A. Fickers u.a. (Hrsg.): Transnational Television History

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Title
Transnational Television History. A Comparative Approach


Editor(s)
Fickers, Andreas; Johnson, Catherine
Published
London 2012: Routledge
Extent
VII, 173 S.
Price
$125.00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Lothar Mikos, Filmuniversität Babelsberg "Konrad Wolf", Potsdam

Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes gehen auf eine Tagung zurück, die 2007 vom „European Television History Network“ und dem Projekt „Video Active“ am King’s College in London unter dem Titel „Rethinking Television Histories“ organisiert wurde. Daraus ist dann ein Band entstanden, der die transnationale Fernsehgeschichte in den Mittelpunkt stellt, denn – wie es die beiden Herausgeber Andreas Fickers und Catherine Johnson in ihrer Einleitung formulieren: „Going international is in“ (S. 1). Der Umstand, dass Fernsehen unter nationaler Gesetzgebung steht, hat dazu geführt, dass die Geschichte des Fernsehens bisher meistens in nationalen Kulturen betrachtet und dargestellt worden ist. Die Internationalisierung ist erst mit der Ausbildung eines internationalen Formathandels in den 1990er-Jahren verstärkt in den Blick gerückt, zunächst im Hinblick auf paneuropäische Fernsehkanäle. Doch das Fernsehen in Europa war schon seit den 1950er-Jahren international. Das wird in dem Beitrag von Andreas Fickers zur Geburtsstunde der Eurovision ebenso deutlich wie im Aufsatz von Christian Henrich-Franke zu den Programmaktivitäten der European Broadcasting Union (EBU). Allerdings ist hier kritisch anzumerken, dass sich die Beiträge des Bandes hauptsächlich mit Westeuropa und den USA befassen – die einzige Ausnahme ist der Beitrag von Dana Mustata über grenzüberschreitendes Fernsehen im Rumänien der 1980er-Jahre. Das osteuropäische Gegenstück zur EBU, die OIR, sowie das Gegenstück zur Eurovision, die Intervision, kommen in dem Band nicht vor. Die Geschichte des transnationalen Fernsehens im ehemaligen Ostblock aufzuarbeiten, ist also eine große Aufgabe, die erst noch bevorsteht.

Hier ist nicht der Platz, um alle Beiträge ausführlich zu würdigen. Es soll jedoch ein kurzer Überblick über die behandelten Themen gegeben werden. Denn, das ist positiv hervorzuheben, die Autorinnen und Autoren wählen unterschiedliche Zugangsweisen auf den Gegenstand des transnationalen Fernsehens. Während Andreas Fickers und Christian Henrich-Franke eher strukturell auf das Thema zugreifen, und die Ambivalenzen und Paradoxien der Eurovision und der EBU Screening Sessions zwischen nationalen Interessen und Transnationalismus darstellen, gehen Sonia de Leeuw und Michele Hilmes den Weg über Personen, deren Fernsehambitionen über das nationale Fernsehen hinausgingen, und die so nicht nur das nationale, sondern auch das transnationale Fernsehen prägten. Im Beitrag von Hilmes wird auch deutlich, wie der sogenannte „Flow“ von Fernsehprogrammen in den 1950er-Jahren über den Atlantik erfolgte. Während Kanada für europäische Programme der Testmarkt war, bevor sie in die USA kamen, war Großbritannien der Testmarkt für amerikanische Programme, bevor sie das europäische Festland erreichten. Die beiden Beiträge zeigen aber auch, wie sehr das frühe Fernsehen von Persönlichkeiten geprägt war und vieles von deren Ambitionen und Initiativen abhing.

Der Beitrag von Dana Mustata zeigt am Beispiel Rumäniens, wie sehr der grenzüberschreitende Empfang von Programmen aus Bulgarien, Jugoslawien, Moldawien, der Sowjetunion und Ungarn eine Alternative zum rumänischen Staatsfernsehen unter Nicolae Ceauşescu war. Auslöser dafür war unter anderem das Verbot des Diktators, Spiele der Fußballweltmeisterschaft 1982 im staatlichen Fernsehen zu zeigen. Grund für das Verbot mag gewesen sein, dass Rumänien nicht an der Weltmeisterschaft teilnahm. Aber die Menschen im Land wollten trotzdem Fußball sehen und besorgten sich tragbare Fernseher mit verstellbaren Antennen – diese Aktivitäten wurden von der Securitate gut dokumentiert. Nach diesem Ereignis breitete sich das grenzüberschreitende Fernsehen in Rumänien zu einer Art Massenphänomen aus. Die Einstrahlung von Programmen aus dem Ausland – auch wenn es das befreundete sozialistische Ausland war – stand immer in einem Verhältnis zur nationalen staatlichen Macht. Inwieweit man im Zusammenhang mit grenzüberschreitendem Fernsehen von transnational sprechen kann, ist meines Erachtens allerdings fraglich.

