J. P. Arnason u.a. (Hrsg.): Islam in Process

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Title
Islam in Process. Historical and Civilizational Perspectives


Editor(s)
Arnason, Johann P.; Armando, Salvatore; Stauth, Georg
Series
Yearbook of the Sociology of Islam 7
Extent
329 S.
Price
€ 36,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Astrid Meier, Historisches Seminar, Universität Zürich

Das inzwischen siebte Jahrbuch zur Soziologie des Islam ist ein Band der großen Einheiten, nimmt er doch als Beitrag zu einer weltgeschichtlichen Betrachtung ausgedehnte zeitliche und räumliche Dimensionen in den Blick: Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, übergreifende Kulturräume, genannt „Zivilisationen“, besonders in der Form von „Hochkulturen“. Dabei ist der zentrale Ansatzpunkt, den Islam als Zivilisation aus sich heraus und im Vergleich zu anderen Zivilisationen verstehen zu wollen. Entgegen vielen Trends in der geschichtswissenschaftlichen Beschäftigung dominiert so ein Blick von außen und von oben auf islamisch geprägte Gesellschaften. Vor allem die sozialwissenschaftlich oder stärker philosophisch orientierten Beiträge – sie machen die Mehrheit neben einem religions- und zwei islamwissenschaftlichen Artikeln aus – scheuen sich nicht vor großen Strichen und groben Verallgemeinerungen, wenn es darum geht, den Islam in Kategorien zu fassen.

Dies ist aus Historikerperspektive vielleicht gewöhnungsbedürftig, doch wirft der Band als Ganzes wichtige Fragen auf und zeigt Diskussionsansätze, die auch für die vergleichende Geschichtswissenschaft interessant sind. Allerdings erschwert die etwas willkürlich anmutende Zusammenstellung der Beiträge den Einstieg für diejenigen, die nicht genau mit den Debatten vertraut sind, die stark von dem hier versammelten Kreis von Wissenschaftlern geprägt sind. Mehrere Autoren sind denn auch gleich mit zwei Beiträgen vertreten. Die Heterogenität der Themen und Thesen erklärt sich zum Teil daraus, dass der Band aus zwei verschiedenen Workshops am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen aus den Jahren 2004 und 2005 hervorgegangen ist. Im einen ging es um eine vergleichende Analyse des Islam als Zivilisation im Rahmen der Diskussionen um das auf Karl Jaspers zurückgehende Konzept der Achsenzeit, vorgestellt in „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“ (1949). Der andere beschäftigte sich mit den Quellen und kulturellen Konstellationen, die zur Formierung des Islam als Religion und als Zivilisation führten (S. 9).

Die Einführung der Herausgeber umreißt knapp die Weiterentwicklung von Jaspers‘ Konzept der Kulturen der Achsenzeit (8. bis 2. Jh. vor Chr.), zu denen der Islam als latecomer nicht gehörte. In der letzten Zeit wandelte sich unter soziologischen und komparatistischen Fragestellungen der chronologische zu einem typologischen Ansatz, der versucht, Zivilisationen auf axiale Kategorien hin zu untersuchen (von den „Axial Age civilizations“ zu den „Axial civilizations“). 1 Allerdings ist die Debatte um das axiale Erklärungsmodell erst angestoßen, und Arnason, Stauth und Salvatore nehmen den umfassenden Anspruch älterer Ansätze stark zurück, wenn sie hier nur noch von „axialen Mustern“ sprechen: „A more limited conception of axial patterns, centred on the relationships between intellectual and political elites and their role in historical transformations, would have to allow for contextual determinants that vary from case to case“ (S. 11).

Die Themen, die sich in diesem noch wenig umrissenen axialen Paradigma erkennen lassen, gehören ebenfalls zu den ganz großen: So stellt sich zentral die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Staat/Macht, vor allem auch unter dem Blickwinkel der Transzendenz und des universalistischen Anspruchs der prophetischen Religionen. Weiter stehen zur Diskussion die Relation von Prophetie zu Philosophie und damit auch die Stellung des einzelnen Menschen im kosmischen Kontext, in axialer Sicht offensichtlich in direkter Linie zur Entstehung des „modernen Subjektes“. Diese umfassenden Themen werden im vorliegenden Band in drei Blöcken diskutiert.

Der erste Block fokussiert unter dem Titel „Crystallizations“ auf die Besonderheiten des Islam. Die beiden Artikel von Johann P. Arnason bieten eine willkommene Einführung in die grundlegenden Begrifflichkeiten. Am Beispiel von Marshall Hodgsons The Venture of Islam (1974) arbeitet Arnason Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum hier vertretenen Ansatz heraus. Der zweite Beitrag erklärt die Entstehung des Islam als Fallbeispiel einer „cultural crystallization“, eines Schlüsselbegriffs der komparativen Zivilisationsanalyse, der das ältere und umstrittene Konzept des „Durchbruchs (breakthrough)“ abzulösen scheint. Mit „liminality“ steht ein weiterer Schlüsselbegriff im Zentrum von Babak Rahimis Beitrag zum 9. bis zum 14. Jahrhundert im afro-eurasischen Raum. Er deutet diese Jahrhunderte als eine „Middle Period“, eine Zeit von wichtigen kulturellen Transformationen, die durch einen hohen Grad von intercivilizational encounters und damit von Hybridität geprägt waren. Arpad Szakolczai analysiert mit Weber, Pizzorno, Turner und Girard in weit ausholender vergleichender Perspektive die Gründerfiguren von Christentum und Islam.

