B. Zustrassen: "Ein Stück deutscher Erde schaffen"

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Title
"Ein Stück deutscher Erde schaffen". Koloniale Beamte in Togo 1884-1914


Author(s)
Zurstrassen, Bettina
Published
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Extent
294 S.
Price
€ 32,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Joel Glasman, Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig

Togo galt im deutschen Kolonialreich als „Musterkolonie“ und weckte daher wiederholt das Interesse historischer und soziologischer Forschung.1 Die veröffentlichte Fassung der an der Universität der Bundeswehr in München abgelegten Dissertation von Bettina Zurstrassen baut auf staatshistorischer und staatssoziologischer Literatur auf, um eine Untersuchung der Kolonialverwaltung in Togo vorzunehmen. Die deutschen Beamten in der Kolonie und deren Management durch das Mutterland stehen im Zentrum des Werkes der derzeitigen Juniorprofessorin für Didaktik der Sozialwissenschaften in Bochum. Ihr geht es um die „Kontroll- und Steuerungsproblematik“ der Beamten, ein „Kernproblem kolonialer Herrschaft“ (S. 15).

Das Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonialbeamten, die sich als wahre Herrscher der Kolonie empfanden, war von Konflikten gekennzeichnet, daran erinnert Zurstrassen in ihrer Einleitung unter Bezugsnahme auf Hannah Arendt. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen deshalb die „Verselbstständigungstendenzen“ der Kolonialbeamten und die sozialen, dienstrechtlichen, legislativen und politischen Maßnahmen, die von der Kolonialgesellschaft, der Reichsregierung und der aufsichtsführenden Kolonialzentrale in Berlin, von dem Parlament und der Reichsöffentlichkeit den Kolonialbeamten auferlegt wurden. Methodisch bietet Zurstrassen damit eine sozialhistorische Analyse der Kolonialverwaltung an, mit der sie sich auf die inzwischen klassisch gewordenen Studien von Gerd Spittler und Trutz von Trotha stützt.2 Zeitlich legt Zurstrassen den Schwerpunkt auf die Jahre nach 1900, „weil ab diesem Zeitraum die Zentrale ihre Kontroll- und Steuerungsbemühungen intensivierte“ (S. 19). Auf der Grundlage umfangreicher Archivmaterialien aus dem Bundesarchiv sowie aus den Archives Nationales du Togo, und zeitgenössischen Zeitungen sowie Memoiren entwirft Zurstrassen eine in fünf Kapitel gegliederte Argumentation.

Nach einer kurzen Einführung in die Kolonialverwaltung und -Terminologie (Kapitel 2) wird im Kapitel 3 die „Kolonialbeamtenschaft“ vorgestellt. Es handelt sich dabei um eine Gruppe, die in erster Linie durch ihren juristischen Status definiert wird. Während die ersten Beamten des Schutzgebietes Togos noch keinen Sonderstatus besaßen, trennte ein Erlass des Schutzgebietes im Jahre 1886 die Reichsbeamten von den Beamten für das Schutzgebiet. Allerdings kann erst ab 1892 rechtlich von Kolonialbeamten gesprochen werden. 1914 waren sie weniger als 500 (S. 39). Es handelte sich in erster Linie um Juristen und Offiziere, wobei Ärzte, Naturwissenschaftler und Techniker ebenfalls stark vertreten waren.

