J. Hüsgen: Mission und Sklaverei

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Title
Mission und Sklaverei. Die Herrnhuter Brüdergemeine und die Sklavenemanzipation in Britisch- und Dänisch-Westindien


Author(s)
Hüsgen, Jan
Series
Missionsgeschichtliches Archiv 25
Published
Stuttgart 2016: Franz Steiner Verlag
Extent
238 S.
Price
€ 46,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Thomas Dorfner, Historisches Institut, RWTH Aachen

Der Prozess der Sklavenemanzipation und die gesellschaftlichen Entwicklungen nach der Abolition werden seit geraumer Zeit intensiv erforscht. In den letzten Jahren nahm die Forschung dabei auch den Sklavenbesitz sowie die Sklavenemanzipation auf den Stationen der europäischen Missionsgesellschaften in den Fokus.1 Dieses Interesse galt bis dato jedoch nur eingeschränkt für die seit 1732 in den Amerikas agierende Herrnhuter Brüdergemeine.2 Entsprechend finden sich in den allgemeinen Standardwerken zur Brüdergemeine bis heute die Stereotype der älteren Missionshistoriographie, die den Sklavenbesitz der Herrnhuter relativieren oder gar die Brüdergemeine zu Wegbereitern der Sklavenemanzipation stilisieren. Exemplarisch sei auf Dietrich Meyers Monographie verwiesen, der zufolge die Herrnhuter Missionsstationen „Inseln der Menschlichkeit in einer Welt der Sklaverei und wirtschaftlicher Ausbeutung“3 gewesen seien.

Mit der Hannoverschen Dissertation von Jan Hüsgen liegt nun erfreulicherweise eine kritische Studie zu den Herrnhuter Missionsstationen in Britisch- und Dänisch-Westindien vor. Sie ist in drei Hauptteile gegliedert und untersucht auf breiter Quellenbasis die Übergangsphase von der Sklaverei zu den karibischen Postemanzipationsgesellschaften (1750–1850). Dabei widerlegt Hüsgen überzeugend die ältere Missionshistoriographie und zeigt – so viel vorweg –, dass besonders das Leitungsgremium der Brüdergemeine noch Ende der 1830er-Jahre vehement am Besitz der circa 220 Sklavinnen und Sklaven in Dänisch-Westindien festhielt.

Im ersten Hauptteil analysiert Hüsgen die Sklaverei in den sieben Herrnhuter Missionsstationen in Dänisch-Westindien. Mittels einer quantitativen Auswertung der Sklaveninventare bietet er zunächst einen Überblick über die Entwicklung des Sklavenbestands. Die Tätigkeiten der brüdereigenen Sklavinnen und Sklaven lässt eine Unterteilung in zwei Gruppen zu: Während die erste Gruppe auf der brüdereigenen Zuckerrohrplantage tätig war, musste die zweite Gruppe als Haus-, Feld- und Handwerkssklaven dienen. Erfreulicherweise begnügt sich Hüsgen nicht mit quantifizierenden Analysen, sondern zieht aus der ihm zur Verfügung stehenden Quellengattung Rückschlüsse auf die Wahrnehmungsschemata der Missionare: Konkret wurden die Sklaven in den Inventaren gemäß buchhalterischen Kriterien taxiert, woraus Hüsgen zu Recht schlussfolgert, die Herrnhuter hätten ihre Sklaven „in erster Linie als Betriebsmittel betrachtet“ (S. 58), die – ähnlich wie Grundstücke oder Häuser – einen konkreten monetären Wert besaßen. Gerne hätte man an dieser Stelle noch erfahren, mittels welcher Benennungs- und Kategorisierungspraktiken sich die Herrnhuter in anderen Quellen, namentlich den Briefen, von ihren Sklaven abgrenzten.

Als Kern des ersten Hauptteils kann dann das Kapitel zur Missionierung der brüdereigenen Sklaven gelten. Am Fall der Missionsstation Friedensthal auf St. Croix erläutert der Autor, dass zwar 35 Prozent der Sklaven getaufte Mitglieder der Missionsgemeinde waren, jedoch nur drei als Kommunikanten in die Abendmahlsgemeinschaft aufgenommen wurden. Dies verdeutlicht, wie sehr auch die Herrnhuter die Einhaltung der strengen kolonialen Hierarchie befolgten, die mit religiöser Gleichheit unvereinbar war. Bedauerlicherweise fällt jedoch das besagte Kapitel zur Missionierung mit nur acht Seiten sehr kurz aus. Ausführungen zur religiösen Unterweisung der Sklavinnen und Sklaven im Vorfeld der bedeutsamen rites de passage bzw. zur Überprüfung ihres Lebenswandels sucht man vergebens. Die Kapitel zum Verkauf bzw. zur Bestrafung der brüdereigenen Sklaven machen schließlich deutlich, dass das Meyer’sche Diktum von den „Inseln der Menschlichkeit“ nicht mehr zu halten ist. Hüsgen stellt stattdessen fest, die Herrnhuter hätten auf ihren Missionsstationen „die Rechtmäßigkeit der menschenverachtenden Sklavengesetze […] nicht in Frage“ gestellt (S. 118).

