A. Curry: Der Hundertjährige Krieg (1337-1453 )

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Title
Der Hundertjährige Krieg (1337-1453).


Author(s)
Curry, Anne
Published
Darmstadt 2012: Primus Verlag
Extent
128 S.
Price
€ 19,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Gerhard Altmann, Korb

„Und Hochmut ists, wodurch die Engel fielen, woran der Höllengeist die Menschen fasst.“ Die mahnenden Worte, die Friedrich Schiller einer der Figuren in seinem Drama „Die Jungfrau von Orleans“ in den Mund legt, lassen sich ohne weiteres auf die Protagonisten des Hundertjährigen Kriegs beziehen. Denn der Großkonflikt im späten Mittelalter, dessen Konturen Anne Curry in ihrer schnörkellosen Überblicksdarstellung nachzeichnet, besitzt alle Ingredienzien eines dynastischen Schaulaufens: ambitionierte Thronprätendenten, selbstsüchtige Regenten, feudales Gepränge, friedenssichernde Hochzeitsallianzen sowie ruchlose Feldherren. Und mit der Intervention Johannas von Orléans erwuchs dem Krieg in seiner letzten Phase noch jene „wunderliche, noch immer nicht restlos erklärte Dimension“ (S. 8), die zum Stoff von Dichtern wurde. Allerdings standen recht handfeste Interessen am Beginn eines zunächst klassisch-dynastischen Konflikts.

Die englischen Könige besaßen mit dem Herzogtum Aquitanien ein Lehen aus der Hand des Königs von Frankreich. Konflikte waren damit programmiert, und einer davon führte 1337 zum Beginn des Kriegs, der vier Generationen in Atem halten und in dessen Verlauf die englische Krone ihrerseits Anspruch auf den französischen Thron erheben sollte. So ließ sich etwa Heinrich VI. im zarten Alter von neun Jahren 1431 in Notre Dame zum König von Frankreich krönen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Kriegsglück freilich bereits gewendet, obgleich es nochmals gut zwei Jahrzehnte dauerte, ehe Frankreich die englischen Truppen vom Festland vertreiben konnten. Allein Calais blieb den Engländern bis 1558, und erst 1801 verzichtete die britische Krone endgültig auf ihre französischen Aspirationen. Just in dem Moment, als die Hannoveraner dem Wunschtraum eines transnationalen Königtums abschworen, verschärften sich auf den britischen Inseln die Schwierigkeiten des multiplen Königreichs, während die Napoleonischen Kriege einem aggressiven Nationalismus Vorschub leisteten.

Curry skizziert das Kampfgeschehen anhand der zentralen Akteure und Schlachten. Neben diesem chronologischen Abriss thematisiert sie aber auch strukturelle Aspekte des Hundertjährigen Krieges, die zugleich über diesen hinausweisen. So durchlief das mittelalterliche Kriegswesen einen tiefgreifenden Wandel. Die chevauchées, weit ausladende Reiterattacken auf weiche Ziele, wurden zu einem Markenzeichen des Krieges und versetzten ganze Landstriche in Angst und Schrecken. Die chevauchée des Schwarzen Prinzen 1355/56 erbrachte den englischen Truppen reiche Beute, ohne dass sie dafür ein größeres Risiko hätten eingehen müssen. Ebenfalls eine wahre Plage für die Zivilbevölkerung waren die routiers, Banden, die die Schwäche der mittelalterlichen Zentralgewalt für ihren eigenen Vorteil nutzten. Erst die Armeereformen Karls V. sorgten für eine verbesserte Versorgung der Truppen und damit für eine Eindämmung der routiers. Mit dem massiven Einsatz von Schwarzpulver seit der Wende zum 15. Jahrhundert wurden aufwendige Belagerungen häufiger von Erfolg gekrönt. Die schiere Dauer des Kriegs und die Notwendigkeit, ihn mit wechselnden Allianzen und – im Fall der englischen Krone – als „notorisch säumiger Schuldner“ (S. 106) zu führen, beschleunigten einen Prozess der administrativen Professionalisierung, der vor allem die Besteuerung der Untertanen auf eine solidere Grundlage stellte und dem absolutistischen Königtum den Boden bereitete. Dazu leisteten Curry zufolge auch die stehenden Heere einen wesentlichen Beitrag, die nach 1500 auf Seiten Frankreichs in den Kriegen Italiens zum Einsatz kamen. In England wiederum wurden in finanziell erträglicheren Phasen des Hundertjährigen Kriegs Panzerreiter und Bogenschützen in gleicher Stärke rekrutiert sowie die Truppführer mit Soldverträgen an die Krone gebunden, was das alte, wenig effiziente System der shire levies mit seinen Fußsoldaten zu einem Auslaufmodell werden ließ.

