S. Palmié u.a. (Hrsg.): The Caribbean

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Title
The Caribbean. A History of the Region and Its Peoples


Editor(s)
Palmié, Stephan; Scarano, Francisco A.
Published
Extent
660 S.
Price
€ 25,33
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ulrike Schmieder, Universität Hannover

Der dicke Sammelband, für den zahlreiche international renommierte Historiker der Sklaverei- und Karibikgeschichte als Autor/innen gewonnen wurden, präsentiert die karibische Geschichte von den indigenen Kulturen bis zur Gegenwart. Die Beiträge werden sieben Oberthemen zugeordnet „The Caribbean Stage“, „The Making of a Colonial Sphere“, „Colonial Designs in Flux“, „Capitalism, Slavery, and Revolution“, „A Reordered World“, „The New Empire“ und „The Caribbean in the Age of Globalization”. Der letzte Kapiteltitel irritiert etwas. Die karibische Geschichte ist ja gerade ein Beleg dafür, dass die Globalisierung nicht in den 1960er Jahren begann, sondern im 16. Jahrhundert, und der Band sowie die Einleitung thematisieren an etlichen Stellen atlantische und globale Verflechtungen vor dem Zeitraum, auf den sich der siebte Abschnitt bezieht.

Zum Einlesen in das komplexe karibische Geschichte und ihre globalen Verflechtungen kann der Band mit seinem Literaturanhang auf jeden Fall empfohlen werden, ebenso für einen Überblick über die anglophone Historiographie. Positiv hervorzuheben ist, dass hier nicht von “der Karibik” gesprochen wird und wie in so manch anderem Buch nur die britische oder nur die spanische Karibik behandelt wird. Hier wurden dagegen Texte zusammengetragen, die alle karibischen Regionen untersuchen, Dänisch-Westindien allerdings nur ganz am Rande ohne eigenen Beitrag. Die Relevanz früher historischer Entwicklungen für aktuelle Probleme kommt an mehreren Stellen zum Ausdruck, z.B. in Duncan McGregors Text zur Ökologiegeschichte der Karibik. Indexierung und Glossar des Bandes sind hilfreich.

Die zulässige Rezensionslänge gestattet hier keine Einzelbewertung aller Beiträge, daher folgen Empfehlungen und kritische Bemerkungen zu ausgewählten Texten. Besonders lesenswert sind z.B. die Beiträge im Abschnitt 2 zur Frühzeit der kolonialen Herrschaft auf den Antillen, darunter ein Artikel von Lynne A. Guitar über die bittere Geschichte des Zerfalls der Verhandlungsmacht der Taino-Kaziken gegenüber den Spaniern durch die Bevölkerungsdezimierung auf Grund von Krankheiten, Unterernährung und Ausbeutung und damit das Ende eines verhandelten Miteinander zwischen spanischer und Teilen der indigenen Bevölkerung. Überhaupt behandeln etliche Artikel nicht nur die agency der Kolonialherren und Pflanzer oder anderer europäischer Akteure wie der Missionare (deren Tätigkeit etwas knapp nur in Bezug auf Jamaika von Jean Besson dargestellt wird), sondern auch Indigene, Sklaven und maroons, Piraten und Seeleute, indentured servants, Landarbeiter, kurzum die atlantischen Unterschichten als historisch Handelnde mit ihren eigenen Kulturen (Isaac Curtis, Hilary McD. Beckles, Philip Morgan, Laurent Dubois, Gad Heumann, O. Nigel Bolland). Gender als gesellschaftliche Analysekategorie (vorkommend nur bei Aisha Khan, die sich in einem vergleichenden Artikel differenziert mit den Interdependenzen von race, color, class und gender in den Transkulturationsprozessen der Karibik befasst) scheint allerdings schon wieder aus der Mode gekommen zu sein. Die Gesamtliteraturliste ist zu dem Thema sehr defizitär. Die lange Debatte um die Marginalisierung afrokaribischer Männer durch die Sklaverei und ihr (vermeintliches oder tatsächliches) Erbe in der Gegenwart, vor allem in Form gewalttätiger Maskulinität, Misogynie und Homophobie, nebenbei zentrales Thema von jamaikanischer Musik (_Reggae, Dance Hall, Ska), kommt nicht vor.

