D. Bégot (Hrsg.): Guide de la recherche en histoire antillaise et guyana

Title
Guide de la recherche en histoire antillaise et guyanaise.


Editor(s)
Bégot, Danielle
Series
Orientations et méthodes 21
Extent
2 Bde.
Price
€ 68,66
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Matthias Middell, Global and European Studies Institute, Universität Leipzig

Dieses überaus nützliche Arbeitsinstrument zur Geschichte der französischen Antillen einschließlich Französisch-Guyanas ergänzt die bislang existierenden Überblickswerke zur Soziologie der Karibik oder zur Geschichte der Region im Rahmen eines mehrbändigen UNESCO-Vorhabens 1 vortrefflich – wenn es diese nicht gar gänzlich ersetzt. Der vorliegende Band entstammt der Zusammenarbeit zwischen dem Comité des Travaux Historiques et Scientifiques, das auf die Publikation von Quelleneditionen und Forschungsanleitungen spezialisiert ist, und der Academie des Sciences d’Outre-Mer, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten immer stärker postkolonialen Fragestellungen geöffnet hat. Der in diesem Band behandelte Zeitraum vom 17. bis zum 21. Jahrhundert könnte nahe legen, es werde implizit angenommen, dass es keine Geschichte vor dem Eintreffen der Franzosen gegeben habe. Die Begründung liegt aber vorrangig im Mangel an Quellen für die präkoloniale Phase – die Archäologie wird in Bezug auf die Antillen nur für die Rekonstruktion der Besiedlung und der Gewerbeeinrichtungen im Beitrag von Danielle Bégot berücksichtigt, während im zweiten Band unter der Überschrift „Neue und entstehende Forschungsfelder“ auch eine knappe Übersicht zu den Grabungen auf den kleinen Antillen enthalten ist. Dieser Ansatz wird nicht zuletzt durch das Diktum Edouard Glissons beglaubigt, wonach die martinikanische Gesellschaft nicht ohne die Kolonisierung zu denken und – vielmehr noch – deren Kreation sei.2

Der Schwerpunkt liegt dagegen erstens auf der Kolonialgesellschaft des Ancien Régime mit ihren Institutionen, der Sozialgeschichte ihrer Eliten und der Sklaven, zweitens auf den Umbrüchen der revolutionären Periode sowie schließlich drittens auf der Phase bis zur Abolition 1848, während die darauf folgende Zeit lediglich im abschließenden Beitrag von Jean-Pierre Sainton zur Politikgeschichte und mit Einschränkungen in der Übersicht von Christian Schnakenbourg zur Wirtschaftsgeschichte behandelt wird.

Hauptziel der beiden Bände ist eine möglichst komplette Übersicht zu den verfügbaren Forschungsinstrumenten wie Archivführern und -inventaren, historiografischen Rückblicken und Quelleneditionen. Dabei liefert schon Herausgeberin Danielle Bégot, inzwischen emeritierte Professorin für Zeitgeschichte an der Universität der Antillen und Guyanas, in ihrer Einleitung eine bislang schmerzlich vermisste Übersicht zu den Repertorien der großen Archivbestände in Frankreich und den Überseegebieten, die künftig jedem Adepten der Geschichte dieser Region, der Kolonial- und Sklavereigeschichte, der Geschichte des Welthandels im 18. Jahrhunderts und der Geschichte transkontinentaler Migration, kurz: verschiedenen Zweigen auch der Globalgeschichte, den Einstieg enorm erleichtern wird.

Gleiches lässt sich von den anschließenden 20 Abhandlungen, die manchmal mehr als 100 Seiten Text umfassen, sagen. Sie zeichnen sich auch durch die Berücksichtigung der Quellenbestände außerhalb des frankophonen Raumes aus, denn viele der im 18. und 19. Jahrhundert entstandenen privaten Sammlungen sind war heute in staatlichen Archiven aufbewahrt, aber relativ schwer zugänglich, so dass sich der Umweg über Spezialsammlungen vor allem an nordamerikanischen Universitäten anbietet, die umfangreich Kopien zusammengetragen haben. Der Grundsatz, dass eine transregionale oder transnationale Geschichte Quellen aus zahlreichen Archiven einbeziehen müsse, ist schnell aufgestellt, aber die Realisierung dieses Prinzips ist nicht nur teuer sondern auch oft mit hohem Zeitaufwand verbunden. Gerade für jüngere Forscherinnen und Forscher, die unter Zeitdruck an ihrer Dissertation arbeiten, ergeben sich daraus teils unüberwindliche Hürden. Die beiden hier vorliegenden Bände weisen zu vielen unterschiedlichen Aspekten die nötigen Wege, manchmal auch Abkürzungen, und dürften deshalb überall hochwillkommen sein. Aus diesem Grunde sollten sie auch angesichts voranschreitender Budgetkürzungen in keiner Bibliothek fehlen, in deren Umgebung ein ernsthaftes Forschungsinteresse an Frankreichs (Kolonial-)Geschichte vermutet werden kann.

