W. O. Gardner: Avertising Tower

Title
Advertising Tower: Japanese Modernism and Modernity in the 1920s.


Author(s)
Gardner, William O.
Published
Extent
349 S.
Price
$ 42.95
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Marco Gerbig-Fabel

Der US-amerikanische Kulturwissenschaftler William O. Gardner legt mit seiner Arbeit „Advertising Tower. Japanese Modernism and Modernity in the 1920s“ eine beeindruckende, über die engen Fächergrenzen der Japan- bzw. Ostasienwissenschaften hinaus bedeutsame kulturgeschichtliche bzw. kulturwissenschaftliche Analyse der japanischen Moderne vor. Gardner positioniert seine Arbeit dabei am Kreuzungspunkt dreier, einander überlagernder Forschungsfelder: der modernen japanischen (Kultur-)Geschichte, der Mediengeschichte sowie der transnationalen bzw. globalen Geschichte und spiegelt so zentrale gegenwärtig in der Diskussion befindliche kulturwissenschaftliche Themen- und Fragestellungen. Dadurch gelingt es ihm, seine ansonsten eher oder möglicherweise sogar ausschließlich der modernen japanischen Geschichtsschreibung zugeordneten Analyse der japanischen Avantgarde bzw. des japanischen Modernismus – gemeint ist jene literarische „Schule“, welche die Subjektivität der Wahrnehmung in den Mittelpunkt stellt – über enge disziplinäre Grenzen hinaus interessant und anschlussfähig zu machen.

Im Mittelpunkt der gut zweihundert Seiten umfassenden Analyse Gardners steht das literarische Werk des japanischen Avantgardisten Hagiwara Kyôjirô (1899-1938) sowie der – von Gardner dem japanischen Modernismus zugerechneten –Dichterin Hayashi Fumiko (1903-1951). Ausgehend von der These, dass die Themen und formalen Strategien dieser beiden Autoren auf besondere Weise die sozialen und medialen Transformationsprozesse im Japan der 1920er-Jahre spiegeln, beschreibt und analysiert Gardner die Arbeiten der beiden Künstler zugleich als Produkt und Zeugnis einer spezifisch japanischen Modernität. Seine Analyse kreist dabei um die Begriffe bzw. Denkfiguren des „Modernen“ (jap. modan) sowie jenen der „Massen“ (jap. taishû), deren (Be-)Deutungen seiner Meinung nach nicht nur die Arbeiten der beiden erwähnten Autoren durchziehen, sondern zudem auf historisch spezifische Weise die grundlegende Transformation Japans und vor allem Tokyos nach dem großen Kantô-Erdbeben vom 1. September 1923 beleuchten. Gardner deutet dieses verheerende Erdbeben, das weite Teile der japanischen Hauptstadt zerstörte und mehr als einhunderttausend Todesopfer forderte, dabei nicht als Zäsur, sondern vielmehr als einen Moment der Beschleunigung und Verdichtung, durch den zahlreiche Entwicklungen, die in den frühen 1920er-Jahre ihren Anfang nahmen massiv forciert wurden.

Mit dieser Deutung distanziert sich Gardner auf wohltuende Weise von jenen in erster Linie nationalgeschichtlichen Interpretationsstrategien, welche die so genannte Taishô-Zeit (1912-1926) und mit ihr die Geschichte der japanischen Moderne als die Geschichte einer – globalgeschichtlich singulären – japanischen Modernität entwerfen. Unter Bezug auf die Arbeiten von u.a. Dipesh Chakrabarty gelingt es Gardner auf diese Weise nicht nur, seine exemplarische Untersuchung und Diskussion der japanischen Avantgarde bzw. des japanischen Modernismus von den etablierten historiographischen Deutungsmustern abzusetzen. Durch den Verweis auf aktuelle Diskussionen aus dem Umfeld der transnationalen Geschichtsschreibung, der Mediengeschichtsschreibung sowie einer neuen ostasiatischen Geschichtsschreibung verortet Gardner seine Untersuchung darüber hinaus in einem explizit globalen bzw. transnationalen Bezugsrahmen. So ist die Geschichte der japanischen Moderne für ihn notwendigerweise als Teil transnational konfigurierter Kommunikations- und Ereigniszusammenhängen zu denken und daher auch ihre Erforschung und Diskussion mittels interpretativer Apparaturen zu leisten, die nicht von vornherein den vermeintlichen Ausnahmecharakter der japanischen Moderne behaupten bzw. festschreiben.

