L. Pries (Hg.): Zwischen den Welten und amtlichen Zuschreibungen

Title
Zwischen den Welten und amtlichen Zuschreibungen. Neue Formen und Herausforderungen der Arbeitsmigration im 21. Jahrhundert


Editor(s)
Pries, Ludger
Published
Extent
253 S.
Price
€ 29,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Jonas Pfau PHD-Studiengang "Regionalisierung und Transnationalisierung" am Zentrm für Höhere Studien der Universität Leipzig Graefestraße 9 10967 Berlin jonaspfau@gmx.de

Der Name des Herausgebers, Ludger Pries, und der etwas sperrige Titel des Sammelbandes lassen ein weiteres Buch erwarten, dass sich mit dem Konzept der transnationalen sozialen Räume beschäftigt – verkürzt etwa: durch Migration und Transfer entstandene Sphären, die mit den Vorstellungen nationaler ‚Container’ (Herkunfts- oder Zielland) nicht mehr hinreichend zu erfassen sind. 1 Liefert dieses Konzept zwar einen in fast allen Beiträgen rezipierten Referenzpunkt, so beschäftigt sich nur Ewa Palenga-Möllenbeck am Beispiel von transnationalen sozialen Räumen zwischen Gorny Slask (Oberschlesien), Deutschland und den Niederlanden ausführlich mit einer empirischen Untersuchung dieses Konzeptes. Zusätzlich bietet Pries in seinem eigenen Beitrag einige neue theoretische Aspekte zu diesem Feld. Tatsächliches Thema der meisten Beträge ist allerdings die Frage der ‚Integration’, im Band weniger diskursiv vorbelastet als „Migranten-Inkorporation“ gefasst. Diese Verschiebung in der Agenda ist kein Zufall. Die gesellschaftliche Frage der ‚Inkorporation’ wird als drängender wahrgenommen: Deutschland ist nun auch anerkanntermaßen Einwanderungsland und, wie andere europäischen Staaten, Ort einer Auseinandersetzung um die Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den MigrantenInnen – kreisend um die Topoi Multikulturalismus, Leitkultur und jüngst die Parallelgesellschaft. Was die Migrationsforschung über lange Zeit zum Thema ‚Integration’ zu bieten hatte, ein mehr oder minder lineares Modell, beginnend mit Einwanderung, ökonomischer Eingliederung und schließlich endend mit einer kulturell-identitären endgültigen Ankunft wenigstens im Generationenverlauf, erwies sich dabei letztlich als analytisch dysfunktional. 2

Ziel des Bandes ist es nun, die Frage der ‚Inkorporation’ theoretisch zu präzisieren (Teil 1 und 3 des Bandes) und anhand zentraler Instanzen der Vergesellschaftung – Arbeit (Teil 1), Erziehung, Institutionalisierung etc. (Teil 2) – empirisch zu überprüfen. In komparativer europäischer Perspektive untersucht Ludger Pries im ersten Teil des Buches die europäische Migrationspolitik. Neben einer deutlichen Konvergenz aufgrund ähnlicher Interessen, u.a. demographischer und rechtlicher Art, bleiben erhebliche nationale Unterschiede bestehen: bezüglich der „Philosophie der Inkorporation der Migranten“ (23), der kolonialen Vorgeschichte sowie der Bedeutung von migrantischer Arbeit in der nationalen Ökonomie. Im Falle Deutschlands gründe sich die Spezifik auf die Anwerbung von Arbeitskräften fast ausschließlich für den industriellen Sektor, auf das duale Berufsbildungssystem und auf eine reaktive Migrationspolitik, nach Pries eine „kontrafaktische Politik der Nicht-Einwanderung“ (28). Transnationale soziale Räume können, so das Fazit, als Instrument und Ausdruck europäisierter Inkorporation von MigrantInnen gesehen werden. Marcel Erlinghausen und Matthias Knuth vertiefen den Aspekt der Inkorporation in den Arbeitsmarkt durch ihre Analyse der Beschäftigtenstichprobe des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (basierend auf einer Stichprobe der bei der Bundesanstalt für Arbeit als sozialversichert Gemeldeten). Die Tatsache einer geringeren Beschäftigungsstabilität bei migrantischen Arbeitskräften und einer massiv erhöhte Arbeitslosigkeit führt die Autoren dazu, dass „nur der alarmierende Schluss gezogen [werden] kann, dass die Integration rückläufig ist“ (56).