Selbstverständlich ist es hier unmöglich, auf den gesamten Reichtum einzugehen, den die einzelnen Beiträge zur Wirtschaft, den politischen und administrativen Institutionen, der Siedlungsgeschichte, der Bevölkerungsentwicklung, den Kreolisierungstendenzen auf den kleinen Antillen, der Plantagengesellschaft, der Sklaverei, der Religionsgeschichte und schließlich der revolutionären Periode sowie (im zweiten Band) zur Archäologie der präkolumbianischen Periode, zur französischen Kolonisierung, zum Gesundheitswesen, zum Sport, zur Wissenschaftsentwicklung und zur Musik, bieten.

In allen Fällen handelt es sich um sehr sorgfältig erstellte Listungen der bislang bekannten und in der Forschung berücksichtigten Quellenbestände, meist ergänzt um eine ausführlich kommentierte Bibliografie, die in aller Regel bis an die Jahre 2007/8 heranreicht. Ein besonderer Vorzug für Nutzer außerhalb Frankreichs sind die zahlreichen Hinweise auf nicht in Verlagen publizierte Qualifizierungsschriften, die über einzelne Universitätsbibliotheken zugänglich sind. Der Schwerpunkt liegt aber weniger auf der jüngsten Literatur als vielmehr auf zeitgenössischen Werken, denen Quellencharakter zugesprochen werden kann. Auf diese Weise hält der Leser zugleich eine Einführung in die intellektuelle Entdeckung der Karibikinseln in der Hand.

Ein Register erschließt die erwähnten Autorinnen und Autoren. Dass die herangezogene Literatur vor allem in französischer und englischer Sprache erschienen ist, versteht sich bei der Dominanz solcher Historiografien in diesem Feld beinahe von selbst. Trotzdem hätte man eine stärkere Berücksichtigung vor allem der spanischen und portugiesischen Literatur erwarten können, denn die Karibik bildete gerade im 18. Jahrhundert einen Treffpunkt der verschiedenen Imperien und Handelsinteressen, und auch im 19. Jahrhundert ging der Einfluss der vorherigen Großmächte (einschließlich der Niederlande und Dänemarks) nur langsam zurück. Doch diese Schwäche wird leicht durch den Rückgriff auf entsprechende Spezialliteratur, die in den letzten Jahren erfreulich reichlich entstanden ist, aufgewogen. Ein anderes Problem mag schwerer wiegen: Die ungeheure Arbeitsleistung, die hinter den beiden Bänden steckt, wird sich kurzfristig sicherlich nicht wiederholen lassen. Dabei hat die Karibik gerade in jüngster Zeit ein rasch wachsendes Interesse gefunden, was nicht zuletzt mit geschichtspolitischen Veränderungen in Frankreich zu tun hat, das sich selbst erst seit Kurzem in seiner eigenen Postkolonialität kritisch zu verstehen beginnt. So kann mit einem raschen Zuwachs an Erkenntnissen und auch der Neuentdeckung von weiteren Quellen gerechnet werden. Es wäre deshalb mehr als nützlich, wenn diese „Guides de la recherche“ nicht nur online verfügbar wären, sondern auch von der Gemeinde der in diesem Feld engagierten Forscherinnen und Forscher gemeinsam in einer virtuellen Forschungsumgebung weiter entwickelt würden. Gerade die Geschichte der lange Zeit kolonial beherrschten Völker und Territorien, die im Schnittpunkt unterschiedlichster Großmachtinteressen standen, bietet sich für das Erproben transnationaler Kooperationen an.

Anmerkungen:
1 Christine Barrow/ Rhoda Reddock (Hrsg.), Caribbean Sociology. Introductory Reading, Kingston 2001; Barry Higman (Hrsg.), General History of the Caribbean, Bd. 6: Methodology and Historiography of the Caribbean, London 1999.
2 Edouard Glissant, Discourse antillais, Paris 1997, S. 208.

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Published on
21.03.2015
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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