U. Lübken: Bedrohliche Nähe

Cover
Title
Bedrohliche Nähe. Die USA und die nationalsozialistische Herausforderung in Lateinamerika, 1937-1945


Author(s)
Lübken, Uwe
Series
Transatlantische Historische Studien 18
Published
Stuttgart 2004: Franz Steiner Verlag
Extent
438 S.
Price
€ 50,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Holger M. Meding, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Während die USA dem nationalsozialistischen Deutschland anfänglich eher mäßige Aufmerksamkeit schenkten und sich auf die Überwindung der Weltwirtschaftskrise im eigenen Land konzentrierten, änderte sich die Einschätzung spätestes ab 1937. Die unerwartet deutliche wirtschaftliche Erholung Deutschlands, der unerwartet schnelle militärische Aufstieg, die unerwartet nachdrückliche Konsolidierung im Inneren bewirkten jenseits des Atlantiks einen abrupten Wechsel von Erstaunen über Irritation zum Erschrecken. Verstärkt wurde diese sprunghafte Reaktion durch eine ebenfalls unerwartet starke deutsche Konkurrenz auf den Weltmärkten, insbesondere in Lateinamerika. Das devisenschwache Deutsche Reich bot dabei einen Warenaustausch auf der Basis von Verrechnungseinheiten an. Dadurch aber wurde das auf dem Dollar basierende Welthandelssystem zugunsten einer sublimierten Form des Tauschhandels ausgehebelt. Diese wirtschaftlich hoch bedrohliche Bilateralisierung des Handels erhielt durch die weitere Entwicklung in Europa („Anschluss“, München, Zerschlagung der Tschechoslowakei, Sieg der Franquisten) eine nicht minder beunruhigende politische Komponente.

Eine Herausforderung der USA durch eine gewandelte Weltlage und die Notwendigkeit, darauf unter Aufkündigung des Isolationismus zu reagieren, sind schon früh von der Forschung konstatiert worden, wobei allerdings umstritten blieb, ob eher die Furcht vor einem von New York unkontrollierbaren neuen Weltwirtschaftssystem oder tatsächlich die politisch-militärische Bedrohung durch die Achsenmächte die eigentliche Triebfeder eines Wandels der US-amerikanischen Außenpolitik darstellte.

Die vorliegende Studie, die aus einer Dissertation an der Universität zu Köln hervor ging, widmet sich diesen Fragekomplexen am Fallbeispiel Lateinamerika. Uwe Lübken legt dar, dass Washington die Attraktivität des augenscheinlich hoch erfolgreichen Modells von Faschismus und Nationalsozialismus auf die Staaten südlich des Rio Grande fahrlässig unterschätzt hatte. Große Teile der lateinamerikanischen Militärs schienen mit Bewunderung auf die Entwicklung in Europa zu schauen, die arbeitspolitischen Maßnahmen und ihre Ergebnisse in Deutschland und Italien stießen auf Resonanz in den Arbeiterbewegungen Lateinamerikas, und selbst unter den politischen Entscheidungsträgern gab es nicht wenige, die mit autoritären Optionen liebäugelten.

Diese Fehleinschätzung der Lage schlug abrupt um in eine anfänglich regelrecht panikartige Lagebeurteilung seitens der Regierung in Washington. US-amerikanische Diplomaten reihten sich ein, so dass ihre Berichte die deutsche Präsenz in Lateinamerika, die Tätigkeit der Auslandsorganisation der NSDAP, der deutschen Botschaften und Gesandtschaften zu einem akut gefährlichen Ensemble aufbauten. Man befürchtete Machtübernahmen durch faschistische und NS-inspirierte Gruppierungen in Lateinamerika und nach dem deutschen Sieg über Frankreich sogar direkte deutsche Militäroperation über Französisch-Westafrika nach Südamerika.

Es gelingt Lübken in überzeugender Weise, die fast schockartige Angstreaktionen und ihre Folgewirkungen in ihren Verästelungen nachzuzeichnen. Diesen zum Teil realitätsfernen hysterischen Bedrohungsperzeptionen stellt er aber auch deren politische Nutzbarmachung gegenüber. In Beeinflussung der öffentlichen Meinung wurden regierungsseitig gezielt Ängste geschürt, deren Ziel die Aufweichung der isolationistischen Tendenzen in den USA war. Ähnlich wie in der Vorbereitung auf den Ersten Weltkrieg galt es auch jetzt, die Bevölkerung kriegsbereit zu stimmen. Die tatsächliche Präsenz nationalsozialistischer Gruppierungen, die in den lateinamerikanischen Staaten durchaus über Einfluss verfügten, aber schwerlich machtvoll agieren konnten, wurde daher grotesk – im Sinne „Fünfter Kolonnen“ – überzeichnet.

