Q. Slobodian (Hrsg.): Comrades of Color

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Title
Comrades of Color. East Germany in the Cold War World


Editor(s)
Slobodian, Quinn
Series
Protest, Culture & Society 15
Published
Oxford 2015: Berghahn Books
Extent
VIII, 325 S., 19 Abb.
Price
€ 126,80
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Christian Ernst, Institut für Germanistik, Universität Potsdam

Der in Wellesley tätige Historiker Quinn Slobodian hat sich bereits einschlägig mit der Geschichte der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der „Dritten Welt“ in den 1960er-Jahren beschäftigt.1 Bisher konzentrierte sich der Trend zu globalgeschichtlichen Forschungsperspektiven insgesamt auf Westeuropa.2 Der 2015 von Slobodian herausgegebene interdisziplinäre Band „Comrades of Color“ richtet nun den Blick nach Osten. Mit dem Anspruch auf Repräsentativität (vgl. S. 3) versammelt er vielfältige Fallstudien, welche die Beziehungen zwischen der DDR und dem „globalen Süden“ umfassend beleuchten und Interaktionen zwischen Akteuren in der DDR und ihren nicht-europäischen Counterparts untersuchen. Der Band zeigt Widersprüche auf zwischen den offiziell propagierten Zielen internationaler Solidarität und der Praxis von Kooperationen, Kampagnen und Projekten. Die Beiträge präsentieren somit DDR-Geschichte aus südlichen Perspektiven. Slobodians einleitende Ankündigung, dass hierdurch auch die Wahrnehmung von DDR und Bundesrepublik als Gegensatzpaar in Frage gestellt werde (vgl. S. 3), lösen die Beiträge jedoch nur zum Teil ein.

In einem vorangestellten programmatischen Beitrag zeigt der Herausgeber anhand von Visualisierungen internationaler Solidarität rassistische Markierungen auf, an denen er Ambivalenzen des offiziellen Antirassismus festmacht: Die Verantwortlichen in der DDR verurteilten zwar den Rassismus sowohl der NS-Vergangenheit als auch etwa der US-amerikanischen Gegenwart. Jedoch führten sie rassistische Schemata in Solidaritätskampagnen fort. Hierbei schließt Slobodian sich – wie die meisten Beiträgerinnen und Beiträger des Bandes – Toni Weis’ These3 an, dass nicht-weiße Menschen in sozialistischen Solidaritätsdiskursen als Ikonen und nicht als Individuen dargestellt wurden.

Die drei folgenden Beiträge setzen sich mit ostdeutscher Entwicklungshilfe auseinander. Young-Sun Hong befasst sich am Beispiel des Wiederaufbaus der Stadt Hamhung mit den DDR-Hilfeleistungen an Nordkorea, welche durchaus in Analogie und Konkurrenz zum bundesrepublikanischen Engagement in der südkoreanischen Stadt Puhan zu sehen sind. Hong zeigt, wie die von der DDR geleistete Hilfe mit nordkoreanischen Eigeninteressen kollidierte. Die Eigendynamik der Zusammenarbeit zwischen ostdeutschen und koreanischen Akteuren lasse sich nicht allein durch den Rahmen des Kalten Krieges erklären, sondern muss die spezifischen Hintergründe in Korea berücksichtigen.

Gregory Wittkowski untersucht Bilder und Sprache philanthropischer Kampagnen in der DDR. Die Originalität dieses Beitrags liegt darin, dass der Autor nicht nur die vom Solidaritätskomitee offiziell koordinierten und von Massenorganisationen unterstützten Kampagnen, sondern auch die Kollekten der Kirchen einbezieht. Die staatlichen Kampagnen, die nicht zuletzt eine Funktion politischer Bewusstseinsbildung im Kalten Krieg erfüllten, sollten sich zwar von paternalistischen Vorstellungen von Hilfe absetzen, indem Stärke und Kampf der von ihnen unterstützten Länder und Organisationen betont wurden. Sie griffen jedoch ebenso wie die kirchlichen Kollekten auf etablierte Muster emotionaler Appelle zu mitmenschlicher Hilfe zurück. Sowohl in staatlichen als auch kirchlichen Kampagnen erhielten Rekurse auf Erinnerungen des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Identifikationsfunktion.

