blick auf die Verflechtungen zwischen den Analyseeinheiten ergänzt. Auch die kulturwissenschaftliche Aufmerksamkeit für Perzeptions- und Aneignungsprozesse und für die Komplexität von Identitäten bereichert das komparative Instrumentarium, und „Rasse“ wird neben „Klasse“ und „Geschlecht“ zu einer zentralen Analysekategorie. Eine so verstandene Geschlechtergeschichte in transnationaler Perspektive steckt noch in ihren Kinderschuhen, die Berliner Tagung war ohne Frage ein wichtiger Schritt zu ihrer Weiterentwicklung.

Konferenzübersicht:

"Gender History in a Transnational Perspective. Conference in Honour of Gisela Bock"

1. Tag: Freitag, 5. Oktober 2007

Sektion I: Transnational Networks and Organisations
Chair: Ida Blom (Bergen)

Karen Offen( Stanford): Understanding Feminisms as "Transnational"- an Anachronism?
Jane Rendall (York): A Transnational Career? The Republican and Utopian Politics of Frances Wright
Anne Cova (Lisbon): The National Councils of Women in France, Italy and Portugal- Comparisons and Entanglements (1890-1940).

Sektion II: Transnational Lives/ Female Cosmopolitism

Gunilla Budde (Oldenburg): Between Nationalism and Csmopolitism: Female Opera Singers in Britani and Germany in the First Half of the 19th Century
Ilaria Porciani (Bologna): Female Historians in Europe in the 19th and 20th Century
Francoise Thébaud (Avignon): Marguerite Thiberts Career in the International Labour Organisation: International Functionary or Citizen of the World?
Iris Schroeder (Berlin): Female Cosmopolitanism and Social Reform: German Women Social Reformer's Travels to England 1890's-1910's

2. Tag: Samstag, 6. Oktober 2007

Sektion III: Gender Orders in Colonial and Iperial Contexts
Chair: Francisca de Haan (Budapest)/ Pat Thane (London)

Ida Blom (Bergen): Gender, Class, Race and Sexuality: a Transnational Approach to Legislation on Veneral Diseases, 1880’s-1940’s
Sheryl Kroen (Florida): Non-Consumption: Gender and Economic Recovery in the Postwar Era
Pat Thane (London): Women and Politics in Britain and the British Empire c. 1900-2000
Birthe Kundrus: Transgressing the Colour- Line: European Debates on Colonial “Miscenegation”
Ulrike Schaper (Berlin): Polygamy, Bride Price, Adultery: Indigenious Gender Relations as a Problem of Legal Discussion and Practice in Germany’s Colonies
Susann Zimmermann (Budapest): Organized Feminist Internationalism and the Transformation of Global Inequality (Anm: Der Beitrag gehörte inhaltlich eigentlich in die erste Sektion, jedoch konnte Fr. Zimmermann wegen streikender Züge ihren Vortrag erst am Samstag halten)


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Published on
13.12.2007
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