J. Bordat: Annexion - Anbindung - Anerkennung

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Title
Annexion - Anbindung - Anerkennung. Globale Beziehungskulturen im frühen 16. Jahrhundert


Author(s)
Bordat, Josef
Published
Hamburg 2008: Tredition
Extent
252 S.
Price
€ 14,99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Sven Korzilius, Graduiertenkolleg 846 / UFMG Belo Horizonte, Universität Trier

Die vorliegende Publikation untersucht Positionen von Vertretern der spanischen „Barockscholastik“ zur Legitimität spanischer Eroberungen auf dem amerikanischen Kontinent. Der Leser, der sich bereits etwas mit der Materie befasst hat, wird bemerken, dass die Ausgabe bei tredition nichts Neues zur Thematik beisteuert.

Tatsächlich handelt es sich um die Verwertung eines Großteils der 2006 bei Shaker, Aachen, erschienen Dissertation Bordats (Gerechtigkeit und Wohlwollen. Das Völkerrechtskonzept des Bartolomé de Las Casas). Durch Weglassung des zweiten Kapitels der Dissertation (Historische Einführung) und durch andere Formatierung sind zwar Kapitelnummerierung und Seitenzahlen verschoben, tatsächlich entspricht aber das zweite Kapitel im jetzigen Buch (Neue Welt, neue Fragen) bis auf den Anfang fast exakt dem dritten Kapitel der Dissertation. Die weiteren Kapitel (Legitimation der Conquista, Kritik der Conquista, das lascasianische Völkerrechtskonzept bzw. „das Völkerrechtskonzept des Las Casas“ sind weitgehend exakte Übernahmen. Die interessanten Kapitel 7 bis 9 der Dissertation (dort S. 153 bis 260), die sich bemühen, Las Casas in die Völkerrechtsentwicklung einzuordnen und der Frage nachgehen, ob und wie Las Casas für unsere heutige „zweite“ Globalisierung Aktualität besitzen kann, fehlen in der Neuausgabe bei tredition. Zwischen der Publikation der Dissertation und der Ausgabe bei tredition erschienene Literatur wurde nicht eingepflegt.

Auch abgesehen von dieser Doppelverwertung bewegt sich die Studie des Verfassers nicht gerade auf Neuland, jedenfalls was die Quellenbasis angeht. Die vom Verfasser behandelten Werke von Juan Ginés de Sepúlveda, Francisco de Vitoria und Bartolomé de Las Casas sind alle in jüngerer Zeit ediert und teilweise übersetzt worden, so dass sie einem breiten Leserkreis zugänglich sind. Die Zahl bereits existierender Monografien und Aufsätze ist - der Bedeutung des Untersuchungsgegenstandes entsprechend - groß, so dass es nicht einfach ist, einen neuen interpretatorischen Fokus zu finden. Bordat hätte sich daher stärker bemühen sollen, zu verdeutlichen, worin die Originalität seines Beitrages liegt. Ausführungen zum Forschungsstand und zur Leitfragestellung hätten hilfreich sein können; die Einleitung (S. 7-9) lässt einen Abschnitt hierzu vermissen. Insbesondere gelingt es Bordat nicht, seine spezifische Fachkompetenz stärker in die Arbeit einfließen zu lassen und die bislang wohl von Völkerrechtlern und Historikern (und, mit anderer Akzentsetzung, auch Theologen) dominierte Diskussion um eine aus seinem Studium der Soziologie und Philosophie gewonnene neue Perspektive zu bereichern. Der modische Untertitel von den „globalen Beziehungskulturen“ verspricht weit mehr, als die recht konventionelle völkerrechtliche Geistesgeschichte, die Bordat betreibt, zu halten vermag.

Die Untersuchung bleibt über weite Strecken zu darstellend. So wirkt etwa bereits der als Einstieg gewählte Abschnitt über die im 15. und 16. Jahrhundert diskutierten Rechtstitel der Entdeckung, der päpstlichen Schenkung, der „natürlichen Inferiorität der Indios“ und des bellum iustum handbuchmäßig und hätte vertieft werden sollen, während zeitlich weit zurück- und vorgreifende Exkurse sehr viel knapper hätten ausfallen können.
Kern der Arbeit Bordats bildet die – bereits zum Titel gemachte – Aufteilung der zeitgenössischen Diskursteilnehmer in die Gruppe der Kolonisten (Leitmotiv: Annexion), der „Staatsfraktion“ (Leitmotiv: Anbindung) und der „Indioverteidiger“ (Leitmotiv: Anerkennung). Angesichts dieser Dreiteilung ist es bedauerlich, dass die beiden ersten Fraktionen auf zusammen rund vierzig Seiten abgehandelt werden, während Las Casas allein die verbleibenden rund 150 Seiten gewidmet sind. Durch stärkeres Ausarbeiten der Darstellung der beiden erstgenannten Gruppen hingegen hätte der Verfasser das vorliegende Buch zu einem Novum im Vergleich zu seiner Dissertation machen können.

Bei der Behandlung der einzelnen Quellen nimmt die Inhaltswiedergabe jeweils einen im Vergleich zur Interpretation selbst zu breiten Raum ein. Die Interpretation ist engagiert, was zuweilen die Gefahr des etwas störenden „erhobenen Zeigefingers“ in sich birgt, sowie eines gewissen Verlustes an Differenzierung. Insbesondere hätte stärker zwischen der Auseinandersetzung um die Conquista als solche, und der Auseinandersetzung um die Versklavung der indigenen Bevölkerung getrennt werden sollen, wobei zuzugestehen ist, dass auch in den Quellen diese Argumentation ineinanderfließt.