Der zweite Hauptteil der Studie thematisiert die Konflikte zwischen der Brüdergemeine und der Anti-Sklaverei-Bewegung in den 1830er- und 1840er-Jahren. Hüsgen konstatiert einleitend zurecht, dass in Bezug auf die Sklavenemanzipation eine „Meinungsheterogenität“ (S. 119) unter den Mitgliedern der Brüdergemeine bestanden habe. Das in Herrnhut ansässige Leitungsgremium der Brüdergemeine, die sog. Unitätsältestenkonferenz (UAC), habe hingegen dezidiert an der Sklaverei festgehalten und seinen Standpunkt durch Verweis auf die Bibel legitimiert. Bereits in den 1830er-Jahren war die Brüdergemeine wiederholt für ihren Sklavenbesitz öffentlich kritisiert worden, ohne dass dies jedoch die Spendenbereitschaft namentlich in England signifikant beeinträchtigt hätte. Zu Beginn der 1840er-Jahre änderte sich die Lage jedoch signifikant: Die Anti-Slavery Society verabschiedete 1840 auf ihrer Convention das Manifest „On the Essential Sinfulness of Slavery“ und versandte es anschließend in hoher Auflage in England. Zeitgleich übten einflussreiche Abolitionisten wie Victor Schœlcher in Monographien und Zeitungsartikeln dezidiert Kritik an den Herrnhutern. Es stand somit zu befürchten, dass die Einnahmen aus Spenden und Vermächtnissen, mit denen die Brüdergemeine ihre Missionsunternehmungen maßgeblich finanzierte, drastisch einbrechen würden. Im Oktober 1843 erfolgte daraufhin die Freilassung der insgesamt 124 brüdereigenen Sklaven. Wie Hüsgen nachweist, verblieben 54 ehemalige Sklaven als Lohnarbeiter auf den Missionsstationen – nicht zuletzt, um weiterhin Zugang zu den für die Versorgung wichtigen „provision grounds“ zu haben.

Im dritten Hauptteil seiner Arbeit untersucht der Autor die vielschichtigen Interaktionen zwischen den Missionaren und den lokalen Vertretern der britischen bzw. dänischen Kolonialmacht in St. Kitts und St. Croix während der Zeit der Abolition. In Dänisch-Westindien fungierten die Brüder 1847 bereitwillig als Multiplikatoren der Kolonialmacht. Sie versuchten, den Sklaven in Predigten zu erläutern, warum die proklamierte Übergangsphase von zwölf Jahren alternativlos sei. Vertreter der Kolonialmacht und Missionare einte dabei die Befürchtung, die öffentliche Ordnung sei nach einer (raschen) Emanzipation nicht aufrechtzuerhalten. Abschließend untersucht Hüsgen, gestützt auf Helge Wendts Konzept der „Missionarischen Gesellschaft“, die Missionsgemeinden der Herrnhuter.4 Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Missionsschulen sowie den unterschiedlichen Erwartungen, die die Akteure an diese richteten: Während Pflanzer und Teile der kolonialen Elite für die Kinder der (ehemaligen) Sklaven ein bloßes „industrial training“ (S. 212) präferierten, um auch zukünftig Arbeitskräfte für ihre Plantagen zu haben, wollten letztere ihren Kindern eine umfassendere Bildung zukommen lassen.

Das einzige gravierende Defizit der vorliegenden Fallstudie ist ihr abruptes Ende. Anstelle eines Schlusskapitels bietet Hüsgen nur ein Nachwort, das eine kurze zweiseitige Zusammenfassung seiner Ergebnisse enthält. Den Versuch, Erkenntnisse mittlerer Reichweite zu gewinnen, unternimmt er nicht. Auch Vergleiche mit der anglikanischen „Society for the Propagation of the Gospel“ (SPG) oder dem Jesuitenorden, die beide ebenfalls Sklavenplantagen in der Karibik besaßen, sucht man vergebens. Von Interesse wäre beispielsweise auch gewesen, inwiefern sich die Bemühungen der Herrnhuter um Integration christianisierter Sklaven in die Gemeinden von den entsprechenden Bemühungen der SPG unterschieden. Dieses Defizit ist – nebenbei bemerkt – umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass die Dissertation in einem DFG-Gemeinschaftsprojekt entstanden ist, das das Wort „Vergleich“ im Titel trägt („Nach der Sklaverei – Die Karibik und Afrika im Vergleich“).

Dieser Kritikpunkt ändert jedoch nichts daran, dass Hüsgen mit seiner Studie einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der karibischen Postemanzipationsgesellschaften sowie zur Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine vorgelegt hat. Der größte Verdienst der Studie ist dabei, den von der älteren Missionshistoriographie sowie der Herrnhuter-Geschichtsschreibung gepflegten Topos der humanen Sklaverei auf den brüdereigenen Missionsstationen überzeugend widerlegt zu haben.

Anmerkungen:
1 Siehe exemplarisch Travis Glasson, Mastering Christianity. Missionary Anglicanism and Slavery in the Atlantic World, Oxford 2012.
2 Die Lebensbedingungen der brüdereigenen Sklaven in North Carolina wurden untersucht von Jon F. Sensbach, A Separate Canaan. The Making of an Afro-Moravian World in North Carolina 1763–1830, Chapel Hill 1998; zu den Herrnhuter Sklaven in Surinam findet sich ein Kapitel in Armando Lampe, Mission or Submission? Moravian and Catholic Missionaries in the Dutch Caribic during the 19th Century (Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte 4), Göttingen 2001.
3 Dietrich Meyer, Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine, 2. Aufl., Göttingen 2009, S. 76.
4 Helge Wendt, Die missionarische Gesellschaft. Mikrostrukturen einer kolonialen Bewegung (Missionsgeschichtliches Archiv 17), Stuttgart 2011.

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Published on
08.11.2016
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