G. Mund: Ostasien im Spiegel der deutschen Diplomatie

Title
Ostasien im Spiegel der deutschen Diplomatie. Die privatdienstliche Korrespondenz des Diplomaten Herbert v. Dirksen von 1933 bis 1938


Author(s)
Mund, Gerald
Series
Historische Mitteilungen: Beiheft; 63
Published
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Extent
343 S.
Price
€ 60,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Susanne Kuß, Historisches Seminar/Neuere und Neueste Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Auch die Diplomatiegeschichte, die in der Geschichtswissenschaft lange Zeit als gegenüber jeglichen methodischen Modernisierungsversuchen besonders resistentes Ressort galt, geht zwischenzeitlich neue Wege. Diplomaten werden nicht mehr nur als Handlanger einer von der jeweiligen Zentrale vorgegebenen Politik betrachtet. Untersuchungen zu ihrer sozialen Herkunft und politischen Prägung, ihren Weltbildern und ihrem Denken, ihren Ambitionen und Einflussmöglichkeiten sollen Erkenntnisse über die soziale Verankerung der Außenpolitik liefern und diplomatisches sowie außenpolitischen Handeln deutlicher als bisher voneinander trennen.1 Um diese Ebenen genauer auszuloten, bietet sich ein Blick in die privatdienstliche Korrespondenz eines Diplomaten an, denn in diesem nichtoffiziellen Briefwechsel mit Freunden und Arbeitskollegen war der Ton offener und freier als in den amtlichen Berichten. Diese Briefe wurden nach Möglichkeit durch Privatpersonen überbracht, um die Gefahren der Zensur zu bannen. Allein durch die Auswahl solchen Quellenmaterials eröffnet sich somit ein Blick, der über das tagespolitische Geschehen hinausgeht.

Im Mittelpunkt der Edition von Gerald Mund steht Herbert von Dirksen, einer der "großen" Diplomaten des Auswärtigen Amtes. Zunächst in Osteuropa eingesetzt, war Dirksen zwischen 1933 und 1938 als deutscher Botschafter in Japan tätig. Damit befand er sich an einem "Brennpunkt der internationalen Politik" (Hencke, Kiew, an Dirksen, Tokyo, 10. Juni 1934, S. 178), als die Verschärfung des chinesisch-japanischen Gegensatzes und die Herausbildung der Achse zwischen Berlin, Tokyo und Rom den Zweiten Weltkrieg einleiteten. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort war Dirksen ein wichtiger Entscheidungsträger in der deutschen Ostasienpolitik, die zwischen Japan und China lavierte und vor allem daran interessiert war, die Sowjetunion in die Zange zu nehmen.2 Zur Drehscheibe entwickelte sich hierbei die Mandschurei, welche die Japaner 1931 besetzt hatten. Dort trafen chinesische, japanische und russische Interessen aufeinander. Dirksen nahm in diesen Konflikten stets eine ostentativ japanfreundliche Position ein und forderte nachdrücklich die deutsche Anerkennung des japanischen Marionettenregimes in Manzhouguo. Bekanntlich brachte ihn dies in einen starken Gegensatz zum deutschen Gesandten und späteren Botschafter in Nanjing, Oskar Trautmann.

Zu Dirksens Korrespondenzpartnern zählten vor allem seine deutschen Kollegen in China und der Sowjetunion. Da seine privatdienstliche Korrespondenz, die sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes befindet, jedoch nur die Jahre zwischen 1933 und 1936 umfasst, der vorliegende Quellenband aber den gesamten Zeitraum seiner diplomatischen Tätigkeit in Tokyo abdecken sollte, ist die Edition mit Schreiben aus anderen Nachlässen der Adressaten oder aus dienstlichen Akten erweitert worden. Die Briefe an und von Dirksen betrachtet Mund als Ergänzung zu bisher veröffentlichten und unveröffentlichten Quellen der deutschen Ostasienpolitik. Denn in ihnen werden - so der Autor etwas vage - "viele außenpolitische Sachverhalte zu Ostasien thematisiert, die so bislang noch nicht zusammengestellt wurden." (S. 21) Damit wird bereits darauf hingewiesen, dass das Buch weniger den Leser anleiten, als vielmehr Material zur Verfügung stellen möchte, auf dessen Grundlage geforscht werden kann. Dieser unspezifische Zugang mag darauf zurückzuführen sein, dass der Herausgeber im Bereich der Wirtschaft tätig ist, worauf er in Vorwort und Einleitung ausdrücklich hinweist (S. 13).

Das Buch ist deutlich zweigeteilt in einen Text- und einen Dokumententeil. Den Dokumenten vorangestellt sind zwei längere Hinführungen - die erste gibt Einblick in Herbert von Dirksens Leben, die andere beschreibt die politische Situation in Ostasien in den 1930er-Jahren aus japanischer, chinesischer und russischer Sicht. In dem sehr ausführlichen biographischen Teil werden Dirksens verschiedene Lebensstationen beschrieben, ohne jedoch die wesentlichen Punkte seiner Prägung und seines Denkens zusammenzufassen. Welche Spuren hat seine Sozialisierung hinterlassen? Wie schätzte er seine Gebundenheit an das Auswärtige Amt ein? Wo sah er seine Freiräume? Wie veränderten sich seine Prioritäten durch seine langjährige Tätigkeit in der Sowjetunion? - Hier hätte eine Essenz aus den umfangreichen Informationen gezogen werden müssen. Auch die einleitende Übersicht zu Ostasien in den 1930er-Jahren ist sehr faktenlastig und berücksichtigt nicht immer die neueste Forschungsliteratur. Zudem fragt sich der Leser verwundert, warum die Hintergründe des Antikominternpaktes 1936 so breit beschrieben werden, obwohl Dirksen an dessen Zustandekommen nicht beteiligt gewesen ist. Insgesamt leidet das Buch darunter, dass die drei Teile - die zwei Hinführungen und die Dokumente - nicht stärker verzahnt worden sind.