Der zweite Block umfasst vier Beiträge und widmet sich „Crossroads and Turning Points“, nimmt also, um mit van Ess zu sprechen (S. 224), nicht mehr die Achsenzeit im Singular, sondern Sattelzeiten im Plural in den Blick. Saïd Amir Arjomand schlägt in seinem Beitrag vor, die Entstehungszeit des Islam als eine „constitutive revolution“ zu verstehen, „the typical pattern of radical change in the political order through the enlargement of political community in ‚stateless societies‘ [...]“ (S. 125). Während hier Gesellschaft und Umwelt der Arabischen Halbinsel detailliert, aber nicht unbedingt neu geschildert werden, verspricht Georg Stauths Artikel zu Ägypten mehr, als er halten kann. Stauth betont immer wieder, wie wichtig es für das Verständnis des frühen Islam wäre, besser zu verstehen, welche Rolle Ägypten mit seiner pharaonischen und christlichen Prägung im Formierungskontext gespielt hat. Die Anwort bleibt er aber schuldig, weil andere Themen in dieser oft weitschweifigen Abhandlung dominieren. Auch der Jemen als Drehscheibe verschiedener kultureller Einflüsse verdiente es in den Diskussionen um die Frühzeit des Islam stärker beachtet zu werden, wie der interessante Artikel von Raif G. Khoury zeigt.

Nicht wirklich in diese Sektion zu passen scheinen mir die kritischen Bemerkungen von Josef van Ess, die eher das gesamte Unternehmen betreffen. Der bekannte Islamwissenschaftler zeigt sich skeptisch gegenüber dem hohen Anspruch der Zivilisationsanalyse und ihrer Begrifflichkeit („any stepping down from capital letters to normal down-to-earth language makes me feel more comfortable“ [S. 221]) wie im übrigen auch gegenüber allen anderen Arten von Theorien. Gegen den hier privilegierten Ansatz von Brüchen und Durchbrüchen betont er die Wichtigkeit von Kontinuitäten und stellt dabei auch die im Band verwandten gängigen Periodisierungen in Frage. Der Beitrag schließt mit einigen interessanten Überlegungen, wie Muslime auf die hier vorgeschlagenen Ansätze und diese Sicht von außen reagieren könnten.

Der dritte Block umfasst vier Beiträge unter dem Titel „Cultural and Institutional Dynamics“. Arjomand vergleicht hier die islamische madrasa mit der europäischen Universität anhand des Merkmals der rechtlichen Figur einer Korporation, während Szakolczai sich dem Thema der Prophetie widmet. In einem wichtigen Beitrag übt Armando Salvatore Kritik am axialen Ansatz, insbesondere an dessen Zentralbegriffen des Durchbruchs und der Reflexivität. Am Beispiel von Voeglin’s „metastatic model of prophecy“ argumentiert er dafür, stärker die Eigendynamik axialer „Durchbrüche“ in den Blick zu nehmen und versucht dies anhand einer Gegenüberstellung von Thomas von Aquin (gest. 1274) und dem andalusischen Juristen al-Shatibi (gest. 1388). Der abschließende Beitrag von S. N. Eisenstadt fasst die Diskussionen zu einer islamischen „public sphere“ zusammen, die anderorts ausführlicher publiziert wurden. 2

Diejenigen, die sich auf eine genaue Lektüre einlassen, werden je nach Interesse in unterschiedlichem Umfang Anregungen und Anstöße aus diesem Band mitnehmen können, besonders was die frühe Zeit des Islam betrifft. Allerdings erschwert die unsorgfältige Bearbeitung einiger Beiträge (Stauth, Salvatore) den ohnehin nicht einfachen Lesefluss beträchtlich. Auch bei den bibliographischen Angaben wäre noch einiges nachzutragen. Doch bieten die gestellten Probleme genügend Herausforderungen auch für diejenigen, die dem Ansatz der Zivilisationsanalyse skeptisch gegenüber stehen. So bleibt zum Beispiel offen, obwohl die Frage in der Einleitung kurz angesprochen wird (S. 13), wie das islamisch geprägte Indien und Zentralasien sich in eine solche Sicht von Weltgeschichte oder Weltgeschichten einordnen lassen. Nicht nur in dieser Hinsicht bleibt die „Crux des Islam“ (S. 10) ungelöst.

Anmerkungen:
1 Dazu vor allem auch der Band Arnason, Johann P.; Eisenstadt, Shmuel N.; Wittrock, Björn (Hgg.), Axial Civilizations and World History, Leiden 2005.
2 Hoexter, Miriam; Eisenstadt, Shmuel N.; Levtzion, Nehemia (Hgg.), The Public Sphere in Muslim Societies, Albany 2001.

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15.02.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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