I. M: Lapidus: Islamic Societies to the Nineteenth Century

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Title
Islamic Societies to the Nineteenth Century. A Global History


Author(s)
Lapidus, Ira M.
Published
Extent
758 S.
Price
€ 86,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Roman Siebertz, Universität Bonn

Um das hier zu besprechende Buch richtig einordnen zu können, ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es sich um die überarbeitete Fassung der vom gleichen Autor vor einem Vierteljahrhundert vorgelegten Gesamtdarstellung zur Geschichte der islamischen Welt handelt.1 Schon in dieser Erstfassung war es das erklärte Anliegen des Autors, die vielfältigen Wege aufzuzeigen, die die Entwicklung der islamisch geprägten Kulturen und Gesellschaften in den verschiedenen Teilen Asiens und Afrikas genommen hatte, und wie diese Entwicklung zur Entstehung des modernen Islam geführt hatte – in der besonderen Betonung, die Lapidus auf den Aspekt der gesellschaftlichen Entwicklung und den Facettenreichtum islamischer Gesellschaftsordnungen legte, kann sein Werk durchaus als Antwort auf Edward Saids Kritik an hergebrachten Wahrnehmungen der islamischen Kultur als statisch und innovationsfeindlich betrachten. Gleichzeitig stellte sein Werk aber auch den Versuch dar, methodische Anregungen des cultural turn zu nutzen und die Geschichte dieses Kulturraums jenseits einer reinen Dynastie- und Religionsgeschichte zu erzählen (ein Anliegen, das in der deutschen Islamwissenschaft zur selben Zeit beispielsweise von Albrecht Noth geteilt wurde).

Die Neufassung des Buches steht daher nicht zuletzt für das Bestreben, die Darstellung dem Forschungs- und Diskussionsstand der Wissenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts anzupassen. Dies hat etwa dazu geführt, dass die Geschichte seit der Kolonialisierung aus der Darstellung herausgenommen worden ist (die Brüche und Komplexitäten der modernen Welt zu erörtern, hätte wohl den Rahmen des Buches gesprengt), während mit neu eingefügten Kapiteln über die Rolle von Frauen und Familie die Bedeutung der gender studies anerkannt wird. Trotz solcher Anleihen bei aktuellen Theorien kann der Ansatz des Buches seinen Ursprung in den Traditionen des vergangenen Jahrhunderts nicht verleugnen. Dieser besteht letztlich darin, in solide positivistischer Manier dem Leser auf gut 660 Seiten an Informationen zur islamischen Kultur zu vermitteln, was die Quellen nur hergeben – ein nicht eben bescheidenes Vorhaben, bei dem sich Lapidus (wie das Vorwort verrät) klugerweise von einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen hat unterstützen lassen.

Auch bei der inhaltlichen Gestaltung verbinden sich innovative und traditionelle Ansätze. Indem er die gesellschaftlichen Phänomene und Entwicklungen in den Vordergrund der Betrachtung stellt, macht der Verfasser auf der eine Seite deutlich, dass weltliche und religiöse Herrschaft nicht von sich aus entstehen und existieren, sondern ein Umfeld brauchen, um sich überhaupt erst entwickeln zu können. Die Darstellung ist also bewusst auf eine distanziert-analytische Beschreibung jener Faktoren angelegt, die die Entwicklung des Islam zur zunächst regional dominanten und späteren Weltreligion und das menschliche Zusammenleben in von dieser Religion geprägten Gemeinwesen bestimmt haben. Die Beschreibung dieses Prozesses orientiert sich dann allerdings im ersten der insgesamt drei Hauptteile des Buches wieder recht konventionell an der Entwicklung von der Urgemeinde in Medina über das umayyadische und abbasidische Kalifat bis zur Zersplitterung in regionale Dynastien, wobei die beiden anderen Teile jeweils der Entwicklung der Folgezeit in den Kerngebieten der Islamischen Welt (Arabien, Ägypten, Kleinasien und Iran) und in erfreulicher Ausführlichkeit den islamischen Gesellschaften in Süd- und Südostasien sowie in Afrika gewidmet sind. Die politische Geschichte bleibt dabei das bestimmende Element der Erzählung, die die einzelnen Gesellschaften nicht nach geographischen oder kulturellen Räumen, sondern vorrangig nach Dynastien ordnet. Allerdings berücksichtigt die Darstellung auch hierbei neuere Ergebnisse der Forschung und dadurch veränderte Sichtweisen. Als Endpunkt der Herrschaft der Abbasiden wird nicht, wie traditionell üblich, die mongolische Eroberung Bagdads 1258 festgelegt, sondern der faktische Autoritätsverlust des abbasidischen Kalifats ab der Mitte des 10. Jahrhunderts.