Ausgehend von dieser theoretisch-methodischen Kontextualisierung positioniert Gardner seine Untersuchung innerhalb eines internationalen kulturwissenschaftlichen Diskussionszusammenhangs, der seit einiger Zeit das Verhältnis von Medialität und Historizität oder die Beziehung von Modernität und Transnationalität – und dies häufig in einer interdisziplinären Perspektive – in den Blick zu nehmen versucht. Er belegt damit auf eindrucksvolle Weise nicht nur seine eingehende Kenntnis aktueller kulturwissenschaftlicher Theorien und Methoden, sondern führt dem Leser darüber hinaus die Anschlussfähigkeit einer neuen – von vornherein am Kreuzungspunkt verschiedener kulturwissenschaftlicher Diskussionen positionierten – ostasiatischen Kulturgeschichtsschreibung vor Augen.

Einen weiteren Distinktionsgewinn erzielt Gardner dadurch, dass er das seiner Untersuchung zugrunde liegende Materialsample nicht als historischen Beleg an sich, sondern als mediale Spur eines historisch spezifischen Kommunikations- und Transformationsprozesses beschreibt und analysiert. Vor dem Hintergrund der medialen und (transport-)technischen Revolution des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts konzentriert Gardner seine Untersuchung auf die Identifikation jener Techniken und Prozeduren, welche die Transformation – vor allem der japanischen Hauptstadt – in den 1920er-Jahren realisierten und repräsentierten. Ausgehend von einer Arbeit Hagiwaras aus dem Jahr 1925 richtet Gardner seinen Blick auf jene medialen Apparaturen, diskursiven Formationen und sozialen Verwerfungen, welche die Transformation Tokyos, vor allem nach den verheerenden Zerstörungen des Kantô-Erdbebens von 1923, prägten.

Gardner folgt dabei der Hypothese, dass die avantgardistischen bzw. modernistischen Arbeiten Hagiwaras und Hayashis nicht als Nachahmungen westlicher Vorläufer oder Vorbilder zu deuten sind, sondern als aktive Reaktion auf die massiven Veränderungen im Bereich der (Massen-)Medien und der (Massen-)Kommunikation, des (öffentlichen) Transports und der (urbanen) Architektur, sowie des (Massen-)Konsums und der (Massen-)Unterhaltung. Er interpretiert die Arbeiten Hagiwaras und Hayashis damit nicht als literatur- bzw. kulturgeschichtlichen Beleg für die Transformation der japanischen Hauptstadt als solches, sondern als kommunikationsgeschichtliche Indikatoren für die sich – vor allem ab 1923 – in kürzester Zeit vollziehende soziale und (massen-)mediale Transformation Tokyos und dies nicht nur in Bezug auf Tokyo selbst, sondern ebenso in Bezug auf dessen urbane und koloniale Peripherie. Gardner rekonstruiert und analysiert damit auf exemplarische Weise die Formen und Funktionen eines zeitspezifischen Medienensembles, welches durch die Expansion der Print-, Film- und Musikindustrie sowie dem Auftreten des Radios als einem neuen (potenziellen Massen-)Medium gekennzeichnet war.

Gardner ist mit seiner exemplarischen, kulturgeschichtlichen Analyse der japanischen Avantgarde bzw. des japanischen Modernismus ein theoretisch und methodisch fundierter Beitrag zur Geschichte der japanischen Moderne gelungen. Indem er sich und seine Materialien von den etablierten historiographischen Deutungsmuster und Kategorien der Taishô-Zeit distanziert und sich weigert, die japanische Moderne als Modernisierung bzw. Verwestlichung zu denken, gelingt ihm eine emanzipierte und von eurozentrischen Interpretationsstrategien abrückende Untersuchung und Diskussion japanischer Modernintät. Durch die Berücksichtigung und Bezugnahme auf aktuelle kulturwissenschaftliche Methoden, Theorien und Diskussionen gelingt es ihm jene – wie sich mit Bezug auf Ernst Bloch argumentieren ließe – Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in den Blick zu nehmen, welche das Phänomen der Modernität in ihrem Kern und damit über regionale, kulturelle und nationale Grenzen hinweg auszeichnet und auf diese Weise – jenseits nationalgeschichtlicher Normierungen – die Möglichkeit zur Eröffnung interdisziplinärer Perspektiven schafft.

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24.08.2007
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