T. Wittek: Auf ewig Feind?

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Title
Auf ewig Feind?. Das Deutschlandbild in den britischen Massenmedien nach dem Ersten Weltkrieg


Author(s)
Wittek, Thomas
Series
Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 59
Published
München 2005: Oldenbourg Verlag
Extent
437 S.
Price
€ 49,80
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Joachim Schwend, Institut für Anglistik, Universität Leipzig

Diese interdisziplinäre Studie passt in die gegenwärtige und seit einigen Jahren immer wieder aufflammende Diskussion über das britische Deutschlandbild und sie zeigt, wie Stimmungen durch Massenmedien erzeugt und Sündenböcke geschaffen und perpetuiert werden. Häufigere Bezüge zur Gegenwart und zum deutschen Nationalsozialismus hätten die Studie noch mehr in die jüngsten Diskurse integriert. Die zusätzlichen Seiten wären bei der teilweise exzessiven Faktenhuberei einzusparen gewesen, womit auch einer der Hauptkritikpunkte angesprochen wäre. Die interessierten Leser/innen, und das werden bei dem Thema nicht nur Historiker/innen sein, wird von den vielen Details erschlagen und die teilweise sehr grundsätzlichen Einführungen zur Medientheorie, zur Perzeption des Anderen und zur Frage der Repräsentation der so genannten Realität sind für interessierte Laien kaum von Interesse, für Wissenschaftler/innen hinlänglich bekannt und somit unnötig.

Die Beschränkung auf die Zeit von 1918 bis 1925 leuchtet ein angesichts der Tatsache, dass in dem untersuchten Zeitraum eine Konzentration der Massenmedien und ein nationaler Presse- und Kommunikationsmarkt entstanden. Die gezeigte Interdependenz zwischen Politik und Presse war selbst in einem freiheitlichen Staat wie dem Vereinigten Königreich zu erwarten. Der so genannte „sozialkritische[n] Kampagnenjournalismus“ (S. 48) bildete ein wichtiges Element des vierten Standes, wobei die politische Ausrichtung der Presse jeweils andere Präsentationen und damit auch Perzeptionen der ‚Realität’ bot. Die Auswahl der untersuchten Zeitungen entspricht der Bandbreite der politischen Richtungen in der Presse, die von den großen Pressebaronen (Lord Northcliffe, Lord Rothermere, Lord Beaverbrook) mit ihren Verlagsimperien mit harter Hand und politisch eindeutig geführt wurden. Lord Northcliffe vertrat mit der Daily Mail die Interessen des Empire mit deutschfeindlicher Grundtendenz. Er kaufte 1908 die Times, die jedoch eine regierungsfreundliche, aber objektive Berichterstattung verfolgte und dem sehr englischen Prinzip des fair play folgte. Der Daily Telegraph stand für aufgeklärt konservative Ansichten, der Manchester Guardian, Vorläufer des heutigen Guardian, fungierte als liberale, etwas elitäre Zeitung. Der Daily Herald vertrat linksliberale Ansichten und unterstützte die Gewerkschaften und sozialdemokratische Tendenzen in Deutschland.

Das Konzept des „Government by Journalism“ (S. 48) wird deutlich vorgestellt: Politiker und hohe Beamte erfüllten als Kommunikatoren und Rezipienten eine Doppelfunktion im medialen Kommunikationsprozess und die Presse erzeugte ein Meinungsklima mit entsprechenden Werten. Wittek zeigt anschaulich Prozesse, Entwicklungen und die verwendeten Stereotype, wobei der Vergleich der Deutschen mit den Hunnen in Anlehnung an die Rede von Kaiser Wilhelm II. am häufigsten ist. Im Laufe der zunehmenden Spannungen vor dem Ersten Weltkrieg, während des Krieges und bis zur Ruhrbesetzung dominierte das Bild des militaristischen, preußischen Deutschland: der Begriff „Prussianism“ vereint negative Konnotationen wie „militärisch geprägten Obrigkeitsstaat [...] Antiliberalismus und der Kasernengeist“ (S. 79). Bis auf die Daily Mail änderten die Zeitungen ihre Darstellung Deutschlands jedoch und betonten mit der Weimarer Republik das so genannte andere Deutschland, das Deutschland der Kultur, wie es im Namen Weimar anklingt.

Wiederkehrende Stereotype in den Geschichten über deutsche Kriegsgräuel waren „bull-necked Prussian officers“, “Boches, Huns”, „German Militarists“ (S. 91). Ein Beispiel für die Kriegspropaganda bildete die „Corpse Conversion Factory“ (S. 95) in Lüttich, in der die Leichen von Gefallenen zu Seife verkocht würden. Der preußische Unhold mit Pickelhaube im Stechschritt war allgegenwärtig und der Krieg war ein Kampf Gut gegen Böse mit klar verteilten Rollen. Die Daily Mail und ihre Reporter kümmerten sich weniger um Fakten und mehr um „die Erfüllung eines propagandistischen Auftrags“ (S. 123). Slogans wie „Keep out the Huns“ (S. 218), „Hang the Kaiser“ und „Make the Germans Pay“ (S. 224) verdeutlichen die Stimmung in Großbritannien direkt nach dem Krieg, die die Deutschen als Gesamtheit für den Krieg verantwortlich machte und sie deshalb bestrafen wollte. Wittek führt auch aus, wie die Stimmung allmählich umschlug und der Versailler Vertrag als Fehler anerkannt wurde, weil er als Diktatfrieden praktisch den nächsten Krieg provozierte.

