F. Jacob: Geheimgesellschaften im global-historischen Vergleich

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Title
Die Thule-Gesellschaft und die Kokuryûkai. Geheimgesellschaften im global-historischen Vergleich


Author(s)
Jacob, Frank
Published
Extent
301 S.
Price
€ 48,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Hans Martin Krämer, Institut für Japanologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Der Untertitel der vorliegenden Studie deutet es an: Die moderne deutsche und japanische Geschichte werden hier global-historisch zusammengedacht, jedoch nicht als Verflechtungsgeschichte, wie zuletzt häufiger der Fall1, sondern im Modus des Vergleichs. Bezogen auf die im Titel genannten Geheimgesellschaften stellt die Arbeit die Frage, „ob ähnliche Strukturen und Entwicklungslinien aus exogenen Einflussfaktoren heraus erklärt werden können“ (S. 9). Frank Jacob kommt zu dem klaren Ergebnis, dass seine Untersuchungsgegenstände „erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen“. Die modernen Geheimgesellschaften in Deutschland und Japan hätten „ohne direkten Kontakt“ bestanden, was für ihn die „Transnationalität dieses Phänomens“ unterstreicht (S. 245f.). Das heißt: Der moderne Imperialismus habe sich in Japan und Deutschland ähnlich entwickelt und damit die Voraussetzung für die Entstehung eines bestimmten Typus von Geheimgesellschaft geschaffen. Ganz konkret meint Jacob damit die Konstellation, in der eine außenpolitische Krise im Verbund mit dynamischem gesellschaftlichem Wandel im Inneren ein „imperialistisches Krisenbewusstsein“ unter konservativen Eliten hervorgerufen habe (S. 81).

Die Ähnlichkeit von Thule-Gesellschaft und Kokuryûkai herauszustellen und auf jeweils eigenständige Imperialismen zurückzuführen ist das eine Ziel der Arbeit; in der zweiten Hälfte der Arbeit wird überdies die Leitthese verfolgt, dass beide Gesellschaften auf ähnliche Weise scheiterten, weil ihr Gedankengut „nicht modern genug war, um die Masse der Bevölkerung für ihr Konzept zu gewinnen“; sie hätten sich einer politischen Modernisierung verweigert und seien breiteren sozialen Schichten gegenüber verschlossen gewesen (S. 238, 240).

Um dies im Einzelnen zeigen zu können, holt Jacob weit aus. Die ersten hundert Seiten nach der Einleitung bieten eine Beschreibung traditioneller Geheimgesellschaften von den Freimaurern bis zu den chinesischen Geheimgesellschaften sowie einen ereignisgeschichtlichen Abriss zu Deutschland und Japan seit der Nationalstaatsgründung. Die restlichen etwa 140 Seiten der Arbeit bestehen aus einem direkten Vergleich zwischen Thule-Gesellschaft und Kokuryûkai nach den sechs Kriterien Entstehung, Mitgliederstruktur, Führungspersönlichkeiten, ideologische Vorläufer, Agitation und Einfluss. Wie aus dieser Aufzählung bereits ersichtlich wird, fehlt die Dimension der Ideologie fast völlig. Selbst im Kapitel über ideologische Vorläufer beschränkt sich Jacob weitgehend auf die personellen Verflechtungen, verzichtet aber darauf, gedankliche Zusammenhänge zu rekonstruieren.

Man hält also – bei dem gewählten Thema zunächst etwas überraschend – ein Buch mit klar politik- und ereignisgeschichtlichem Fokus in der Hand. Auf diesem Feld hat Jacob gründlich gearbeitet: Die Stärke der Arbeit ist klar die akribische Rekonstruktion der Ereignisgeschichte und politischer Zusammenhänge auf kleinteiliger Ebene. Dies gelingt Jacob durch Heranziehung zahlreicher Archivquellen, zumeist aus dem Diplomatischen Archiv des japanischen Außenministeriums und dem Bundesarchiv Berlin, aber auch durch Berücksichtigung einer großen Menge Sekundärliteratur. Nicht zuletzt hat sich Jacob durch eine Vielzahl sehr dubioser Darstellungen gekämpft, die von Protagonisten der behandelten Geheimgesellschaften in Form von Memoiren o.ä. angefertigt wurden. Positiv hervorzuheben ist auch die große Menge an japanischer Sekundärliteratur, die Jacob wirklich intensiv nutzt – bei deutschsprachigen Studien keine Selbstverständlichkeit.

Auf der anderen Seite fallen manche beschreibenden Abschnitte auch für den wohlmeinenden Leser einfach zu lang aus. So wird nicht ganz ersichtlich, wieso die Geschichte der Freimaurer bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt wird; ebenso unnötig detailliert erscheint der Abschnitt zur deutschen Kolonialpolitik gegen Ende des 19. Jahrhunderts (S. 70–75). Zwar wird sie als Kontext für die Vorgeschichte der Thule-Gesellschaft wichtig (S. 76), aber ein Verweis auf die reiche Literatur hierzu hätte wohl genügt.

Auch zur Ereignisgeschichte des japanischen Imperialismus gibt es einen sehr langen Abschnitt (S. 81–99), der nicht nur kaum Neues bringt, sondern auch keine überzeugende Synthese liefert. Schon gar nicht berücksichtigt Jacob dabei neuere Deutungen, die überzeugend den „mimetischen Imperialismus“ beziehungsweise „double bind“ des japanischen Imperialismus analysiert haben, der sich zeitgleich mit der Aufgabe der inneren Zivilisierung wie dem an die eigenen Kolonien gerichteten Zivilisierungsauftrag konfrontiert sah.2 Nun geht Jacob für die Konstruktion seiner Studie ja gerade davon aus, der japanische Imperialismus sei sui generis und nicht ein nachgeahmter (S. 85). Die genannten neueren Studien machen jedoch klar, dass der japanische Imperialismus in vielerlei Hinsicht intensive Verflechtungen mit den westlichen Imperialismen des späten 19. Jahrhunderts aufwies. Der Verfasser hätte gut daran getan, sich weniger rigoros allein auf den vergleichenden Ansatz zu beschränken.

