T. Schulz-Walden: Anfänge globaler Umweltpolitik

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Title
Anfänge globaler Umweltpolitik. Umweltsicherheit in der internationalen Politik (1969–1975)


Author(s)
Schulz-Walden, Thorsten
Series
Studien zur Internationalen Geschichte 33
Published
München 2013: Oldenbourg Verlag
Extent
X, 401 S.
Price
€ 54,80
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Nicolai Hannig, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Im Politsprech der 1960er-Jahre waren Begriffe wie „Umweltschutz“ oder auch „Umweltpolitik“ weitgehend unbekannt. Noch viel neuer scheint der Terminus „Umweltsicherheit“ zu sein. Was konkret damit gemeint sein könnte, ist auch gegenwärtig vielerorts unklar. Wie sich „Umweltsicherheit“ zudem von anderen Begriffen wie „Umweltkonflikt“ oder „ökologische Sicherheit“ abgrenzen lässt, ist dabei noch weniger verständlich. Die Gemeinsamkeit solcher Konzepte scheint allerdings eine staatliche, eine utilitaristische Dimension zu sein, begreifen sie doch eine stabile soziale und natürliche Umwelt als Voraussetzung für das Wohlbefinden von Bevölkerung und Staat. Im Umkehrschluss ließe sich also folgern, dass die Sicherheit eines Staates auch immer dann gefährdet wird, sobald dessen Umwelt bedroht wird. Diese Denkfigur der 1970er-Jahre wirkt wie ein Musterbeispiel für die politische Markierung eines Themas, das sich offensichtlich bis dato einer systematischen Vereinnahmung der Politik entzogen hatte und nun unter dem semantischen Schirm der „Sicherheit“ politisiert werden sollte.

Diese Politisierung und auch „Versicherheitlichung“ des Umweltthemas analysiert Thorsten Schulz-Walden in seiner Kölner Dissertation, und zwar auf insgesamt drei Feldern: Zum einen blickt er auf die nationale Ebene; er verfolgt Debatten innerhalb der USA, der Bundesrepublik und Großbritanniens. Zum anderen beleuchtet er die internationale Ebene – anhand von Diskussionen innerhalb der NATO, der Europäischen Gemeinschaften und der Vereinten Nationen. Schließlich untersucht der Autor als „Subebenen“ weitere „Kommunikations- und Interaktionsräume“ (S. 14), wie etwa das „Committee on the Challenges of Modern Society“ (CCMS) der NATO, die Entwicklung des ersten EG-Umweltaktionsprogramms oder die „United Nations Conference on the Human Environment“ in Stockholm von 1972.

Als Akteure stehen auf allen drei Ebenen nationale politische und administrative Entscheidungsträger sowie Experten im Vordergrund. Zudem „spielen öffentliche, publizistische Diskussions-Rückkopplungen eine Rolle“ (S. 15). In ihrer etwas eklektizistisch wirkenden Methodik folgt die Arbeit dabei bekannten Prämissen des historischen Vergleichs, der Diskursanalyse, politischen Geschichte, Öffentlichkeits-Forschung, Wissensgeschichte und Expertenkulturen sowie der Netzwerkanalyse. Eher unklar bleibt hierbei allerdings die Begriffsgeschichte des für die Studie zentralen Bezugspunktes der „Umweltsicherheit“ – zeitlich jedenfalls sieht Schulz-Walden diese im Rückgriff auf zeitgenössische Publikationen als Konzept der 1980er-Jahre. Reflexionen über Quellen- und Analysesprache wären daher von Vorteil gewesen, zumal der Verfasser das Aufkommen des Begriffes kurz nach dem Ende seines Analysezeitraums verortet. Ferner wirkt der in der Einleitung angedeutete Aktualitätsbezug zu großen Katastrophen wie dem Hurrikan Katrina oder dem Reaktorunglück von Fukushima etwas willkürlich, zumal der Autor selbst im Laufe seiner Studie einige ähnliche Großereignisse aus vergangenen Jahrzehnten aufzählt, die seine Argumentation hier eher im Kontext aktueller Streitigkeiten um den Konnex zwischen Klimawandel und Naturkatastrophen erscheinen lassen.

Die sechs Analysekapitel sind erfreulicherweise allesamt so aufgebaut, dass sie die drei Vergleichsnationen nicht getrennt voneinander, sondern integriert behandeln. Im ersten der chronologisch angelegten Abschnitte zeichnet Schulz-Walden, gewissermaßen als Kontextualisierung des eigentlichen Untersuchungszeitraums, die Umweltentwicklungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach. Dabei stellt er heraus, dass es in erster Linie Initiativen zur Luftreinhaltung waren, die eine vor allem sektorale Aufmerksamkeitsökonomie in Gang setzten. Im Vordergrund standen sichtbare Probleme, die man seitens der Administration technisch zu lösen versuchte. Dennoch begreift Schulz-Walden ähnlich wie andere Forschungen zur Umweltgeschichte die Nachkriegszeit als Sensibilisierungsphase für umweltbezogene Probleme, die sich in Form von regionalen und überregionalen Verschmutzungen sowie den jeweils vor Ort aufkeimenden Schutzansprüchen ihren Weg in breitere Öffentlichkeiten bahnten.