Lübken arbeitet eine Schrittfolge heraus: Auf die Schaffung eines allgemeinen Bedrohungsbewusstseins in den USA und in Lateinamerika durch eine entsprechende, von Washington gestaltete Informationspolitik sollte der Aufbau eines von den Vereinigten Staaten geführten hemisphärischen Verteidigungsblocks erfolgen, der dann, auch durch Einsatz interventionistischer Mittel, politisch und militärisch koordiniert werden könne. Die Instrumente in diesem Kampf der Kulturen waren offene und verdeckte Propaganda, Geheimdienstarbeit, finanzielle und politisch-militärische Zusagen (so im Fall Brasilien) oder auch Repression bei standhafter Verweigerung (so im Fall Argentinien).

Insgesamt war die Regierungsstrategie äußerst erfolgreich. Innenpolitisch gerieten die Isolationisten in die Defensive und außenpolitisch gelang es den USA, anders als im Ersten Weltkrieg, einen hemisphärischen Block – Lübken spricht von der „Festung Panamerika“ – zu schmieden, der den Vorgaben der nördlichen Vormacht folgte. Zwar wirkte Argentinien als Dauerstörenfried dieser Zielsetzung, doch dessen Disziplinierung besaß auch einen exemplarischen Charakter.

Die Studie stellt die USA in den Mittelpunkt und arbeitet die dortige Sichtweise, Perzeption und Reaktion heraus. Eine Verifizierung und Falsifizierung der Einschätzungen erfolgt ebenfalls aus der Perspektive der USA. Das Korrektiv durch lateinamerikanische Quellen oder auch durch Literatur, die es ja durchaus gibt, bleibt marginal. Diese Vernachlässigung der lateinamerikanischen Perspektive ist natürlich kein Versehen. Der Verfasser hatte sie nicht im Sinn. Das Ziel ist vielmehr eine auf die USA konzentrierte Analyse von Bedrohungswahrnehmung und ihrer Verwendung als propagandistisches Mittel.

Für Lateinamerika stellen sich daher andere Fragen: Die fremde Wahrnehmung einer Bedrohung wurde nur in seltenen Fällen vor Ort geteilt. In der Regel fühlte man sich in Lateinamerika eher von den USA bedroht als von Deutschland. Zuweilen sah man im machtvoll aufstrebenden nationalsozialistischen Deutschland sogar eine Option, um dem Hegemonialanspruch der Vereinigten Staaten zu begegnen. Brasilien z.B. versuchte das Dritte Reich gegen die USA auszuspielen, aber dort fand Präsident Getúlio Vargas noch rechtzeitig den Absprung, als Washington den geforderten Preis zahlte. Argentinien seinerseits hielt an diplomatischen Beziehungen zu den Achsenmächten und an der Neutralität so lange fest, bis die USA von einer geheimen Kooperation ausgingen, aus der eine Bedrohung für die gesamte westliche Welt erwachsen könne. Handelsbeschränkungen und politischer Druck sollten Buenos Aires gefügig machen, was schließlich auch gelang.

Der Verfasser geht auch auf die Hinterlassenschaft der US-amerikanischen Perzeptions- und Politikwende ein: Die verstärkte Einflussnahme, ja streckenweise Kontrolle der lateinamerikanischen Staaten durch die Vereinigten Staaten überdauerte den Zweiten Weltkrieg. Der politisch-propagandistische Kampf gegen die Achsenmächte in Lateinamerika war weitgehend zielkonform verlaufen, so dass die angewandten Methoden in der Phase des Kalten Krieges, antikommunistisch gewendet, erfolgreich revitalisiert werden konnten. Als Relikt dieser Auseinandersetzungen verblieb auch die These vom Vierten Reich, der zufolge geflüchtete NS-Kader in Lateinamerika an ihrer Wiederkehr an die Schalthebel der Macht arbeiten würden. Journalisten und Populärhistoriker, die diese Vorstellung bis in die Gegenwart vertreten, vertrauen seit Jahrzehnten den Versatzstücken der in informationspolitischer Zielsetzung ausgestreuten alliierten Informationen aus dem Umfeld des Zweiten Weltkriegs.

Sicher in der Literatur abgestützt und, unter Einbeziehung einer Fülle von Geheimdienstmaterial, umfänglich quellengestützt, liegt mit dieser Monografie ein Lehrstück zu Entstehung, Auswirkung, Lenkung und Lenkbarkeit von Bedrohungswahrnehmungen vor.

Editors Information
Published on
24.09.2007
Edited by
Cooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Subject - Topic
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review