U. Heyden u.a. (Hrsg.): Mission und Macht im Wandel

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Title
Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945


Editor(s)
van der Heyden, Ulrich; Stoecker, Holger
Series
Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte 10
Published
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Extent
700 S.
Price
€ 90,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Gisela Mettele, German Historical Institute, Washington DC

Die koloniale Dimension christlicher Missionen bildet den Gegenstand dieses umfangreichen, von den Berliner Afrika- und Kolonialhistorikern Ulrich van der Heyden und Holger Stoecker herausgegebenen Sammelbandes, der die Ergebnisse eines internationalen missionsgeschichtlichen Kongresses von 2003 zusammenfasst.

Über die Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Mission und Kolonialismus wird seit langem kontrovers diskutiert. Missionare erscheinen dabei häufig entweder als bloße Handlanger kolonialer Herrschaft, die mit ihrer Tätigkeit zur Zerstörung autochthoner Kulturen beitrugen oder als „Anwälte der Eingeborenen“, die der kolonialen Eroberungspolitik durchaus Widerstand entgegensetzten, sobald koloniale und religiöse Interessen sich widersprachen. Ihre Basis haben diese Positionen allerdings weit weniger in systematischen Analysen als in unhinterfragten wissenschaftlichen Orthodoxien und missionsgeschichtlichen Stereotypen.1 Van der Heyden und Stoecker haben nun 46 Wissenschaftler/innen aus Europa (28), Nordamerika (4), Asien (2) und Afrika (12) zusammengebracht, um den Zusammenhang von Mission und politischer Macht anhand von konkreten historischen Situationen in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945 empirisch zu überprüfen. An dem interdisziplinären Gedankenaustausch beteiligten sich neben Missions- und Religionswissenschaftler/innen auch Vertreter/innen verschiedener anderer sozial- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen wie Asien- und Afrikawissenschaft, Geschichte, Ethnologie, Soziologie, Politik- und Literaturwissenschaft.

Die Beiträge analysieren sowohl die Beziehungen von (meist) deutschsprachigen Missionsgesellschaften zu den verschiedenen europäischen Regierungen, in deren Kolonien sie tätig waren, als auch das Verhältnis der Missionare in Asien und Afrika zu den jeweiligen lokal bzw. regional maßgeblichen politischen Kräften (Kolonialmächte, lokale politische Systeme, Unabhängigkeitsbewegungen). Deutlich wird in allen Beiträgen, dass Mission stets in einem komplexen Feld höchst unterschiedlicher und wechselhafter politischer Interessen stattfand und van der Heyden und Stoecker geht es mehr darum, die verschiedenen Facetten des Phänomens zu differenzieren als typische Haupttendenzen zu benennen.

Bereits die Ausgangslagen konnten stark variieren, je nachdem, ob die Missionsgesellschaften Angehörige der jeweiligen Kolonialnation waren, oder dieser gegenüber selbst Fremde. Deutsche Missionare waren eben nicht nur in deutschen Kolonien tätig und allein dies machte die Beziehungen zwischen christlicher Mission und kolonialer politischer Macht uneindeutig. Ebenso entzieht sich das Verhältnis zwischen den Leitungen der Missionsgesellschaften in Europa und den Missionaren vor Ort einer einheitlichen Beurteilung. Nicht immer kann hier von Interessensgleichheit ausgegangen werden, mehrere Beiträge dokumentieren teils heftige Konflikte und Widersetzlichkeiten.2 Auch innerhalb der Missionsländer waren die politischen Verhältnisse häufig nicht eindeutig, je nachdem ob die Kolonialmächte und die Missionare intakten einheimischen lokalen Herrschaftssystemen oder ungeklärten Herrschaftsverhältnissen und instabilen Machtkonstellationen gegenüberstanden. Oft produzierte die Anwesenheit der Missionare erst die internen Differenzierungen, konnte die Destabilisierung lokaler Macht beschleunigen (Nzalayaimisi), aber auch Partizipationsansprüche an der lokalen Machtausübung auslösen (Bechtloff).

Der Band versammelt Beiträge unterschiedlicher Qualität und methodischen Zugriffs. Viele Autor/innen wählen biografische Fallbeispiele oder entwickeln ihre Argumente entlang eines spezifischen Konflikts. Andere arbeiten mit dem Konzept der „Kontaktzonen“ oder argumentieren im weitesten Sinn diskursanalytisch. Manche sind eher essayistischen als analytischen Charakters. Positiv ist zu vermerken, dass nicht nur europäische Perspektiven, sondern in mehreren Beiträgen die Sichten von einheimischen Akteuren in den Missionsländern zur Sprache kommen. Die in den postcolonial studies entwickelten methodischen Ansätze für die Analyse der wechselseitigen Beziehungen von Peripherie und Metropole werden von keinem Autor explizit aufgegriffen.3 Jedoch wird zumindest in einem Beitrag das Verhältnis von Geschlecht, Mission und politischer Macht erörtert (Trüper).

