O. Benesch: Inventing the Way of the Samurai

Title
Inventing the Way of the Samurai. Nationalism, Internationalism, and Bushido in Modern Japan


Author(s)
Benesch, Oleg
Published
Extent
304 S.
Price
€ 80,92
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Julian Plenefisch, Ostasiatisches Seminar – Japanologie, Freie Universität Berlin

Oleg Benesch untersucht in dieser Monographie den Mythos Bushidô. Unter diesem Begriff ist hier der angebliche Tugend- und Verhaltenskatalog des Kriegeradels in Japan zu verstehen, der als Kulturgut weitreichende Effekte auf die soziale Entwicklung des modernen Japans gehabt haben soll. Als Untersuchungsobjekt ist Bushidô ausgesprochen interessant, da es nicht nur in Japan, sondern ebenso in anderen Ländern ein wirkungsmächtiger Mythos geblieben ist. Benesch argumentiert nun, dass Bushidô eine erfundene Tradition ist und von reaktionären Gelehrten erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Antwort auf die Herausforderungen der Moderne konstruiert wurde. Dabei hätten lokale Traditionen eine geringere Rolle gespielt. Ausschlaggebend sei vielmehr das Vorbild des britischen Gentleman gewesen, das Japan während seines Modernisierungsprozesses als zivilisatorisches Vorbild diente. Damit entdeckt Benesch einen neuen, transnationalen Aspekt in der Forschung zu Bushidô. Das Argument ist sehr originell; leider verschenkt die Arbeit zum Teil das darin steckende Potential.

Die Arbeit folgt größtenteils einem chronologischen Ablauf von den 1880er-Jahren bis in die Nachkriegszeit. Für seine Analyse zieht Benesch Schriften von japanischen Gelehrten, Autoren und Politikern heran, die in Bezug auf vermeintlich historische Vorbilder des mittelalterlichen Kriegeradels einen Verhaltens- und Wertekatalog für den japanischen Ehrenmann konstruieren. Die Ergebnisse von Benesch detailreicher und interessanter Analyse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der historische Gehalt von Bushidô ist äußert gering, weil die verfügbaren Quellen die Annahme eines einheitlichen Handlungskatalogs für den japanischen Kriegeradel in Japan nicht stützen. Samurai waren in der Bevölkerung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht beliebt, weshalb bis zu dieser Zeit romantisierende Vorstellungen über sie nicht erfolgreich sein konnten. Dies änderte sich erst nach dem Sino-Japanischen Krieg (1894–95), als eine nationalistische Euphorie das Land erfasste. Das erste Aufleben des Diskurses um Bushidô ist somit in der zweiten Hälfte der Meiji-Zeit (1868–1912) zu verorten, als China seine Rolle als zivilisatorischer Leuchtturm verlor. Benesch legt dar, dass die Konstruktion von Bushidô mehr von Vorstellungen des europäischen Rittertums und des britischen Gentleman beeinflusst war als von historischen Samurai. Er zeichnet dies beispielsweise anhand des Gelehrten und späteren Politikers Ozaki Yukio (1858–1954) nach, der in den 1880er-Jahren aus Großbritannien mit idealisierten Vorstellungen über den englischen Ehrenmann nach Japan zurückkehrt war und insbesondere in Abgrenzung zu China daraufhin eine japanische Variante des Gentleman erfand. In dieser Phase war Bushidô mit seiner Vorstellung des ehrenhaften, gebildeten Bürgers ein zivilisatorisches Leitbild im Modernisierungsprozess Japans.

Benesch argumentiert weiter, dass Bushidô erst in der Zeit zwischen dem Sino-Japanischen Krieg und dem Russisch-Japanischen Krieg (1904–05) stark nationalistisch und chauvinistisch aufgeladen wurde. Gelehrte wie Inoue Tetsujirô (1856–1944) behaupteten, dass beide Kriege die Überlegenheit des Bushidô gegenüber China und dem Westen gezeigt hätten. Erst nach dem Russisch-Japanischen Krieg, so Benesch, griff auch der japanische Staat Bushidô häufiger auf und implementierte es im Bildungswesen sowie im Militär. Schulkinder und Soldaten sollten in den vermeintlichen Tugenden der Samurai unterrichten werden. Bushidô war hierbei nicht mehr ein zivilisatorischer Leuchtturm, sondern das Sinnbild des loyalen und unterwürfigen Untertanen. Besonders interessant waren die Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Rechten Japans seit den 1930er-Jahren. Bushidô wurde seit dem Beginn der Shôwa-Zeit (1926–89) in einen zunehmend militärischen Diskurs eingebunden. Es wurde Teil einer soldatischen Tugend für den totalen Krieg. Gleichzeitig war Bushidô nun stärker einer Kritik von rechts ausgesetzt, da es mit imperialen Ideologien des japanischen Kaisersystems im Konflikt stand.

Abschließend analysiert Benesch die Entwicklung von Bushidô in der Nachkriegszeit. Nicht verwunderlich ist, dass Bushidô wie viele nationalistische Ideologien von der US-Besatzungsbehörde und linken Intellektuellen mit Misstrauen betrachtet wurde. Allerdings konnte es sich schneller als andere nationalistische Ideologien aus dem Schatten des Zweiten Weltkriegs lösen. Bereits in den 1960er-Jahren konstruierten neue Werke ein Bushidô, das gänzlich auf einen Rückgriff auf Schriften aus der Vorkriegs- und Kriegszeit verzichtete. Nationalistische Elemente fehlten dennoch nicht. Insbesondere das japanische Wirtschaftswunder beflügelte neue ethnozentrische Ideen, die beispielsweise den pflichtbewussten Firmenangestellten mit Bushidô verbanden. Seit den 1980er-Jahren zeichneten Diskurse ein Bushidô, das weniger die martialische Loyalität der Kriegszeit wiederholte, sondern den Samurai als tugendhaften Diener von friedlichem Charakter konstruierte und so mit der pazifistischen Selbstdarstellung Japans in der Nachkriegszeit übereinstimmte.

Benesch bietet eine umfangreiche Aufarbeitung der Entwicklungsgeschichte des Bushidô. Mit großer Sachkenntnis stellt er die einzelnen Schriften und ihre Rolle im Diskurs dar. Leider verzichtet er darauf, die Geschichte des Bushidô mit anderen Forschungsfragen zu verknüpfen. Insbesondere der sehr spannende transnationale Aspekt der Konstruktion von Bushidô wird zu wenig konzeptionell diskutiert. Was bedeutet es beispielsweise, dass Bushidô eine Hochphase während einer Zeit nationalistischer Euphorie und gleichzeitiger wachender Globalität erlebte? Benesch hätte hier seine Ergebnisse im Kontext der Forschung zum Zusammenhang zwischen Nationenbildung und Globalisierung diskutieren können. Mit dem reizvollen Argument der Transnationalität hätte er sich eindeutiger von der bereits geleisteten Forschung zu Bushidô abgrenzen können. Zumindest eine Abgleichung der Ergebnisse mit der bereits geleisteten Forschung zu Bushidô hätte ich am Ende erwartet. Dennoch ist dieses Buch eine ausgesprochen spannende Lektüre und bietet einen kenntnisreichen Beitrag zur historischen Entwicklung und Wirkungsmacht erfundener Traditionen.

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30.01.2015
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