A. G. Krause: Tripolitanisches Kriegstagebuch

Title
Tripolitanisches Kriegstagebuch.


Author(s)
Adolf Krause, Gottlob
Published
Extent
Price
€ 32,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Uwe Pfullmann, Gornsdorf

Mit dem Begriff Tripolitanien können die heutigen Leser nur noch wenig anfangen. Zu sehr hat der Begriff Libyen den Namen der bedeutendsten Provinz Libyens überlagert, nicht zuletzt auch durch die exzentrischen Auftritte des langjährigen libyschen Führers Muammar al-Ghaddafi. Band 23 der jetzt in der Edition Falkenberg erscheinenden Reihe Cognoscere Historias hat den Kolonialkrieg zwischen Italien und dem Osmanischen Reich am Vorabend des Ersten Weltkrieges zum Inhalt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereiteten sich die europäischen Mächte auf die Teilung des Osmanischen Reiches vor. Libyen war zu jenem Zeitpunkt der letzte Landstrich Nordafrikas, der noch nicht von einer Kolonialmacht okkupiert war. In einer ausführlichen und detaillierten Einführung stellt der Herausgeber Peter Sebald den Autor der Kriegstagebücher, Gottlob Adolf Krause (1850-1938), vor. In dem einleitenden Unterkapitel „Geschichte und Gegenwart Libyens 1911/12 und Libyen 2011 Zum Lebenslauf von Gottlob Adolf Krause/Malam Musa“ spannt Sebald den Bogen von der italienischen Besetzung Libyens hin zum kollektiven Eingreifen europäischer NATO-Mitglieder und erinnert an deren Zusammenarbeit mit Ghaddafi: „Denn jahrzehntelang hatten europäische Regierungen mit autokratisch regierenden Potentaten zusammengearbeitet. Der Druck demokratischer Kräfte in der Europäischen Union veranlasste manche europäische Regierung, 2011 ihre Politik zu ändern. Aber gleichzeitig sahen jene Regierungen die Möglichkeit, in Libyen auf neue Art mit militärischer Gewalt zu intervenieren.“ (S. 8) Der Herausgeber verhehlt nicht seine Ablehnung dieser mit humanitären Gründen von der UNO sanktionierten Politik: „Vom 19. März 2011 an - ... – erfolgten sieben Monate lang bis Ende Oktober insgesamt 27.000 Einsätze der Luftwaffe, ...“ (S. 9) Sebald zieht eine Bilanz der Ereignisse, die mit dem Tod Ghaddafis endeten. Die damaligen Vorgänge und der 100. Jahrestag der Ereignisse von 1911/12 beförderten maßgeblich die Veröffentlichung der 57 von G. A. Krause verfassten und in der Berliner Kreuzzeitung veröffentlichten Artikel, die in der DDR nicht veröffentlicht werden konnten. Am Ende dieser Vorbemerkungen wünscht sich Sebald: „In Kenntnis der Situation in Libyen 2011 wird der Leser der vorliegenden Quellenpublikation die Haltung des deutschen Wissenschaftlers Gottlob Adolf Krause /Malam Musa 1911/12 besser würdigen und durch seine Augenzeugenberichte die Zukunft Libyens besser verstehen können.“ (S. 11)

Bestechend sind Tiefe und Detailreichtum, mit dem der Herausgeber, der zu Malam Musa/Gottlieb Adolf Krause 1972 promovierte, den Lebensweg des standhaften Ethnologen und dessen Aufenthalte in Libyen (1868-69, 1878-1882, 1907-1912) beschreibt, der im Gegensatz zu Gustav Nachtigall, seinem Freund und Bekannten, nicht den Versuchungen der Beamten des deutschen Kolonialamts erlag und eine kritische Stimme gegenüber den kolonialen Ambitionen aller Kolonialmächte blieb. Für diese Standhaftigkeit sollte er einen hohen Preis zahlen. Krauses Expeditionspläne in Westafrika wurden von staatlicher Seite nicht unterstützt. Doch konnte er 1892 in der Kreuzzeitung verkünden: „Bei meiner Reise von der Goldküste bis in die Nähe von Timbuktu habe ich 4.300 km zurückgelegt, bin durch das Gebiet der verschiedensten Stämme gekommen, habe überall das Land friedlich betreten und friedlich verlassen, ohne eine Waffe zu haben. Die Wissenschaft braucht kein Blut.“ (S. 17)

Das Besondere an Krauses Tagebuchaufzeichnungen charakterisiert Sebald wie folgt: „Der Augenzeuge kannte seit 1868 die tripolitanischen Verhältnisse, auch im Landesinnern aus eigener Anschauung, ebenfalls die historische und rechtliche Situation. Er sprach Arabisch und hatte enge Kontakte zu hochgestellten arabischen Persönlichkeiten wie mit einfachen Arabern. Er beherrschte aber auch Italienisch, die Sprache der kolonialen Eroberer. Aus all diesen Gründen konnte er kompetente Urteile fällen, die weder hier noch im Text eines Kommentars bedürfen.“ (S. 20) Auf den folgenden Seiten (31-205) schildert der aus dem sächsischen Okrilla stammende Krause in 57 Artikeln minutiös und faktenreich die Okkupation von Tripolis und Tripolitaniens. Krause zieht eine bittere Bilanz der seit 1876 andauernden tanzimat-Reformen, die auch unter den seit 1908 regierenden Jungtürken keine Eigendynamik erlangt haben: „Es ist zuviel Nachahmung in der Türkei und zu wenig Initiative und Anpassung des Fremden an die eigenen Verhältnisse, zu viel Annahme von Äußerlichkeiten, ohne innere Veränderung. Niemand kann verlangen, daß in wenigen Jahren ein Land, ein Volk sich von Grund aus ändert, daß es mit sicherem Schritt den Weg findet, der zu seinem Heil führt.“ (S. 32) Das Urteil ähnelt sinngemäß dem, das Lady Anne Blunt über die Reformen Midhat Paschas, dem Generalgouverneur der Hohen Pforte im Irak, fällte.1