Der zeitliche Rahmen, den der Band abdeckt, reicht – für missionsgeschichtliche Literatur eher ungewöhnlich – bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus. Dabei werden auch bislang wenige beachtete Themenfelder und politische Konstellationen angeschnitten, wie etwa das protestantische Missionsmanagement bzw. die Stellung deutscher Missionen in den Kolonien verschiedener europäischer Regierungen zur Zeit des Nationalsozialismus (Eiselen bzw. de Wit).

Die Mehrzahl der Beiträge behandelt evangelische Missionsgesellschaften. In einigen Beiträgen kommen aber auch die in der aktuellen Missionsgeschichte häufig vernachlässigten katholischen Missionen in den Blick (Nafafé u. De Souza), bzw. die teils sehr harten Konkurrenzverhältnisse zwischen katholischen und evangelischen Missionen. Im Fall Togos etwa denunzierten die protestantischen Missionare ihre katholischen Kollegen gegenüber der Kolonialregierung als „ausländisch“ und forderten die Rücknahme der Körperschaftsrechte (Ahadji). Interessant gewesen wäre in diesem Zusammenhang eine genauere Diskussion der Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verhältnis zwischen imperialer Macht und evangelischer und katholischer Mission, die ja beide tendenziell universalistisch orientiert waren.

Eine Ordnung der Beiträge nach systematischen Gesichtspunkten fehlt fast vollständig. Angesichts der Vielzahl der Beiträge ist der Band dadurch ausgesprochen unübersichtlich und erschließt sich nur schwer. Die etwas willkürlich erscheinende thematische Gliederung des Inhaltsverzeichnisses wird im Textteil nicht wieder aufgenommen. Eine Zuordnung zu einzelnen Themenblöcken ist nicht erkennbar. Die Beiträge stehen so recht unvermittelt nebeneinander, oft auch gegeneinander, statt in einen Dialog zu treten. Ebenso kommen übergreifende theoretische und methodische Überlegungen zu kurz. Jenseits einer ausgesprochen knappen Einleitung unternehmen die beiden Herausgeber keinen Versuch einer zusammenfassenden Bewertung. So wird nicht recht deutlich, was die verschiedenen Beiträge eigentlich zusammenhält. Sicher ist van der Heyden und Stoecker zuzustimmen, dass es auf die Frage nach dem Verhältnis von Mission und politischer Macht keine einfachen und eindeutigen Antworten geben kann. Jedoch sollte man vor dem Facettenreichtum des Phänomens auch nicht völlig kapitulieren. Von einem wissenschaftlichen Band, der den Anspruch erhebt, das Verhältnis von Mission und politischer Macht aus der bisher vorherrschenden unsystematischen Betrachtungsweise herauszuheben, ließe sich zumindest der Versuch erwarten, einige allgemeinere, wie auch immer komplexe Thesen zu formulieren. So ist leider eher fraglich, ob der Band das über missions- oder kirchengeschichtliche Fragestellungen und Forschungsinteressen weit hinausreichende Potential missionsgeschichtlicher Quellen einer breiteren „scientific community“ nahe bringen kann.

Das ausgebreitete Mosaik der Missionen in Afrika und Asien ergibt kein geschlossenes Bild, bietet jedoch einen ergiebigen Steinbruch für neuere Ansätze in der Arbeit mit missionarischen Quellen. Missionsarchive enthalten Informationen zu vielen Bereichen der überseeischen Politik-, aber auch Sozial- und Wirtschaftsgeschichte bis hin zu linguistischen oder wissenschaftsgeschichtlichen Fragestellungen. Sie bieten reichhaltiges Material für Kulturtransferanalysen, Postcolonial Studies und Histoire croisee. Verschiedene Beispiele des vorliegenden Sammelbandes belegen überzeugend, dass im missionarischen Kontext erzeugte Quellen auch gewinnbringend genutzt werden können für die Rekonstruktion der Geschichte indigener Gesellschaften, die dafür häufig genug über wenig andere Quellen verfügen.

Anmerkungen:
1 Die lange Zeit vorherrschende gegenseitige Nichtbeachtung von Missions- und Kolonialgeschichte beginnt sich nun allerdings zu ändern. Für den Bereich des britischen Empire vgl. etwa: Porter, Andrew, Religion versus Empire? British Protestant Missionaries and Overseas Expansion 1700-1914, Manchester 2004.
2 Hierzu auch Altena, Thorsten, “Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils”. Zum Selbstverständnis protestantischer Missionare im kolonialen Afrika 1884-1918, Münster 2002.
3 vgl. Thorne, Susan, Congregational Missions and the Making of an Imperial Culture in Ninteenth Century England, Stanford 1999. Hall, Catherine, Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination 1830-1867, Chicago 2002.

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08.02.2007
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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