D. Bleichmar: Visible Empire

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Title
Visible Empire. Botanical Expeditions and Visual Culture in the Hispanic Enlightenment


Author(s)
Bleichmar, Daniela
Published
Extent
286 S.
Price
€ 44,33
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Stefanie Gänger, Universität zu Köln

Etwa 12 000 Zeichnungen amerikanischer und asiatischer Flora zeugen von den botanischen Expeditionen nach Chile und Peru (1777–88), Neugranada (1783–1816), Neuspanien (1787–1803), und der Pazifik-Expedition unter Alejandro Malaspina (1789–1794) – ein beeindruckendes visuelles Archiv, dessen Geschichte die Kunst- und Wissenschaftshistorikerin Daniela Bleichmar in „Visible Empire“ aufarbeitet.1

Bleichmar beginnt ihre Darstellung mit einem Überblickskapitel zur Geschichte der botanischen Expeditionen im weiteren Kontext der bourbonischen – wissenschaftlichen, ökonomischen und administrativen – Neuordnung der amerikanischen Kolonien unter Karl III. und Karl IV. (1759–1808). Die Aufgaben und den Zweck der Expeditionen erläutert Bleichmar an späterer Stelle im Buch noch im Detail (besonders in Kapitel IV): Die taxonomische Erfassung der amerikanischen Pflanzenwelt, das Sammeln von Pflanzen für den Königlichen Botanischen Garten und das Königliche Naturhistorische Kabinett in Madrid und die Suche nach neuen, ökonomisch und medizinisch nutzbaren Arten – amerikanischen Substituten für Muskatnuss, Zimt oder Pfeffer, die Spanien zu teuren Preisen importierte, beziehungsweise nach neuen Wachstumsgebieten bekannter Arten wie Chinarinde.

Bleichmar erläutert in einem zweiten Kapitel die Bedeutung visueller Epistemologie – des botanischen Sehens – in der europäischen Naturkunde des 18. Jahrhunderts. Die besondere Fähigkeit des Botanikers lag in seinem geschulten Blick, der durch die Oberfläche hindurch die Geheimnisse der Natur – die Anzahl der Staubblätter und Stempel einer Pflanze und ihre strukturelle Anordnung – offenzulegen, „objektiv“ wiederzugeben und taxonomisch einzuordnen wusste. Naturkunde bestand darin, Pflanzen, Abbildungen und Text in ein Dreiecksverhältnis zu setzen: Forscher verglichen das in der Natur gesehene mit den Abbildungen in Handbüchern, Reiseberichten und Studien und brachten so Korrekturen oder – im besten Fall – neue Arten in die Literatur ein. Darauf aufbauend entwickelt die Autorin eine der zentralen Prämissen ihres Buches: Zeichnungen waren nicht nur langlebiger und robuster als verblühende, zerbrechliche Pflanzen, sie waren als idealtypische Abbildungen oftmals aussagekräftiger als die Wirklichkeit für die Zwecke der Forscher der Zeit; sie waren weniger Illustrationen als vielmehr Instrumente und Ergebnisse naturkundlichen Forschens.

Vor diesem Hintergrund wendet sich die Autorin in den Kapiteln drei bis fünf dem zentralen Thema ihres Buches zu, der künstlerischen Produktion in den Expeditionen im engeren Sinne. Bleichmar untersucht zunächst die Rekrutierung, Ausbildung und Arbeitsweise der botanischen Zeichner. Während die Zeichner der früheren Expeditionen nach Peru und Chile noch aus der Königlichen Akademie der Künste in Madrid rekrutiert worden waren, engagierten die Expeditionen nach Neuspanien und Neugranada zunehmend, und bald ausschließlich, amerikanische Künstler aus Mexiko, Popayán, Santa Fé de Bogotá oder Quito, die in Werkstätten vor Ort ausgebildet wurden und unter Anleitung der Botaniker zeichneten. Bleichmar zufolge entwickelte sich besonders in der Künstlerwerkstatt der Neugranada-Expedition – der mit einer Produktion von 6.500 Zeichnungen weltweit größten Sammlung botanischer Abbildungen aus der Neuen Welt – ein eigener, „amerikanischer Stil“ botanischen Zeichnens, der sich in seiner Hinwendung zu Symmetrie und Flächigkeit, in den opaken Temperafarben und der Anordnung der Elemente von europäischen Konventionen deutlich abhob.

Die Autorin kontrastiert die bildliche Sprache der botanischen Zeichnungen abschließend mit der anderer naturkundlicher Darstellungen im spanischen Amerika des 18. Jahrhunderts. Während etwa Castas-Gemälde eine enge Verbindung von amerikanischer Flora, Fauna, Land und Leuten suggerieren, zeigen die Zeichnungen aus dem Umfeld der botanischen Expeditionen dem Raum entnommene, „entwurzelte“ Fragmente – einzelne Äste, Blätter oder die Anatomie der Pflanzen. Das Ausblenden der sie umgebenden Welt war ein wichtiger Aspekt des naturkundlichen Kodexes der Zeit, so die Autorin, der bewusst die Fremdheitserfahrung, die Darstellungen amerikanischen Natur noch im Barock akzentuiert hatten, zurücknahm und die Bilder zu global beweglichen Zeichen machte.