Die karibische Gegenwart wird in Bezug auf die lange und komplexe Geschichte der kubanischen Revolution (Michael Zeuske); die unabhängigen Staaten der Karibik, interpretiert als durch die Allgegenwart der Kriminalität gefährdete Demokratien (Anthony P. Maingot); die abhängigen Antillen und ihre gravierenden sozialen Probleme (zu Puerto Rico, der niederländischen und französischen Karibik Humberto García Muñoz) und die Spannungen zwischen zwei Staaten auf einer Insel, der Dominikanischen Republik und Haiti (Pedro L. San Miguel), behandelt. Texte zu „tourism, drugs, offshore finance“ im Kontext des Neoliberalismus (Robert Goddard) und zum zentralen Thema der Karibik des 20. Jahrhunderts, ihren Migrationen und Diasporas (Christine M.Du Bois), runden diesen Abschnitt ab.

Die Literaturliste vermittelt allerdings leider den Eindruck, man könne Geschichtswissenschaft zur Karibik betreiben und nur Englisch lesen, es sind lediglich jeweils ein spanischsprachiges und eine deutschsprachiges Buch verzeichnet. Auch in der zitierten Literatur der Beiträge finden sich nur sehr wenige Hinweise auf die frankophone, niederländisch-sprachige und kubanische Historiographie (spanische Autoren werden etwas häufiger zitiert). Bei dieser Kritik geht es nicht darum, dass irgendeine Literaturliste zur karibischen Geschichte vollständig sein könnte, sondern darum, dass man nicht-angelsächsische Wissenschaftstraditionen und große Teile der empirischen Forschung, die vor Ort stattfinden und in den Sprachen der Inseln publiziert werden, weitgehend ignoriert. Das selbstreferentielle anglophone Zitierkartell dominiert auch dieses Buch.

Außerdem schreiben mehrere Autor/innen (auch) über Regionen, zu denen sie nicht über die regionale Expertise verfügen. Nicht immer wird dabei die Fachliteratur der Spezialisten für die jeweilige Insel oder Region zur Kenntnis genommen. Da passiert ist es dann, dass ein völlig zu Recht hochangesehener Experte der Nachsklavereigeschichte Britisch-Westindiens wie Gad Heumann behauptet, dass es keinen der Morant Bay Rebellion in Jamaika (1865) vergleichbaren Ausbruch sozialen Protests in der französischen Postemanzipationsgeschichte gegeben habe(S. 355). Die Insurrection du Sud in Martinique 1870 ist ihm offenbar entgangen, was nur passieren kann, wenn man die Arbeiten französischsprachiger Historiker/innen der Karibik wie Armand Nicolas, Nelly Schmidt, Myriam Cottias und Gilbert Pago nicht gelesen hat. Dabei fand der martiniquianische Aufstand genau wie die jamaikanische Rebellion eine Generation nach der Abolition statt, entzündete sich an einem als ungerecht empfundenen Urteil der kolonialen Justiz, war eine Reaktion auf die extrem repressive Arbeitsgesetzgebung und die nicht gelöste Landfrage, politische Unterdrückung und Rassendiskriminierung und wurde ebenso wie die Morant Bay Rebellion in einer Orgie kolonialer Gewalt niedergeschlagen. Bemerkenswert ist, dass auf zahlreichen Inseln ca. eine Generation nach der Sklaverei solche Aufstände ausbrachen (neben den beiden erwähnten der War of General Green in Barbados 1876, die Fireburn Insurrection im dänischen St. Croix 1878, der Aufstand des kubanischen Partido Independendiente de Color 1912 – erwähnt von Elizabeth Cooper S. 395 im Vergleich zur Morant Bay Rebellion, aber nicht in Bezug auf die anderen Rebellionen). Über solche Parallelen und Querverbindungen zwischen den Inseln würde man gern etwas in einem zusammenfassenden Schlusskapitel lesen.

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Published on
08.06.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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