A. Rohde: State-Society Relations in Ba'thist Iraq

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Title
State-Society Relations in Ba'thist Iraq. Facing Dictatorship


Author(s)
Achim, Rohde
Series
Routledge Studies on the Middle East
Published
London 2010: Routledge
Extent
254 S.
Price
€ 95,50
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Andrea Fischer-Tahir, Zentrum Moderner Orient, Humboldt Universität Berlin

Übersehen wir nicht das Wesen von Diktaturen, wenn wir uns zu sehr auf die Person und das unmittelbare Umfeld des Diktators konzentrieren? Oder für den Fall, dass wir außerdem die Massenorganisationen, Geheimapparate, Sicherheitskräfte und Armee in die Untersuchung einbeziehen, entgeht uns da nicht dennoch, dass Regime nicht allein auf Angst und Gewalt aufgebaut sind, sondern üblicherweise auch auf die Einwilligung der Beherrschten? Diesen Fragen geht Achim Rohde nach, und zwar am Beispiel des Irak unter der Herrschaft der Baath-Partei (1968 bis 2003). Schon allein durch die Aufgabe, die er sich stellt, hebt sich sein Text angenehm vom Mainstream der Bücher ab, die zum Irak in den vergangenen Jahren in der westlichen Hemisphäre veröffentlicht wurden. Denn weder will er die jüngste Geschichte des Irak in Bezug auf die US-amerikanische Politik diskutieren, noch Prognosen über die zukünftige Entwicklung des Irak nach dem Abzug der US-Truppen liefern. Sein Blick ist in die Vergangenheit gerichtet, und er beschreibt die inneren Dynamiken der Diktatur, die sich immerhin fünfunddreißig Jahre lang an der Macht halten konnte – trotz der ethnischen und religiösen Fragmentierung des Irak und trotz der sozialen Wirksamkeit von Loyalitätsbeziehungen, die auf Verwandtschaft, Nachbarschaft oder Region basieren.

Der Islamwissenschaftler Rohde bleibt nicht bei der Betrachtung von Entwicklungen in den Bereichen staatliche Politik, Wirtschaft und Recht stehen, sondern sucht nach Zeugnissen öffentlicher Debatten um soziale Normen sowie nach kreativen und künstlerischen Aussagen über das Sein in der (irakischen) Welt. Den Ausgangspunkt seiner Arbeit bildet eine Auseinandersetzung mit dem irakischen Intellektuellen Kanan Makiya, der 1989 aus dem Exil heraus mit seinem Buch Republic of Fear: The Politics of Modern Iraq diejenigen, die zuhören wollten, schockiert hatte. Denn Makiyas Beschreibung des irakischen Herrschaftsapparates mit all seinen Institutionen der Angst, Legitimationsstrategien und Praktiken der Penetration der Gesellschaft hatten kaum etwas anderes schlussfolgern lassen als: Widerstand ist zwecklos. Dennoch war Widerstand möglich, wie in den 1970er bis 1990er Jahren kommunistische, religiös-schiitische und kurdisch-nationalistische Gruppen bewiesen. Nur erklären sich das blutige politische Ende der Kommunistischen Partei 1978/79, die sprichwörtliche Enthauptung der schiitischen Daawa-Bewegung 1980 und die Zerschlagung des kurdischen bewaffneten Widerstands durch die genozidalen Anfal-Offensiven 1988 nicht allein mit Verweis auf einen übermächtigen Militärapparat, chemische Kampfstoffe, Allmacht des Sicherheitsapparats und abschreckende Wirkung von systematischer Folter. Vielmehr, so macht Rohdes Text deutlich, müsse mitberücksichtigt werden, dass das Regime seine Stärke und Dauer der aktiven Einwilligung sowie der einwilligenden Aktivitäten auch vieler solcher Irakerinnen und Iraker verdankte, die in dem von der Baath-Partei propagierten Projekt „Moderner Irak“ eine Chance sahen für einen radikalen sozialen Wandel der Gesellschaft – und für eine Verbesserung der eigenen gesellschaftlichen Position und des sozialen Status.

Rohde strukturiert seinen Text in zwei Hauptteile, wobei sich der erste mit den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Entwicklungen in den 1970er und 1980er sowie in den Jahren 1991 (Kuweit-Krieg) bis 2003 (Irak-Krieg und Sturz des Regimes) befasst. Somit stehen die Konsolidierung der Baath-Herrschaft in den ersten zehn Jahren und die mit dem Krieg gegen den Iran (1980-1988) beginnende und durch Kriege nach außen und innen aufrechterhaltende Herrschaft über das Land „in the mode of emergency measures“ (S. 160) im Vordergrund. Dabei ist dies mehr als ein Resümee der bestehenden Forschungsliteratur, sondern eine spannende Diskussion von Ereignissen und Entwicklungen unter Einbeziehung der Totalitarismus- und der Genozidforschung.

