S. Manz: Migranten und Internierte

Cover
Title
Migranten und Internierte. Deutsche in Glasgow, 1864-1918


Author(s)
Manz, Stefan
Series
Historische Mitteilungen, Beihefte 52
Published
Stuttgart 2003: Franz Steiner Verlag
Extent
317 S.
Price
EUR 62,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Christiane Reinecke, Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas, Berlin Email:

Die schottische Hafenstadt Glasgow entwickelte sich während des späten 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Schnittpunkt von Handel und Migration. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte die Stadt nicht nur zu den führenden britischen Handelshäfen und diente als Auswanderungshafen, sondern sie wurde ebenso zu einem wichtigen Ziel für europäische Zuwanderer. Doch während sich die Migrationsforschung zu Großbritannien ausgiebig mit Verlauf und Wirkung der Immigration nach London befasst hat, ist der Effekt von Wanderungsprozessen auf die britische – und zumal die schottische – Provinz bis dato wenig untersucht worden. Die Dissertation zu Entstehung und Desintegration der „deutsch-ethnischen Kolonie“ in Glasgow während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts knüpft hier an und versucht, die – zu Recht als einseitig kritisierte – bisherige Forschung durch eine mikrogeschichtliche Studie zu ergänzen.

Stefan Manz konzentriert sich in seiner Untersuchung auf die deutschen Migranten in Glasgow, auf ihre soziale Zusammensetzung und Selbstorganisation im Zeitraum von 1864 bis 1918. Der mikrogeschichtliche Ansatz ermöglicht ihm dabei, anhand eines begrenzten Personenkreises das Wechselverhältnis zwischen den Migranten und ihrer städtischen Aufnahmegesellschaft in den Blick zu nehmen und deren Aufenthalt, soziale Vernetzung und Integration im Detail zu untersuchen. Anhand sowohl quantitativer Daten wie individueller Biographien und Erfahrungsberichte behandelt der Verfasser vor allem drei Themenfelder: Die soziale Zusammensetzung und berufliche Struktur der deutschen Migranten, ihre Selbstorganisation und Vernetzung im Vereins- und Gemeindeleben, und schließlich die Auflösung dieser Strukturen und den Ausschluss deutscher Migranten während des Ersten Weltkriegs.

Die Analyse der Berufsstruktur zeigt dabei, dass die Deutschen in Glasgow sich auf wenige Berufsfelder beschränkten und vornehmlich als Kaufleute und in Lehrberufen, sowie als Kellner und Musiker tätig wurden. Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem der Abschnitt, in dem Manz exemplarisch die Biografien verschiedener deutscher Unternehmer bespricht. Er vermag nicht nur zu zeigen, wie sich das Handelsaufkommen und die divergierende Ausbildungssituation in Großbritannien und dem Deutschen Reich auf die individuellen Biografien auswirkten, sondern er beschreibt vor allem den Transfer von know how durch die Zugezogenen. Der Aufbau einer Brauerei von Lagerbier in Glasgow durch eine deutsche Firma stellt so ein interessantes Beispiel für einen an Migration gebundenen Technologietransfer dar. Ähnliches gilt für die beschriebene Adaption deutscher Managementorganisation und die Übertragung von Expertenwissen in einer Textilfirma. Für eine ausgiebige Analyse des Verhältnisses zwischen Migration und transnationaler Verflechtung wäre es allerdings ergiebig gewesen, wenn diese Fallbeispiele noch expliziter auf andere historische Transfer-Studien bezogen worden wären.