Ebenso wenig wie die hergebrachte Periodisierung ist die Frage nach dem Verhältnis von religiöser und weltlicher Autorität als Hauptproblem bei der Beschreibung vormoderner islamischer Staaten Sache des Autors. Für wesentlich wichtiger hält Lapidus vielmehr die sozialen und wirtschaftlichen Phänomene (wenn man so will, die longue durée) und deren Einfluss auf die politische Kultur und die Organisation menschlichen Zusammenlebens. Dabei, und hier wird die Lektüre des Buches tatsächlich spannend und anregend, wird er nicht müde, hervorzuheben, dass dabei gerade die Religion gegenüber den ökonomischen Gegebenheiten und Sachzwängen bei der Entstehung islamischer Staaten eine mitunter bloß sekundäre Rolle gespielt habe. Die Notwendigkeit, ein lebens- und funktionsfähiges Staatswesen zu schaffen, sei in nahezu allen Fällen wichtiger als die Bekehrung der Untertanen gewesen, die sich, sofern sie keine Muslime waren, über lange Zeit eine Vielzahl von Freiräumen bewahren konnten und den Islam in dem Maße annahmen, in dem er ihnen als Kultur der Elite neue soziale Möglichkeiten versprach – ebenso, wie im Gegenzug die griechische oder persische Kultur die islamischen Eroberer aufgrund ihrer Möglichkeiten zur Machtentfaltung fasziniert hatten. Ohne damit die Vorstellung einer „islamischen Gesellschaft“ überhaupt verwerfen zu wollen, legt Lapidus damit eine differenzierte Interpretation der vormodernen Kultur des Islam dar, die neuere Konzepte, wie sie etwa in jüngster Vergangenheit Thomas BAUER mit seiner „Kultur der Ambiguität“ vorgelegt hat 2, durchaus vorweggenommen hat.

Dass sich das Buch indessen über weite Strecken als mühsame Lektüre erweist, liegt in seiner Anlage als einführende Übersichtsdarstellung, und damit ein wenig auch im Anspruch seines Verfassers, begründet. So originell und unkonventionell Lapidus’ Erzählung in seinen Deutungen und Thesen ist, orientiert er sich, um wirklich die gesamte islamische Welt vom 7. bis zum 19. Jahrhundert in die Darstellung einbeziehen zu können, an der hergebrachten Einordnung nach Staaten und Dynastien. Da dementsprechend auch die Ereignisgeschichte zu ihrem Recht kommen muss, führt dies mitunter zu einer ermüdenden Aneinanderreihung von Namen und Zahlen, die mehr verwirren als erklären. Als Einführung für Studierende oder interessierte Laien ist das Buch daher nur bedingt geeignet, Grundkenntnisse der islamischen Geschichte sind hingegen nützlich, um die beachtliche Menge an Daten und Namen einordnen und aus den Ausführungen einen wirklichen Erkenntnisgewinn erzielen zu können. Der im Buchtitel formulierte ehrgeizige Ansatz des Verfassers, in einem Band praktisch eine Globalgeschichte vorlegen zu wollen, bringt es gleichfalls mit sich, dass viele Aspekte im Text selbst nur angerissen werden können und manche Ausführung doch recht allgemein bleiben muss. Diesem erzählerischen Makel wird glücklicherweise dadurch abgeholfen, dass im Anhang die für die einzelnen Kapitel relevante Literatur unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes angegeben wird (wobei leider nur die Veröffentlichungen in englischer Sprache berücksichtigt worden sind). Der Übersichtlichkeit und dem besseren Verständnis des Geschriebenen dienen schließlich auch die eingefügte Miniaturmalereien, Landkarten, Stammbäume, Diagramme und Erläuterungen der zentralen Begriffe. Ein angehängtes umfangreiches Glossar und ein Index erleichtern die Nutzung des Buches ebenfalls außerordentlich.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass dem Autor mit dem vorliegenden Werk gelungen ist, eine beeindruckende Synthese des derzeitigen Wissensstandes zur vormodernen islamischen Kultur, Gesellschaft und Politik vorzulegen, die im Ansatz und in der Umsetzung zu überzeugen vermag. Fortgeschrittenen Studierenden und Forschenden kann das Buch zur ersten Information und Orientierung zur eingehenderen Beschäftigung mit den im Text behandelten einzelnen Aspekten besonders empfohlen werden. Wirklich erfreulich wäre es freilich, wenn die im Buch dargelegten Erkenntnisse auch einer breiteren Öffentlichkeit zum Bewusstsein gebracht werden könnten.

Anmerkungen:
1 Ira M. Lapidus, A History of Islamic Societies, Cambridge-New York-Melbourne 1988.
2 Thomas Bauer, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011.

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12.07.2013
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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