J. Kuzmarov: Modernizing Repression

Cover
Title
Modernizing Repression. Police Training and Nation Building in the American Century


Author(s)
Kuzmarov, Jeremy
Series
Culture, Politics, and the Cold War
Extent
384 S.
Price
€ 24,96
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Markus Hochmüller, Freie Universität Berlin

Modernisierung und Repression sind Begriffe, die sich auf den ersten Blick grundlegend unterscheiden. Während Modernisierung eine zumindest tendenziell erstrebenswerte Verbesserung, beispielsweise einer Institution, evoziert, wird Repression mit Gewalt und politischem Rückschritt verknüpft. Wie eng beide Begriffe jedoch verwoben sind, und wie Modernisierung Repression verstärken kann, zeigt der Historiker Jeremy Kuzmarov in seiner Studie.

Aus vergleichend-historischer Perspektive untersucht er US-Polizeiaufbauprogramme im 20. Jahrhundert mit dem Ziel, sich wiederholende Muster aufzuzeigen, die nur allzu häufig mit politischer Repression und Gewalt in den Zielstaaten verbunden waren. Seine Annahme, dass der Export von Polizeipraktiken in einem repressiven Kontext zu Menschenrechtsverletzungen, undemokratischem Handeln und zu neuen, gewaltsamen Formen sozialer Kontrolle führten, ergänzt die Debatte über den transnationalen Polizeiaufbau um eine bisher vernachlässigte kritische Dimension. Mit großer Präzision wertet Kuzmarov bislang unzugängliches Archivmaterial aus; insbesondere „field reports“ von Polizeiberatern spielen hierbei eine interessante Rolle, geben sie doch einen detaillierten Einblick in deren Gedankenwelt. Die Erfahrung der Polizeiberater wird mit der geopolitischen Bedeutung von Polizeiaufbau verknüpft, die in der Literatur oft nicht in ihrer Tragweite und ihrer zentralen politischen und ideologischen Bedeutung erkannt wird.

Kuzmarov geht davon aus, dass der Polizeiaufbau „key political and ideological functions“ erfülle, um ein „liberal capitalist development“ zu ermöglichen, was aber oft zu einem Ausbau der „surveillance capacity of states in the developing world“ und zu sozialer Kontrolle führt (S. 15). Dies zeigt sich bereits im ersten Teil des Buches, in dem imperiale Praktiken und Diskurse des US-amerikanischen Polizeiaufbaus in seiner frühen Phase beleuchtet werden. Schon bei den Polizeireformen in den von den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts kolonisierten Staaten finden sich Charakteristika eines modernen Überwachungsstaates („modern surveillance state“): „Relying on the collaboration of Westernized elites […], the governing commission […] presided over a grand nation-building experiment designed to legitimate colonial rule. Technical advisers worked to extend Western technology, built roads, infrastructure, and schools, and promoted better hygienic standards and public health. By supporting free trade and removing legal barriers to corporate land-ownership, the commission also sought to stimulate foreign investment. The ultimate aim was to lift the Filipinos up from their ‘primitiveness’ through the import of Western mores and Christianization“ (S. 22).

Kuzmarov veranschaulicht, dass der repressive Charakter des Polizeiaufbaus nicht nur in der Militarisierung lokaler Sicherheitsapparate begründet liegt: Auch die biopolitische Dimension und technische Aufbauhilfe sind Teil des repressiv-modernisierenden Spektrums. Polizeiaufbau wird legitimiert durch einen Diskurs der zivilisatorischen Überlegenheit gegenüber ‚barbarischen‘ Kräften. Staaten wie Haiti werden während ihrer Kolonialisierung durch die USA zu einem „laboratory for the development of new policing technologies and methods of coercion“ (S. 37), die der Absicherung regionaler bzw. globaler hegemonialer Interessen der USA dienen sollen.

Nach dem zweiten Weltkrieg konzentriert sich der Polizeiaufbau überwiegend auf die Herausbildung und Stärkung sogenannter „proxy regime[s]“ (S. 59) oder „client state[s]“ (S. 78), wie der zweite Teil des Buches verdeutlicht. An dieser Stellewerden die stärker informellen Formen sozialer Kontrolle und des sicherheitspolitischen Outsourcings vor dem Hintergrund der Roll-Back-Politik in Südostasien beleuchtet, mit der die regionale Ausbreitung kommunistischer Ideen und Auf- und Wiederstände im Keim erstickt werden sollte. Unter einer „facade of benevolence“ (S. 56, Herv. im Original) führte das Office of Public Safety (OPS) Polizeiaufbauprogramme durch. Diese Fassade konnte aber über den repressiven Charakter, der sich aus einem ideologisch übersteigerten Antikommunismus ergab, kaum hinwegtäuschen. Stark geprägt von modernisierungstheoretischen Annahmen und einer ökonomischen Weltsicht, sollten beispielsweise vermeintlich humane Gefängnisreformen „productive citizens“ (S. 67) hervorbringen. Ökonomische Modernisierung und die Implementation liberal-demokratisch, kapitalistischer Systeme wurde als effizientes Mittel zur Abwehr kommunistischer Gefahren betrachtet. In Südkorea führte das dazu, dass Überwachung und brutales Vorgehen gegen die Bevölkerung nicht nur akzeptiert wurde; vielmehr wurde es mit dem Versprechen eines „climate of stability“ legitimiert, das ökonomischen Fortschritt garantiere (S. 97).

