W. Apoh u.a. (Hrsg.): Germany and its West African Colonies

Title
Germany and Its West African Colonies. „Excavations“ of German Colonialism in Post-Colonial Times


Author(s)
Apoh, Wazi; Lundt, Bea
Series
Afrikanische Studien/African Studies 49
Published
Münster 2013: LIT Verlag
Extent
258 S.
Price
€ 34,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Jan Severin, Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Forschungsliteratur zum deutschen Kolonialismus hat sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht. Der Fokus liegt allerdings weiterhin auf bestimmten Kolonien – vor allem auf Deutsch-Südwestafrika – und auf bestimmten Fragestellungen, etwa den Genoziden an Herero und Nama, den so genannten „Rassemischehen“ oder der Kolonialbelletristik. Anderes bleibt nach wie vor spärlich beleuchtet. Zudem – und hier ist eine deutliche Leerstelle zu vermerken – konzentriert sich die Rezeption von Forschungen zu deutschen Kolonialismus zumindest hierzulande primär auf Arbeiten aus dem deutschsprachigen oder dem angloamerikanischen Raum, Positionen und Forschungen aus den ehemaligen Kolonien finden hingegen kaum Beachtung.

Der von Wazi Apoh und Bea Lundt herausgegebene Sammelband „Germany and its West African Colonies. ‚Excavations‘ of German Colonialism in Post-Colonial Times“ veranschaulicht deutlich, dass hierfür nicht ein Mangel an Forschungen aus diesen Ländern ursächlich ist. Der Band versammelt Forscher/innen insbesondere aus Ghana und Kamerun, die sich in 13 Artikeln dem deutschen Kolonialismus in Westafrika und seiner Bedeutung für die (post-)kolonialen Gesellschaften in den ehemaligen Kolonien widmen. Entstanden sind die Beiträge vor dem Hintergrund einer Konferenz an der Universität in Winneba/Ghana zu „German Colonialism in West Africa. Implications for German-West African Partnership in Development“, die vom 29. September bis 1. Oktober 2011 stattfand.

Die begrenzte Rezeption von Arbeiten aus den ehemaligen Kolonien in der deutschsprachigen Forschungslandschaft zum deutschen Kolonialismus wie auch verschiedene andere Problematiken, die mit der Forschung zu diesem Thema einhergehen, werden im einleitenden Artikel von Bea Lundt diskutiert. Ihr Ausgangspunkt sind dabei Forderungen westafrikanischer Historiker/innen nach einer gemeinsamen Erforschung des deutschen Kolonialismus in der Region im Rahmen von Forschungskooperationen und deren Kritik, dass von deutscher Seite bislang nur wenig Bewusstsein für diese geteilte Geschichte vorhanden sei und die Verantwortung für den Kolonialismus in Westafrika oft auf Frankreich und Großbritannien abgeschoben werde (S. 9). Als Beispiel für die Verflechtung deutscher und westafrikanischer Geschichte wie für die Bedeutung des deutschen Kolonialismus in dieser Region verweist sie auf die deutsche Beteiligung am internationalen Sklavenhandel an der afrikanischen Westküste. Die Rolle, die hierbei insbesondere der brandenburgischen Kolonie Groß-Friedrichsburg zukam, die 1683 an der Küste Ghanas errichtet wurde, sei in der deutschen Forschung lange Zeit wenig beachtet worden. Während die an der Küste gelegenen Sklavenfestungen – wie zum Beispiel Cape Coast Castle – zentrale Orte einer unter anderem in Ghana sehr lebendigen und aktiven Erinnerungspolitik seien, sei das deutsche Bewusstsein für diese Geschichte noch wenig ausgeprägt. Daher fordert sie nicht nur eine intensivere Auseinandersetzung mit dieser Geschichte, sondern vor allem auch eine stärkere Kenntnisnahme und Berücksichtigung der Forschungen und Arbeiten, die in Afrika entstanden sind. Auch über die bekannteren kolonialen Praktiken an der Küste hinaus sollten die Auswirkungen des Kolonialismus im Inneren und die Agency der Bewohner/innen dieser Regionen (S. 21) in den Blick genommen werden. Hierfür sei der Austausch von westafrikanischen und deutschen Forscher/innen hilfreich.

