Eben v. Racknitz: Die Plünderung des Yuanming yuan

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Title
Die Plünderung des Yuanming yuan. Imperiale Beutenahme im britisch-französischen Chinafeldzug von 1860


Author(s)
Eben von Racknitz, Ines
Published
Stuttgart 2012: Franz Steiner Verlag
Extent
328 S.
Price
€ 48,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Susanne Kuß, Freiburg

Die Zerstörung des Sommerpalastes (Yuanming yuan) war der Höhepunkt eines Krieges, der als Zweiter Opiumkrieg bekannt ist. In dessen Rahmen rückten alliierte britisch-indische und französische Truppen im Spätsommer 1860 nach Peking vor, um das Gesandtschaftsrecht durchzusetzen. Die Situation eskalierte, als Truppen der Qing-Regierung im September die britisch-französische Verhandlungsdelegation als Geiseln nahmen und diese zum Teil töteten. Die Plünderung und Verbrennung des Sommerpalastes sollte eine Strafe dafür sein und, so eine neuere Interpretation, als pädagogische Maßnahme in die Zukunft wirken.1 Die Folgen der Kriegführung sind bis heute präsent: Zum einen werden viele der damals geraubten Kunstobjekte weltweit in Museen ausgestellt; zum anderen ist der Yuanming yuan in der kollektiven Erinnerung Chinas nach wie vor ein Symbol chinesischer Demütigung durch imperialistische Aggressoren.2

In der westlichen Forschungsliteratur steht dieser Krieg bisher im Schatten des Boxerkrieges 1900/01, als sich im Namen der Zivilisation acht Staaten gegen China verbündeten. Indem die vorliegende Studie den chinesischen Kriegsschauplatz vor der Jahrhundertwende fokussiert, füllt sie eine große Lücke. Ihr Ziel ist es, anhand eines Teilaspektes der alliierten Kriegführung, dem der Plünderung und Beute, die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Franzosen und Briten in Bezug auf Plünderung und Beutemachen ebenso herauszuarbeiten wie die jeweilige Bedeutung der Beute für beide Länder: „Im mikroperspektivischen Fokus werden die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Rechtfertigungsstrategien der Briten und Franzosen untersucht, sowohl was den Akt der Plünderung selbst, als auch was den Umgang mit der Beute in China und später in Europa betrifft.“ (S. 9)

Als Quellengrundlage dienen Akten unter anderem aus den National Archives in London, aber auch aus dem Ministère de la Défense in Vincennes/Paris. Hinzu kommen Memoiren der wichtigsten Offiziere und Diplomaten. Da der so genannte Zweite Opiumkrieg ein Krieg war, der durch das Wechselspiel von diplomatischen und militärischen Aktionen charakterisiert war und dessen Kontingente sich kaum zerstreuten, wird auf der Grundlage der Quellen die – einem Kriegstagebuch ähnelnde – Methode der chronologischen, beinahe tagtäglichen Darstellung des Kriegs- und Verhandlungsablaufs gewählt. Zwischenfazite helfen, angesichts der vielen Details die Übersicht nicht zu verlieren. In den Text eingearbeitet sind 20 bemerkenswerte Abbildungen des italienischen Fotojournalisten Felice Beato aus dem Musée d’histoire Naturelle de Lille. Es handelt sich hierbei um früheste Aufnahmen aus China überhaupt.

Bei der Darstellung der Kriegsereignisse wie auch der Motivationen der wichtigsten Akteure beschreibt die Autorin die chinesische Seite ebenso genau wie die britische und die französische. Neben dem britischen Chefdiplomaten James Bruce, Earl of Elgin, seinem französischen Kollegen Jean-Baptiste Gros, und den beiden Generälen Hope Grant und Charles Cousin-Montauban erhalten auch Prinz Gong, der Bruder des nach Rehe geflohenen Xianfeng-Kaisers, und der mongolische General Senggerinchin klare Konturen. Dies hat einerseits die Folge, dass nicht nur das Handeln der europäischen, sondern auch das der chinesischen Akteure als ein rationales vermittelt wird; andererseits können verschiedene Situationen aus der Perspektive beider Kriegsparteien dargelegt sowie daraus resultierende Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Eskalationen aufgezeigt werden. Dass die Grenzen zwischen den Gegnern nicht absolut, sondern verhandelbar waren, zeigt sich daran, dass sie sich im Norden bekämpften und gleichzeitig im Süden gemeinsam gegen die Soldaten des Taiping-Aufstandes (1851–1864) vorgingen.

Doch auch die britischen und französischen Truppen bildeten keine feste Front. Dabei waren sich die jeweiligen Truppenführer einig, keinen Krieg gegen die chinesische Zivilbevölkerung zu führen. Das galt jedoch nicht für deren Besitz und für im weitesten Sinne kulturelle Güter. In der Mitte des 19. Jahrhunderts existierten lose Kriegsregeln, nach denen Plünderungen (loot/pillage) und Zwangsrequisitionen zur Beschlagnahmung von Lebens- und Transportmitteln erlaubt waren. Für den außereuropäischen Krieg gab es zudem ein – für den europäischen Landkrieg bereits aufgegebenes – Preis- und Beutesystem (prize/prise). Auf dieser Grundlage hatten Briten und Franzosen bereits im Februar 1860 in Paris eine Abmachung getroffen (S. 93 und 189). Darin war unter anderem festgelegt worden, dass chinesische Kunst- und Kulturgüter von Plünderungen und Zerstörungen durch einfache Soldaten ausgenommen werden sollten, aber als Prise deklariert werden konnten.