Bernd Schaefer nimmt den entwicklungspolitischen Ansatz der DDR in Vietnam in den Blick, den er als Konzept sozialistischer Modernisierung beschreibt. Vietnam wurde bereits nach dem Ersten Indochinakrieg unterstützt und rückte nach Ende des Vietnamkrieges in den Fokus der internationalen Solidarität des sozialistischen Lagers. Neben Wiederaufbauhilfe wurde zur Stabilisierung der sozialistischen Entwicklung auf Industrialisierung und die Herstellung von Exportgütern gesetzt. Die meisten Großprojekte scheiterten jedoch an lokalen Bedingungen. Das Gastarbeiterabkommen 1979 und die Hilfe beim Aufbau einer Kaffeeindustrie ab 1980 dienten auch eigenen Interessen der DDR. Andererseits legte wirtschaftliche Hilfe der DDR die Grundlagen dafür, dass Vietnam in den 1990er-Jahren zu einem der größten Kaffeeexporteure avancierte.

Die folgenden vier Beiträge umreißen das Spannungsfeld zwischen Rassismus und Solidarität in der DDR, welches den zentralen Fokus des Bandes bildet. So wirft Simon Stevens in einem kurzen Essay über den Besuch des südafrikanischen Schriftstellers Bloke Modisane in Ost-Berlin eine Perspektive auf die Beziehung zwischen der DDR und der südafrikanischen Antiapartheits-Bewegung. Modisane, der sich bereits in den 1950er-Jahren vom ANC distanziert hatte, wurde 1959 durch das Apartheids-Regime ins Exil gezwungen, das er zunächst in London und später in der Bundesrepublik verbrachte. Modisanes Bewertung der DDR weicht von der von ANC-Aktivisten ab, die sich zu Schulungs- und Ausbildungszwecken in Ost-Berlin aufhielten: Er berichtet von Rassismus und Repression in der DDR und zieht Parallelen zu Südafrika. Auch Sara Pugachs Beitrag zeigt Widersprüche zwischen offiziellen Solidaritätsdiskursen und Alltagspraxis in der DDR auf. Afrikanische Studierende aus dekolonialisierten Staaten wurden einerseits idealisiert, andererseits mit Ressentiments konfrontiert. Sexuelle Beziehungen zwischen diesen Studierenden und Deutschen wurden pädagogisch sanktioniert; in den geschilderten Fällen an der Karl-Marx-Universität Leipzig offenbaren sich rassistische und sexistische Stereotype.

Auch Katrina Hagens arbeitet in ihrer Analyse der medial wirkungsvollen Kampagne zur Freilassung der kommunistischen schwarzen Bürgerrechtlerin Angela Davis Problematiken in Verbindung von „race“ und „gender“ heraus. Davis wurde exotisiert und als Symbol für „black power“ (S. 177) inszeniert. Durch die Allianz mit der US- Bürgerrechtsbewegung konnte sich die DDR in die von den UN beförderten Antirassismus- und Menschenrechtsdebatten einschreiben und sich moralisch von der Bundesrepublik absetzen. Damit verfolgte die Kampagne innen- und außenpolitische Ziele. Allerdings bestanden auch Vorbehalte der DDR-Führung gegenüber Davis aufgrund ihrer Auslegung des Marxismus-Leninismus und ihrer Beziehungen zur Neuen Linken in der Bundesrepublik, in deren Umfeld ebenfalls Solidaritätsaktionen organisiert wurden. Hagens wertet die Kampagne als politisierten Ausdruck eines „verordneten Antirassismus“ (S. 177), der den Alltagsrassismus in der DDR nicht minderte. Jason Verber untersucht das von der SED und der mosambikanischen Regierungspartei FRELIMO initiierte Projekt der „Schule der Freundschaft“ in Stassfurt, in der mosambikanische Schülerinnen und Schüler für den Aufbau eines sozialistischen Staates ausgebildet werden sollten. Die Konflikte auf politischer Ebene, Schulebene und Alltagsebene fasst Verber nicht nur als eine Konfrontation des von der SED vertretenen Idealmodells mit einer davon abweichenden Entwicklung in Mozambik, sondern auch mit der lokalen Realität in der DDR.

