A. Hammond: British Literature and the Balkans

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Title
British Literature and the Balkans. Themes and Contexts


Author(s)
Hammond, Andrew
Series
Studia Imagologica 16
Published
Amsterdam 2010: Rodopi
Extent
321 S.
Price
€ 67,18
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Stefan Troebst, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Universität Leipzig

Der Balkan als rückständige und unhygienische, aber auch als heroische und geheimnisvolle Peripherie Europas ist mehr als in anderen europäischen Literaturen in der britischen ein beliebtes Sujet, wie zuletzt Vesna Goldsworthy in Inventing Ruritania. The Imperialism of Imagination (New Haven, 1998) beschrieben und Maria Todorova in ihrer brillianten Studie Imagining the Balkans (Oxford, 2. Aufl. 2009) analysiert hat. Andrew Hammond, Senior Lecturer in English Literature an der britischen University of Brighton, hat nun neuerlich das Schleppnetz ausgeworfen und über 300 literarische Texte der Gattungen Fiction und Reisebeschreibung von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des 20. auf ihre positiven wie vor allem negativen Balkan-Stereotypen abgeklopft. Das Ergebnis ist seiner Fülle wegen erschlagend, wie bereits die 25seitige Bibliographie belegt.

Zwar hat der Verfasser seine Funde auf zehn Kapitel verteilt, doch strukturieren deren thematische Foci das Material nur unzureichend. Überschriften wie „Through Savage Europe“, „An Escape from Decadence“ oder „Romantic Fiction“ sind zu vage, um analytische Unterscheidungen zu treffen. Hilfreich immerhin ist sein dreiteiliges Periodisierungsschema der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, der Zwischenkriegs-, Kriegs- und Kalter Kriegszeit sowie der Kriege im zerfallenen Jugoslawien der 1990er Jahre. Allerdings wird dieses Muster nicht in allen Kapiteln durchgehalten. Die Folge für den Leser ist die akute Gefahr des Ertrinkens in der präsentierten Stofffülle – bei zunehmender Ermüdung aufgrund eines Bombardements mit pejorativen Originaltermini. Diese Kaskaden negativer Regionalcharakterisierungen haben nur anfänglich gewissen Unterhaltungswert und erreichen rasch ihren Sättigungsgrad. Der leserunfreundliche Satzspiegel und die Unsitte, Fußnoten in Anmerkungen am Kapitelende umzuwandeln, tun ein ihres.

Trotz dieses embarrassment of riches vermisst man in Hammonds Darstellung doch eine Reihe von Titeln. Von Eric Ambler (1909-1998) etwa werden zwar The Mask of Dimitrios (1939) und Judgement on Deltchev (1951) behandelt, nicht aber der spannend-sachkundige Makedonien-Roman The Schirmer Inheritance (1953) – eine Lücke, die bereits Goldsworthys genanntes Buch enthält. Und deutlich stiefmütterlicher als Goldsworthy behandelt Hammond den schriftstellernden Diplomaten David Footman (1895-1983), der nach langen und offenkundig frustrierenden Jahren als britischer Vize-Konsul in Skopje nach 1945 eine zweite Karriere als Rußlandhistoriker in Oxford machte. Seine bissigen Romane Balkan Holiday (1935) und Pig and Pepper. A Comedy of Youth (1936), in denen er seine makedonischen Erlebnisse und Erfahrungen sarkastisch aufbereitet hat, sind trotz gelegentlicher Neuauflagen heute nur noch antiquarisch erhältlich. Erschöpfend hingegen ist Hammonds Darstellung des Oeuvres von Malcolm Bradbury (1932-2000), der sein negatives Balkanstereotyp in die Form eines fiktiven Landes namens Volksrepublik Slaka gegossen hat, welches ihm zufolge charakteristische Züge Bulgariens mit denen Vietnams, Chinas und Polens kombiniert – Rates of Exchange (1983), Why Come to Slaka? (1986) und Doctor Criminale (1992). Im Unterschied zu Footman waren Bradbury und Ambler wohl nie an den Schauplätzen ihrer Balkan-Romane gewesen. Während Ambler seine umfassenden erlesenen Regionalkenntnisse an einigen Stellen durchscheinen lässt, so etwa in der kunstvollen Modellierung seinen Antihelden Yordan Deltschev mittels Zugriff auf die Biographien mehrerer realer Figuren der bulgarischen Zeitgeschichte wie Nikola Petkov und Trajčo Kostov, gleitet Bradbury gelegentlich ins plumpe Vorurteil ethnischer wie ideologischer Art ab.