Dieser Frage des Transnationalen widmet sich Eggo Müller in seinem Beitrag zu den verschiedenen nationalen Adaptionen von „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Er zeichnet dabei die Entwicklung der Real-Crime-Formate bis ins 21. Jahrhundert nach. Müller kann jedoch zeigen, dass die Sendung nicht einfach übernommen werden konnte, sondern national adaptiert und lokalisiert wurde. Dabei spielten die öffentlichen Kontroversen um die Sendung eine nicht unwesentliche Rolle. Müllers Schlussfolgerung ist, dass es der „Genotyp“ eines Formats ist, der adaptierbar ist, aber nicht der kulturell spezifische „Phänotyp“. Diese Anleihen beim Sprachgebrauch der Genetiker machen das Phänomen der transnationalen, kulturellen Anpassung von Fernsehformaten zwar deutlich, helfen aber nicht wirklich weiter. Nimmt man das Vokabular ernst, dann würde das heißen, dass Fernsehgenres adaptierbar sind, Formate aber nicht. Aber genau das ist eine der bislang ungelösten Fragen der Fernsehwissenschaft: Unter welchen Bedingungen sind Formate adaptierbar und lokal anpassbar? Müller hat gezeigt, dass dabei öffentliche Debatten über ein Format eine wesentliche Rolle spielen können. Dagegen widmet sich Jonathan Bignell in seinem Beitrag der Frage, inwieweit Raum bzw. Lokalität bereits in der Produktion von fiktionalen Dramaserien angelegt ist und wie hier Transnationalität eine Rolle spielen kann.

Die vier abschließenden kurzen Beiträge stellen Regionalität in den Mittelpunkt und werfen so einen anderen Blick auf das Spannungsverhältnis von nationalen Fernsehkulturen und transnationaler Fernsehkultur, in dem sie die Spannung zwischen nationalem und regionalem Fernsehen in Deutschland, Frankreich und Spanien unter die Lupe nehmen. Einen weiteren Blick darauf mit einer veränderten Perspektive hat der Beitrag von Sarita Malik, die sich mit multikulturellen Programmen und dem so genannten Diaspora-Fernsehen in Großbritannien auseinandersetzt.

Der vorliegende Band leistet einen bedeutenden Beitrag zur fernsehhistorischen Forschung in transnationaler Perspektive. Leider wird versäumt, den Begriff „transnational“ eindeutiger zu definieren: Den verschiedenen Beiträgen scheint ein unterschiedliches Verständnis von Transnationalität zugrunde zu liegen. Grenzüberschreitendes Fernsehen ist nicht notwendigerweise transnational, weil weder das produzierende Land noch das rezipierende Land sich dabei auf das Nationale beziehen. Grenzüberschreitendes Fernsehen wird erst dann transnational, wenn sich das produzierende Land auch auf das rezipierende Land bezieht, und das Fernsehen im rezipierenden Land auf das grenzüberschreitende Programm bezieht. Ebenso ist ein Format noch nicht transnational, nur weil es in einem anderen Land adaptiert wird. Das wird es erst, wenn es gezielt in Bezug zur nationalen und internationalen Fernsehkultur produziert wird. Aus der fernsehhistorischen Perspektive ist der Begriff des Transnationalen aber wichtig, weil er den Blick dafür schärft, dass nationale Fernsehkulturen in Bezug und im Vergleich zu anderen nationalen Fernsehkulturen gesehen werden müssen.

Der geneigten Leserschaft öffnet der Band durch seine Multiperspektivität jedoch den Blick für internationale Entwicklungen des Fernsehens und stellt damit manche nationale Gewissheit infrage. Fernsehen hat schon immer in der Spannung von nationaler Fernsehkultur und internationalen, auch transnationalen Entwicklungen gelebt. Mit dem Band ist ein wichtiger Grundstein für eine sich inter- und transnational ausrichtende Fernsehgeschichte gelegt.

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08.12.2015
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