Der zweite Teil des Bandes, der nach der Inkorporation von Migration die Aspekte Organisierung, Mediennutzung und Teilnahme am Bildungssystem, eröffnet zugleich den Reigen von Beiträgen von Studierenden und Absolventen der Bochumer Ruhr-Universität. Die meisten Beiträge basieren auf Haus- und Abschlussarbeiten und ihr Hauptmanko ist leider generell, dass sie kaum auf neues Material rekurrieren oder zu neuen Schlüssen kommen. Im einzigen genuin migrationshistorischen Aufsatz des ansonsten migrationssoziologisch ausgerichteten Bandes untersucht Jacek Spendel die polnische Ruhrgebietsmigration zwischen 1870 und 1914 und fokussiert dabei vor allem die Organisationsbildung unter den Bedingungen eines institutionell gesicherten Antipolonismus. Die migrantisch-ethnische Organisierung steht auch im Zentrum des Interesses von Justyna Nedza, wenn sie türkisch-islamische Vereine und Verbände in Deutschland daraufhin untersucht, ob sie integrativ oder separativ wirken. Dabei stützt sie sich allerdings vor allem auf Veröffentlichungen, die, sei es im Feld der akademischen Migrationsforschung, des Staatsschutzes oder der Integrationspolitik, jeweils selbst prononciertere Aussagen lieferten. Zwei weitere Aspekte der Inkorporation, nämlich Mediennutzung und Bildung, untersuchen Lisa Rauschelbach und Elisabeth Junghärtchen. Erstere kommt unter Verwendung einer Studie des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zu dem Schluss, dass generell von einer Gleichzeitigkeit in der Nutzung türkischer und deutscher Medien ausgegangen werden kann. Aus der Art der Produktion von türkisch-sprachigen Medien in Deutschland und in der Türkei leitet die Autorin ab, dass diese Medien als Ausdruck eines transnationalen sozialen Raumes verstanden werden können, eine These, die anhand der Medieninhalte nicht belegt wird. Junghärtchen breitet die nicht erst seit ‚Pisa’ bekannte Tatsache einer Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen migrantischen Hintergrundes aus und sammelt die Gründe: Mangelnde elterliche Unterstützung trotz hoher Bildungsaspiration, frühe (oft endgültige) Weichenstellung des deutschen Bildungswesen, sprachliche Defizite. Demgegenüber betont sie allerdings die „Fähigkeit zur Selbstplatzierung“ (155) als zentrale und zu unterstützende Ressource migrantischer Kinder und Jugendlicher.

Auf umfangreicheres empirisches Material stützt sich der Beitrag der Sportsoziologin Marie-Luise Klein und des Sportpädagogen Jürgen Kothy. Sie konstatieren – entgegen dem Ideologem vom Sport als Instrument von Verständigung, Konfliktabbau und Integration –, deutliche Tendenzen der Desintegration und eine Zunahme gewalttätiger ethnisierter Konflikte im fußballerischen Breitensport, nicht zuletzt eskaliert durch eine von den beteiligten Akteuren ausgehende „ethnisch überhöhte Bedeutungszuschreibung von Sieg und Niederlage“ (169). Klein und Kothy reagieren mit Esser unalarmistisch, indem sie davon ausgehen, dass es gerade erhöhte Gleichberechtigung sein kann, die zu verstärkten Konflikten führt. 3 Was die Integration betrifft, kommen Klein und Kothy zu einem integrationstheoretisch ausgesprochen differenzierten Urteil, indem verschiedene Dimensionen von System- und Sozialintegration unterschieden werden, wobei die integrativen Mankos vor allem auf der Ebene der kulturell-expressiven Sozialintegration durch die teilweise ressentimentgeladene und kulturhegemoniale Sperrigkeit der deutschen Sportverbände und -vereine gesehen wird.