Im zweiten Teil lenkt Rohde den Blick auf Momente öffentlicher Debatten in den staatlich-kontrollierten Massenmedien (andere gab es nach 1978/79 nicht mehr) sowie auf künstlerische Praktiken im „Ausnahmezustand“. Sein besonderes Interesse gilt dabei den irakischen Frauen, und zwar einerseits, um in die auf Männer fokussierte Geschichtsbetrachtung zum Irak eine „marginalized story“ einfließen zu lassen (S. 160). Andererseits entspricht, so Rohde, dieser Fokus der zentralen Bedeutung, die das Baath-Regime „den Frauen“ im „project of building a modern Iraqi/Arab nation“ (S. 75) beimaß, zumindest in den ersten Jahren. Rohde beschreibt einen Konflikt in den 1970er Jahren zwischen offizieller Propaganda der Baath-Führung, Instrumentalisierung von Frauen sowie männlichen Fantasien der Modernisierer einerseits, und den Forderungen der Baath-Frauenrechtlerinnen andererseits. Ging es den Akteuren auf der zuerst genannten Seite um die Aufrechterhaltung der männlich-dominierten Ordnung, so rangen die Frauenrechtlerinnen um die Ausgestaltung der neuen Handlungsspielräume. Für sie war es nicht damit getan, dass spärlich bekleidete Westlerinnen oder eine syrische girl band die Titelseiten von Kulturzeitschriften zierten, sie wollten rechtliche und soziale Reformen, und so thematisierten sie die Benachteiligung von Frauen im öffentlichen Bereich ebenso wie häusliche Gewalt (vgl. S. 75-91). Allerdings wurde diese Debatte um einen Wandel sozialer Normen schon vor Beginn des Krieges gegen den Iran zum Schweigen gebracht. Rohde zeigt, wie trotz einer Hinwendung des Regimes zu Neo-Tribalismus und Religion, in den 1990er Jahren erneut ein mehr heterogener Mediendiskurs über soziale Normen geführt wurde. So fanden sich in den Zeitungen und Kulturzeitschriften neben offen misogynen Texten und Bildern auch Artikel, die die Diskriminierung von Frauen durch Heiratspraktiken, die mit „Stammesrecht“ oder „religiöser Tradition“ gerechtfertigt wurden, sowie den nur auf die Bedürfnisse des Mannes ausgerichteten Diskurs um Sexualität thematisierten. Bei aller vorsichtigen Kritik an der propagierten Geschlechterordnung wurde allerdings folgendes ausgeblendet: nämlich die Rolle des Staates, der solche Praktiken tolerierte, und der durch Medienkampagnen, Gesetze und Verordnungen sowie durch gezielte Verfolgungsmaßnahmen wie die Massenhinrichtung von Prostituierten 2000-2001 die fortschreitende Entrechtung von Frauen förderte (S. 109-118).

Geht es um die künstlerische Produktion, so lenkt der Autor am Beispiel von Literatur, Theater und Film sowie Bildender Kunst die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, in welcher vom Staat absorbiert und für Propagandazwecke und zur Systemerhaltung instrumentalisiert wurden. Rohde beschreibt, wie die im Land gebliebenen Künstlerinnen und Künstler auf mehr oder weniger engagierte Weise die „war culture“ des Irak unterstützen, während sie gleichzeitig nach künstlerischer Freiheit und Nischen, aber eben auch Anerkennung für sich selbst suchten. Schließlich resümiert Rohde:
„artists where not simply irresponsible and thoroughly indoctrinated puppets in the service of Saddam Husayn, but rather proved their own independent agency through the way in which they bargained their own position vis à vis the apparatus and decided on their own actions thoughout years.“ (S. 156)

Was das Buch besonders wertvoll macht, ist, dass der Autor intensiv mit irakischem (hier: mit arabisch-sprachigem) Quellenmaterial arbeitet. Dies ist in der westlichen Forschung zum Irak leider keine Selbstverständlichkeit. Es ist außerdem bemerkenswert, dass Rohde einerseits die Verbrechen des Regimes sehr deutlich anspricht, insbesondere die gegen die Kurden gerichteten genozidalen Anfal-Offensiven von 1988, der Autor andererseits aber jedwede kollektive Schuldzuweisung vermeidet. Stattdessen versucht er, die Motive von Männern und Frauen, die durch ihre kulturelle Produktion das Regime unterstützten, herauszuarbeiten. Dabei räumt er fairer Weise ein:
„It is easy to judge artists who tried to accomodate themselves with the authorities and live their lives under Saddam Husayn, as there was no way of staying ‚clean‘, unless one chose exile“ (S. 156).
Schließlich bleibt zu sagen, dass das Buch nicht nur exzellent geschrieben ist, sondern auch durch die Präsentation von Fotos und Karikaturen aus irakischen Zeitungen dazu gewinnt – selbst wenn beim Lesen und Betrachten manchmal das Lachen im Halse stecken bleibt.

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05.03.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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