G. Balachandran: Globalizing Labour?

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Title
Globalizing Labour?. Indian Seafarers and World Shipping, c. 1870–1945


Author(s)
Balachandran, Gopolan
Published
Extent
320 S.
Price
€ 44,11
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Daniel Tödt, Center for Metropolitan Studies, Technische Universität Berlin

Seit einigen Jahren feiert die labour history durch die Aufnahme globaler Perspektiven eine Wiedergeburt. Die berufsbedingt mobile Gruppe der Seeleute bildet dabei einen besonders beliebten Forschungsgegenstand.1 Der am Graduate Institute Genf lehrende Gopalan Balachandran hat mit „Globalizing Labour?“ eine erhellende, differenzierte und inspirierende Studie über indische Seefahrer im Zeitalter von Dampfschifffahrt und Imperialismus (1870–1945) vorgelegt. Balachandran, der sich zuvor mit der indischen Wirtschaftsgeschichte beschäftigt hatte, widmet sich mit unterbezahlten und prekär beschäftigten kolonialen Arbeitern einem gleichfalls fluiden und mobilen Forschungsgegenstand, der gewissermaßen das entgegengesetzte Ende der frühen Globalisierungsgeschichte markiert. „Globalizing Labour?“ stützt sich auf umfangreiche Archivarbeiten und erzählt so eine empirisch gesättigte ‚Globalgeschichte von unten‘.

Ungleich früherer Untersuchungen legt Balachandran darauf Wert, die Seemänner nicht als Opfer ihrer Umstände darzustellen. So beginnt die Einleitung mit dem wechselvollen Lebenslauf eines „upstart Punjabi peasent“ (S. 3), der 1914 auf einem britischen Schiff anheuerte, und die Schlupflöcher des globalen Schifffahrtsnetzes nutzend zwischen London, New York und Hong Kong verschiedenen Tätigkeiten nachging. Doch auch dem Zerrbild frei umherziehender Seeleute erteilt der Autor eine Absage. Eine Stärke des Buches liegt darin, die Bewegungsfreiheit der Kolonialarbeiter innerhalb von geografischen, sozialen, rechtlichen und politischen Grenzen auszumessen, die von Kolonialstaat und Reedereien eng gezogen wurden. Die in Europa und den USA ansässige internationale Schifffahrtsbranche bediente sich billiger Arbeitskräfte aus den Kolonien. Das profitable „off-shoring“ der Besatzungsrekrutierung führte dazu, dass 1914 jeder dritte Seefahrer auf britischen Schiffen indischer Herkunft war. Das Fragezeichen im Buchtitel gründet auf der Deutung einer sich globalisierenden Welt der Arbeit, in der Ordnungen und Praktiken der Grenzziehung bestimmender waren als deren Auflösung. Folglich interessiert sich Balachandran für die rechtliche Regulierung der Beschäftigung indischer Seefahrer, für auf rassistischen Zuschreibungen beruhende Arbeitsteilung, sowie für die Beschränkung sowie Kontrolle des Landgangs. Die mit-und-gegen-den-Strich-gelesenen mehrheitlich offiziellen Quellen stammen von Reedereien, Kommissionen und Handelskammern, Journalisten und Reisenden, Polizei und Stadtmission, Gewerkschaften und Wohlfahrtsvereinen, Gerichten und indischen Nationalisten. Obwohl die in den Landessprachen verfassten Selbstzeugnisse der Seefahrer nicht einbezogen werden, überzeugt die aus dem Fremdblick gewonnene Darstellung ihrer Arbeits- und Lebenswelt.

Im ersten Kapitel geht es um Vorgeschichte und Verbreitung indischer Seeleute auf europäischen Schiffen. Die ansteigende Beschäftigungszahl auf der Hochseeschifffahrt, insbesondere durch die Peninsular and Oriental Steam Navigation Company (P&O), fiel mit dem Bau des Suez-Kanals zusammen. Da das Einsatzgebiet der kolonialen Arbeiter zuvor auf die Fahrt von asiatischen Häfen nach Suez beschränkt war, öffnete sich ihnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Seeweg nach Europa. Jedoch sorgten fortan Abkommen und Gesetze sowie gegen die preiswerte Konkurrenz mobilisierende Gewerkschaften für einen streng reglementierten und restriktiven Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt.

