G. B. Paquette: Imperial Portugal in the Age of Atlantic Revolutions

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Title
Imperial Portugal in the Age of Atlantic Revolutions. The Luso-Brazilian World, c. 1770–1850


Author(s)
Paquette, Gabriel B.
Published
Extent
450 S.
Price
€ 84,85
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Debora Gerstenberger, Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin

Transatlantische Imperien sind bevorzugte Objekte der aktuellen (global-)historischen Forschung, insbesondere im Zeitraum der so genannten „Atlantischen Revolutionen“. Das portugiesische Reich hat in diesem Zusammenhang, im Gegensatz zum spanischen, indes relativ wenig internationale Aufmerksamkeit erfahren. Dabei schlug die portugiesische Krone unter Monarch Dom João (VI.) in dieser turbulenten Epoche einen kuriosen „Sonderweg“ ein: Durch einen geopolitisch geschickten Transfer des gesamten Königshofes von Lissabon nach Rio de Janeiro (1807/08) und die damit einhergehende „Umkehr“ des Kolonialverhältnisses hatte das portugiesische multi-kontinentale Konglomerat länger Bestand als das spanische. Brasilien wurde erst 1822 unabhängig, und zwar unter Dom Pedro (I.), dem Sohn Dom Joãos VI., und mit dessen Zustimmung.

Aufgrund der weit verbreiteten Unkenntnis dieses portugiesischen Sonderfalls ist die Publikation einer weiteren Synthese gerechtfertigt und begrüßenswert. Gabriel Paquettes Monographie stellt eine politikgeschichtlich ausgerichtete Erzählung über die luso-brasilianischen Welt zwischen 1770 und 1850 dar, die wenig Neues bietet, aber viele Forschungsergebnisse synthetisiert und dabei zum Teil neu anordnet.

Zu Wort kommen die berühmten „großen Männer“ der Geschichte: Monarchen, königliche Berater, Diplomaten, Minister, kurz: Angehörige der politischen und ökonomischen Elite. Paquette rechtfertigt seinen Fokus auf die „hohe Politik“ („high politics“) damit, dass diese zu dieser Zeit nun mal die Geschicke des Reiches bestimmt habe (S. 13). Weitere theoretische oder methodische Reflexionen liefert er nicht.

Kapitel 1 (S. 17–83) beschäftigt sich mit den Versuchen portugiesischer Politiker, ihr atlantisches Imperium im späten 18. Jahrhundert zusammen zu halten. Positiv hervorzuheben ist, dass nicht nur Portugal und Brasilien, sondern auch (wenn nur kurz) die afrikanischen Besitzungen beleuchtet werden. Am Ende bescheinigt Paquette den portugiesischen Autoritäten eine experimentierfreudige politische Kultur sowie einen „Reformgeist“, die in den 40 Jahren vor den napoleonischen Invasionen zu einer stetigen Erneuerung und einer besseren imperialen Verwaltung („ever-closer imperial coordination“) geführt hätten (S. 82f.).

Das zweite Kapitel (S. 84–163) behandelt die „Krise“, in die das Reich mit Einmarsch der napoleonischen Truppen in Portugal im November 1807 gekommen sei, bis zur Schaffung einer neuen politischen Ordnung 1823. Auf Basis der umfangreichen portugiesischsprachigen und englischsprachigen Literatur zum Thema zeichnet der Verfasser hier den Transfer des Hofes, die revolutionären Geschehnisse im europäischen Teil des Reiches, die Zeit der Restauration samt der Schaffung eines „Vereinigten Königreichs Portugal und Brasilien“ (1815) und schließlich die ab 1820 auf der iberischen Halbinsel erstarkende liberale Bewegung sowie die intensiven Debatten um die Rolle von Parlament und Verfassung nach. Hervorzuheben ist hier, dass beide Seiten des Atlantiks einbezogen werden. Gerade die Unabhängigkeit Brasiliens 1822, so lautet ein Hauptergebnis, sei mit einer Intensivierung der politischen Interaktion und einer „gemeinsamen konstitutionellen-intellektuellen Kultur“ einhergegangen (S. 163).

Während die meisten Betrachtungen mit der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens enden, nimmt Paquettes Werk hier erst an Fahrt auf. Das dritte Kapitel (S. 164–234) zeigt überzeugend, dass in der Zeit zwischen 1823 und 1826 keine definitive Separation zwischen den beiden Teilen des Reiches möglich war. Dom Pedro I., seit 1822 Kaiser von Brasilien, mischte sich nach dem Tod seines Vaters João VI. im Jahr 1826 (dieser war 1821 nach Europa zurückgekehrt) in die Belange Portugals ein. Die enge Verquickung der „brasilianischen“ und „portugiesischen“, aber auch der internationalen Politik (neben Frankreich und Großbritannien spielte Hispanoamerika eine besondere Rolle) wird ausführlich anhand der politischen Debatten und Konflikte um unterschiedliche Verfassungsentwürfe und die Anerkennung eines legitimen Thronfolgers nachgezeichnet.