Die Schilderungen der Okkupation Tripolitaniens und von Tripolis an die Kreuzzeitung in Berlin tragen zum Teil possenhafte Züge: „Aus einem Telegramm Said Paschas [osm. Großwesir – U. P.], das ganz besonders den Schutz der Italiener befahl, schließen hier die Türken, daß noch Unterhandlungen im Gange seien. Wenn nein, dann kommt uns hier die Sache genau so lächerlich vor, als wenn eine Batterie reitender Artillerie tagelang um ein Wespennest herum galoppieren würde, nicht wagend, es anzugreifen, aus Furcht von einer Wespe gestochen zu werden.“ (S. 50f.)

Die von Krause so überaus sachlich geschilderte Besetzung Tripolitaniens war in Grundzügen bereits 1878 arrangiert worden. Die damalige britische Regierung hatte der italienischen Libyen angeboten, wenn die Italiener im Gegenzug auf Tunesien verzichteten. Zwei Jahre nach der britisch-französischen Faschoda-Krise 1898 erkannte auch Frankreich Italiens „Anspruch“ auf Libyen an; die libyschen Landesteile Tripolitanien, Cyrenaika und Fezzan sollten fortan eine italienisch dominierte Pufferzone zwischen den britischen und französischen Kolonialreichen bilden.

Mit einer Spur Sarkasmus kommentiert Krause das zögerliche Vorgehen der italienischen Militärführung: „Warum sind die Italiener nicht schon längst, seit Tagen, gelandet? Es scheint, sie machen einen Buchkrieg. Dort steht: erst muß bombardiert werden, dann wird gelandet. Daß man auch ohne Bombardement landen kann, scheint ihnen unbegreiflich zu sein. Sie wären längst Herren von Tripolis, wenn sie, sei es mutig, sei es genügend vorbereitet gewesen wären.“ (S. 57) Ein paar Dutzend Zeilen später stellt der Autor die Sinnfrage erneut: „Nach 11 Uhr vormittags wiederholt ganz vereinzelte Schüsse nach der Richtung des Forts im Osten der Stadt. Der Zweck? Halbreife Datteln vom Baume zu schießen? Dazu braucht man keine Dreadnoughthts, von denen das Stück 50 Millionen Lire kostet oder mehr.“ (S. 59) Der Autor lässt in seinen Schilderungen jeder Seite Gerechtigkeit widerfahren. Er würdigte die Tatkraft der türkischen Offiziere im Vorgriff auf den Ersten Weltkrieg: „Es wäre ein Unrecht und eine Ungerechtigkeit, wollte ich nicht den schuldigen Tribut von Bewunderung darbringen, die sich in diesen für das kleine Tripolis ereignisreichen Tagen das türkische Offizierskorps und die Tripoliner Polizei errungen haben, wenn ich vor einem halben Monat gefragt worden wäre, ob die türkischen Offiziere das leisten könnten, was sie nun tatsächlich zu ihren Ehren geleistet haben... Hier war alles aus dem Stegreif zu planen und neu zu ordnen.“ (S. 65) Unter dem Datum 13. Oktober erwähnte K. die Über-legungen der italienischen Kolonialverwaltung, die Dynastie der Karamanli „wieder auf den Thron von Tripolis zu erheben.“ (S. 78) Wenige Zeilen später teilte der Autor der Berliner Kreuzzeitung die Abneigung der italienischen Behörden gegen die wenigen deutschen Bürger in Tripolis mit (S. 79), ein böses Vorzeichen über die Zuverlässigkeit des italienischen Verbündeten, der 1915 das Bündnis der Mittelmächte verließ und sich der Entente anschloss!
In Artikel 23 und 24 (S. 112-119) beschreibt der Autor die Plünderung seines Hauses in Tripolis; dabei wurden seine über Jahrzehnte angefertigten sprachwissenschaftlichen Kartekarten und Notizen verwüstet.

Im Osten Libyens, in der Cyrenaika, verwandelte sich der Gegensatz zwischen Türken und der religiösen Bruderschaft der Senussi in eine Kampfgemeinschaft, die von Enver Pascha geleitet wurde. Nach dem Abkommen von Lausanne (1912) musste das Osmanische Reich Libyen und den Dodekanes (Rhodos und die Nachbarinseln) abtreten. Nach dem Ersten Weltkrieg kämpfte Libyen unter Umar al-Mukhtar einen aufopferungsvollen Kampf gegen die italienische Kolonialmacht, die erst 1931 mit einer neuen Art Kriegsführung unter General Graziani den Widerstand der libyschen Stämme brechen konnte.

Die Edition der Augenzeugenberichte von Gottlob Adolf Krause ist ein herausragender Beitrag zur libyschen Geschichte, wird doch hier eine einzigartige Quelle einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die profunde Sachkenntnis des Herausgebers und die Qualität von Satz, Layout und Druck überzeugen. Die wenigen Druck- und Layout-Fehler (S. 14, FN 16) schmälern dieses Urteil nicht im Geringsten. Eine passende und angemessene Würdigung für einen zu Unrecht vergessenen Afrika-Reisenden und Sprachwissenschaftler, der Zeit seines Lebens Entbehrungen für die Wissenschaft auf sich genommen und Rückgrat bewahrt hat!

Anmerkung:
1 Anne Blunt, A Pilgrimage to Nejd. The Cradle of the Arab Race., London 1878, vol. I, S. 16 ff.

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31.10.2014
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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