Das zweite Kapitel behandelt die Rekrutierung und Kontrolle indischer Seeleute von den 1860er- bis in die 1930er-Jahre. Balachandran führt uns in die Arbeitswelt der Häfen Bombays und Kalkuttas, wo viel zu lernen ist über die changierende Rolle der Serang, koloniale Intermediäre, denen die Schifffahrtsgesellschaften freie Hand bei der Auswahl und Anleitung der Seefahrer gaben. Erhellend sind auch die Ausführungen über den Wandel des maritimen Arbeitermilieus um 1880, das zuvor aus Seefahrern aller Küsten des Indischen Ozeans bestand und in indischen Häfen fest verankert war, später stark von Wanderarbeitern aus dem agrarischen Hinterland geprägt war.

Im dritten Kapitel rückt die Arbeit- und Lebenswelt der indischen Seeleute ins Zentrum, genauer der „mobile workplace sailing to far shores where other freedoms and restraints awaited them“ (S. 94). Balachandran zeichnet die rassistisch stratifizierte und hierarchisierte Arbeitswelt am Bord der Ozeandampfer nach. Er erläutert nicht nur Funktion, Fertigkeiten und Arbeitsalltag der Kohletrimmer und Steuermänner, des Kabinenpersonals und Schmierer, sondern zeigt ferner, wie die Kompetenzen und Belastungen der indischen Arbeitskräfte seitens europäischer Akteure diskursiv entwertet wurden. Die detaillierten Ausführungen zum ‚Othering auf hoher See‘ lassen die Dampfschiffe als Mikrokosmos der kolonialen Situation erscheinen. Überstunden blieben unbezahlt, Freizeit systematisch verwehrt, Verpflegung und Schlafraum streng rationiert, das Einsatzgebiet mit Rekurs auf klimatische Argumente auf bestimmte Breitengrade begrenzt. Vom Eigensinn der Seeleute zeugen Anekdoten zum interkontinentalen Kleinhandel mit Essensrationen und wilden Tieren.

Das vierte Kapitel verortet die Seeleute in den sozialen Räumen der Häfen. Mit der Dampfschifffahrt gehörten Seeleute aus den Kolonien zu den „maritime social worlds“ (S. 144) europäischer Hafenstädte, allen voran London. Während des zumeist kurzen Landgangs blieben die Seeleute der P&O in Unterkünften an den Docks. Diese Segregation vom städtischen Leben wussten die Seeleute jedoch zu unterlaufen, was die Moralpanik metropolitaner Akteure anfeuerte, etwa angesichts realer oder imaginierter sexueller Beziehungen mit europäischen Frauen. Mit Ende des 1. Weltkriegs verschärfte sich die Situation, da demobilisierte Kolonialsoldaten eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt darstellten. Zudem drängte ein striktes Staatsbürgerschaftsrecht die indischen Seeleute in die Repatriierung. Abgeschlossen wird das Kapitel mit Ausführungen zu Politisierungen durch die Kommunistische Partei Großbritanniens während der Zwischenkriegszeit.

Das fünfte Kapitel dreht sich um indische Seeleute, die längerfristig in Europa blieben. Balachandran untersucht die – im Vergleich etwa zu Seeleuten chinesischer Herkunft – geringfügige Zahl an Deserteuren. Von ehemaligen Seeleuten geführte Hotels boten Unterschlupf, die Anzahl illegal eingewanderter Inder nahm im Großbritannien der 1920er-Jahre rapide zu. Die Abschnitte zu den beiden Weltkriegen zeichnen das komplexe Bild eines Ausnahmezustands, der den indischen Seefahrern auch neue Möglichkeiten bot. So verweilten etwa kriegsbedingt mehrere Tausend von ihnen in Großbritannien, wo sie Cafés eröffneten und Gewerkschaften oder politischen Vereinigungen beitraten. Zu den dargebotenen „war stories“ (S. 201) gehören Schilderungen über indische Seeleute in Gefangenenlagern sowie Episoden über sinkende Kriegsschiffe und Rettungsbote, in denen die koloniale Ordnung aufrechtgehalten oder zuweilen über Bord geworfen wurde.