Zudem versteift sich Jacob im letzten Drittel des Buches zu sehr darauf, die von vornherein als abwegig erkennbare These des entscheidenden Einflusses von Thule-Gesellschaft auf NSDAP und der Kokuryûkai auf den japanischen Faschismus zu widerlegen. Hingegen fehlt eine nuancierte Bewertung des Einflusses der beiden Gesellschaften, der ja ganz offenbar sehr wohl gegeben war. Der Verfasser selbst verweist auf interessante Verbindungen insbesondere durch die Person Hitlers, das Symbol des Hakenkreuzes und die Zeitung Völkischer Beobachter, nur um diese dann als irrelevant abzutun (S. 230–232). Auf ähnliche Weise werden die zahlreichen Angehörigen der NS-Prominenz, die Verbindungen zur Thule-Gesellschaft hatten, samt und sonders als letztlich „einflusslos“ charakterisiert (S. 242f.) – hier geht es immerhin um Persönlichkeiten wie Gottfried Feder, Alfred Rosenberg, Hans Frank oder Rudolf Heß.

Das größte Manko der Arbeit ist aber wohl die – uneingestandene – Ausblendung der ideengeschichtlichen Dimension. Dies wird ganz deutlich an der sehr schematischen Behandlung des Pan-Asianismus, der den vielleicht wichtigsten politischen Kontext der Kokuryûkai bildete. Für Jacob steht von vornherein fest, dass es sich beim Pan-Asianismus um eine Bewegung der japanischen Rechten handelte (S. 118f.): Eigentlich sei das Eintreten für die Belange anderer asiatischer Nationen nur ein Deckmäntelchen für „eher expansionistische Ziele“ gewesen (S. 161). Die jüngere Forschung hat hingegen deutlich gemacht, dass man zumindest für den Zeitraum vor der Vereinnahmung der pan-asiatischen Bewegung durch den japanischen Staat seit den 1930er-Jahren von einer vielschichtigen Bewegung ausgehen muss, die auch progressive Wurzeln hatte und deren Anhänger vielfach vor Ort in Asien ganz andere Ziele verfolgten als später die japanische Regierung mit ihrer „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“.3

Die fehlende ideengeschichtliche Betrachtung macht sich auch in der naiven Einschätzung der Rolle von Religion durch den Verfasser bemerkbar. Religiöse Elemente der Thule-Gesellschaft und der Kokuryûkai werden nur am Rande genannt und nicht in ihrer Wechselwirkung mit deren politischen Programmen analysiert. Dies gilt für die okkultistischen Neigungen des Vorsitzenden der Thule-Gesellschaft, Rudolf von Sebottendorff (S. 139, 141, 150), ebenso wie für den Kontakt des Vorsitzenden der Kokuryûkai, Uchida Ryōhei, mit der neuen religiösen Bewegung Ōmotokyō. Uchida habe, so Jacob, lediglich „von den finanziellen Möglichkeiten dieser religiösen Strömung “ profitieren wollen (S. 191). Auch bei den interessanten Ausführungen der Kontakte zwischen Kokuryûkai und Islam besteht der Verfasser auf einer dichotomischen Gegenüberstellung von „religiöser Überzeugung“ und „Dienst am Vaterland“ (S. 217), ebenso wie er bei den deutschen Ariosophen lediglich erkennt, diese hätten „rassistisches Gedankengut in einen religiösen Mantel“ gehüllt (S. 153).

Eben hier, auf ideengeschichtlicher Ebene, hätte der Verfasser die globalhistorische Bedeutung der beiden behandelten Geheimgesellschaften plausibel machen können. Statt vergeblich die smoking gun in Gestalt von direkten personellen Verbindungen zwischen Thule-Gesellschaft und NSDAP beziehungsweise Kokuryûkai und führenden japanischen Politiker der 1930er-Jahre zu suchen, hätte eine subtile Verortung der von den beiden Gesellschaften vertretenen Ideen im globalen Wettbewerb der Ideologien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts klar hervortreten lassen, wie repräsentativ sie für ihre Epoche waren. Sie waren nicht die Wegbereiter des Faschismus, aber sie stellten ein bedeutendes, in ihrer Zeit attraktives Angebot dar, dessen sich später erfolgreichere politische Gruppierungen bedienen konnten und bedient haben.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Julian Plenefisch, Faschismus in außereuropäischen Gesellschaften. Zur Bedeutung globaler Verflechtungen: Das Beispiel Nakano Seigo, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61 (2013), S. 807–825.
2 Robert Thomas Tierney, Tropics of Savagery. The Culture of Japanese Empire in Comparative Frame, Berkeley 2010. Nadin Heé, Imperiales Wissen und koloniale Gewalt. Japans Herrschaft in Taiwan 1895–1945, Frankfurt am Main 2012.
3 Jacob scheint diese ihm durchaus bekannte Literatur (vgl. S. 234f.) sehr selektiv gelesen zu haben und lässt den folgenden zentralen Titel unberücksichtigt: Cemil Aydin, The Politics of Anti-Westernism in Asia. Visions of World Order in Pan-Islamic and Pan-Asian Thought, New York 2007.

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29.07.2015
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