D. Junker (Hg.): The United States and Germany

Cover
Title
The United States and Germany in the Era of the Cold War. A Handbook


Editor(s)
Junker, Detlef; Gassert, Philipp; Mausbach, Wilfried; Morris, David B. (associate editors)
Series
Publications of the German Historical Institute
Published
Extent
1296 S.
Price
$ 180,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Man kann ein Buch wie dieses auf verschiedene Weisen besprechen. Zunächst einmal: es gab bereits zur deutschen Version eine profunde und kenntnisreiche, auch in der Bewertung hoch greifende Besprechung von Michael Lemke http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/ZG-2002-030 vom 3.3. 2002, der sich dieser Rezensent einschließlich des kritischen Eingangsstatements von Michael Lemke anschließt. Nunmehr liegt auch die – soweit erkennbar integrale– englische Übersetzung vor. Damit wäre die Redaktion aber kaum zufrieden. Zweitens: es ist ein Werk entstanden, wie es in dieser Form kaum überbietbar ist. „In many ways these two volumes have no precedent. Never has a work attempted to describe and explain the relations betweeen two states, two societies, and two cultures in such detail for one historical epoch”, schreibt Detlef Junker mit nachvollziehbarem Eigenlob (S. xix). Ein Team um den damaligen Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, nämlich Philipp Gassert, Wilfried Mausbach und David B. Morris als Assistant Editors, hat laut Einleitung 132 Autoren zusammengebracht, die ein in sich abgeschlossenes Kompendium organisiert haben und vorlegen, das in jede einschlägige wissenschaftliche Bibliothek gehört – und vielleicht auch in manche private. Das lässt sich erhärten, auch wenn man mit der hervorragenden US-Tradition zu Enzyklopädien etwa der Verlage ABC Clio oder Greenwood Press vergleicht, die zum Teil sehr spezielle Themen in ähnlicher Form aufgreifen, wenn es nur genug Liebhaber dafür gibt. Hier aber ist der analytische Ansatz ungleich höher als meist bei derartigen Enzyklopädien. Prädikat: unbedingt empfehlenswert, ein Werk, das so kaum überboten werden kann. Dieses Endurteil bedarf jedoch der Begründung.

Das sollte die dritte Herangehensweise sein, die angesichts dieses Opus jedoch weitgehend versagt. Man kann kaum alle Aspekte vorstellen, sondern nur die großen Linien der Komposition aufzeigen. Der erste Band umfasst die Jahre 1945 bis 1968, der zweite die Zeit von 1968 bis 1990 und ist nur unwesentlich dünner geworden als der erste. Die Bandtrennung beruht nicht auf einer expliziten inneren Zäsur, sondern ist eher pragmatisch „in der Mitte“ gewählt – und lässt sich naturgemäß nur bedingt durchhalten. Mit Politik, Sicherheit, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft sind nicht ganz im üblichen Kanon die großen Lebensbereiche angesprochen. Politik steht nicht zufällig an der Spitze, mit Sicherheit ist ein zweiter, eher dem Staat zuzurechnender Bereich benannt. Kultur wird eher sektoral verstanden, und Gesellschaft klappt ein wenig nach. Jeder dieser Sektoren wird in jedem Band von einem 15-20seitigen Essay mit Bibliographie raisonnée eingeleitet, der von einem hervorragenden Sachkenner stammt. Überhaupt liest sich die Liste auch der weiteren Beiträger wie ein Who is who der einschlägig arbeitenden Wissenschaftler auf beiden Seiten des Atlantik. Für jeden Band sind dies andere: Für Politics schreiben Thomas A. Schwartz bzw. Klaus Schwabe die Einleitungen, für Security ist es beide Male Wolfgang Krieger, für Economics Christoph Buchheim bzw. Harold James, Culture ist die Sektion für Frank Trommler (beide Essays) und Society fällt unter Volker Berghahns bzw. Lily Gardner Feldmans Ägide. Unter diesen fünf Hauptkategorien folgen jeweils sieben bis 19 kürzere sektorale Essays – ebenfalls von ausgewiesenen Wissenschaftlern, häufig der mittleren oder jüngeren Generation geschrieben. Man fängt an zu suchen, wer denn etwa nicht geschrieben hat – und findet natürlich auch solche Namen.