Die drei folgenden Kapitel bilden den Kern der Arbeit. Die „koloniale Gesellschaft“, die kleine Minderheit der Europäer in Togo, stellt Zurstrassen als die erste Kontroll- und Steuerungsinstanz im Kapitel 4 vor. Diese weiße Gesellschaft übte auf die Beamten, so Zurstrassen, eine Verhaltenskontrolle sozialpsychologischer und kultureller Art aus. Die Autorin beschreibt eine Typologie der Europäer in Togo, die sich in Beamte, Kaufleute und Handelsagenten sowie Missionare untergliedern lässt, wobei darauf hingewiesen wird, dass die koloniale Gesellschaft strukturell „relativ homogen“ war (S. 51). Durch die Inszenierung einer „deutschen Kultur“ in Übersee wurden die Beamten an das Normen- und Wertesystem der Herkunftsgesellschaft erinnert (S. 60). Praktiken wie Feste, Musikveranstaltungen, Vereinswesen und auch Alkoholkonsum bestimmten das tägliche Leben der Europäer in der Hauptstadt. Damit sollte unter anderem die gefürchtete „Verkafferung“ der Weißen vermieden werden. Hier schildert Zurstrassen mit Präzision den Alltag der Beamten, von der einsamen Arbeit auf der Station über die Furcht vor tropischen Krankheiten bis zum „Küstenklatsch“. Auch der Genderproblematik werden ein paar Seiten gewidmet, sowie der Frage der so genannten „Mischehen“.

In Kapitel 5 werden die Reichsregierung und die Kolonialzentrale als Steuerungs- und Kontrollinstanzen vorgestellt. Angelehnt an die Typologie Spittlers und Trothas von der kolonialen Herrschaft als zugleich „bürokratische“, „intermediäre“ und „willkürliche“ Herrschaft vertritt Zurstrassen die These, dass es Ziel der Reichsregierung war, „das Element der Willkür in den Schutzgebieten zu reduzieren und das bürokratische Verwaltungshandeln zu stärken“ (S. 96). Die Autorin analysiert nacheinander die verschiedenen Mittel, die die Zentrale dazu einsetzte: die personalpolitischen, die bürokratischen, die siedlungspolitischen, die finanzpolitischen und schließlich die verordnungsrechtlichen Maßnahmen der Exekutive. Hier beschreibt Zurstrassen wichtige Elemente, etwa die Schriftlichkeit als Kontrollinstrument oder aber auch die Kontrolle der Namengebung der geographischen Orte durch die Verwaltung. Der Name „Kete-Hedwigswart“ zum Beispiel, den Hans-Georg von Doering in Erinnerung an seine Geliebte Hedwig für die neu gegründete Station zwischen Kete und Kratschi ausgewählt hatte, wurde mit der Begründung abgelehnt, es sei für die Eingeborenen schwierig auszusprechen (S. 144). In diesem Abschnitt werden Konflikte zwischen den Beamten und der Zentrale besonders deutlich herausgearbeitet. Zur Analyse der Strafgerichtsbarkeit über Afrikaner und die Kodifizierung des Eingeborenrechts hätte sich die Autorin jedoch auf das Werk von Ulrike Schuerkens stützen können.3

Die politische Kontrolle und die Steuerung der Beamten durch die Kolonialkritiker im Reichstag und in der Presse sind Gegenstand des sechsten Kapitels. Hier wird der Schwerpunkt auf die „Kolonialskandale“ gelegt. Darunter fallen die in der Presse und im Reichstag aufgedeckten und thematisierten Gewalt- und Korruptionsdelikte, die von den Beamten in der Kolonie oder in der Kolonialzentrale begangen wurden. Durch die Fokussierung auf die „Skandalisierungsstrategien“ der Kolonialkritiker und die „Abwehrstrategien“ der Kolonialbeamten und der Kolonialzentrale (S. 196) liefert Zurstrassen eine griffige Analyse der politischen Skandale. Sie kann vor allem mit der genauen Beschreibung eines als beispielhaft herausgegriffenen Kolonialskandals in Togo überzeugend aufzeigen wie die Thematisierung kolonialer Skandale vor allem der Ausdruck innenpolitischer und –sozialer Konflikte war. Durch die Untersuchung des „Skandalsmanagements“ durch die Kolonialabteilung und die „Instrumentalisierung“ der Kolonialskandale gelingt es ihr das Ringen um die Öffentlichkeit im Kaiserreich dynamisch wiederzugeben.