Gut erkennbar ist das zum Beispiel an Sepúlveda, der aus den traditionellen Gründen für einen gerechten Krieg (Verteidigung, Rückgewinnung von Land und Kriegsbeute und Bestrafung von Rechtsbrüchen) nicht nur für die Conquista, sondern auch für die Versklavung der indigenen Bevölkerung als Konsequenz der Eroberung die weiteren Rechtfertigungsgründe der natürlichen Inferiorität der indigenen Bevölkerung (Versklavung als Mittel der Zivilisation), der Sünden wider die Natur, der Anthropophagie und der schnelleren Verbreitung des Christentums entwickelt, wobei er an das aristotelisch-thomistische Konzept des „Sklaven von Natur“ anknüpft. Interessant ist dabei die Auffassung des Dominikaners, dass nur die im Krieg Gefangenen tatsächlich zu Sklaven de iure gemacht werden dürften, während die sich freiwillig Unterwerfenden nur de facto dem Sklavenstatus angenähert werden könnten. Wenn Bordat kommentiert, dass dies keine praktische Bedeutung gehabt habe, entspricht dies einer verbreiteten Meinung, hätte aber mit Ausführungen zur rechtlichen und sozialen Wirklichkeit in Lateinamerika belegt werden müssen. (In Brasilien jedenfalls legten Indigene großen Wert darauf, diesen „feinen Unterschied“ zur „echten“ Sklaverei, wie sie die Afrikaner und ihre Nachfahren erdulden mussten, gerichtlich feststellen zu lassen.) Sepúlveda dient Bordat fast ausschließlich als negativer Gegenpol zu Las Casas. Sein Beitrag zur Völkerrechtsentwicklung sei eher gering und er verdiene kein mildes Urteil. Etwas aufgesetzt wirkt die mit der engagierten Attitüde zusammenhängende Durchführung von wohlgemeinten diachronischen Ausblicken auf die Gegenwart (nach dem Motto: „Was hätte Sepúlveda wohl zum Irakkrieg gesagt?“, vgl. S. 65, Fußnote 188 und S. 67, Fußnote 192). Verwundert ist der Leser darüber, dass er in dem Kapitel über Sepúlveda das im Titel angekündigte Konzept der „Annexion“ nicht ausgeführt findet. Der Annexionsbegriff taucht in dem gesamten Sepúlveda-Kapitel nicht mehr auf!

Gleiches gilt für das Kapitel über Francisco de Vitoria. Hier gibt Bordat die Auseinandersetzung mit der vorgenannten Argumentation knapp wieder (Ablehnung der Entdeckung als Rechtsgrundlage für die Eroberung, Ablehnung der Ansicht der Papst habe auch in der irdischen Welt das sagen und der Interpretation der Bulle inter cetera als päpstliche Schenkung an die spanischen Könige, Ablehnung des Arguments, der Kampf gegen Ungläubige sei gerechter Krieg, bzw. die Sünden der „Barbaren“ rechtfertigten einen solchen). Vitoria lasse demgegenüber nur erlittenes Unrecht und die Verteidigung Unschuldiger als gerechte Kriegsgründe zu (S. 84). Wichtig ist die Abgrenzung von der eher hierokratischen Auffassung Sepúlvedas. Vitoria erkennt an, dass auch Heiden und Sünder rechtmäßig weltliche Herrschaft ausüben können. Trotz dieser zutreffenden Abgrenzung hätte auch hier das im Titel angekündigte Programm vertieft werden müssen. Ebensowenig wie bei Sepúlveda das Konzept der Annexion, taucht im Vitoria-Kapitel der angekündigte Begriff der Anbindung auf. Auch wird dem Leser nicht deutlich gemacht, warum man Vitoria auch und gerade wegen seines Völkerrechtskonzept als Vertreter einer sog. „Staatspartei“ ansehen kann. Auch später kommt der Autor hierauf nicht mehr. Die im Titel angedeutete trianguläre Anlage der Studie wird nicht konsequent durchgeführt. Annexion, Anbindung und Anerkennung bleiben Etiketten, bei denen man nach der Lektüre nicht recht weiß, warum Bordat sie im jeweiligen Falle angeheftet hat. Möglicherweise lässt sich die vorgeschlagene Dreiteilung in dieser Schärfe aus den Quellen nicht herausanalysieren. Es ist bedauerlich, dass der Verfasser den aufgezeigten Interpretationsweg nicht wirklich verfolgt und problematisiert.

Auch zu dem längsten, Las Casas gewidmeten Kapitel lässt sich nichts anderes sagen. Nach wiederum recht handbuchartiger biografischer Einleitung werden die zentralen Texte Das achte Heilmittel, Dreißig Rechtssätze, Traktat zur Begründung der kaiserlichen Herrschaft, Einige Rechtsprinzipien, Zwölf Zweifel, Traktat über die Schätze Perus und Traktat über die königliche Gewalt in phasenweise den Schwerpunkt zu stark auf die Inhaltswiedergabe legenden Weise abgehandelt, auch hier ohne tiefere analytischere Entwicklung des Konzepts der Anerkennung. Die sich aus den herangezogenen Quellen ergebenden Grundpositionen und -forderungen Las Casas’ sind hinreichend bekannt, etwa die Anerkennung von Herrschafts- und Eigentumsrechten der indigenen Bevölkerung, die Anerkennung einer lediglich friedlichen Christianisierung oder die Forderung nach Abschaffung des Encomiendasystems und Restitution geraubter Güter. Trotz der hier eher zurückhaltend beurteilten wissenschaftlichen Innovation kann das Buch - vor allem wegen des günstigen Preises, des geringen Umfangs und der guten Lesbarkeit - etwa für die (durch die Studienreform zunehmend unter Zeitdruck geratende) studentische Leserschaft durchaus einen Einstieg in die Materie bieten.

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23.10.2009
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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