Idealistischer Anspruch und Realität internationaler Solidarität geraten auch im Bereich der Kultur in Konflikt, wie in den folgenden beiden Aufsätzen deutlich wird. Quinn Slobodian belegt dies am Scheitern des als Co-Produktion zwischen der DDR und China geplanten Dokumentarfilms „Freundschaft“. Das Projekt führte zu ästhetisch-konzeptionellen und inhaltlichen Konflikten, bevor es im Zuge des sowjetisch-chinesischen Konflikts 1961 abgebrochen wurde. Slobodian macht daran ein Unvermögen des sozialistischen europäischen Lagers fest, historische Erfahrungsdifferenzen zwischen dem industrialisierten Norden und dem „globalen Süden“ zu überbrücken. Evan Torner und Victoria Rizo Lenshyn zeigen anhand des von der DDR und Vietnam koproduzierten Spielfilms „Dschungelzeit“ (1988) und seiner Entstehungsgeschichte ebenfalls asymmetrische interkulturelle Dialoge und Missverständnisse auf, die im Film zugleich reflektiert werden.

Die beiden letzten Beiträge des Bandes gehen den bis in die Gegenwart reichenden Spuren sozialistischer Solidarität nach. Christine Schwenkel zeigt, dass die ehemaligen Beziehungen zur DDR in Vietnam heute offiziell ausgeklammert werden, obwohl sie für die Akteure weiterhin emotional bedeutsam bleiben. In einem kollaborativen Essay bringt Jennifer Ruth Hosel ihre Beobachtungen zur Rezeption des Films „Good bye Lenin“ in Havanna in Dialog mit Überlegungen des kubanischen Schriftstellers Victor Fowler Calzada zur Rolle Deutschlands und der DDR im kubanischen „Gedächtnis“. Hierbei werden einschneidende psychologische Konsequenzen des Zusammenbruchs des Ostblocks in Kuba deutlich.

„Comrades of Colour“ bietet ein reichhaltiges Panorama der bisher nur in Ansätzen erforschten transnationalen Beziehungen zwischen der DDR und der ‚Dritten Welt‘. In der Thesenbildung konzentriert sich der Band auf Widersprüche und Ambivalenzen des Solidaritätsdiskurses in der DDR, deren Verhältnis zu Entwicklungen in der Bundesrepublik aber unterbelichtet bleibt. In den Beiträgen deutet sich jedoch an, dass eine dezidiert beziehungsgeschichtliche und transnationale Betrachtung der Nord-Süd-Beziehungen beider deutscher Staaten weiterführende Ergebnisse verspricht.

Anmerkungen:
1 Quinn Slobodian, Foreign front. Third World politics in sixties West Germany, Durham, NC 2012.
2 Bspw. Christoph Kalter, Die Entdeckung der Dritten Welt. Dekolonialisierung und radikale Linke in Frankreich, Frankfurt am Main 2011; Andreas Eckert, „Was geht mich denn Vietnam an“? Internationale Solidarität und „Dritte Welt“ in der Bundesrepublik, in: Axel Schildt (Hrsg.), Von draußen. Ausländische Einflüsse in der Bundesrepublik bis 1990, Göttingen 2016, S. 191–210; Heft 2/2016 der Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ zum Thema „Apartheid und Anti-Apartheid – Südafrika und Westeuropa“, <http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2016> (24.10.2016).
3 Toni Weis, The Politics Machine: On the Concept of ‚Solidarity‘ in East German support for SWAPO, in: Journal of South African Studies 2 (2011), S. 351–367.

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25.10.2016
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