Die Artikel des Sammelbandes widmen sich der deutschen Kolonialherrschaft in verschiedenen Regionen Westafrikas von unterschiedlichen Fragestellungen aus, wobei die Aktivitäten der deutschen Mission und die koloniale Wirtschaftspolitik rund um die Versuche, den Baumwollanbau zu fördern, zumindest zwei der thematischen Schwerpunkte sind, die sich durch mehrere Artikel ziehen. Viele Beitragende stützen sich neben der Bearbeitung von Archivquellen auf Ansätze der Oral History, um unter anderem die Perspektive lokaler Bevölkerungen auf die deutschen Kolonialpraktiken herausarbeiten zu können. In seinem Artikel zu „Archaeology and Heritage Development: Repacking German/British Colonial Relics and Residues in Kpando“ verbindet Wazi Apoh zudem Archivrecherchen, Oral History, ethnologische Ansätze und archäologische Forschungen, um der Bedeutung kolonialer Herrschaft für die Region Kpando nachzugehen. Diese betrachtet er nicht isoliert, sondern zeigt immer wieder die Rückwirkungen der breiteren Kolonialpolitik zunächst in der deutschen Kolonie Togoland und später dann in der britischen Kolonialherrschaft auf die Region auf. Durch die Verbindung verschiedener Forschungsansätze mit dem Blick auf unterschiedliche Ebenen kolonialer Herrschaft gelingt es ihm, ein komplexes und dynamisches Bild der Auswirkungen kolonialer Herrschaft auf die Kpando-Region zu zeichnen, ohne die Agency der lokalen Bevölkerung aus dem Blick zu verlieren.

Der Fokus auf das Wirken kolonialer Strukturen und Akteure an konkreten Orten, der sich in mehreren Artikeln findet, stellt insgesamt eine der Stärken des Sammelbandes dar. Die dichte Analyse lokaler kolonialer Situationen erweist sich als sehr produktiv für eine Untersuchung kolonialer Herrschaft. Dies gilt unter anderem für den Artikel von Alhaji Alhassan I. Sulemana, der den Auswirkungen der deutschen Kolonialherrschaft in Dagbon unter anderem anhand einer Schlacht 1896 bei Adibo und der deutschen Interventionen in die Praktiken bei der Amtseinsetzung lokaler Anführer nachgeht, wie auch für den den Sammelband abschließenden Beitrag von Samuel Aniegye Ntewusu zum deutschen Kolonialismus und dessen Nachwirkungen in Kete-Krachi.

Eine weitere Stärke des Sammelbandes liegt darin, dass viele Artikel sich nicht nur auf eine Betrachtung der deutschen Kolonialphase begrenzen, sondern den englischen Kolonialismus in Westafrika mit in den Blick nehmen. Dies erscheint gerade hinsichtlich der Konkurrenz um bestimmte Gebiete zwischen den beiden Kolonialnationen in den 1880er-Jahren, der gegenseitigen Rezeption des jeweiligen Vorgehens und der Übernahme der kolonialen Kontrolle durch die Engländer in Teilen der deutschen Kolonialterritorien nach 1914 bei der Betrachtung bestimmter Thematiken und Regionen schlüssig. So kann zur Analyse der Spezifiken wie der Gemeinsamkeiten verschiedener europäischer Kolonialismen beigetragen werden. Überzeugend ist hier der Artikel von Flavius Mayoa Mokake und Henry Kam Kah zur deutschen kolonialen Gesundheitspolitik im kolonialen Kamerun und deren Auswirkungen auf Gesundheitsinitiativen in den späteren englischen Territorien. Sie wie auch Walter Gam Nkwi in seinem Artikel zu den – teils wenig erfolgreichen – Versuchen von Seiten der englischen Kolonialverwaltung und -regierung, eine „De-Germanisierung“ der Kolonialpolitik in Kamerun zu betreiben, machen deutlich, dass ein Bewusstsein über die Formen und Auswirkungen deutscher Kolonialpolitik für ein Verständnis nachfolgender englischer und französischer Kolonialherrschaft überaus relevant ist, trotz der kürzeren Dauer.

