China und Lateinamerika: Ein transpazifischer Brückenschlag

China und Lateinamerika: Ein transpazifischer Brückenschlag

Organizer(s)
Fachschaft Regionalwissenschaften Lateinamerika in Kooperation mit der Fachschaft Regionalwissenschaften China
Location
Köln
Country
Germany
From - Until
03.12.2006 -
By
Sarah Albiez, Köln

Die Bedeutung Chinas in der Weltwirtschaft nimmt in den letzten Jahren rasant zu, eine Tatsache, die überall auf der Welt zunehmend diskutiert wird. Aus einer etwas ungewöhnlichen Perspektive wollte die Tagung „China und Lateinamerika: Ein transpazifischer Brückenschlag“ einen Blick auf das Thema werfen. Sie wurde von der Fachschaft Regionalwissenschaften Lateinamerika in Kooperation mit der Fachschaft Regionalwissenschaften China vom 10.-12. November an der Universität zu Köln veranstaltet.

Im Rahmen dieser interdisziplinären Tagung sollten jedoch nicht nur die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Großregion Lateinamerika und der riesigen asiatischen Nation unter die Lupe genommen und bewertet werden, sondern ebenfalls die politischen und kulturellen sowie historischen Beziehungen diskutiert werden. Dass es gerade in Europa ungewöhnlich ist über transpazifische und nicht transatlantische Beziehungen zu diskutieren, gerade auch bei den unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen der China- und der Lateinamerikawissenschaften, hob Barbara Potthast (ADLAF/Universität zu Köln) in ihrem Grußwort hervor. Dies zeigt sich auch daran, dass es bisher in Deutschland noch kaum Publikationen zum Thema gibt. Aber gerade die relative Neuheit der Perspektive führte zu besonders anregenden Diskussionen.

Im Zentrum stand immer wieder die Diskussion über die wirtschaftlichen und außenpolitischen Strategien Chinas und deren Auswirkungen auf Lateinamerika. Bei den Referenten herrschte Einigkeit darüber, dass diese im größeren Kontext der Verschiebungen im internationalen System zu betrachten seien. Durch Schwächungen der USA und wachsende Bedeutung einiger Schwellenländer werde das Gewicht in der Welt neu verteilt. Besondere Bedeutung komme dabei den sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zu. Laut Karl Buck (Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union) vertritt dabei die Volksrepublik China gegenüber dem Rest der Welt und damit auch gegenüber Lateinamerika drei Interessen: Erstens die Sicherung verlässlicher, langfristiger Quellen für Rohstoffe, zweitens eine Stärkung der eigenen Handlungsmacht und ein vorsichtiges Hinwirken auf eine multipolare Weltordnung, und schließlich das Vertreten der „one-china-policy“, die seit 1998 Vorbedingung für diplomatische Beziehungen zur VR China ist. Die VR China importiert zunehmend Rohstoffe – gerade aus Südamerika, beispielsweise venezolanisches Erdöl und brasilianisches Soja – und ist dafür bereit größere Investitionen in südamerikanischen Ländern zu tätigen. Indem die VR China auch ihre politischen Beziehungen zu vielen lateinamerikanischen Ländern stärkt, die traditionell den „Hinterhof der USA“ darstellen, versucht sie ihr politisches Gewicht zu vergrößern. In der Frage der „one-china-policy“ hat sie sich mittlerweile im Wettbewerb gegen Taiwan in den meisten und vor allem den wirtschaftlich und politisch bedeutenden Ländern durchgesetzt. Lediglich ein Großteil der zentralamerikanischen Staaten, ein Teil der Karibik und Paraguay unterhalten noch diplomatische Beziehungen zu Taiwan, eine Tatsache, die sich Taiwan auch einiges kosten lässt.

