M. Franz u.a. (Hrsg.): Going East – Going South

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Title
Going East – Going South. Österreichisches Exil in Asien und Afrika


Editor(s)
Franz, Margit; Halbrainer, Heimo
Extent
699 S.
Price
€ 39,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Ina Markova, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien

Der rund 700 Seiten starke Band „Going East – Going South“ von Margit Franz und Heimo Halbrainer ist Produkt der in den letzten Jahren in Österreich immer stärker an Bedeutung und Reichweite gewinnenden Exil-Forschung. Ließ Friedrich Stadler in der 2004 erschienenen Neuauflage seines Standardwerkes „Vertriebene Vernunft“ jene Passage aus 1988 unverändert, in welcher er die Beschäftigung mit der „Emigration der Wissenschaft“ als ein „ungeschriebenes Kapitel österreichischer Zeitgeschichte“ bezeichnete, so hat sich seitdem einiges getan.1 Vereine wie „CLIO“, der auch für diesen vorliegenden Band verantwortlich zeichnet, aber auch die „Österreichische Gesellschaft für Exilforschung“ haben in den letzten Jahren zahlreiche Symposien zum breiteren Thema des österreichischen Exils in der NS-Zeit organisiert, zuletzt etwa im März 2013.2 Auch „Going East – Going South“ entstand als Tagungsband einer gleichnamigen Konferenz, die im Oktober 2012 in Graz stattfand. 2014 erschien der dritte Band der Buchreihe „Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus“ zum Schwerpunkt „Exil in Afrika“, der sich explizit an Schüler/innen richtet.3

Für Fluchtdestinationen wie Südamerika hatte sich schon die DDR-Exilforschung interessiert4, 1998 wurde mit dem „Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945“ ein voluminöses Standardwerk der Flucht- und Emigrationswissenschaften vorgelegt.5 Kontinente wie Asien und Afrika wurden aber auch im „Handbuch“ eher am Rande abgehandelt, mit Ausnahme von zwei spezifischen Fluchtorten: Liegen für Destinationen wie Shanghai und Palästina einige Publikationen, auch aus (auto-)biographischer Perspektive, vor6, so gibt es bis jetzt kaum Studien die sich mit anderen Exiländern bzw. -orten in Afrika und Asien auseinandersetzen. Diese Lücke möchte „Going East – Going South“ schließen.

Während sich insgesamt 15.000 österreichisch-jüdische Flüchtlinge nach Palästina und rund 6.000 nach Shanghai retten konnten, geht eine Berechnung des Historikers Jonny Moser von etwa 1.000 Exilant/innen in Rest-Asien und ungefähr 1.000 Geretteten in Afrika aus (S. 11). Um diese Gruppe geht es den Autor/innen des voluminösen Sammelbandes geographisch, die selbst formulierten Desiderate gehen aber weit über diese regionale Schwerpunktsetzung hinaus: Unter Bezugnahme auf die Historikerin Atina Grossmann soll das Ziel sein „to remap the landscape of persecution, survival, relief and rescue during and after World War II“. Ziel ist in diesem Sinne ein „Beitrag zu dieser neuen Landkarte“ (S. 12).

Multiperspektivisch wird ein neues Bild des Exils in Afrika und Asien gezeichnet, wissenschaftliche Analysen, Biografien, Erfahrungsberichte, Erinnerungen, Karten, ein Fotoessay sowie zeitgenössische Dokumente rücken dabei oft auch die menschlichen Erfahrungen der Geflüchteten in den Fokus. Sicherlich ist dieser für ein wissenschaftliches Werk ungewöhnliche Zugang zu einem großen Teil auch dem komplizierten Quellenzugang zuzuschreiben: Wird das koloniale Erbe in vielen untersuchten Ländern immer noch als politische Last empfunden, so liegt auf der Hand, dass auch die exil- und emigrationsspezifischen Quellen oft nur schwer zugänglich sind. Das Fehlen adäquater Archive und die schwierigen Lagerungsbedingungen für Dokumente bei (sub-)tropischen Temperaturen erschweren die Suche nach Quellen zusätzlich (S. 12).

Den vielen, teilweise detailreichen Beiträgen, sind dabei drei „Kontextualisierungsangebote“ der Herausgeber/innen vorangestellt (S. 13): Zu Beginn wird so etwa ein Überblick über die einzelnen Aufnahmeländer gegeben, wodurch auch die Rahmenbedingungen für die Einreise der Flüchtenden nachverfolgt werden können. Zwei kurze Texte der türkischen Autorin Asli Erdoğan geben einen Einblick in die psychologischen, kulturellen und politischen Dimensionen der Erfahrungen von Exilant/innen heute. Abschließend gibt Susanne Heims Artikel „Konzepte zum Flüchtlingsproblem 1938“ Überblick über Projekte zur Ansiedlung von Jüd/innen in Asien und Afrika.

Nach diesen Einbettungsangeboten widmen sich insgesamt 24 Autor/innen unterschiedlichen Exil-Destinationen wie etwa der Internationalen Zone in Tanger, die – laut Heimo Halbrainer – im Gegensatz zum besser untersuchten Casablanca bis heute „nur eine Randbemerkung in der Geschichte der Fluchtpunkte aus Europa“ darstellt (S. 105). Es werden aber nicht nur regionale Schwerpunkte, sondern auch thematische Fokussierungen gesetzt. Der hervorragende Beitrag Irene Messingers zum Thema „Schutz- und Scheinehen im Exilland Ägypten“ beschäftigt sich mit dieser spezifischen, bisher kaum untersuchten, Flucht- und Exilstrategie (S. 193). Tatsächlich eröffnet die Autorin eine noch breitere Perspektive, wenn sie fingierte Eheschließungen als ein auch heute noch „strategisch wirksames Instrument“ darstellt, „um sich über Staatsgrenzen wie Rechtsnormen hinwegzusetzen und im Exil- bzw. Aufnahmeland Aufenthaltssicherheit zu erlangen“ (S. 210).

