S. D. Aslanian: From the Indian Ocean to the Mediterranean

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Title
From the Indian Ocean to the Mediterranean. The Global Trade Networks of Armenian Merchants from New Julfa


Author(s)
Aslanian, Sebouh David
Series
California World History Library 17
Published
Extent
363 S.
Price
£ 39.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ulrike Freitag, Zentrum Moderner Orient Berlin

In der umfangreichen, aus seiner Dissertation hervorgegangenen Studie über ein vom iranischen Neu-Julfa ausgehendes armenisches Handelsnetzwerk des 17. und 18. Jahrhunderts gelingt dem in Kalifornien lehrenden Historiker Aslanian zweierlei: Zum einen die dichte Beschreibung eines von London und Cadiz im Westen über St. Petersburg und Archangel im Norden bis hin nach Manila und Acapulco reichenden Handelsnetzwerkes, das im Isfahaner Vorort Neu Julfa koordiniert wurde, und zum anderen eine Bereicherung der theoretischen Diskussionen über Handelsdiasporen und –netzwerke. Ferner stellt die Arbeit einen wichtigen Beitrag zu einer differenzierten Globalgeschichte dar, differenziert insofern, als der Autor überzeugend darlegen kann, wie es einer kleinen Personengruppe (Neu Julfa selbst hatte wohl zu Beginn des 18. Jahrhunderts bis zu 20.000 Einwohnern, Gesamtzahlen für aus Neu Julfa stammende Personen gibt der Autor nicht an, davon gehörten natürlich nicht alle zu den Handelshäusern) gelingen konnte, ein fast die ganze Welt in ihrer Ost-West Ausdehnung umfassendes Handelsnetzwerk zu bilden. Diese globale kommerzielle Integration wurde durch ein in sich weitgehend geschlossenes "insulares Handelsnetzwerk" (S. 230) 1 vorangetrieben. Dies beruhte auf dem Instrument der Commenda, von Teilhaberverträgen, die in aller Regel nur zwischen aus Julfa stammenden Armeniern geschlossen wurden (dazu im Detail anhand detaillierter Dokumente Kapitel 6). Die Kapitalinhaber übertrugen ihren zumeist weisungsgebunden, sorgfältig ausgesuchten Teilhabern die Durchführung der eigentlichen Transaktionen an den unterschiedlichsten Handelsorten Trotz dieser geschlossenen Aspekte trug das Netzwerk zur Zirkulation von Ideen und Gütern bei, so wurde beispielsweise schon 1638 eine Druckerpresse in Neu Julfa eingerichtet.

Für den Erfolg der Armenier aus Neu Julfa, deren Siedlung 1606 als Ergebnis einer Umsiedlung aus der Stadt Julfa im osmanisch-iranischen Grenzgebiet entstand (Kapitel 2), bedurfte es des Zusammentreffens einer Reihe glücklicher Umstände: Der Herausbildung von vier eurasischen Imperien, welche den Fernhandel förderten (das safawidische, osmanische, moskowitische und Moghulreich), der Herausbildung europäischer maritimer Netzwerke, mit denen das armenische verflochten war und des Zuflusses von Silber aus der Neuen Welt, welcher die Nachfrage nach Luxusgütern erhöhte, darunter insbesondere Pfeffer und iranische Seiden, zu denen die Armenier privilegierten Zugang hatten (S. 3f.). Anstelle des Begriffs der (eher unspezifischen) 'Handelsdiaspora' schlägt Aslanian vor, jenen eines 'zirkulatorischen Netzwerks' zu verwenden, in dem Personen, Kapital und Wissen zirkulierten. Aslanian unterscheidet dabei zwischen solchen Netzwerken, die sich stets auf ein Zentrum rückbeziehen – wie etwa die Armenier oder Multaner – und anderen, welche über mehrere verfügen. Letzteres war in seinen Augen ein deutlicher komparativer Vorteil des sephardischen Handelsnetzwerks gegenüber dem armenischen aus Neu Julfa oder auch jenem von Multan, denn die beiden letztgenannten überlebten letztlich den Niedergang ihrer Zentren nicht (Kapitel 1 und Conclusion).