Mit Blick auf das soziale Leben und die Selbstorganisation der Migranten geht der Verfasser von der Entstehung einer „deutsch-ethnischen Kolonie“ in Glasgow während des späten 19. Jahrhunderts aus. Er beschreibt, wie sich seit der Gründung des ersten deutschen Migrantenvereins, des Glasgower Deutschen Vereins im Jahr 1864, die deutsche Community zunehmend vernetzte und als ethnische Gruppe eigene Formen des sozialen und kulturellen Lebens entwickelte. Dabei wird deutlich, dass die jeweiligen Vereine nicht für alle gleichermaßen zugänglich waren, sondern den unteren Schichten weitgehend verschlossen blieben, so dass sich soziale und ethnische Ausschlusskriterien überlagerten. In den Reihen der deutschen Migranten habe sich so eine nach außen vergleichsweise abgeschlossene, nach innen kohärente „ethclass“ herausgebildet, die das soziale Leben stark bestimmte. Wie spezifisch diese Strukturen allerdings für die deutsche Migration nach Glasgow waren oder inwieweit sie auch andere Diaspora-Situationen charakterisierten, bleibt offen. Ebenso unterbleibt die Frage danach, wie in dem vorliegenden Fall ethnische Zugehörigkeit kulturell definiert und konstruiert wurde und inwiefern sich das gemeinsame Selbstverständnis gegebenenfalls wandelte. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe erscheint bei Manz vielmehr als eine statische Größe.

Allgemein orientiert sich der Verfasser stark an der maßgeblich von dem britischen Historiker Panikos Panayi geprägten Forschung zur deutschen Migration nach England.1 In diesem Zusammenhang relativiert er die gängige Behauptung, der Beginn des Weltkriegs bilde den entscheidenden Wendepunkt für die Entwicklung der deutschen Minderheitenkultur in Großbritannien. Vielmehr, so Manz, zeige das Glasgower Beispiel, dass die deutsche Kolonie in Schottland bereits seit der Jahrhundertwende zunehmend an Bedeutung und Größe verloren habe. Die mit Beginn des Weltkriegs einsetzenden repressiven Maßnahmen gegen die „enemy aliens“ und die aggressive Haltung der britischen Öffentlichkeit hätten diesen Niedergangsprozess lediglich beschleunigt – und ihn nicht, wie zuvor behauptet, initiiert. Dass die 1914 einsetzende Dynamik von Germanophobie, Spionagefieber und Internierungspolitik dennoch einen massiven Bruch im Leben der in Großbritannien ansässigen Deutschen bedeutete, zeigt seine anschließende Analyse der Kriegszeit. Manz bestätigt hier weitgehend die vor allem von Panayi entwickelten Forschungsthesen und ergänzt sie um das schottische Beispiel. Angesichts der rigiden britischen Internierungs- und Repatriierungspolitik überzeugt seine Einschätzung, es habe sich bei den Maßnahmen gegen die feindlichen Ausländer wohl um die „Überreaktion einer fieberhaft überdrehten Heimatfrontgesellschaft“ (S. 286) gehandelt. Ebenso leuchtet seine Schlussfolgerung ein, dass angesichts dessen das geläufige (Selbst-)Bild der schottischen Gesellschaft als eines „xenophilen Gegenparts“ zu England revidiert werden müsse.

Die vorliegende Studie vermag dem bisherigen Wissen um die deutsche Migration nach Großbritannien so zahlreiche interessante Aspekte hinzuzufügen. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, wenn die hinsichtlich der „deutschen Kolonie“ in Glasgow gewonnenen Erkenntnisse noch stärker in einen übergreifenden Zusammenhang eingeordnet worden wären – sei es konkret mit Blick auf die seit 1905 restriktiver werdende britische Zuwanderungspolitik, sei es allgemein hinsichtlich der In- und Exklusion von Minderheiten oder bezüglich der Konstruktion kultureller Identitäten. Jenseits dessen, schildert die vorliegende Mikrostudie jedoch in eindrücklicher Weise den Prozess der Etablierung, des Aufbaus und schließlich der Auflösung einer „ethnischen Kolonie“ in der schottischen Provinz.

Anmerkungen:
1 Siehe vor allem: Panayi, Panikos, German Immigrants in Britain during the 19th century, 1815-1914, Oxford 1995; ders., The enemy in our midst. Germans in Britain during the First World War, New York 1991.

Editors Information
Published on
24.11.2006
Cooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review