S. Hilger: "Amerikanisierung" deutscher Unternehmen

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Title
"Amerikanisierung" deutscher Unternehmen. Wettbewerbsstrategien und Unternehmenspolitik bei Henkel, Siemens und Daimler-Benz (1945/49-1975)


Author(s)
Hilger, Susanne
Series
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 173
Published
Stuttgart 2004: Franz Steiner Verlag
Extent
314 S.
Price
€ 60,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Paul Erker, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Eigentlich ist es für den Unternehmenshistoriker ein Glücksfall, wenn er das Privileg hat, einen Quellenbestand erstmals sichten und bearbeiten zu können. Ein Problem wird das jedoch dann, wenn er, aus welchen Gründen auch immer, auf absehbare Zeit auch der letzte Benutzer ist – denn intersubjektive Überprüfbarkeit und vor allem die erweiterte oder vertiefte Analyse der angerissenen Problemaspekte durch andere Forscher ist dann nicht möglich. Susanne Hilger kann in ihrer Habilitationsschrift gleich auf drei derartige Quellenbestände zurückgreifen, wobei es sich wohl nicht zufällig um Archivgut von Unternehmen handelt, zu denen ihr Habilitationsvater Winfried Feldenkirchen in jüngster Zeit bereits publiziert hat.

Das selbstgestellte Untersuchungsprogramm der Arbeit ist sehr ambitioniert (wenn auch, mit Blick auf die bereits 2002 publizierte Arbeit von Christian Kleinschmidt1, nicht völlig neu). Ziel ist eine Geschichte des interkulturellen Transfers in ausgewählten deutscher Unternehmen, konkret: die Analyse amerikanischer Einflüsse im Hinblick auf die Unternehmenspolitik in unterschiedlichen Märkten sowie auf einzelne Elemente der Unternehmensführung. „Dabei stehen Transferinhalte, -mechanismen, -vorgänge und Rezeptionsergebnisse im Vordergrund.“ (S. 12) Wie ging man also in den deutschen Unternehmen mit amerikanischem Know-how um, welches Ausmaß und welche Reichweite hatte der Adaptionsprozess, und welche Folgen ergaben sich daraus für die Wettbewerbs- und Unternehmenspolitik? Methodisch will sich Hilger dabei an einer „new cultural history“ orientieren.

Verdienstvoll ist zunächst die ausführliche und fleißige Rekapitulation der inzwischen zahlreichen Forschungen zur „Amerikanisierung“ der deutschen Wirtschaft (wobei allerdings auf die wichtigen Ergebnisse von Kleinschmidt kaum eingegangen wird). Das Buch gliedert sich in zwei große Kapitel: Im ersten Teil wird die „Amerikanisierung“ ausgewählter Produktmärkte untersucht, unterschieden zwischen Investitionsgüter- und Konsumgütersektor. Fallbeispiele sind dabei zunächst das Kraftwerksgeschäft, die Mikroelektronik (Halbleiter und Computer), die Medizintechnik sowie Nutzfahrzeuge und Triebwerke. Im Konsumgüterbereich werden der Hausgerätemarkt, der Waschmittelmarkt sowie Kosmetika/Körperpflegemittel näher beschrieben. Die Fülle der Fallbeispiele lässt leider nur kurze Skizzen zu. Dennoch wird deutlich, dass der Konsumgüterbereich und hier insbesondere Henkel einem besonders starken Wettbewerbsdruck durch US-Konzerne ausgesetzt war (durch Procter & Gamble, allerdings auch – worüber man gerne mehr erfahren hätte – durch Unilever) und sich dadurch ebenfalls zur Adaption „amerikanischer Methoden“ gezwungen sah. Dass diese Adaption vielfach nur partiell, gebrochen und keineswegs immer von Erfolg in der Unternehmenspolitik gekrönt war, liegt auf der Hand.

Im zweiten Kapitel wechselt Hilger die Perspektive. Hier geht es um die „Amerikanisierung“ der Unternehmensführung, aufgeschlüsselt in sechs formale Teilbereiche: Produktion, Absatzmarketing, Organisation, betriebliches Rechnungswesen, Personalführung und Unternehmenskommunikation/Public Relations. Hilger versucht jeweils den unterschiedlichen Grad von amerikanischen Einflüssen zu identifizieren. Auch dieses breite Raster lässt, zumal im Vergleich von drei Unternehmen, leider nur kursorische Schilderungen zu. Dabei zeigt sich aber deutlich, dass die Übernahme amerikanischer Produktionskonzepte (economies of scale-Strategie, Automatisierung, operations research) offenbar am langwierigsten und zögerlichsten ablief. Auch die divisionale Unternehmensorganisation nach amerikanischem Vorbild (Gliederung nach Produkten oder Geschäftsbereichen) wurde lange abgelehnt, während die Übernahmen amerikanischer Konzepte und Methoden in anderen Bereichen deutlich schneller erfolgten. Wiederum ist das Beispiel Henkel hochspannend – verzweifelt versuchte das Unternehmen, sich unter anderem mit Hilfe einer amerikanischen Beratungsgesellschaft der Konkurrenz von Procter & Gamble zu erwehren (Stichwort „Waschmittelkrieg“). Weit mehr als Daimler-Benz und Siemens hat sich Henkel unter Inkaufnahme von Brüchen mit der Unternehmenstradition den „Amerikanisierungseinflüssen“ geöffnet (was auch Kleinschmidt bereits untersucht hat).