Der dritte Teil des Bandes verweist vor allem auf die Unzulänglichkeiten staatlicher Klassifizierung von MigrantInnen. Jennifer Elrick preist in diesem Zusammenhang die Vorteile des kanadischen Modells, Murad Bayraktar verweist auf das Problem des ‚Verschwindens’ eingebürgerter und erfolgreicher Migranten aus dem Ausländerzentralregister und die daraus erwachsenden verzerrenden Effekte in der Perzeption der Inkorporation. Was beide Beiträge als methodologische Überlegungen für die wissenschaftliche Migrationsforschung anbieten, ist eher Politikberatung ohne dabei substantiell über die Ergebnisse der „Süssmuth-Kommission“ zur Zuwanderung hinauszukommen. 4 Eine kritische Analyse der (Re-)Produktion von Alterisierung, Exotisierung und Exklusion von MigrantInnen durch staatliche Statistiken dagegen bleibt aus.

Insgesamt betrachtet leidet der Band an Redundanz, binnentextuell in den Beträgen, aber auch über die meisten Beiträge hinweg. Allzu oft strecken umständliche Definitionsdiskussionen im semantischen Feld „Integration“, das umständliche Referieren bekannter Theorien und die Referenz an den Herausgeber die Texte unnötig in die Länge. Mehr noch leidet der Band unter dem Mangel an empirischem Material jenseits von Kommissionsberichten und Sekundärliteratur und an weiterreichenden Schlussfolgerungen. Leider können insgesamt nur wenige Beiträge die durch die kluge Aufgliederung der Fragestellung geweckten Erwartungen erfüllen.

Anmerkungen:
1 U.a.: Pries, Ludger (Hg.), New Transnational Social Spaces. International Migration and Transnational Companies, London 2001; ders., Internationale Migration, Bielefeld 2001.
2 Eisenstadt, Shmuel N., Analysis of Patterns of Immigration and Absorption of Immigrants, in: Population Studies (1953), S. 167-180; Gordon, Milton M., Assimilation in American Life. The Role of Race, Religion, and National Origin, New York 1964; Esser, Hartmut, Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse, Darmstadt u. Neuwied 1980; Castles, Stephen, How Nation-States Respond to Immigration and Ethnic Diversity, in: New Community, 21 (1995), H.3, S. 293-308. In europäisch vergleichender Perspektive und ‚Integrationsbemühungen’ kritisch bilanzierend, vgl. Angenendt, Steffen, Migrations- und integrationspolitische Entwicklungen, Herausforderungen und Strategien in ausgewählten EU-Staaten, in: Beier-de Haan, Rosmarie /Deutsches Historisches Museum (Hgg.), Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500-2005, Berlin 2005, S. 134-147.
3 Esser, Hartmut, Die Mobilisierung ethnischer Konflikte, in: Bade, Klaus (Hg.), Migration, Ethnizität, Konflikt, Osnabrück 1996, S. 63-87; ders., Ethnische Konflikte als Auseinandersetzung um den Wert von kulturellem Kapital, in: Heitmeyer, Wilhelm; Dollase, Rainer (Hgg.), Die bedrängte Toleranz, Frankfurt/M. 1996, S. 64-99.
4 Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration, Migration und Integration. Erfahrungen nutzen, Neues wagen, Berlin 2004 (http://www.bamf.de/cln_042/nn_708926/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration/Downloads/Zuwanderungsrat/gutachten-2004-zuwanderungsrat-lang.html).

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17.03.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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