Die mit den britischen Truppen nach Deutschland gekommenen Auslandskorrespondenten setzten die Tendenz der selektiven antideutschen Berichterstattung bei der Northcliffe Presse fort, während der Manchester Guardian und der linke Herald auch die notleidende deutsche Bevölkerung erwähnten. Bald zeigten sich Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und England, die die Entente Cordiale gefährdeten. Die Ruhrbesetzung bedeutete einen Wendepunkt im deutsch-britischen Verhältnis, denn England wollte Deutschland langsam wieder in die Gemeinschaft der europäischen Nationen aufnehmen und befürwortete deshalb einen Wiederaufbau des deutschen Wirtschaftspotenzials – auch aus ganz eigennützigen Handelsinteressen. Frankreich unter der Regierung Poincaré strebte dagegen die Dominanz auf dem Kontinent an und beabsichtigte, Deutschland ein für alle Male als möglichen Aggressor auszuschalten. Northcliffe unterstützte die Forderungen Frankreichs nach strikter deutscher Erfüllung der Vertragsbedingungen, während der Manchester Guardian und der Daily Herald Frankreich kritisierten und den europäischen Gefahrenherd verstärkt in Frankreich sahen. Der Daily Telegraph und die Times vollzogen einen „vorsichtigen, aber auffallenden Positionswechsel“ (S. 279) zu Gunsten Deutschlands und forderten, die demokratischen Kräfte in Deutschland zu unterstützen, auch um die immer mächtiger werdenden Extreme von Rechts und Links in Deutschland zu schwächen. Negative Stereotype, wie sie vorher für das Kaiserreich benutzt wurden, fanden nun ihre Anwendung auf Frankreich. Wittek verdeutlicht, wie die britische Vorstellung des fair play durch die französische Machtpolitik verletzt wurde und wie die Engländer sich dem schwächeren Part im Konflikt zuwandten. Filmberichte und Wochenschauen, „newsreels“, bildeten eine Ergänzung zur Presse und unterstrichen antideutsche Vorurteile, vor allem Propagandastreifen wie „Once a Hun, always a Hun“ (S. 375), der eine ungebrochene Linie von Gräueltaten deutscher Soldaten in Frankreich bis zum deutschen Handelsvertreter für Bratpfannen in England zeichnete.

Es gelingt Wittek in seiner Studie auf überzeugende Art vorzuführen, wie Stereotypen zur Repräsentation eingesetzt werden und wie erfolgreich Massenmedien die Rezipienten beeinflussen. Die schlussendliche Erkenntnis, „dass durch das ‚System der massenmedialen Öffentlichkeit’ Themen und Meinungen aufgenommen, verarbeitet und korrigiert werden und sich in bestimmten Konstellationen derart verdichten, dass sie für die Politik handlungsrelevant werden“ (S. 396) erscheint vorhersehbar und es ist nichts Neues, dass die jeweilige Presse – konservativ oder liberal – die Politik zu beeinflussen sucht und entsprechend tendenziös berichtet. Umso ernüchternder wird die Einsicht bei Betrachtung der gegenwärtigen Presselandschaft in Großbritannien – und nicht nur da –, dass auch heute noch Stimmung gemacht wird gegen die Anderen und dass in zeitgenössischen britischen Karikaturen der Deutsche immer noch mit Pickelhaube und als der ewige Hunne dargestellt wird.

Angesichts der Länge des vorliegenden Bandes mag es unangebracht erscheinen, noch zusätzliche Themen zu nennen, aber einige wenige ‚Lücken’ sollen hier genannt werden. Wittek sagt nichts zu einer in den 1920er Jahren beginnenden Regionalisierungsbewegung in Europa, die eine Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland anstrebte. Außerdem wäre ein Hinweis auf Churchills Überlegungen zur Schaffung der „United States of Europe“ aufschlussreich gewesen angesichts der gelegentlich von Wittek angesprochenen Distanzierung Englands gegenüber dem europäischen Kontinent. Ganz allgemein hätte Wittek mehr Bezüge zur Gegenwart und der heute immer noch praktizierten Beeinflussung der Menschen durch die Medien (vgl. „spin-doctoring“) herstellen können und sollen. Reproduktionen einiger markanter antideutscher Plakate oder Karikaturen der Zeit hätten die Textaussagen abgerundet. Witteks Studie überzeugt nicht so sehr durch neue Erkenntnisse, sondern durch eine akribische, man ist fast versucht zu sagen ‚preußische’ Sammlung und Aufarbeitung des umfangreichen Materials. Es gelingt ihm, die Prozesse der Erzeugung und Perzeption des Deutschlandbildes darzulegen und die Vielseitigkeit der britischen Berichterstattung vorzuführen. In der Darstellung dieser Sachverhalte liegt das eigentliche und nicht geringe Verdienst dieser Studie.

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28.06.2006
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