Auch in anderer Hinsicht werden in dem Sammelband immer wieder gängige Annahmen zu kolonialer Herrschaft und kolonialen Gesellschaften kritisch beleuchtet. Edem Atoy arbeitet in seinem Beitrag zur Bedeutung des deutschen Kolonialismus für die Herausbildung einer gemeinsamen Ewe-Identität heraus, dass rigorose koloniale Grenzziehungen, die oft ohne ein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Verhältnisse lokaler Bevölkerungen administrativ durchgesetzt wurden, durchaus nicht immer nur trennende Wirkungen hatten. Im von ihm analysierten Fall der Ewe stellten sie – ebenso wie die Bildungspolitik der Missionare (S. 64f.) – ein konstitutives Element für die Entwicklung bzw. Stärkung einer gemeinsamen, dynamischen Identität dar (S. 62). Deutlich werden hier die nicht intendierten Effekte kolonialer Herrschaft (S. 58).

Der Sammelband nimmt jedoch nicht nur die Formation von Identitäten indigener Gruppen in den Blick. Alexandra Nehmer und Hannah Lamprecht befassen sich in ihrem Beitrag unter anderem anhand ihrer eigenen Erfahrungen im Verlauf der Forschung damit, welche Bedeutungen und welche – auch problematischen – Auswirkungen es hat, vor Ort aus deutscher Perspektive zu Kolonialismus in Westafrika zu forschen. Ihre kritische Reflexion eigener Forschungsannahmen vermittelt dies einleuchtend am eigenen Thema und zeigt zugleich auf, dass eine solche Perspektive ausgesprochen produktiv sein kann. Unter anderem vor dem Hintergrund dieser Reflexion schreiben sie Kolonialismus bei der Herausbildung und Formung von Identitäten eine wichtige Stellung zu. Dabei zeigen sie nachvollziehbar, dass der deutsche Kolonialismus trotz seiner thematischen Marginalisierung in Deutschland von breiter Bedeutung für die Ausformung deutscher Identität war (S. 146). Nicht ganz so nachvollziehbar ist jedoch ihre Behauptung, dass die Rückwirkungen des Kolonialismus auf Deutschland und eine deutsche Nationalidentität weitgehend vernachlässigt werden würden. Dementgegen stehen, beeinflusst unter anderem durch postkoloniale Ansätze, verflechtungsgeschichtliche Zugänge und kritische Stimmen aus den ehemaligen Kolonien, mittlerweile auch in der deutschsprachigen Forschung eine Vielzahl an Arbeiten, die sich den „Rückwirkungen“ des Kolonialismus widmen. Als Beispiele könnten hier etwa die Arbeit von Anja Laukötter zu Völkerkundemuseen zu Anfang des 20. Jahrhunderts oder Sandra Maß’ Forschung zu kolonialer Männlichkeit in Deutschland nach 1918 genannt werden.1

Schließlich ist noch hervorzuheben, dass zumindest einige der Autor/innen mit ihren Beiträgen nicht nur eine wissenschaftliche bzw. wissenschaftspolitische Agenda überzeugend zu verfolgen wissen, sondern auch praktische Vorschläge für den Umgang mit kolonialen Erinnerungsorten erarbeiten, welche eine erinnerungspolitische Perspektive mit konkreten sozialen Projekten an diesen Orten verbinden und so eine doppelte Aktualität herausstellen. Insbesondere Wazi Apohs Beitrag liefert eine Vielzahl von Überlegungen dazu, wie die kolonialen Erinnerungsorte in der Kpando-Region bewahrt und gleichzeitig zu Orten eines nachhaltigen Tourismus sowohl hinsichtlich deutscher wie lokaler Geschichte werden könnten, von dem die Bevölkerung vor Ort profitieren würde. Dies verbindet er unter anderem mit der Forderung nach der Rückgabe geraubter Kulturgüter, die Teil der Repräsentation von Geschichte an diesen Erinnerungsorten sein könnten oder diese teilweise auch erst ermöglichen würden.

Der Sammelband vereint eine Vielzahl lohnender Artikel und Perspektivierungen, die ihn zu einem wichtigen und spannenden Beitrag zur Forschung zum deutschen Kolonialismus machen und ihm eine breite Beachtung in der Forschungslandschaft wünschen lassen.

Anmerkung:
1 Anja Laukötter, Von der „Kultur“ zur „Rasse“ – vom Objekt zum Körper? Völkerkundemuseen und ihre Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2007; Sandra Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918–1964, Köln 2006.

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Published on
03.04.2014
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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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