Wie britisch ist nun aber das britisch-literarische Interesse am Balkan? Mit Blick auf deutsche Erfolgsautoren des 19. Jahrhunderts mit balkanischen Sujets wie Karl May, aber auch auf lebende wie Sibylle Lewitscharoff (Apostoloff, 2009), in geringerem Masse auf Ilija Trojanow (Hundezeiten. Heimkehr in ein fremdes Land, 1999) oder Angelika Schrobsdorff (Die Reise nach Sofia, 1983; Grandhotel Bulgaria. Heimkehr in die Vergangenheit, 1997), nimmt sich der Unterschied auf den ersten Blick als nicht allzu groß aus. Der zweite Blick macht indes die gänzlich verschiedenen quantitativen Verhältnisse deutlich: Aus deutscher Sicht ist der Balkan unattraktiv und daher weitgehend unbekannt, folglich literarisch selten thematisiert, aus britischer indes aufregend und auf abstoßende Weise vertraut, entsprechend ein durchgängiger Topos. Die Charakterisierung eines hier nicht zu nennenden Balkanlandes als „a tundra of human intolerance“ (S. 10), wie sie die britische Romanautorin Isabel Fonseca 1995 vorgenommen hat, wäre einem Schriftsteller hierzulande wohl kaum aus der Feder geflossen. Ein deutscher Reiseführerautor hat es 1994 bezüglich der Hauptcharakteristika für dasselbe Land bei der politisch fast korrekten Formel „Sand, Meer und Beton“ belassen.

Dieser Blick auf die Literaturproduktion sagt allerdings wenig über deren Rezeption aus. Amblers Übersetzungen ins Deutsche etwa sind im Unterschied zu denjenigen von Bradbury populär, zumindest Die Maske des Dimitrios (1955) des gleichnamigen Films von Jean Negulesco aus dem Jahr 1944 wegen. Und während Karl Mays Balkan-Trilogie von 1892, Durch das Land der Skipetaren, In den Schluchten des Balkans und Der Schut, erst in den 1970er Jahren ins Englische übersetzt wurde sowie auf nur geringes Interesse stieß, wurde nahezu alles von ihm unmittelbar nach Erscheinen in tschechischer Übersetzung veröffentlicht – mit der Folge, dass der Prozentsatz von Karl May-Fans unter Tschechen deutlich höher als unter Deutschen ist, wie auch das tschechische Balkanbild mutmaßlich stark vom Radebeuler Erfolgsautor geprägt sein dürfte.

Die Hammondsche These vom spezifisch britisch-literarischen Balkan-Interesse wird aber auch durch transatlantische Erfolgsgeschichten wie derjenigen vom Erstling der bulgarophilen US-Autorin Elizabeth Kostova The Historian (2005; dt. Der Historiker, 2006) – laut Klappentext „der beste Historienthriller seit Umberto Ecos Im Namen der Rose“ bzw. „the fastest-selling hardback debut novel in US history“, der mittlerweile in 32 Sprachen übersetzt ist – widerlegt: Balkanisch-Slavisch-Osmanisch-Transylvanisch-Vampirisch-Gruselig-Historischer geht es wohl kaum mehr, und das kommt bei Briten und Deutschen, Katalanen und Dänen ebenso wie bei Chinesen, Japanern und Vietnamesen an. Nicht nur hat die Globalisierung den Balkan erreicht, sondern die Literarisierung des Balkans ist mittlerweile ein globales (Lese-)Phänomen.

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15.03.2013
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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