Der wichtigste (ungewollte) Ertrag des Buches ist, dass die Unbrauchbarkeit des Begriffs „Amerikanisierung“ als einer analytischen Kategorie der Unternehmensgeschichtsforschung augenfällig wird, zumindest wenn man anstelle eines komplexen Interaktions- und Interdependenzprozesses ein einfaches Sender-Empfänger-Modell anwendet, das die zum Teil erheblichen Unterschiede in den Managementpraktiken der amerikanischen Konzerne nivelliert und in dem „amerikanisch“ mit „modern“ sowie „deutsch“ mit „rückständig“ gleichgesetzt wird, d.h. es letztlich um einen generellen Aufholprozess deutscher Unternehmen geht. Schwierig wird die Sache zudem dadurch, dass unter „Amerikanisierung“ (bei Hilger mal mit, mal ohne Anführungsstriche gesetzt) jeglicher amerikanische Einfluss bezüglich der deutschen Unternehmen verstanden wird, also neben Informationen über amerikanische Management- und Produktionsmethoden (inklusive technischem Know-how) auch die bloße Erfahrung auf dem US-Markt bzw. der Konkurrenzdruck amerikanischer Unternehmen auf dem deutschen Markt. Die „Kanäle“ und Instrumente dieses Know-how-Transfers waren dabei vielfältig: Besuchsreisen, Lizenzen und Kooperationen, Informationen über US-Auslandsgesellschaften, Unternehmensberatungsfirmen und schließlich auch das Verhalten von US-Konkurrenten auf dem deutschen Markt. Wie diese Instrumente in gegenseitiger Beziehung zueinander funktionierten, bleibt allerdings weitgehend unklar.

Hilger kommt schließlich zu dem (wenig überraschenden) Ergebnis, dass von einer Amerikanisierung der deutschen Unternehmen „im grundsätzlichen Sinne nicht ausgegangen werden kann“ (S. 282). Als „grundlegende Erkenntnis“ der Arbeit konstatiert sie, dass „Amerikanisierung“ in der deutschen Unternehmensgeschichte „keinesfalls die Aufgabe nationaler Werte und Erfahrungen [bedeutet], sondern vielmehr ein Spannungsverhältnis zwischen ‚interessierter Aufgeschlossenheit’ und ‚skeptischer Zurückhaltung’ gegenüber amerikanischem Gedankengut [beschreibt]“ (S. 280). Ungeklärt bleibt dabei aber ein offenkundiger Widerspruch: Hilger stellt auf der einen Seite fest, dass die „Amerikanisierung“ im Verlauf der 1970er-Jahre an Bedeutung und Einfluss verlor, auf der anderen Seite aber wird ein enger Zusammenhang zwischen „Amerikanisierung“ und Intensivierung des Wettbewerbs postuliert (der gerade in den 1970er-Jahren massiv war bzw. wurde). Unklar bleibt auch, dass letztlich offenbar doch das Lernen von Amerika ein bzw. das entscheidende Erfolgsrezept der deutschen Unternehmen dafür war, so schnell ihren Platz auf den Weltmärkten zurückzuerobern (S. 282); dabei zeigt Hilger selbst deutlich, dass dieses Lernen sehr selektiv und in einigen Bereichen gar nicht erfolgte. Es gab also zweifellos noch eine Reihe anderer Gründe für die erfolgreiche Rückkehr auf die internationalen Märkte. Die Untersuchung der Wettbewerbsstrategien und die zum Teil tiefgreifende Transformation der deutschen Unternehmen in den 1960er und 1970er-Jahren (nicht nur durch die „Amerikanisierung“) bleibt damit nach wie vor ein großes Forschungsthema. Hilgers (und vor allem auch Kleinschmidts) Untersuchung liefert dazu zahlreiche Erkenntnisse. Für künftige Studien scheint es aber ratsam, das Untersuchungsthema nun wieder durch vergleichende Längsschnittanalysen deutscher Unternehmen anzugehen. Die Quellenlage ist ja (prinzipiell) ausgezeichnet. Probleme könnte nur der Zugang bereiten.

Anmerkung:
1 Vgl. Kleinschmidt, Christian, Der produktive Blick. Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950-1985, Berlin 2002 (rezensiert von Torsten Bathmann: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1313>).

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04.02.2005
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