Das vierte Kapitel (S. 235–315) wendet sich unter dem Titel „The last Atlantic Revolution“ einigen Schlüsselmomenten des portugiesischen Bürgerkriegs zu, der Paquette zufolge eine internationale Dimension hatte. Beleuchtet wird im ersten Teil das konservative („absolutistische“) politische Regime Dom Miguels (1828–1834), das im „Miguelistenkrieg“ (1832–1834) zwischen Miguel und seinem liberaler gesinnten Bruder Pedro beendet wurde (Pedro hatte 1831 als Kaiser Brasiliens abgedankt und war zur Bekämpfung seines Bruders nach Europa gereist). Der zweite Teil widmet sich den Exilportugiesen (emigrados), die zwar eine überaus heterogene Gruppe darstellten, aber von der Insel Terceira aus eine gemeinsame Opposition zu Dom Miguel organisierten. Der dritte und letzte Teil des Kapitels gilt der „internationalen Dimension“ des Konflikts, womit insbesondere Interaktionen und Interventionen britischer und französischer Staatsmänner gemeint sind. Letztlich, so resümiert Paquette, hätten die kriegerischen Auseinandersetzungen die prekäre politische und ökonomische Situation Portugals offen gelegt; gleichzeitig sei deutlich geworden, dass der Staat fest in ein europäisches Gefüge eingebettet war, was die starke Orientierung nach Brasilien zuvor verschleiert habe (S. 314).

Die Stärke des Kapitels liegt in der differenzierten Betrachtung der unterschiedlichen politischen Ideen und Strömungen. „Neo-Absolutisten“ auf beiden Seiten des Atlantiks waren sich keinesfalls in allen Belangen der Staatsform einig, viel weniger die liberalen Zeitgenossen. Eine Schwäche kann darin gesehen werden, dass hier (wie in allen Kapiteln) die Geschichte der politischen Ideen dominiert; soziale, kulturelle und ökonomische Aspekte finden selten Erwähnung. Somit ergibt sich beim Lesen bisweilen der Eindruck, dass sich die Erzählung an der Oberfläche der Ereignisse bewegt.

Das fünfte Kapitel (S. 316–390) durchbricht den chronologischen Aufbau des Werkes und widmet sich – unter dem Motto der allgemein akzeptierten These einer geographischen Neuorientierung Portugals von Brasilien nach Afrika – den „Ideen des Imperiums“ in der Zeit zwischen 1815 und 1834 (Teil I) beziehungsweise zwischen 1834 und 1846 (Teil II). Teil III beleuchtet in diesem Zusammenhang speziell die Frage des portugiesischen Sklavenhandels und der britischen Anstrengungen, diesen zu verhindern.

Als ein Hauptergebnis wird in der Zusammenfassung hervorgehoben, dass die Entzweiung des luso-portugiesischen Reiches ein „überaus kontingenter Prozess“ war, in dem eine „Handvoll Individuen“ einen überproportionalen Einfluss ausgeübt und das Resultat letztlich bestimmt hätten (S. 373). Dem mag man nach Lektüre der Studie, die ja von vorneherein auf die „großen Männer“ der Geschichte fokussiert war und also keinen anderen Schluss zulässt, zustimmen – oder auch nicht. Überzeugender sind in jedem Fall andere Ergebnisse, die vom Aufbau der Erzählung (die Unabhängigkeit Brasiliens markiert nicht das Ende der Betrachtungen, sondern eher den Auftakt) und der methodischen Herangehensweise (der Autor zieht Quellen und Literatur aus Portugal, Brasilien, Großbritannien, USA heran) gestützt werden: Das „Zeitalter der Revolutionen“ war im portugiesischen Reich geprägt von Integration, Reform, Erneuerung, Verhandlung und – an manchen Stellen – einer gewissen Dezentralisierung (S. 374). Auch nach der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens 1822 beeinflussten sich beide Teile des Reiches weiterhin gegenseitig (S. 375). In Anbetracht der Tatsache, dass in der portugiesischen und brasilianischen Geschichtsschreibung immer noch nationalstaatliche („endogene“) Erklärungen dominieren (S. 378), kann diese Erkenntnis in der Tat nicht oft genug betont werden.

Personen, die des Portugiesischen mächtig sind, werden von umfangreicheren portugiesischsprachigen Synthesen zum Thema möglicherweise mehr profitieren.1 Auch wer Wert auf theoriegeleitete Analysen legt, sollte sich besser anderen Werken zuwenden.2 Einsteiger/innen, die sich erstmals mit dem portugiesischen Reich im „Zeitalter der Revolutionen“ auseinandersetzen wollen, sei das Buch indes empfohlen. Eine innovative Studie mit großem analytischen Tiefgang sollte die Leserin oder der Leser jedoch nicht erwarten.

Anmerkungen:
1 Siehe zum Beispiel: Valentim Alexandre, Os Sentidos do Império. Questão nacional e questão colonial na crise do Antigo Regime português, Porto 1993; Lilia K. Schwarcz, A longa viagem da biblioteca dos reis. Do terremoto de Lisboa à independência do Brasil, São Paulo 2002.
2 Eine (Diskurs-)Analyse der transatlantischen Debatten um die Separation zwischen Brasilien und Portugal findet sich bei: Isabel Lustosa, Insultos Impressos. A guera dos jornalistas na independência (1821–1823), São Paulo 2000. Für eine deutschsprachige, dezidiert globalhistorisch angelegte Analyse der Regierungstechniken in der Zeit zwischen 1808 und 1822 siehe mein eigenes Werk: Debora Gerstenberger, Gouvernementalität im Zeichen der globalen Krise. Der Transfer des portugiesischen Königshofes nach Brasilien, Köln 2013.

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15.01.2015
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