Als „mentalen Faktor“ betrachtet Schulz-Walden anschließend die Umweltpolitik in den Scharnierjahren etwa zwischen 1967 und 1972 – „mental“ deshalb, weil staatliches Umweltengagement vor allem auf Ängsten beiderseits des Atlantiks beruht habe: der Angst vor dem Verfall von Natur und Umwelt, der Angst vor einem darauf gründenden wirtschaftlichen Niedergang oder auch der Angst vor einem ohnmächtigen Staat. Die zügige Formierung und Organisation einer ganzen Umweltbürokratie lasse sich daher letztlich aus einem zusätzlichen Ansporn erklären, da Umweltpolitik die Möglichkeit staatlicher Vertrauensbildung zu bieten schien. Die vielen Ökoalarme und prophezeiten Umweltapokalypsen sieht Schulz-Walden daher nicht zuletzt als Wegbereiter politischer Handlungsräume und Planungen.

Anfang der 1970er-Jahre begann eine Phase der Projektlancierung innerhalb der NATO. Die USA beispielsweise brachten ein so genanntes Katastrophenhilfeprojekt auf den Weg, das sich gezielt mit Ursachen und Wirkungen auch von Gefährdungen durch die Natur, nicht nur der Natur beschäftigte. Die Ziele waren eine Versorgungsoptimierung im Katastrophenfall sowie die Erprobung verschiedener Präventivmaßnahmen. Kontexte des Kalten Krieges waren dabei kaum zu übersehen, standen Projekte wie diese doch in engem Zusammenhang mit „Preparedness“-Konzepten, die vorsahen, nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen „Ernstfall“ gewappnet zu sein. Kennzeichen solcher und anderer Projekte, so Schulz-Walden, blieb allerdings der Versuch, Umwelt- und Naturgefahren systematisch zu verwissenschaftlichen und damit als Risiken umzudefinieren. Dies waren in erster Linie internationale Entwicklungen, die sich nicht zuletzt am Eintritt der NATO oder des Europarats in die Umwelt-Arena sowie ersten Konferenzen unter deren Schirmherrschaft ablesen ließen.

Den Beginn einer erstmals systematischen Sicherheits- oder besser Unsicherheitsargumentation sieht Schulz-Walden im Kontext der EG-Kommissionspolitik in den Jahren 1971/72, die nun verstärkt auf externe Fachleute setzte. Diese kolportierten, Umweltpolitik entspreche einem Kollektivbedürfnis nach sicheren und stabilen Lebensbedingungen und müsse demnach als „Suche nach Lebensqualität“ projektiert werden (S. 233). Hier anklingende Dimensionen auch sozialer Konfliktprävention gerieten allerdings schnell in den Hintergrund, während die Großorganisationen internationale Umweltpolitik mehr und mehr in das Fahrwasser von Sicherheits-, Stabilitäts- und Friedensstiftung manövrierten. Dieser Kurs verstärkte sich noch einmal mit der Ölpreiskrise von 1973/74, legitimierte sie doch aus Perspektive westlicher Experten und Politiker ein vorwiegend sicherheitsorientiertes Energiehandeln. Nun verdrängte die „Energiesicherheit“ auch die übrigen politischen Konzepte zur Umweltsicherheit. Was vorerst blieb, waren stark verkleinerte Expertengruppen, die fortan die ökologischen Abdrücke der sich rapide wandelnden Energielandschaften zu bewältigen hatten.

Thorsten Schulz-Waldens Studie über Debatten zur Umweltsicherheit durchdringt die zerfahrenen Argumentationen der verschiedenen Groß-Gremien europäischer und internationaler Ebenen auf erhellende Weise. Die heuristischen Potenziale etwa des Sicherheitsbegriffs hätte der Autor im Verlaufe der Analysen jedoch noch häufiger ausschöpfen können. So kontextualisiert Schulz-Walden zum Beispiel die Motive, warum den Akteuren der Umweltpolitik gerade der Sicherheits-Begriff und nicht etwa der Begriff des Schutzes lohnend erschien, nur in Ansätzen. Parallelen oder Korrelationen zu den Debatten über nichtstaatliche Umwelt-Akteure, die sich zeitgleich international aufstellten und ebenfalls sicherheitspolitische Anleihen machten, zeigt er nur selten auf. Meist sind sie lediglich unter der Sammelbezeichnung „NGO“ erwähnt. Greenpeace beispielsweise taucht im ansonsten umfangreichen Register erst gar nicht auf. Zwar ist in diesem Buch viel von „Sicherheitskulturen“ mal globaler, mal europäischer, mal konkurrierender Art die Rede.1 Was aber genau eine solche „Kultur“ auszeichnet, was Umweltsicherheitspolitik von Umweltpolitik unterscheidet, bleibt bisweilen unklar. Dennoch überwiegt ein positiver Gesamteindruck – nicht zuletzt deshalb, weil sich die Ergebnisse auf eine konsequent eingehaltene internationale Perspektive stützen.

Anmerkung:
1 Zum Begriff und Problemfeld siehe aus sozialwissenschaftlicher Perspektive vor allem das BMBF-Projekt „Sicherheitskultur im Wandel“: <http://www.sicherheitskultur.org> (3.12.2013).

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10.01.2014
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