F. Axster: Koloniales Spektakel in 9×14

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Title
Koloniales Spektakel in 9×14. Bildpostkarten im Deutschen Kaiserreich


Author(s)
Axster, Felix
Series
Post_koloniale Medienwissenschaft 2
Extent
248 S.
Price
€ 29,99
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Martin Kohlrausch, Faculteit Letteren – MoSa, Katholieke Universiteit Leuven

Die historische Aufarbeitung des Kolonialismus hat im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland einen enormen Aufschwung genommen. Dabei haben sich, wenn auch nicht ausschließlich, postkoloniale Ansätze als besonders inspirierend erwiesen. Gleichwohl stellt sich immer auch die Frage, ob das, was in Großbritannien oder auch Frankreich überzeugt, ohne Weiteres auf Deutschland mit seiner im Vergleich begrenzten Kolonialismusgeschichte übertragbar ist. Abmildern lassen sich derartige Bedenken durch den Blick auf die erhebliche Bedeutung kolonialer Fantasien zwischen Karl May und Konsumprodukten, die oftmals gar keinen konkreten Bezug auf deutsche Kolonien nötig hatten. Vor diesem Hintergrund ist es zweifellos überzeugend, sich dem Zusammenspiel von Massenmedien und Kolonialismus zuzuwenden. Felix Axsters Dissertation „Koloniales Spektakel in 9x14“ nimmt mit Bildpostkarten ein im Kaiserreich besonders virulentes Medium in den Blick und konstatiert zu Recht, dass der Aufstieg der Bildpostkarten und der Aufstieg des deutschen Kolonialismus zusammenfielen. Daraus folgend hat der Band zwei vorrangige Erkenntnisdimensionen: Das ungemein populäre Sujet Kolonialismus liefert Erkenntnisse über die „postcard culture“, das heißt das Wechselspiel von Produktion und Rezeption, von Verbreitung und Sammeln. Gleichzeitig kann das vielfältige Medium Postkarten viel dazu beitragen, die Veralltäglichung des Kolonialismus besser zu erfassen.

Im Zuge des ebenfalls in den vergangenen zehn Jahren zu verzeichnenden Aufschwungs der Mediengeschichte sind Postkarten relativ unterbelichtet geblieben. Dies ist insbesondere insofern bedauerlich, als dass Postkarten als Gebrauchs- und Sammelstücke Auskunft über historische Interaktionen geben können, zu denen andere Quellen schweigen. Axster widmet sich in vier Kapiteln dieser Vielschichtigkeit des Mediums Postkarte. Zunächst beschreibt er den Aufstieg der Postkarte als Teil der Transformation der Post selbst, aber vor allem als essentiellen Bestandteil und Signum der Durchsetzung der Massenkultur um 1900.

Das zweite Kapitel behandelt die Postkarten aus dem Kolonialkrieg in der deutschen Kolonie Südwest-Afrika als Teil einer seriellen Ordnung. Die in hunderttausenden Exemplaren verschickten Feldpostkarten von der Front des Herero-Austandes transportierten bewusst und unbewusst Nachrichten aus dem Krieg. Axster erkennt im Zusammenhang von den auf den Postkarten abgebildeten Ansichten der Kolonien und den beiläufigen, aber serielle Muster aufweisenden Textkommentaren auf den Karten einen besonders einflussreichen Modus der Produktion von Wissen über die Kolonien. Gleichzeitig beschreibt er die Bildpostkarten als Modus der visuellen Aneignung der Kolonien, die die früher erfolgte territoriale Annexion bestätigen sollten. Schließlich rechtfertigten die Bildpostkarten, so Axster, in ihrer asymmetrischen Darstellung der überlegenen Kolonisatoren und der bildlich und teils textlich erniedrigten Kolonisierten die Rechtmäßigkeit des deutschen Kriegseinsatzes in Südwest-Afrika.

Der von Axster festgestellten grundsätzlich rassistischen Konnotation der Postkarten steht keinesfalls das im dritten Kapitel behandelte „Spiel mit der Unordnung“ entgegen, das insbesondere die auf Postkarten festgehaltenen sexuellen Grenzüberschreitungen in den Blick nimmt. Grenzüberschreitend waren für die Zeitgenossen mehr oder weniger intime Kontakte zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden ohnehin. Hierbei spielten Aspekte der Skandalisierung – die sich keineswegs immer an konkreten Fällen orientieren mussten – eine herausragende Rolle. Axster interpretiert die Virulenz dieses Genres als Ausdruck einer tiefgreifenden „Denormalisierungsangst“ (S. 168). Das abschließende Kapitel behandelt schließlich Routinen des Sammelns bzw., wie es zeitgenössisch hieß, des „Sammelsports“ auf Grundlage des Diskurses einschlägiger Vereinigungen. Auch für die Sammlerbewegung spielten die Themen Kolonien und Kolonialismus eine wichtige Rolle und fügten sich ein in die Überhöhung der eigenen vermeintlich die Welt erschließenden Mission und eine eigentümliche Vermischung von Kosmopolitismus und Nationalismus.

Insgesamt bietet der Band mit dem einführenden Kapitel und den folgenden drei, eher sondenartig verfahrenden Teilen, einen sehr aufschlussreichen Aufriss eines bisher vernachlässigten Phänomens. Gleichwohl bleibt die Aussagekraft stärker begrenzt als es möglich und wünschenswert gewesen wäre. Die Einbettung des behandelten Phänomens in die Mediengeschichte des Kaiserreichs bleibt im eigentlichen Textteil recht oberflächlich. Interaktionen mit anderen Medienformen werden kaum behandelt. Axster ist extrem bemüht, die koloniale Gewaltsituation mittels einer kritischen Analysesprache zu unterlaufen – und sprachlich bewusst zu machen. So nachvollziehbar und gerechtfertigt dies in der Sache ist, kommt dies der Lesbarkeit der Studie nicht immer zupass. Während die „dichte“ Beschreibung einzelner Postkarten und das skrupulöse Lesen der Postkarten durchaus in vielen Einzelfällen überzeugt, bleibt das eigentliche Sample angesichts der Reichweite der Aussagen begrenzt. Die näher untersuchten Postkarten weisen zudem sehr unterschiedliche Merkmale auf, unter anderem dies, dass einige auch nicht „gelaufen“ sind, also eben nicht bzw. nur begrenzt der Verbreitung von kolonialen Stereotypen dienen konnten. Zumindest erscheint es fraglich, hier, wie im Text mehrmals anklingt, eine gerichtete oder gar strategische Etablierung einer kolonialen Ordnung in den Köpfen zu erkennen. In der Einleitung beschreibt Axster selbst die Annahme einer zentralen Steuerung des Kolonialen Diskurses überzeugend als ungenügend. Die Dynamik der hier beschriebenen Visualisierung der Kolonien entstamme, wie der Band gut zeigt, eben der Vermischung von Kommerz und Politik, Unterhaltung und Kolonialpropaganda.

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27.03.2015
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