In dem Verhalten der jeweiligen Kontingente in Bezug auf Plünderungen und Beute macht Eben von Racknitz Unterschiede aus: Die französischen Soldaten versorgten sich mit stillschweigender Erlaubnis ihres Kommandanten mit Lebensmitteln aus dem Land. Dagegen verbot der britische General Hope Grant ausdrücklich Plünderungen, weshalb sein Kontingent Nahrungsmittel von der chinesischen Bevölkerung kaufte. Dabei zeichnet die Autorin insofern ein sehr differenziertes Bild der Akteure, als sie bezüglich der britischen Truppen auf unterschiedliche Verhaltensweisen von indischen und weißen Soldaten hinweist und auch die dem Tross zuzurechnenden Kulis als eigene Akteursgruppe untersucht. Allerdings glichen sich die Handlungen aller ausländischen Soldaten und Hilfskräfte an, als die chinesische Regierung im Laufe des Sommers 1860 den Handel mit den Alliierten verbot. Hinzu kam, dass Plünderung und Verwüstung von Seiten der britischen und französischen Truppen jetzt gezielt als Druck- und Vergeltungsmittel gegen die Qing-Regierung eingesetzt wurden. Die Zerstörung des Sommerpalastes allerdings entsprang nicht einer Dynamik des Krieges, sondern ging auf eine Anordnung des britischen Chefdiplomaten, des Earl of Elgin, zurück: „Die erste Plünderung des Sommerpalastes vom 7. bis zum 9. Oktober 1860 war kein kühl kalkulierter Akt zur Brechung der Macht der Qing, wie es dann die Verbrennung am 18. und 19. Oktober war“ (S. 191). Der These einer „pädagogischen Maßnahme“ widersprechen beide Handlungen.

Hinsichtlich des Raubes von Kunstschätzen war den britischen Soldaten, anders als den französischen, von den Militärführung nahegelegt worden, nach der ersten Plünderung des Sommerpalastes ihre Beute zurückzugeben, um diese dann auf Auktionen zu versteigern. Entsprechend der britisch-französischen Abmachung von Paris entschieden die beiden Generäle, dass die Beute zwischen den Armeen geteilt werde. Eine Kommission wählte die Objekte und Gegenstände aus, die als Geschenke für Queen Victoria und Napoleon III. in Frage kamen (S. 197). Die geraubten Kunstgegenstände wurden nach dem Krieg in Frankreich und Großbritannien Teil je spezifischer nationaler Kriegsnarrative.

Der Autorin gelingt es, Unterschiede in der britischen bzw. französischen Militärkultur und –struktur und damit hinsichtlich des Umgangs mit Plünderungen und Beute aufzuzeigen. Dabei erweist sich jedoch die auf den niederländischen Historiker Hendrik Wesseling zurückgehende binäre Aufteilung in englische und französische Handlungsmuster der Kolonialkriegführung3 für die Erklärung von gewalttätigen Handlungen als zu starres Gerüst. Die Erkenntnismöglichkeit über die Entstehung und Ausuferung von Gewalt gegen materielle Güter und damit auch gegen chinesische Zivilisten wird auf diese Weise eingeengt. Handlungsmotivationen der britischen und französischen Soldaten, ihre Chinakenntnisse und –bilder, ihr Denken über chinesische Kultur, ihre China- und Kriegserwartungen bleiben im Dunkeln. Da die Geschichte des Krieges von 1860 nach der Zerstörung des Yuanming yuan nur noch als materiale Geschichte der Kunstgegenstände dargestellt wird, wird der Bedeutung der Kriegserfahrungen für die Vorstellungen von außereuropäischen Kriegen kein Platz eingeräumt. Das jedoch sind Fragen, die von der Militärgeschichtsschreibung, die sich auch in Deutschland längst nicht mehr nur mit operativer Schlachtengeschichte befasst4, gestellt würden.

Ines Eben von Racknitz hat ein gleichermaßen sehr sorgfältig gearbeitetes und wichtiges Buch vorgelegt, das die Kriegführung auf dem chinesischen Kriegsschauplatz in einer Zeit zeigt, als Diplomaten und Militärs gemeinsam Kriege führten und die Haager Landkriegsordnung (1899) noch nicht so genannte unzivilisierte Nationen von einer humanitären Kriegsführung ausschloss.

Anmerkungen:
1 James L. Hevia, English Lessons – the Pedagogy of Imperialism in Nineteenth-Century China, Durham, NC 2003.
2 Eine neue literarische Annäherung: Rainer Kloubert, Yuangmingyuan. Spuren einer Zerstörung, Berlin 2013. Hierzu auch: Till Spurny, Die Plünderung von Kulturgütern in Peking 1900/01, Berlin 2008.
3 Hendrik L. Wesseling, Colonial Wars and Armed Peace 1871–914. A Reconnaissance, in: ders. (Hrsg.), Imperialism and Colonialism. Essays on the History of European Expansion, Westport, CT 1997.
4 Thomas Kühne / Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000; Christian Th. Müller / Matthias Rogg (Hrsg.), Das ist Militärgeschichte!: Probleme – Projekte – Perspektiven, Paderborn 2013.

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23.09.2014
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