Es ist diese Beweglichkeit der Zeichnungen, auf die die Autorin immer wieder abhebt: Viele der bekanntesten Darstellungen amerikanischer Naturalia des 16. und 17. Jahrhunderts waren in Europa entstanden; oft waren die Autoren nie in Amerika gewesen und ihre Darstellungen waren fantastisch oder stereotyp. Das Besondere an den Zeichnungen der botanischen Expeditionen war, dass sie vor Ort angefertigt worden waren – sie waren einzigartig und wertvoll in einer Zeit, in der die europäische Naturkunde zunehmend Wert auf Eindeutigkeit, Präzision und in situ-Beobachtungen legte. Bleichmar betont, wie weitläufig die Expeditionen durch diese „beweglichen Zeichen“ wissenschaftlich eingebunden waren – in ein dichtes Netz von Akademien, botanischen Gärten, Sammlungen und gelehrten Gesellschaften in Spanien und seinen Kolonien, aber auch in weitere, europäische Zusammenhänge. Gerade für französische oder schwedische Botaniker auf der anderen Seite des Atlantiks waren die Zeichnungen der botanischen Expeditionen, die ihnen über persönliche oder institutionelle Kontakte mit den Mitgliedern der Expeditionen oft lange vor ihrer Publikation zugingen, eine Möglichkeit, über weite Distanzen zu „sehen“. Bleichmar legt einen besonderen Fokus auf diese Anbindung iberischer Naturkunde an die europäische Gelehrtenrepublik: Ihre Arbeit fügt sich damit in eine seit Jahren pulsierende Forschungsdebatte ein, deren Vertreter die iberische Wissenschaft der Frühen Neuzeit in einen breiteren europäischen Kontext einzuschreiben suchen und gegen die Vorstellung angehen, die Geschichte des Wissens und der Wissenschaft in der iberischen Welt sei isoliert von, rückständig im Vergleich zu, oder Antithese zur nordatlantischen Aufklärung und wissenschaftlichen Moderne gewesen.2

Manche Fragen in „Visible Empire“ müssten mit größerer Präzision gefasst, in weitere Debatten eingebettet und expliziter beantwortet werden: Bleichmar wertet etwa die Ergebnisse der Expeditionen als ökonomischen Misserfolg, bleibt aber bezüglich der Gründe für diesen Misserfolg im Vagen; sie spricht von einer außergewöhnlich großen Bedeutung des Bildlichen in der iberoamerikanischen naturkundlichen Tradition, unterlässt es aber, diese durch Verweise auf andere kulturelle Kontexte in Relation zu setzen. Die Autorin wird auch nicht müde, auf die rhetorische Wende in der bourbonischen Ökonomie zu verweisen – die Abwendung von Edelmetallen und die Hinwendung zu „grünem Kapital“ („the turn from precious metals to green capital“, S. 30) – lässt dabei aber die Tatsache unerwähnt und unkommentiert, dass selbst zwischen 1782 und 1796 noch 56% des Wertes aller amerikanischen Importe nach Barcelona und Cádiz aus amerikanischen Silber kamen.3 Leserinnen und Leser, die sich von Daniela Bleichmars Buch neue Erkenntnisse zur Geschichte der ökonomischen Botanik im spanischen Weltreich oder die eingangs versprochenen Einblicke in die iberische Aufklärung und Naturkunde erhoffen, werden nur teilweise finden, was sie suchen. Die Stärke und Originalität von Daniela Bleichmars Arbeit liegt tatsächlich in der kunsthistorischen Analyse der Zeichnungen – deren Bildsprache, Entstehungskontext und Bedeutung. Und es sind nicht zuletzt die Zeichnungen selbst, die bestechen und eben den Protagonisten-Status einnehmen, den sie Bleichmars Argumentation zufolge in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts innehatten. Daniela Bleichmars Band ist aufwendig mit vielen der im Text besprochenen Zeichnungen bebildert, und die feinen, detailreichen kolorierten Zeichnungen sprechen in gewisser Weise heute noch für sich. Sie erzählen, im Gleichklang mit Bleichmars klarer, geradliniger Sprache, von den Mühen, der Aufmerksamkeit und dem Sachverstand, die einst in ihre Entstehung eingegangen sein müssen.4

Anmerkungen:
1 Daniela Bleichmar ist promovierte Wissenschaftshistorikerin und derzeit Professorin für Geschichte und Kunstgeschichte an der University of Southern California.
2 Jorge Cañizares Esguerra, Iberian Colonial Science, in: Isis 96 (2005), S. 64–70; Juan Pimentel, The Iberian Vision. Science and Empire in the Framework of a Universal Monarchy, 1500–1800, in: Osiris. A Research Journal Devoted to the History of Science and its Cultural Influences 15 (2000), S. 17–30. Bleichmar selbst hat sich bereits mit verschiedenen Beiträgen und einem Sammelband an diesen Debatten beteiligt: Daniela Bleichmar, Atlantic Competitions. Botany in the Eighteenth-Century Spanish Empire, in: James Delbourgo / Nicholas Dew (Hrsg.), Science and Empire in the Atlantic World, New York 2008, S. 225–54; dies., A Visible and Useful Empire. Visual Culture and Colonial Natural History in the Eighteenth-Century Spanish World, in: dies. u.a. (Hrsg.), Science in the Spanish and Portuguese Empires, 1500–1800, Stanford 2009, S. 290–310.
3 John Fisher, Commercial Relations Between Spain and Spanish America in the Era of Free Trade, Manchester 1985, S. 71.
4 Einige der Bilder der botanischen Neugranada-Expedition sind online, auf den Seiten des Botanischen Gartens Madrid: <http://www.rjb.csic.es/icones/mutis/paginas> (12.10.2013).

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25.10.2013
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