Die Reaktionen und Bewertungen der Entwicklung von lateinamerikanischer Seite fallen dabei sehr unterschiedlich aus, wie besonders Ricardo Lagos Andino (Universität Münster) hervorhob. Während für Länder wie Brasilien, Argentinien und Chile China einen bedeutenden Partner in der Außenwirtschaft darstellt, mit dem es sogar eine für die südamerikanischen Länder positive Handelbilanz gibt, sehen die zentralamerikanischen Staaten und Mexiko China als scharfen Konkurrenten, gerade was Halbfertigprodukte für den US-Markt betrifft. Kuba und Venezuela schließlich sehen die VRChina als politischen Verbündeten.

Dass Lateinamerika in jedem Fall um eine intensive Auseinandersetzung mit der VR China nicht herumkommt, wird dadurch sehr deutlich. Dabei stellt sich automatisch die Frage der Relevanz Lateinamerikas für die VR China. Claudiney Costa Tanan (Ruhr-Universität Bochum) vertrat die Meinung, dass Lateinamerika keine strategische Rolle in der Außenpolitik Chinas einnehme. Die Schwerpunkte für China lägen eher in Asien und den USA, selbst Afrika unterhalte mehr Beziehungen zur Volksrepublik. Allerdings betonte er eine gewisse Relevanz durch den beträchtlichen Import lateinamerikanischer Rohstoffe nach China. Jun Hua Zhang (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) wies außerdem darauf hin, dass bei einem Ranking des chinesischen Investitionsvolumens im Ausland Lateinamerika nach Asien auf Platz zwei liege.

Aus europäischer Perspektive, vor allem was die Entwicklungszusammenarbeit betrifft, ist der Aspekt dieser Investitionen besonders bedeutsam. Mehrere der Referenten wiesen darauf hin, dass China im Gegensatz zu Europa und Institutionen wie dem IWF als Vorbedingung für Investitionen und finanzielle Hilfen keine Lektionen über Menschenrechte und good governance erteilt. Diese Haltung der Nichteinmischung komme den lateinamerikanischen Staaten natürlich gelegen. Friedel Hütz-Adams (Südwind e.V.) betonte, dass gerade deutsche Entwicklungshilfeorganisationen Antworten auf das Verhalten Chinas, wie es besonders deutlich in Afrika zu sehen ist, brauchen. In der abschließenden Podiumsdiskussion warnte Rolf Mützenich (MdB, abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion) vor der Verwässerung von Standards etwa im Bereich der Menschenrechte und des Umweltschutzes. Auch Jun Hua Zhang bemerkte, dass der Aufstieg Chinas eine Verlangsamung des Demokratieprozesses bedeute. Er wies außerdem auf eine Verschiebung in der Qualität der außenpolitischen Strategien Chinas, der sogenannten „going-out-strategies“ hin: Während unter Deng Xiaoping die Schlagworte „Bescheidenheit“, und „keine führende Rolle“ im Mittelpunkt standen, sei die Außenpolitik Hu Jintaos sehr viel risikofreudiger und aktiver.

Veränderungen in den Beziehungen zwischen China und Lateinamerika wurden auf der Tagung aber auch in einem sehr viel größeren Zeitrahmen untersucht. Viele Referenten wiesen auf die lange Tradition der Beziehungen hin, etwa auf die schon in der Ming-Dynastie ab 1560 existierende Handelverbindung zwischen Manila und Acapulco. Ein Workshop unter Leitung der Historikerin Silke Hensel (Universität Münster) beschäftigte sich mit der chinesischen Migration nach Lateinamerika im 19. und 20. Jahrhundert. Im Zentrum standen die sogenannten Kulis, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Ersatz für die freigelassenen Sklaven als Arbeiter geholt wurden, besonders nach Kuba und Peru. Chinesen migrierten aber ebenso nach Mexiko, wo sie im Eisenbahnbau tätig waren. Daneben weiteten chinesische Händler auch ihre Netzwerke bis nach Lateinamerika aus. Dies führte dazu, dass es u.a. noch heute in den meisten lateinamerikanischen Städten chinesische Stadtviertel gibt.