Insgesamt dienten die Polizeiaufbauprogramme einer Demokratisierung der „client states“, der so stark kontrolliert wurde, dass für lokale Vorstellungen des Politischen kaum Spielraum blieb (S. 65). Davon profitierten oft reaktionäre und brutale Eliten, die bereit waren, die US-amerikanischen Ziele umzusetzen, und dies zu ihrer Machtsicherung zu nutzen. Zum Schutz vor dem gemeinsamen „dangerous enemy“ (S. 97) des Kommunismus unterstützten die USA auch ultrakonservative Kräfte: „In spite of their romantic illusions, America’s clandestine Cold Warriors in reality fought on the side of political reaction“ (S. 100). Auch illegale Verstrickungen der lokalen Partner wurden toleriert, wenn sie sich der Aufstandsbekämpfung nützlich erwiesen (S. 108).

Der Fokus auf die Eindämmung und Bekämpfung Aufständischer dominierte also die Polizeiaufbauprogramme der USA während des 20. Jahrhunderts. Doch auch wenn Aufstandsbekämpfung darauf abzielte, das Vertrauen und die ‚hearts and minds‘ der jeweiligen Bevölkerungen zu gewinnen, führten diese Taktiken letztendlich dennoch gemeinhin zu Gewalt und allumfassenden Überwachungsapparaten (S. 122). Oft wurde das brutale Vorgehen gegen die – vermeintlich– kommunistischen Aufständischen erst zu einem Auslöser für Widerstand; die Feinde, die die USA und die von ihnen ausgebildeten Sicherheitsakteure zu bekämpfen suchten, wurden dadurch mitunter erst geschaffen.

Diese Entwicklung beobachtet Kuzmarov im dritten Teil des Buches, und zwar auch in den von ihm als periphere Regionen eingestuften Schauplätzen des Kalten Krieges. Auch hier sollte die Polizei modernisiert und professionalisiert werden, um kommunistischen Widerstand gegen die herrschenden Eliten zu bekämpfen. Und erneut identifiziert Kuzmarov das repetitive Muster, dass die USA insbesondere an der Sicherung des sozialen, gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Status Quo interessiert waren. Am Fall Guatemalas (S. 216-222) illustriert der Autor, dass die Polizeiaufbauprogramme vor allem den konservativen lokalen Eliten zugute kamen. Die von den USA ausgebildeten Polizeikräfte unterstützten gewaltsam den Kampf gegen moderate linke Strömungen, weshalb auch die Kooperation mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren wie den sogenannten „hunter-killer squadrons“ (S. 220) in Guatemala toleriert wurde.

Im Schlussteil des Buches zeigt Kuzmarov, dass auch gegenwärtige Polizeiaufbauprogramme der Logik von „civic action“ in Verbindung mit „counterinsurgency“ folgen. Mit der Abschaffung des OPS 1974 wurden sie jedoch zunehmend von privaten Sicherheitsakteuren wie DynCorp durchgeführt. Im 21. Jahrhundert stützen sich Polizeiaufbauprogramme im Irak und Afghanistan auf altbekannte Muster der Aufstandsbekämpfung, die von erfahrenen Experten (es sind in der Tat vorwiegend Männer) weiter verbreitet werden.

Hier liegt auch einer der zentralen Beiträge des Buches: In einer bisher unbekannten Detailliertheit veranschaulicht Kuzmarov, dass es nicht nur Konzepte und Politiken sind, die auf ihrer ‚Reise um die Welt’ in immer wieder neue Kontexte implementiert oder übersetzt werden. Vielmehr entsteht ein globales Sicherheitsfeld, in dem sich Experten generieren können, die ihre Konzepte auf neue Missionen mitnehmen und so zur ständigen Reproduktion bewährter (oder – häufiger – weniger bewährter) Modelle beitragen. Jene reisen buchstäblich um die Welt, werden in verschiedenen Kontexten getestet, weiterentwickelt, und, auch das ist ein häufig vernachlässigter Faktor, wieder in die USA ‚rückimportiert‘ (S. 39).

Diese Experten betrachten Polizeireformen als ausschließlich technische Angelegenheiten; das Politische wird ausgeklammert, die lokalen Kontexte und ihre politischen Besonderheiten kaum beachtet, was zu den teilweise fatalen Folgen führt, die Kuzmarov detailliert beschreibt. Sein größtes Verdienst ist es, der Diskussion um Polizeiaufbau dievielmals negierte politische Dimension zurückzugeben, und das in einer historischen Tiefe,die ihresgleichen sucht.

Gleichzeitig macht Kuzmarov deutlich, dass es sich bei den Reformprozessen keinesfalls um ein reines Oktroyieren seitens der USA handelt. Die lokalen Eliten eignen sich die antikommunistischen (oder heute: antiterroristischen) Diskurse an und nutzen den Transfer von Wissen und Technologien zur Durchsetzung ihrer Ziele und auch zur Unterdrückung politischen Widerstands. Das historische Erbe dieser Programme wirkt in vielen Staaten bis heute nach: Gewalt, Unsicherheit und ‚schwache‘ staatliche Institutionen liegen oft auch in den US-Interventionen im Bereich des Polizeiaufbaus begründet. Vor diesem Hintergrund leistet Kuzmarov einen wichtigen Beitrag dazu, Modernisierung und den Glauben an effiziente und professionelle Sicherheitsapparate kritisch zu hinterfragen.

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Published on
07.03.2014
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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