Der erste Teil des Buches stellt neben der Gründung die Etablierung des Netzwerkes im Indischen Ozean (Kapitel 3), im Mittelmeerraum, Nordwesteuropa sowie in Russland (Kapitel 4) dar. Auf diesen eher faktisch-deskriptiven Teil folgt eine Analyse der Faktoren, welche den Zusammenhalt des Netzwerks garantieren sollten. Auch wenn sicherlich strukturell viele Aspekte der in Kapitel 5 diskutierten intensiven Briefwechsel zwischen verschiedenen Teilen des Netzwerks und zwischen Kapitalinhabern und ihren Agenten auch in anderen Handelsnetzwerken zu finden sind, kann Aslanian auf einen ungewöhnlichen Reichtum an Korrespondenz zurückgreifen, um die unterschiedlichsten formalen und inhaltlichen Aspekte zu beschreiben. Ferner gelingt es ihm, anhand von Posteingangsbüchern die Laufzeit von Briefen auf den unterschiedlichen Routen zu rekonstruieren, wobei gerade für dringende Belange auch Kuriere beschäftigt wurden. Dadurch waren Briefe oft schneller als bei den Konkurrenten, weshalb die Julfaner "einen kritischen Vorteil gegenüber ihren Geschäftsrivalen genossen" (S. 120).

Auf eine Diskussion der bereits erwähnten Commenda und Familienfirma folgt eine Besprechung von "Vertrauen, Sozialem Kapital und Netzwerken" (Kapitel 7). Darin kritisiert der Autor, dass die meisten Untersuchungen von Handelsdiasporen Vertrauen innerhalb dieser Gemeinschaften gewissermaßen voraussetzten und zeigt, dass dieses durch einen expliziten Verhaltenskodex ebenso wie durch formale und informelle Institutionen (kommunale Selbstverwaltung, Handelsgerichte) gewissermaßen 'verstärkt' wurde, weshalb er den Bourdieuschen Begriff des Sozialkapitals gegenüber jenem des Vertrauens bevorzugt. Dies leuchtet ein und ersetzt den Begriff der Handelsdiaspora vielleicht weniger, als dass es die Vorstellung von den Grundlagen des "Vertrauens" präzisiert. Warum allerdings die Handelsgerichte in den Außenposten, die wohl am ehesten als Schiedsgerichte bezeichnet werden können, als "portable courts" (S. 191f.) bezeichnet werden, leuchtet nicht ein, selbst wenn nicht nur ansässige Armenier in ihnen aktiv werden konnten.

Aslanian argumentiert, dass das Handelsnetzwerk (hier verwendet er den Begriff der 'Koalition') wie ein privater Club funktionierte, bei dem neben den professionellen Kenntnissen auch die Herkunft und der gute Leumund eine entscheidende Rolle spielten. Hier hätte man sich gewünscht, etwas mehr über die in anderen Handelsdiasporen wie bei den Hadhramis bedeutsame Heirats- und Familienpolitik mehr zu erfahren. Inwieweit waren exogame Ehe überhaupt möglich und toleriert? Und inwieweit wurden jene, die gerade in Europa zum Katholizismus konvertierten, aus dem Netzwerk ausgeschlossen? Zu diesen Fragen gibt Aslanian nur versprengte Hinweise, es wäre sicherlich eine vielversprechende Aufgabe, in künftigen Arbeiten hier weitere Forschungen anzustellen, gerade im Hinblick auf das Verhältnis zu Armeniern aus anderen Orten. Allerdings mag dies auch dem Quellenkorpus geschuldet sein, der ohnehin in seiner höchst beeindruckenden geographischen wie sprachlichen Reichweite bereits alle Erwartungen sprengt, die man mit Fug an eine Monographie stellen darf.

Im letzten Kapitel (9) skizziert Aslanian den Niedergang Neu Julfas, den er (unter ausführlicher Berücksichtigung der existierenden Erklärungsansätze) eindeutig in den Jahren 1746-47 verortet, als Nadir Shah Isfahan zweimal be- bzw. heimsuchte und dabei nicht nur exorbitante Steuern erhob, sondern seine Soldaten Neu Julfa plündern ließ. Dies löste eine Emigrationswelle aus, welche schon vorher bestehende Trends der Abwanderung in den Schatten stellte. In den 1770er-Jahren waren von den einst 20.000 Einwohnern weniger als 2000 übrig (210). Im Gegensatz zu anderen Handelsnetzwerken verlagerten die Armenier aus Julfa ihr Zentrum nicht, beispielsweise nach Indien, als Neu-Julfa von der Katastrophe heimgesucht wurde. Stattdessen kaprizierten sie sich auf eine künftige Republik in Armenien und scheinen die Integration in eine größere armenische Gemeinschaft gesucht zu haben, wobei man auch hier gerne ein wenig mehr erfahren hätte.

Neben der Breite der Darstellung, die auch inmitten spannender Details nie den Faden verliert und immer wieder auch theoretische Fragestellungen aufgreift, und der beeindruckenden Quellenbasis ist die sehr gute Lesbarkeit von Aslanians Beitrag hervorzuheben. Für alle, die sich für die globale Handelsgeschichte in der frühen Neuzeit interessieren, sollte es zur Pflichtlektüre gehören.

Anmerkung:
1 Zur besseren Lesbarkeit wurden alle Zitate von der Rezensentin ins Deutsche übertragen.

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31.01.2014
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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