Einen großen historischen Bogen zu spannen versuchten auch Daniel Graña-Behrens (Rheinische-Friedich-Wilhelms-Universität Bonn) und Xiaobing Wang-Riese (Universität München). In ihrem Vortrag Das „kulturelle Gedächtnis“ Chinas und Lateinamerikas“ – Ein Streifzug durch die Kulturpolitik beider Regionen bis zur Neuzeit betrachteten sie die beiden sehr unterschiedlichen Kulturräume Mesoamerika und China und stellten sich die Frage, welche Einflüsse die Erinnerungskultur auf die Identität beider Regionen hat und wo die Gründe dafür liegen, dass Mesoamerika eher als rückwärtsgewandt, China hingegen eher als vorwärtsgewandt empfunden wird. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Kulturpolitik der Moderne in den beiden Regionen nicht kontrastreicher sein könne. Der zerstörerischen Wut mit der seit der Kulturrevolution in China nach der Vergangenheit gejagt wird, stehe in Lateinamerika zumindest eine moderate, wenn nicht archivarische Wut nach Vergangenheitsbewahrung gegenüber. Dabei gingen die Workshopleiter besonders auf die Rolle von Schriftsystemen und Ahnenkult ein. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass es nicht nur zwischen den beiden Regionen große Unterschiede gebe, sondern auch innerhalb derselben. So habe es in Guatemala keine Ideologie bezüglich der Identitätsbildung gegeben, die auch nur versucht hätte die verschiedenen Ethnien zu vereinen, wohingegen in Mexiko bei der Staatsbildung von Anfang an auf den indianischen Mythos gesetzt wurde. Abschließend kommentierten sie auch die Veränderungen in der VR China, wo seit Deng Xiaoping die Notwendigkeit für einen neuen Geist und den Versuch materiellen und geistigen Reichtum gleichzeitig aufzubauen gesehen werde.

Die sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Vorträge und Workshops wurden auf der abschließenden Podiumsdiskussion auch durch die gelungene Moderation von Arnd Henze (stellvertretender Auslandschef des WDR) gut abgerundet. Der Fokus lag wie beim Beginn der Tagung wieder auf wirtschaftlich-politischen Aspekten. Es wurde eine Abwägung der Auswirkungen der chinesischen Aktivitäten in Lateinamerika versucht und die Frage gestellt, ob Chancen oder Gefahren für Lateinamerika überwögen. Als Chance wurde vor allem die Möglichkeit größerer Handlungsspielräume für die lateinamerikanischen Staaten gesehen, die gerade die neuen „linken“ Regierungen nutzen. Allerdings bestünde die Gefahr, dass die lateinamerikanischen Staaten wieder in ein Abhängigkeitsverhältnis zurückfallen, dass von Rohstoff- bzw. Agrarexporten geprägt ist. Dies könne verstärkt werden durch die Korruption, die den Eliten einen hohen persönlichen Anreiz biete, diese Struktur beizubehalten. Eine verstärkte wirtschaftliche und politische Integration der Region sei vonnöten um eine Stärkung der Region auch gegenüber China zu erreichen. Vera Lehmann (GTZ/Universität zu Köln) betonte zudem, dass es auch aus europäischer Perspektive wichtig sei, die transpazifischen Beziehungen zu untersuchen, da das Verhalten der VR China gegenüber Lateinamerika exemplarisch für die Außenpolitik der Volksrepublik sei.

Insgesamt lässt sich sagen, dass es auf der Tagung gelang, einen bisher recht wenig beachteten Themenkomplex aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Mit der Publikation der Beiträge wird der Diskussionsanstoß, den die Tagung bot, hoffentlich vertieft.

Weitere Informationen hierzu finden sich unter http://www.lateinamerika-im-fokus.de/china/

http://www.lateinamerika-im-fokus.de/china/
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Published on
19.01.2007
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German
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