Im abschließenden Kapitel beantwortet die Autorin mittels einer Periodisierung der Kolonialverwaltung in Togo die in der Einleitung gestellte Fragestellung. Der öffentliche Protest der auf die Kolonialskandale in Kamerun im Jahre 1896 folgte und die Reorganisation der Kolonialverwaltung unter Bernhardt Dernburg ab 1906 werden als Wendepunkte dargestellt, die zu einer gesteigerten Kontrolle der Kolonialbeamten durch die Kolonialzentrale führten.

Das größte Verdienst des Bandes ist, dass er auf die vielfältigen Interessenkonflikte hinweist, die hinter den Kulissen der Kolonialbesetzung ausgetragen wurden. Damit trägt das Werk dazu bei, sich von einer all zu oft vorhandenen Idealisierung der kolonialen Okkupation in Togo zu verabschieden. Sowohl das breite Panorama der Zwänge, die auf den Kolonialbeamten ausgeübt wurden, als auch die Reaktionsmöglichkeiten jener Beamten, die nach Autonomie strebten, werden einleuchtend untersucht. Darüber hinaus werden durch die Auswertung zahlreicher Briefe, Tagebücher und Nachlässe lebhafte Einsichten in den Alltag kolonialer Beamter gegeben. Jedoch hätte man sich eine breitere Auswahl an Literatur gewünscht, sowohl über die Verwaltungs- und Staatsgeschichte Togos selbst, als auch über andere Kolonien – vor allem die benachbarten Kolonien - die als vergleichbare Fälle hätten dienen können.4 Hinterfragenswert erscheint dem Rezensenten außerdem die Auswahl des Untersuchungsgegendstandes: Indem sich Zurstrassen ausschließlich auf deutsche Kolonialbeamte bezieht, verliert sie die afrikanischen Verwaltungsangestellten aus den Augen – ein Aspekt, der eine große Bereicherung der Untersuchung gewesen wäre. So ist die Darstellung der Konflikte in der Kolonialzentrale Berlin überzeugend (Kap. 5 und 6), das Bild der Kolonialverwaltung in Lome hingegen kommt merkwürdigerweise ohne die Kolonisierten aus: Afrikaner, weder als Beherrschte noch als Mitglieder des Herrschaftsapparates, kommen kaum vor, wenn auch Zurstrassen anmerkt, dass ihre Zahl die ihrer europäischen Vorgesetzten übertraf (S. 29-33). Zurstrassens Buch präsentiert schließlich einen begrüßenswerten Brückenschlag zwischen soziologischen und historischen Ansätzen und trägt damit zur neueren Kolonialgeschichtsschreibung erfolgreich bei.

Anmerkungen:
1 Peter Sebald, Eine Geschichte der deutschen "Musterkolonie" auf der Grundlage amtlicher Quellen, Berlin 1988; Ralph Erbar, Ein 'Platz an der Sonne'? Die Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte der deutschen Kolonie Togo, 1884-1914, Stuttgart 1991; Trutz von Trotha, Koloniale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des "Schutzgebietes Togo", Tübingen 1994.
2 Gerd Spittler, Verwaltung in einem afrikanischen Bauernstaat. Das Koloniale Französisch-Westafrika 1919-1939, Freiburg in Breisgau 1981.
3 Ulrike Schuerkens, Du Togo allemand au Togo et Ghana indépendant, changement social sous régime colonial, Paris 2001.
4 Jürgen Theres, Die Evolution des politisch-administrativen Strukturen in Togo: eine Fallstudie zur administrativen Anthropologie, München 1989; Schuerkens, Du Togo allemande 2001 ; Pierre Napo Ali, Le Togo à l'époque allemande 1884-1914, Paris 1995; Nicoué Lodjou Gayibor, Histoire des Togolais, Vol. 2: de 1884 à 1960, Lomé 2005. Einen historiographischen Überblick findet man in: Dennis Laumann, A Historiography of German Togoland, or the Rise and Fall of a "Model Colony", in: History in Africa 30 (2003), S. 195-211.

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14.12.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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