Eine nützliche Übersicht und Zusammenfassung der Briefe ist dem Dokumententeil vorangestellt. Einen solchen Überblick und die an dieser Stelle eingefügten technischen Informationen hätte sich der interessierte Leser gleich zu Anfang des Buches gewünscht. Die edierten Briefe sind den jeweiligen Korrespondenzpartnern zugeordnet, chronologisch aufgeführt und sorgfältig kommentiert. Hierbei werden vor allem Zusatzinformationen gegeben, ohne auf weiterführende Sekundärliteratur zu verweisen.

Die Briefe an und von Herbert von Dirksen spiegeln erwartungsgemäß ein buntes Bild wider und beschreiben zunächst den Alltag eines Diplomaten. Bereits ein flüchtiger Blick zeigt, dass sie meistens einem strengen thematischen Schema folgen: Familie, Gesundheit und Krankheiten, Heimaturlaub und Personalfragen sind angesprochen, bevor auf politische Sachverhalte eingegangen wird. Auffallend oft werden Krankheiten thematisiert, auch Nervenkrankheiten. Besonders nachdrücklich aber demonstrieren die Briefe, wie sehr die Diplomaten von Informationsschöpfung abhängig waren. Hierunter fallen einheimische Informanten vor Ort, aber eben auch die jeweiligen Kollegen: Von Fritz von Twardowski und Andor Hencke (Moskau und Kiew) erhielt Dirksen Informationen zu den japanisch-russischen bzw. deutsch-russischen Beziehungen, von Hermann Kriebel (Shanghai) Informationen zu den chinesisch-japanischen bzw. den deutsch-chinesischen Beziehungen. Somit liegt der Wert der Briefe weniger darin, dass bereits bekannte Punkte der deutschen Ostasienpolitik in einzelnen Details ergänzt werden - so etwa die Heye-Mission 1934, das japanische Interesse an der Inneren Mongolei oder die deutsche Vermittlungsaktion im chinesisch-japanischen Krieg 1937/38 -, als vielmehr in der Offenlegung von Kommunikation und Interaktion einer kleinen Gemeinschaft, die weitab von der Heimat bei einander feindlich gegenüberstehenden Regierungen akkreditiert war und miteinander kommunizieren musste, um ihren Auftrag überhaupt erfüllen zu können. Dieser Umstand wird im Übrigen durch den Terminus der "privatdienstlichen" Korrespondenz auffallend gut erfasst.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Veröffentlichung der nichtamtlichen Briefe des Diplomaten Herbert von Dirksen nicht nur eine nuanciertere Bewertung der deutschen Ostasienpolitik ermöglicht, sondern auch Materialien zu einer Rekonstruktion der Netzwerke und damit zu den Entscheidungsfindungsprozessen eines in Übersee tätigen Diplomaten liefert. Die Edition erlaubt, einen neuen Blick auf die Geschichte der deutschen Diplomatie in Ostasien zu werfen, auch wenn sich der Leser gerade dabei mehr Orientierungshilfen gewünscht hätte.

Anmerkungen:
1 Conze, Eckhart, Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt. Die gesellschaftliche Dimension in der Internationalen Geschichte. In: Loth, Wilfried; Osterhammel, Jürgen (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen - Ergebnisse - Aussichten, München 2000, S. 117-140, hier: S. 127. Sowie: Schwabe, Klaus (Hrsg.), Das Diplomatische Korps 1871-1945, Boppard 1985; Sütterlin, Ingmar, "Russische Abteilung" des Auswärtigen Amtes in der Weimarer Republik, Berlin 1994. Sowie speziell zu Ostasien: Scheidemann, Christiane, Zwischen Tradition und Abkehr: Die Chinapolitik deutscher Diplomaten 1919-1938. In: Kuß, Susanne; Schwendemann, Heinrich, Der Zweite Weltkrieg in Europa und Asien, Freiburg 2006, S. 143-160. Grundsätzlich auch: Biographisches Handbuch des Auswärtigen Dienstes 1871-1945, hrsg. vom Auswärtigen Amt, 2 Bände, Paderborn 2000 und 2005.
2 Fox, John P., Germany and the Far Eastern Crisis 1931-1938. A Study in Diplomacy and Ideology, Oxford 1982; Ratenhof, Udo, Die Chinapolitik des Deutschen Reiches 1871 bis 1945. Wirtschaft -Rüstung -Militär, Boppard 1987; ADAP, Serie C und D.; Martin, Bernd (Hrsg.), Deutsch-chinesische Beziehungen 1928-37. "Gleiche" Partner unter "ungleichen" Bedingungen, Berlin 2003; Leutner, Mechthild (Hrsg.), Deutschland und China 1937-1949. Politik, Militär, Wirtschaft, Kultur, Berlin 1998.

Editors Information
Published on
20.09.2007
Author(s)
Contributor
Edited by
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review