Verschiedene Formen von Protest und Widerstand sind Thema des sechsten Kapitels. Die indischen Seeleute versuchten ihr Schicksal positiv zu beeinflussen, in dem sie etwa Schiffe unter dem Kommando unbeliebter Kapitäne mieden, oder sich zu Kriegszeiten in ihre Heimatdörfer zurückzogen. Ort und Zeitpunkt des Protests wählten sie strategisch aus, statt auf hoher See zu meutern, warteten sie den Landgang im Heimathafen ab. Ihre gesetzeskonform vorgebrachten Beschwerden und Forderungen zeugen von einem verblüffenden Wissen um ihre rechtliche Situation. Trotz der hohen Mobilität bildeten sich im maritimen Sektor die ersten indischen Gewerkschaften, die seit der Zwischenkriegszeit weitreichende Verbesserungen einforderten. Die Seeleute gingen in die Arbeitskämpfe als „coolie“ hinein und kamen als „worker“ wieder heraus (S. 253). Das Kapitel schließt mit der gewinnbringenden Rückbindung der Ergebnisse an Debatten der labour history maritimer und indischer Kontexten. Ein knapper Ausblick auf die Zeit nach der Unabhängigkeit rundet die Studie ab.

Obgleich die Studie vereinzelte Vergleiche mit chinesischen Seefahrern anstellt, hätte ihr eine konsequentere Einordnung des indischen Falls in die multinationale und multiimperiale Konstellation kolonialer Seeleute noch mehr Aussagekraft für eine global history of maritime labour verliehen.2 Gerne hätte man mehr erfahren über die urbanen Räume, in denen die indischen Seeleute verkehrten. Die sozialen Netzwerke in britischen und indischen Häfen werden durchaus thematisiert, Verbindungen zu Hafenarbeitern und anderen multiethnisch dominierten Milieus von Tagelöhnern aber nur kurz erwähnt (S. 147, 180). Unter dem Strich richten sich diese Einwände aber nicht gegen das rundum gelungene Buch, welches Ansporn für globalgeschichliche Forschungen gibt, Ansätze der labour und colonial history, maritime und urban studies zusammenzubringen.

„Globalizing labour“ ist eine gut lesbare, abwägend argumentierende Studie, die selbst Lesern ohne Vorkenntnisse indischer Geschichte zugänglich ist. Balachandran schafft es, aus der nicht unproblematischen Quellenlage ein faszinierend komplexes Puzzlebild zusammenzusetzen, das nicht nur die Mikrowelt der indischen Seefahrer zu erkennen gibt, sondern auch den Aufstieg einer weltweiten Schifffahrtsindustrie und einer sich globalisierenden Welt der Arbeit, die bis heute von selektiver Solidarität, konflikthaften Begegnungen und mannigfaltigen Ungleichheiten gekennzeichnet ist.

Anmerkungen:
1 Hervorzuheben etwa ist: Leon Fink, Sweatshops at Sea. Merchant Seamen in the World’s First Globalized Industry, from 1812 to the Present, Chapel Hill 2014.
2 Ähnlich argumentieren Marcel van der Linden und Matthias van Rossum. J. Janet Ewald sowie Diane Frost deuten das Potential verknüpfender Ansätze an. Vgl. Reviews of Gopalan Balachandran, Globalizing Labour? Indian Seafarers and World Shipping, c. 1870–1945 with a Response by Gopalan Balachandran, in: International Journal of Maritime History 25 (2013) 1, S. 275–314.

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Published on
30.10.2015
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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