Eine der großen Fragen, die sich bei einer solchen Enzyklopädie stellt, ist die Gewichtung der drei Faktoren: Deutschland, USA und Beziehungen. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Beziehungen und das heißt zugleich, dass die jeweiligen Lebensbereiche oder Sektoren vor allem dann angesprochen werden, wenn sie von der anderen Seite beeinflusst wurden. Dies wiederum bedingt, dass es weit mehr Artikel zu US-Einflüssen auf Deutschland gibt als umgekehrt. Das entspricht dem Ungleichgewicht des ja lange „penetrierten Systems“ (so früher Hanrieder im Anschluss an Rosenau). Aber gerade die German Studies in den USA, der (zeitweilige) Transfer von Studenten, Wissenschaftlern etc. in die USA wird mit oft neuem Material gut erfasst. Junker selbst betont in einem Einleitungsessay, dass kein Land für Deutschland nach 1945 wichtiger gewesen sei als die USA und gibt dann einen konzisen Überblick zu den politischen Beziehungen, denen mit „arrival in the West. American influence on society and culture in the federal republic“ einige Seiten über entsprechende Netzwerke nachgestellt sind. Hans-Peter Schwarz kommt am Ende des zweiten Bandes ein Ausblick zu, den er für die englische Ausgabe, vier Jahre nach seinem ursprünglichen Essay, datiert nun 20. März 2003 (also zu Beginn des Krieges im Irak) sehr skeptisch ausklingen lässt, „the old certainties are past“, nicht nur die Regierung Schröder und die Bush Administration hätten sich gewandelt, sondern die gesamte internationale Situation. Gerade hieraus lässt sich eine politische Berechtigung für diese ja doch - wie Junker einleitend dankend erwähnt - letztlich mit deutschen Steuerzahlergeld möglich gewordenen Publikation herleiten: In Kenntnis der über Jahrzehnte gewachsenen Beziehungen, die hier dokumentiert werden, sollte man Kinder nicht mit dem Bade ausschütten – eine Erkenntnis, die sich im letzten Jahr auch deutlich in den bilateralen Beziehungen niederschlug.

Aber wichtiger als politische Bildung durch die Enzyklopädie ist ihr wissenschaftlicher Ertrag. Gerade in den Sektoren Kultur und Gesellschaft finden sich hervorragende sektorale und innovative Essays. Man liest sich gerne hier und dort fest. Die Autoren lieben, dem Genre geschuldet, nicht so sehr den eleganten Duktus, sondern den informativen, gelegentlich sogar zahlengespickten Überblick. Sozialer Protest, Anti-Amerikanismus fehlen nicht. Einzelne Beiträge hervorzuheben wäre unfair; schwächere Aufsätze finde ich kaum. Fehler, die irgendwie von Belang wären, sind mir nicht aufgestoßen.

Zur Rezension gehört auch Kritik, die benannt werden muss: Das ist der vierte Punkt der Besprechung. Diese Fragen fallen aber letztlich nicht ins Gewicht. Dass Deutschland vornehmlich Bundesrepublik heißt und die DDR zumal im ersten Band kaum vorkommt, hat schon Lemke angemerkt. Das bleibt ein kritischer Punkt, der sich mit den faktischen Nicht-Beziehungen nicht ganz weg argumentieren lässt. Es könnte ja sein, dass der subkutane Einfluss und die Feindpropaganda mit den imperialistischen USA doch wichtiger waren, aber gewiss noch der Erforschung in Einzelheiten harren. Gewiss finden sich in einigen Artikeln auch Aussagen zur DDR. Schwieriger noch ist die Frage, wie die NS-Vergangenheit auf die Beziehungen einwirkte. Wenn ich recht sehe, wird das Thema nicht gesondert abgehandelt, aber zumal im ersten Band findet sich, wo immer sinnvoll, ein Bezug auf die Belastungen etc., die sich nicht auf Entnazifizierung allein beschränken, sondern zeigen, wie durchgehend die Jahre nach 1945 nicht nur von Krieg, Zerstörung und Besetzung, sondern von den auch durch deutsche Verbrechen geprägten Bild in den USA geprägt waren. Inwieweit z.B. die Holocaust-Erinnerung in den USA hier hätte eigens thematisiert werden sollten, steht dahin.

Sodann: bilaterale Beziehungen haben im Zeitalter der europäischen Einigung etwas zunehmend Anachronistisches. Einige Autoren – Frank Trommler etwa – thematisieren deutlich die europäische Dimension US-amerikanischer Wahrnehmung/Beeinflussung. Aber dieser gleichsam freundliche Dritte ist schwer in sektoralen Beiträgen einzubeziehen. Ähnliches gilt bei den Beziehungen zum „feindlichen Dritten“ – dem Ostblock und zumal der Sowjetunion: Da hätte man sich mehr Explizites wünschen können.

Transnationale Geschichte ist ein Stichwort, das im letzten Jahrzehnt als neues Paradigma entdeckt und Mode geworden ist. Gelegentlich wird der Begriff hier einmal gebraucht; in der Sache findet sich ganz viel davon, wenn auch eher im repräsentativen Überblick als in der sektoralen Mikro-Makro-Verschränkung mancher Untersuchungen; Transfer wird durchgehend beobachtet, ohne dass der Begriff häufig fiele. Es dominieren aber doch in vielem die immer noch innovativen internationalen Beziehungen, die nicht einfach durch ein neues Paradigma ersetzt werden sollten, wie in dieser Enzyklopädie mit Erfolg gezeigt wird. Als ich vor zwei Jahren einen Überblick zu „Europa im Ost-West-Konflikt 1945-1991“ als Oldenbourg Grundriss vorlegte, hatte ich zur deutschen Version den Eindruck (S. 135): „In diesem Handbuch finden sich aber auch eine Reihe von Überlegungen, wie eine Geschichte der Kulturbeziehungen und –transfer auf vergleichender Ebene geschrieben werden kann.“ Das lässt sich nach der Lektüre der englischen Version bekräftigen, aber hinzufügen: dies wird selten explizit gemacht. Es liegt eben eine Enzyklopädie vor, mit besonderer Anstrengung und großer Leistung.

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29.09.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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