Von großer Relevanz ist die Beleuchtung der „Verstrickung von Kolonialgeschichte Afrikas und NS-Vertreibungspolitik“ (S. 249), etwa im Beitrag von Albert Lichtblau. Afrika, so Lichtblau, war zu jener Zeit in Europa ein exotisch verklärter Kontinent, Menschen von dort galten als heidnisch und „Wilde“ ohne Geschichte und Kultur, die religiös und kulturell zu missionieren seien (S. 252). Es darf nicht verwundern, dass auch die selbst rassistisch verfolgten jüdischen Emigrant/innen von diesen Inferioritätsvorstellungen geprägt waren und auch deren Beziehung etwa zur afrikanischen Bevölkerung von hierarchisierenden Verhaltensmustern geprägt war (S. 254).

In dieser Hinsicht besonders lesenswert sind diejenigen zeitgenössischen Berichte, die dieses Wechsel- und Spannungsverhältnis zwischen autochthoner Bevölkerung und Geflüchteten reflektieren. So beschreibt etwa Richard Berczeller seine Tätigkeit als Arzt in der damaligen Elfenbeinküste, wobei er seine Bewunderung für die französische Okkupationsmacht nicht verbirgt. Trotz seiner sozialistischen Grundeinstellung, zeichnet er ein Bild der Elfenbeinküste als „wildes Territorium“, als „Buschland“, in welches Gesundheitsstationen gebaut worden waren. „Sie beeindruckten mich mehr, als es die großen Krankenhäuser von Wien und Paris getan hatten – Inseln in einem Meer der Unwissenheit und des Elends, die sie waren“ (S. 236), ist hier etwa zu lesen.

Diese kolonialen Verhältnisse erregten manchmal aber auch starken Widerwillen bei den Geflüchteten, wobei hier durchaus generationelle Unterschiede zu beobachten sind. In einem Bericht über sein Exilland Tanganyika beschreibt Berthold Kaufmann die dort gemachten Beobachtungen als „für einen jungen Burschen zwiespältig“. So schreibt er: „Einerseits habe ich mir gedacht, wir sind weiß, wir sind was Besseres, andererseits haben sie mir doch irgendwie leidgetan. Aber wie wir in die englische Kolonie gekommen sind, haben uns die, die dort gewohnt und Berufe gehabt haben, „eingetrichtert“, ja nicht zu freundlich zu den Schwarzen zu sein. Das seien „Untermenschen“ und wir müssten immer zeigen, wer wir sind“ (S. 286). Gibt der Band zwar auch Aufschluss über die Wünsche vieler Geflüchteter, wieder in das Ursprungsland oder zumindest nach Europa zurückzukehren, demonstriert ein Porträt Fred Pragers, wie sich auch eine starke Bindung zur neuen Heimat ausbilden konnte. Prager, der in der südafrikanischen Armee diente, wurde so nach dem Krieg ein entschiedener Kämpfer gegen die Apartheid (S. 361ff.).

Gerade dieser Fokus auf die teilweise auch kolonialistisch geprägten Vorurteile österreichischer Emigrant/innen macht den Band „Going East – Going South“ lesenswert: So gerät die Wechselbeziehung zwischen Kolonialsystem und NS-Vertreibung und Krieg anschaulich in den Lebensberichten der Geflüchteten ins Blickfeld, Emigration wird so auch als Beziehungsgeflecht zwischen Aufnahmeland und Exilant/innen gezeichnet. Die Fokussierung auf die bisherige „zeithistorische Terra incognita“7 schließt Forschungslücken und schafft aufgrund des multiperspektivischen Zugangs ein breites, kompletteres Bild von Emigration und Exilerfahrung.8

Anmerkungen:
1 Friedrich Stadler, Emigration der Wissenschaft – Wissenschaft der Emigration. Ein ungeschriebenes Kapitel österreichischer Zeitgeschichte, in: ders. (Hrsg.), Vertriebene Vernunft I: Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung, Bd. 1), unv. Neuaufl, Münster 2004, S. 9–41.
2 Vgl. hierfür den CfP: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=19407> (02.05.2014).
3 Vgl. hierfür etwa: <http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20140408_OTS0253/buchpraesentation-exil-in-afrika> (02.05.2014).
4 Vgl. z.B.: Wolfgang Kießling, Exil in Lateinamerika (Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933–1945 in sieben Bänden, Bd. 4), Frankfurt am Main 1981; vgl. rezenter auch z.B.: Christian Kloyber, Mexiko 1938–1947, Wien 2002.
5 Claus-Dieter Krohn (Hrsg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945, Darmstadt 1998.
6 Zuletzt etwa: Elisabeth Buxbaum, Transit Shanghai. Ein Leben im Exil, Wien 2008; Karl Pfeifer, Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg, Wien 2013.
7 So die Rezensentin Doris Griesser in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“: Doris Griesser, Flucht ins tropische Exil, in: Der Standard, 9. April 2014, S. 18.
8 Für Literaturhinweise bin ich Christoph Mentschel zu Dank verpflichtet.

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03.06.2014
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