Ein weiterer zukunftsweisender Aspekt ist das Bündnissystem, das die unterschiedlichsten Territorien miteinander verknüpfte und damit einen langen Schatten in die Frühe Neuzeit vorauswarf. Von besonderer Brisanz war die Auld Alliance zwischen Frankreich und Schottland. England musste – zumal nach der Schmach von Bannockburn 1314 – stets vor Ungemach aus dem Norden Britanniens auf der Hut sein. Als Eduard III. 1337 den englischen Kriegseintritt legitimieren wollte, nannte er in seiner Proklamation explizit die französische Wühltätigkeit im Hinterhof Englands. Andererseits ließen auch die Londoner Könige nichts unversucht, Frankreich an dessen Flanken – namentlich in Burgund, der Normandie und in Flandern – in Nebenkriegsschauplätze zu verwickeln, die nichts mit dem eigentlichen casus belli, den verzwickten Lehensverhältnissen in Aquitanien, zu tun hatten. Flandern war zudem der wichtigste Handelspartner Englands. Auch die Gascogne, die kein englischer König während des gesamten Kriegs je selbst betrat, blieb für England aus ökonomischem Blickwinkel unverzichtbar, da man von dort Süßwein bezog und umgekehrt die Gegend um Bordeaux mit Getreide, Wolle und Tuch belieferte.

Curry ergänzt ihre Darstellung des Weiteren um biographische Vignetten, die einen zumindest flüchtigen Blick auf einige Individuen der Kriegsschauplätze erlauben. Christine de Pizan stammte aus Venedig, avancierte dann aber in Frankreich um 1400 zu einer „der namhaftesten und bestgeschätzten Autorinnen“ (S. 113). Nach der desaströsen Schlacht von Azincourt 1415 verfasste de Pizan, die drei der vier Phasen des Hundertjährigen Kriegs miterlebte, eine Trostschrift an Marie de Berry. Bereits einige Jahre davor hatte sie mit ihrem „Livre des fais d’armes et de chevalerie“ ein Werk vorgelegt, in dem sie unter anderem über Vorratshaltung, die Kosten einer Armee und die Ausstattung von Festungen berichtete. Das Buch wurde 1489 sogar ins Englische übersetzt.

Christine de Pizan durfte noch die Kriegswende zugunsten Frankreichs miterleben. Das Auftreten Johannas von Orléans und Schwächen der englischen Strategie läuteten 1429 die letzte Phase des Kriegs ein. Die Engländer hatten ihre militärischen Kapazitäten auf dem Festland stark reduziert und lockten so die Franzosen aus der Reserve. Hinzu kam 1449 die dilettantisch und überhastet geplante Besetzung von Fougères, die einem „strategischen Selbstmord“ (S. 122) glich und schließlich zum Verlust ganz Aquitaniens führte. In England eskalierte die Debatte über die Verantwortung für die Niederlage in den Rosenkriegen, die ihrerseits den Tudors auf den Thron verhalfen.

Curry betrachtet den Hundertjährigen als „ersten europäischen Krieg“ (S. 45), da er nicht nur in einer Art transnationaler Konstellation ausgefochten wurde, sondern auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der betroffenen Völker – propagandistisch gezielt befeuert – in einem Maße wachrief und stärkte, das den neuzeitlichen Nationalstaaten ein spätmittelalterliches Fundament bot. Die Leiden der Zivilbevölkerung trugen ihren Teil dazu bei, dass lebensweltliche Alteritäten zu einer Chiffre bewusster Abgrenzung stilisiert wurden. Die englische Furcht vor einer französischen Invasion blieb bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein „Leitmotiv“ (S. 126) der europäischen Geschichte, bevor dann das Wilhelminische Deutschland Frankreich als europäischen Hauptrivalen Großbritanniens ablöste. Diese langen Wellen des vormodernen Europas herauspräpariert zu haben, ist das Verdienst von Currys konziser Darstellung.

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19.11.2013
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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