J Bakoubayi Billy: Musterkolonie des Rassenstaats

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Title
Musterkolonie des Rassenstaats. Togo in der kolonialpolitischen Propaganda und Planung Deutschlands 1919-1943


Author(s)
Bakoubayi Billy, Jonas
Published
Dettelbach 2011: J. H. Röll Verlag
Extent
363 S.
Price
€ 79,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ulrich van der Heyden, Seminar für Missions- u. Religionswissenschaft, Humboldt-Universität Berlin - Theologische Fakultät

Das seit einigen Jahren hierzulande andauernde Interesse an der Geschichte des deutschen Kolonialismus ist nunmehr durch ein weiteres Buch befriedigt worden. Es verdient schon deshalb Aufmerksamkeit, weil es aus der Feder eines Afrikaners stammt, der an der Berliner Freien Universität mit dieser Arbeit promoviert wurde.

Nicht zuletzt vermag der Titel des Buches Neugierde zu wecken, weil angesichts der im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts intensivierten wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte um die Völkermordversuche und sonstige koloniale Verbrechen in den deutschen Kolonialgebieten selbst in TV-Dokumentationen solche Themen visualisiert worden sind. Dies hat die kolonialhistoriographischen Diskussionen nicht nur am Leben erhalten, sondern es wurden neue, interessante quellengestützte Überlegungen und Forschungsergebnisse präsentiert, die nicht nur der Kolonial- und Afrikageschichte entscheidende Impulse verliehen haben.

Von all den in diesem Zusammenhang ausgetauschten Argumenten und die Debatte sucht der Leser vergebens Hinweise oder eine Stellungnahme in dem vorliegenden Buch. Ja, die Ignorierung des Forschungsstandes geht soweit, dass weitgehend darauf verzichtet wurde, deutlich zu machen, wo der Verfasser sich in der community verortet. Lediglich auf einer knappen Seite wird aufgezählt, welche Fachliteratur der Autor zur Kenntnis genommen hat. Einige wichtige Arbeiten scheinen demzufolge Billy nicht bekannt gewesen zu sein.1 Da nicht zuletzt bei der Lektüre des Buches immer wieder die Frage auftaucht, ob es denn zu den von Billy dargelegten Fakten, Thesen, Schlussfolgerungen und sonstigen Ausführungen nicht bereits weiterführende oder die behandelte Problematik tangierende Literatur gibt, stellt sich die Frage, ob sich hier ein Historiker der interessanten, wie vielgestaltigen Thematik gestellt hat. Weder im Vorwort seines „Doktorvaters“ noch in seiner Einleitung, noch in der Werbung des Verlages wird darauf verwiesen, dass der Verfasser über keine Ausbildung als Historiker verfügt, sondern Germanistik und Archivwissenschaften studiert hat. Die dort erworbenen Kenntnisse kommen der Arbeit zweifelsohne zu Gute, denn Billy hat eine beeindruckende Anzahl von archivalischen Dokumenten aufgespürt und diese ausgewertet. Auch auf die zeitgenössische nationalsozialistische Literatur hat er oftmals zurückgegriffen. Diese so erworbenen Erkenntnisse nach für die Geschichtsschreibung üblichen Methoden verarbeitet zu haben, sucht der Leser leider vergeblich.

Im Mittelpunkt seiner in sieben Kapitel sowie einer Einleitung und einer Zusammenfassung gegliederten Arbeit stehen die während der NS-Zeit diskutierten Planungen zur Schaffung eines „deutschen Mittelafrika“ unter spezieller Berücksichtigung Togos, der Heimat von Jonas B. Billy. Wenngleich hierzu schon Literatur aus afrikanischer Sicht existiert 2, liegt das Innovative dieser Arbeit in der besonderen Beachtung von Togo, dem eine besondere Rolle bei der Umsetzung des, so die Bezeichnung durch Billy, „Generalplan Zentralafrika“ von den Nazis zugedacht war.

Die ehemalige deutsche „Musterkolonie“ sollte mit den an Großbritannien gefallenen Regionen der früheren Kolonialterritorien in Westafrika sowie der französischen Kolonie Dahomey vereinigt werden. Das so territorial vergrößerte Togo sollte eine zentrale Stellung im zukünftigen deutschen Kolonialreich in Zentralafrika einnehmen. Es war geplant, eine „Musterkolonie des nationalsozialistischen Rassenstaates“ zu errichten.

Billy plädiert dafür, dass die afrikapolitischen Ziele Hitlers und seiner Gefolgsleute, die nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad aufgegeben wurden, im Zusammenhang mit dem Vorhaben im Osten Europas „Lebensraum“ zu erobern, zu sehen. Allerdings vermeidet er eine etwas eingehendere Diskussion zu dieser nunmehr schon seit einigen Jahren intensiv geführten Debatte, ebenso wie er dem Thema einer Nutzung der Wissenschaft für die mittelafrikanische Kriegszielpolitik der Nazis weitgehend aus dem Weg geht.3

Zusammenfassend lässt sich resümieren, dass durch die vorliegende Arbeit die ansonsten in der Wissenschaft vorherrschende euro- bzw. deutschzentristische Sicht auf ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte erweitert worden ist und die konzentrierte Sicht auf Togo den Forschungsstand ergänzt und Impulse zu vermitteln in der Lage ist. Allerdings hätte man sich neben den schon angeführten Monita, eine stringente, zusammenfassende Wertung des Erkenntnisgewinns des über viele Seiten detailliert recherchierten Aktenkonvoluts gewünscht.

Anmerkung:
1 Beatrix Wedi-Pasche, Die deutsche Mittelafrika-Politik 1871-1914, Pfaffenweiler 1992; Robert M. Mambo, Mittelafrika. The German Dream of an Empire across Africa in the late 19 th and early 20 th Centuries: An Overview, in: Transafrican Journal of History, 20/1991, S. 161-180; Rolf Peter Tschapek, Bausteine eines zukünftigen deutschen Mittelafrika, Stuttgart 2000; Marc Brüninghaus, “Deutsch-Mittelafrika” als Kriegsziel im Zweiten Weltkrieg. Ausdruck nationalsozialistischen Größenwahns oder Aufgriff der Kriegsziele von 1914-1918, München 2008; Sönke Neitzel, „Mittelafrika“. Zum Stellenwert eines Schlagwortes in der deutschen Weltpolitik des Hochimperialismus, in: Wolfgang Elz (Hrsg.), Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Winfried Baumgart zum 65. Geburtstag, Paderborn 2003; Karsten Linne, Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonialplanung für Afrika, Berlin 2008.
2 Wie die genannte von Mambo sowie Alexandre Kum’a Ndumbe III, Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas, Frankfurt am Main 1993.
3 Dabei hätte ein Blick in Felix Brahm, Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930-1970, Stuttgart 2010, eine ergiebige Hilfestellung sein können.

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Published on
19.04.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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